Das Bild der Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden[1], ist häufig verwendet worden, um die widerstandslose Hinnahme ihrer Verhaftung, Deportation und ihrer Ermordung zu veranschaulichen. Die Lämmer als Metapher für Millionen von unschuldigen Menschen, die getötet wurden, nur weil sie Juden waren. Sie traf keine Schuld, also sahen sie die Notwendigkeit eines Widerstandes, eines Sich-Wehrens auch nicht. Sie beugten sich ihrer Vernichtung ohne Protest.
Dieser äußerst problematische Vergleich wird keinesfalls von allen unterstützt. Einer, der sich solch einer Wahrnehmung der jüdischen Situation vehement widersetzt, ist der kroatische Publizist Slavko Goldstein. Er verurteilte entschieden diese Generalisierung, indem er deutlich machte, dass es neben den Aufständen im Warschauer Ghetto und im Lager Sobibor aktive jüdische Widerstandskämpfer in polnischen, litauischen, weißrussischen und ukrainischen Partisanenverbänden gab. Den heroischsten Beitrag zur eigenen Rettung und zur Bewahrung der eigenen Würde lieferten aber jüdische Widerstandskämpfer im jugoslawischen Volksbefreiungskrieg (VBK).[2]
Nach Berechnungen des serbischen Historikers Jaša Romano beteiligten sich rund 4.500 jugoslawische Juden an dem Partisanen-Krieg. Etwa 3.200 von ihnen erlebten das Kriegsende.[3] Nach S. Goldsteins Untersuchungen stammte von den 4.500 Juden der weitaus größere Teil, etwa 3.000, aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina, also den Gebieten, die zum faschistischen Unabhängigen Staat Kroatien (USK) gehörten. Seinen Nachforschungen zufolge, fielen rund 800 kroatische und bosnische Juden im Volksbefreiungskrieg.[4]
Juden im jugoslawischen Widerstand
Nur wenige Juden hatten sich vor Ausbruch des Krieges in politischen Parteien und Bewegungen engagiert. In den 20er und 30er Jahren hatten sich nur Einzelne der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, also der Partei, die den Widerstand gegen deutsche Besatzer und ihre faschistischen Verbündenten organisieren sollte, angeschlossen. Zwei der wenigen Juden waren der Serbe Moše Pijade und der Kroate Pavle Pap. Sie wurden 1940 sogar Mitglieder des Zentralkomitees und Titos engste Mitstreiter während des Kriegs. Pap wurde 1941 von italienischen Soldaten erschossen, Pijade erlebte das Kriegsende. Beide wurden 1953 zu jugoslawischen Nationalhelden erklärt.[5]
Romanos und Goldsteins Analysen zufolge fiel Juden der Anschluss an die seit Juni 1941 organisierte Volksbefreiungsbewegung (VBB) schwerer als anderen Bevölkerungsteilen. Dies hing zum einen damit zusammen, dass ein großer Teil der jüdischen kampffähigen Bevölkerung im Sommer 1941, als sich der Partisanen-Widerstand formierte, bereits in Lagern und Gefängnissen interniert war. Zum anderen, weil der weitaus größere Anteil jüdischer Bevölkerung urbanisiert war, die Partisanen aber in erster Linie auf dem Land, im Gebirge und zunächst in abgelegenen Gebieten aktiv waren. Außerdem fürchteten viele die Gefahren, denen die eigene Familie ausgesetzt wurde, wenn die kroatische Ustascha-Regierung ein Familienmitglied bei den Partisanen vermutete.[6] Trotz dieser erschwerten Umstände schlossen sich bis Ende des Jahres 1941 etwa 600 kroatische Juden den Partisanen an, die meisten unter ihnen waren Sympathisanten der kommunistischen Partei oder anderer linker Gruppierungen.[7]
Erst als die Partisanen im Laufe des Jahres 1942 größere Geländegewinne verbuchten, schlossen sich ihnen sogar ganze Familien mit Kindern an. Trotzdem blieb der Zulauf zu den Widerstandskämpfern ein Unternehmen Einzelner. 1943 und insbesondere nach der italienischen Kapitulation im September des gleichen Jahres intensivierte und weitete sich der Zulauf der Juden zu den Partisanen aus. Zwischen September 1943 und Ende 1944 schlossen sich rund 2.000 kroatische Juden den Partisanen-Verbänden an. Die meisten waren Befreite des italienischen Sammellagers Rab auf der gleichnamigen Adriainsel. Sie bildeten anfangs sogar einen eigenes Bataillon. Dann beschloss der Generalstab der VBB aber, diesen der 7. Division einzuverleiben. Gründe dafür waren die mangelnde Ausbildung und Erfahrung der Juden in der Kriegsführung. Noch wichtiger für diese Entscheidung war aber die Befürchtung, dass deutschen Truppen von dem jüdischen Bataillon erführen. Dies hätte, so glaubte die Partisanen-Führung, eine noch größere Kampfeslust und Entschlossenheit der Deutschen im Kampf gegen die Partisanen geweckt.[8] Von den 1.339 Partisanen des ehemaligen Lagers Rab fielen 119 im Kampf, 17 starben an anderen Ursachen, der Rest überlebte den Krieg. Das folgende Bild zeigt das Raber Bataillon[9]
Das Gebietskomitee der KP Kroatiens für Dalmatien betonte bereits im September 1941 in seinem Organ Platforma:
„Die faschistischen Eroberer haben mit Hilfe der Ustaša in unserer Heimat die kulturlose Errungenschaft der so genannten `neuen Ordnung´, den Antisemitismus, also die Ermordung, Beraubung, Erniedrigung und Verfolgung von Juden eingeführt. Es ist unsere Pflicht, uns dem Terror und der Verfolgung der Juden zu widersetzen.“[10]
Somit war es zumindest für einen Teil der Partisanenkämpfer wichtig, Juden von ihrem Schicksal zu befreien und gegen die zu kämpfen, die deren Schicksal besiegelt hatten. Die bereitwillige Aufnahme von Juden in die Volksbefreiungsbewegung spiegelte zum einen den supranationalen und areligiösen Charakter der Bewegung wider. Zum anderen bot sie Juden, die bis dahin ausschließlich hilflose Opfer von Diskriminierungen und tödlichen Verfolgungen waren, die Gelegenheit, sich selbst zu verteidigen.
Zu den jüdischen Kämpfern, die sich im Herbst 1943 den Partisanen anschlossen, gehörte auch der kroatische Jude Zeev Milo. Die Partisanen brauchten jeden Kämpfer, so war es nicht schwer, in ihren Dienst aufgenommen zu werden. Eine Vorbereitung auf den Krieg oder eine Ausbildung gab es schlichtweg nicht.
„Am Tag nach der Befreiung von Novi (südlich von Rijeka gelegene Stadt, befreit in den ersten Septembertagen 1941, M.V.) meldete ich mich zusammen mit der Mehrheit der lokalen Jugend freiwillig zu den Partisanen. Die Prozedur war kurz: Wir wurden in der Stadtkommandantur empfangen, unsere Namen und persönliche Angaben notiert. Dann bekam jeder von uns ein Gewehr, einen italienischen Karabiner und drei Magazine mit Patronen, einen Laib Weißbrot und fünf Zigaretten. Ein Korporal, der nicht älter war als 14 Jahre, erklärte uns den Umgang mit dem Gewehr.“[11]
Obwohl die Leitparole der Partisanenbewegung eine judenfreundliche war, gab es auch innerhalb der Reihen ihrer Kämpfer Antisemiten, die Juden Hilfe verweigerten. Auch im Volksbefreiungskrieg, der sich gegen die Besatzer und ihre Vernichtungspolitik richtete, hatten es Juden schwerer, als andere Bevölkerungsteile.[12] Trotzdem waren hier ihre Überlebenschancen größer, und was noch wichtiger wiegte, hier hatten sie die Möglichkeit der Selbstverteidigung.
Den wichtigsten jüdischen Beitrag im jugoslawischen Widerstandskampf erbrachten zweifelsfrei die jüdischen Ärzte. 1942 waren von den 73 Ärzten im Partisanen-Sanitätswesen 40 Juden. Über 100 Medizinstudenten und mehr als 100 Krankenschwestern befanden sich in den Reihen der Partisanen. Bis zum Ende des Krieges arbeiteten bei den Partisanen auf dem Gebiet des USK etwa 200 jüdische Ärzte, dazu kamen weitere 400 Juden als medizinisches Personal hinzu.[13]
Im USK wurden in Lagern und durch Deportationen rund 30.000 Juden getötet[14], nur etwa 4.000 der kroatischen und 5.000 der bosnischen Juden überlebten den Holocaust.
Etwa jeder vierte überlebende Jude hatte demnach am Partisanenkampf teilgenommen. 2.339 Juden retten sich durch den Anschluss an die Partisanen. Rund 2.000 Juden, die am aktiven Widerstand nicht teilnahmen, aber trotzdem ums tägliche Überleben kämpften, erlebten das Kriegsende. Geht man von der Anzahl der jüdischen Vorkriegsbevölkerung aus, nahmen rund zehn Prozent der Juden am antifaschistischen Kampf teil. Proportionsrechnungen zufolge und im europäischen Territorialvergleich wurden im jugoslawischen Widerstandskampf die meisten Juden gerettet.[15]
Nicht alle Lämmer ließen sich zur Schlachtbank führen. Einige Tausende leisteten gegenüber den Nazis und ihren Verbündeten Widerstand, sie kämpften aktiv um ihr Leben und „sie fanden ihre Menschenwürde wieder; sie waren wieder Gleichgestellte“,[16] urteilte der kroatische Historiker Ivo Goldstein.
Angesichts der Schrecken, denen die jugoslawischen Juden ausgesetzt waren und angesichts der Zahl der Getöteten kann die Anzahl der überlebenden jüdischen Partisanen nur ein schwacher Trost sein. Aber sie kann einer sein.
Autorin: Marija Vulesica
Literatur
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 4. Auflage, München 1976.
Goldstein, Ivo: Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001.
Goldstein, Ivo: Die Juden in Kroatien, Bosnien-Herzegowina 1941-1945, in: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien 4; hg. v. Wolfgang Benz, Juliane Wetzel, Berlin 2004.
Goldstein, Slavko: Židovi u narodnooslobodilačkom ratu, in: Židovi na tlu Jugoslavije, hg.v. Ante Sorić, Zagreb 1988.
Goldstein, Slavko: Židovi Hrvatske u antifašističkom otporu, in: Zna li se: Antisemitizam, Holokaust, Antifašizam, Zagreb 1996.
Milo, Zeev: Im Satellitenstaat Kroatien 1941-1945, Konstanz 2002.
Romano, Jaša: Jevreji Jugoslavije 1941-1945. Žrtve genocida i učesnici narodnooslobodilačkog rata, Beograd 1980.
Sundhaussen, Holm: Jugoslawien, in: Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, hg. v. Wolfgang Benz, München 1991.
Tomasevich, Jozo: War and Revolution in Yugoslavia 1941-1945. Occupation and Collaboration, Stanford 2001.
Anmerkungen
[1] Vgl. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 4. Auflage, München 1976.
[2] Slavko Goldstein, Židovi u narodnooslobodilačkom ratu, in: Židovi na tlu Jugoslavije, hg.v. Ante Sorić, Zagreb 1988, S. 192.
[3] Jaša Romano, Jevreji Jugoslavije 1941-1945. Žrtve genocida i učesnici narodnooslobodilačkog rata, Beograd 1980, S. 304; Romanos Untersuchungen stützten sich auf erhaltenen Namenslisten und auf Interviews mit Überlebenden und mit den Familien der Getöteten. Abgesehen von einigen Fehlern und überholten Forschungsergebnissen zählt seine Arbeit nach wie vor zu den wichtigsten auf diesem Gebiet. Seine Berechnung gelten im Großen und Ganzen nach wie vor.
[4] Slavko Goldstein, Židovi Hrvatske u antifašističkom otporu, in: Zna li se: Antisemitizam, Holokaust , Antifašizam, Zagreb 1996, S. 148f.
[5] Jaša Romano, Jevreji Jugoslavije, S. 278.
[6] S. Goldstein, Židovi Hrvatske, S. 149; Romano, Jevreji Jugoslavije, S. 205f; Ivo Goldstein, Die Juden in Kroatien, Bosnien-Herzegowina 1941-1945, in: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien 4; hg. v. Wolfgang Benz, Juliane Wetzel, Berlin 2004, S. 186.
[7] S. Goldstein, Židovi Hrvatske, S. 149.
[8] Ebd., S. 152.
[9] Abbildung bei: Zna li se 1941-1945, S.151.
[10] Dragutin Gizdić, Dalmacija u 1941, Zagreb 1957, S. 279; zitiert nach: I. Goldstein, Die Juden in Kroatien, S. 186f.
[11] Zeev Milo, Im Satellitenstaat Kroatien 1941-1945, Konstanz 2002, S. 130; Zeev Milo alias Vladimir Müller lebte vor dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie in Zagreb. Als die faschistische Ustascha mit Hilfe des nationalsozialistischen Deutschlands im Frühjahr 1941 an die Macht kam, begann für Milo und seine Familie, wie auch für Tausende anderer kroatischer Juden, der Kampf ums Überleben. Rund 80 Prozent der kroatischen Juden fiel der Tötungsmaschinerie der Ustascha und der Verbündeten SS zum Opfer. Milo und seine Eltern überlebten den Krieg. Ihren Kampf ums Überleben im USK schildert er eindrucksvoll in seinem oben erwähnten Buch.
[12] Ebd., S. 154, 162f., 198.
[13] S. Goldstein, Židovi Hrvatske, S. 151f; Jozo Tomasevich, War and Revolution in Yugoslavia 1941-1945. Occupation and Collaboration, Stanford 2001, S. 606.
[14] Holm Sundhaussen, Jugoslawien, in: Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, hg. v. Wolfgang Benz, München 1991, S.330.
[15] I. Goldstein, Die Juden in Kroatien, S. 192.
[16] I. Goldstein, Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001, S. 519.