Patrick Wagner: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, München 2002
Wenn von Polizei im Dritten Reich gesprochen wird, dann meist nur von der berüchtigten „Gestapo“, der geheimen Staatspolizei. Doch es gab auch die „normale“ Kriminalpolizei, deren umfangreichen Apparat die NS-Führung aus der Weimarer Zeit übernahm. Anders jedoch als die Gestapo stand die Kripo lange im Ruf mit ihrem Kampf gegen Verbrechen wie Eigentumsdelikten eine weitgehend unpolitische Institution gewesen zu sein. Diese Legende von der unpolitischen Kriminalpolizei, an der vor allem in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit gestrickt wurde, zerstört Patrick Wagner mit seiner Studie über „Hitlers Kriminalisten“ gründlich: Auch die Kripo war fester Bestandteil des NS-Verfolgungsapparates. Die Belege, die er dafür bringt, sind erdrückend. Zwischen 1933 und 1945 deportierten die Kripo-Dienststellen im Dritten Reich mehr als 70.000 Menschen in Konzentrationslager. Die Polizei verfolgte Sinti und Roma, war im Einsatz gegen sogenannte Vergehen der „Rassenschande“, verfolgte also Kontakte zwischen Juden und Ariern. Selbst in den berüchtigten Einsatzkommandos in den besetzten Ostgebieten waren Kriminalbeamte eingesetzt und damit am Massenmord im Osten beteiligt. In Łódź beispielsweise war ein Sonderkommissariat der Kriminalpolizei dafür zuständig, die Flucht von Juden aus dem Ghetto und den Schmuggel von Wertsachen aus und Lebensmittel in das Ghetto zu verhindern. Und der Leiter der Reichskriminalpolizei, Arthur Nebe, kommandierte im Jahr 1941 sogar die Einsatzgruppe B in Weißrußland.
Wagner zeigt, daß es sich hierbei keineswegs um bloße Ausnahmefälle handelt: Auch die Kriminalpolizei war fester Bestandteil des Herrschaftsapparates im Dritten Reich. Das wird schon daran deutlich, daß im Jahr 1936 die gesamte deutsche Polizei dem „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler unterstellt wird. Kripo und Gestapo hatten damit den gleichen Dienstherrn. Auch personell gab es Kontinuitäten. Viele Kripo-Beamte wurden zur Gestapo versetzt, und bereits in der Ausbildung gab es die Verpflichtung zu gegenseitigen Hospitationen. Auch die Einstellungsvoraussetzungen waren ähnlich: Ohne Ariernachweis und bescheinigter „unbedingter politischer Zuverlässigkeit“ konnte niemand eine Polizeilaufbahn beginnen. Etliche Polizeibeamte auch der Kripo hatten überdies einen karrierefördernden Dienstgrad der SS. Die Polizei bekam dabei beinahe unbegrenzte Handlungsmöglichkeiten. Rechtsstaatliche Beschränkungen wurden bereits unmittelbar nach 1933 ausgehebelt, liberale Richter entfernt und Verurteilungen auch ohne eindeutige Beweise ermöglicht. Mit dem Instrument der sogenannten „Vorbeugehaft“ konnte die Polizei jeden verhaften und ins Konzentrationslager abschieben, der früher einmal durch Straftaten aufgefallen war. Aktuelle Straftaten oder auch nur den Verdacht auf geplante Verbrechen brauchte es dafür erst gar nicht zu geben. Die Polizei wurde so zum Vollzugsorgan der Ideologie vom „Gewohnheitsverbrecher“ bzw. vom geborenen Verbrecher. Seit 1937 hatte die Polizei auch Jagd auf sogenannte „Asoziale“ zu machen. Näher bestimmt war der Begriff nicht. Opfer dieser Verfolgungen waren vor allem Obdachlose, Roma und Sinti. Aber letztlich konnte jeder vom NS-Regime als „asozial“ klassifiziert werden, der sich nicht vollständig in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft einfügte. Ähnliche Aktionen gab es auch gegen „Arbeitsscheue“ im Krieg, etwa gegen Menschen, die nicht den gewünschten Einsatz in der Rüstungsindustrie erbrachten. Die Endstation war in jedem Fall das Konzentrationslager. Was für die Wehrmacht inzwischen kaum noch bestritten wird, kann mit Wagners Buch auch für die deutsche Polizei nicht mehr übersehen werden: Unabhängig von der persönlichen Beteiligung der Einzelnen, gab es im totalitären Regime des Dritten Reiches keine Institutionen, die nicht in den Apparat der verbrecherischen Ziele eingebunden waren. Schockierend ist aber auch, wie stark die personellen Kontinuitäten in der Polizei der Nachkriegszeit waren. Nur wenige besonders exponierte Personen, vor allem mit SS-Dienstgrad, wurden entfernt, viele der Führungspersönlichkeiten im NS-Staat konnten zunächst auch in der deutschen Polizei wichtige Positionen bekleiden. Teilweise gab es sogar im Denken erschreckende Kontinuitäten. Noch 1955/56 begründete ein leitender Beamter des Bundeskriminalamtes den Anstieg der Eigentumskriminalität mit der „Befreiung einer großen Zahl (6000!) von sicherungsverwahrten Berufs- und Gewaltverbrechern“ aus den Konzentrationslagern und rechtfertigte die Maßnahmen noch nachträglich.
Wagners Buch beleuchtet also eine insgesamt bisher wenig beachtete Institution im NS-Staat. Der hervorragend recherchierte Band ist ein wichtiger Beitrag zur Herrschaftspraxis im Dritten Reich. Sehr zu empfehlen.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Patrick Wagner: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, München 2002 (Verlag C. H. Beck), 218 Seiten, € 12,90