Die KZ Ärztin Herta Oberheuser führte im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück Experimente Sulfonamid-Versuche an Häftlingen durch.
Dr. Herta Oberheuser war als Ärztin im Krankenrevier des KZ Ravensbrück an Menschenversuchen beteiligt. Oberheuser wurde trotz ihrer vergleichsweise untergeordneten Stellung als Lagerärztin im Nürnberger Ärzteprozeß angeklagt, in dem sich ansonsten nur leitende Repräsentanten des SS-Regimes zu verantworten hatten.
Herta Oberheuser wurde am 15. Mai 1911 in Köln geboren. Sie stammte aus einer christlich-konservativen Familie. Ihr Vater war Ingenieur. Aufgewachsen ist Herta Oberheuser in Düsseldorf, wo sie ab 1918 das Gymnasium besuchte und 1931 das Abitur ablegte. Die vorklinischen Semester studierte sie in Bonn. Da ihre Familie während der Inflationszeit an Geldschwierigkeiten litt, war Oberheuser gezwungen, einen Teil des Studiums selbst zu finanzieren. Sie gab Nachhilfestunden und half in einer ärztlichen Praxis aus. Während der klinischen Semester lebte Oberheuser erneut in Düsseldorf, wo sie auch ihr Staatsexamen bestand. 1935 trat sie dem „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) bei:
„Als ältere Medizinstudentinnen wurden wir aufgefordert, uns dem BDM zur Verfügung zu stellen (…). Ich fand dort eine weibliche Jugend vor, die in diese Organisation herein gezwungen war. Sie war überbelastet durch zuviel Sport, Märsche und übermäßigen Dienst.(…) Wir waren bei Sportveranstaltungen dabei, um hier nicht den Jungführerinnen die jungen Menschen zu überlassen, damit sie nicht überanstrengt wurden. Dies war eine rein ärztliche und für sorgliche Tätigkeit.“
Ärztin im KZ Ravensbrück
Zuletzt übte Oberheuser das Amt einer „Ringärztin“ im BDM aus. 1937 trat sie der NSDAP und dem Nationalsozialistischen Schwesternverband (NSSV) bei, wenig später auch dem NS-Ärztebund und dem NS-Luftschutzbund. Nach ihrem Examen arbeitete sie zunächst im Physiologischen Institut (Bonn), anschließend in der Medizinischen Klinik in Düsseldorf. Dann entschloß sie sich zu einer Fachausbildung als Hautärztin und wechselte an die Düsseldorfer Hautklinik. Dort hatte sie ihre erste Assistentenstelle. Da ihr Vater erkrankte, geriet die Familie erneut in finanzielle Schwierigkeiten. Oberheuser war deshalb darauf angewiesen, Geld zu verdienen, um den Lebensunterhalt ihrer Eltern zu unterstützen. In der Düsseldorfer Klinik bot sich dazu jedoch keine zufriedenstellende Möglichkeit, deshalb sah sie sich nach anderen Stellen um. Im Dezember 1940 erhielt sie ein gut bezahltes Angebot: In einer medizinischen Fachzeitschrift war eine Stelle als Lagerärztin in einem „Frauen-Umschulungslager in der Nähe von Berlin“ ausgeschrieben. Oberheuser bewarb sich und erhielt die Stelle. Das „Frauen-Umschulungslager“ stellte sich als Konzentrationslager Ravensbrück heraus. Nach einer Einarbeitungszeit von drei Monaten wurde Oberheuser im Frühjahr 1941 in Ravensbrück dienstverpflichtet. Von diesem Zeitpunkt an war es ihr ohne Sondergenehmigung nicht mehr möglich, ihre Stellung zu kündigen. Ob sie daran überhaupt interessiert war, ist allerdings fraglich, obwohl Oberheuser sich angeblich im Kreise der SS-Ärzte und SS-Schwestern als „Außenseiterin“ fühlte. 1942 war Herta Oberheuser in Ravensbrück an Sulfonamid-Versuchen an KZ-Insassen beteiligt. Zweieinhalb Jahre war Oberheuser in Ravensbrück tätig. Im Juli 1943 wurde sie in die Heilanstalt Hohenlychen versetzt und arbeitete dort bis Kriegsende als Assistenzärztin in der Kinder- und Frauenstation. Wo sie sich in der Zeit zwischen Kriegsende und ihrer Verhaftung befand, und wann sie festgenommen wurde, ist nicht bekannt. Nach ihrer Verhaftung wurde sie in das britische Civil Internment Camp (CIC) No. 5 in Paderborn-Staumühle eingeliefert.
Am 20. August 1947 wurde Oberheuser vom 1. Amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, die sie in der Haftanstalt Landsberg zu verbüßen hatte. Doch bereits 1951 wurde das Strafmaß auf zehn Jahre reduziert. Damit stand ihrer baldigen Entlassung nichts mehr im Wege. Nach fünfjähriger Haft gelangte Herta Oberheuser 1952 wieder auf freien Fuß. Sie ließ sich wenig später als praktische Ärztin im Holsteinischen Stocksee (bei Neumünster) nieder und nahm eine Anstellung in der katholischen Johanniter-Heilstätte in Plön an. Doch ihre Vergangenheit holte Herta Oberheuser sehr bald ein: 1956 wurde sie von einer Überlebenden aus Ravensbrück erkannt und angezeigt. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihre Person wurde Oberheuser aus der Heilstätte des Johanniter-Ordens entlassen. Und damit nicht genug: Die Kieler Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren gegen Oberheuser wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung, das jedoch bereits 1957 mit der Begründung eingestellt wurde, dass Oberheuser nicht zweimal für die gleiche Tat bestraft werden könne. Doch als Ärztin durfte sie fortan nicht mehr tätig sein, denn im August 1958 wurde ihr die Approbation entzogen. Oberheuser erhob eine Anfechtungsklage, die am 4. Dezember 1960 abgewiesen wurde:
„Nach einer zwölfstündigen Verhandlung hat die achte Kammer des schleswig-holsteinischen Verwaltungsgerichtes in Schleswig am Samstag die Anfechtungsklage der Ärztin Dr. Oberheuser gegen den Kieler Innenminister Dr. Lemke, der ihr wegen ihrer Tätigkeit in dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück (…) die Approbation entzogen hatte, kostenpflichtig abgewiesen.“
Oberheuser mußte daraufhin ihre Praxis endgültig schließen. Im Mai 1965 verließ sie Stocksee und zog nach Bad Honnef. Hier endet ihre Spur: Am 24. Januar 1978 ist Herta Oberheuser in der Kleinstadt Linz am Rhein verstorben.
Menschenversuche an Häftlingen
Im August 1942 begannen im KZ Ravensbrück medizinische Versuche an mehr als 70 Frauen aus Polen, der Ukraine und Deutschland. An diesen Versuchen war Herta Oberheuser beteiligt. Zwei Monate zuvor war Reinhard Heydrich Opfer eines Attentats tschechischer Widerstandskämpfer geworden. Dabei drangen Teile der Roßhaarfüllung des Autositzes, Granatsplitter und Lederstücke in seinen Körper. Heydrich wurde sofort von tschechischen Ärzten operiert. Kurz danach traf der „Beratende Chirurg der Waffen-SS“, Dr. Karl Gebhardt, in Prag ein um sich nach den Ergebnissen der Operation zu erkundigen. Heydrich hatte jedoch keine Chance, denn durch die Fremdkörper waren Gasbrandbazillen in seinen Körper gelangt. Zehn Tage nach dem Attentat erlag Heydrich seinen Verletzungen.
Hitlers Leibarzt Theo Morell warf Gebhardt daraufhin vor, zu wenig auf die Wirkung der Sulfonamide geachtet zu haben. Sulfonamide sind Amidderivate der Sulfonsäuren, deren antibakterielle Heilwirkung erst einige Jahre zuvor von dem Münchner Bakteriologen Gerhard Domagk entdeckt worden war. Auch an der Front wurden Sulfonamide dringend benötigt. Tausende deutscher Soldaten waren bereits Wundinfektionen erlegen. Aus diesem Grunde beschlossen die Deutschen, ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der Therapie mit Sulfonamiden zu erweitern. Gebhardt erreichte, dass ihm die Durchführung der Versuche übertragen wurde, die dann im August 1942 im KZ Ravensbrück begannen. Gebhardt, Chefarzt der Hohenlychener Klinik, wählte unter seinen Hohenlychener Kollegen und unter den Lagerärzten des KZ Ravensbrück seine MitarbeiterInnen aus.
Die ersten Sulfonamid-Versuche begannen an 15 männlichen Häftlingen aus dem KZ Sachsenhausen. Im Verlauf der zwei weiteren Versuchsreihen in Ravensbrück wurden den dafür ausgewählten Frauen Bakterien, Holzsplitter und Glas in offene Wunden an den Unterschenkeln gebracht. Die Frauen in der dritten Versuchsreihe wurden Mischinfektionen und Infektionen mit einem brandigen Fäulniserreger ausgesetzt. Fünf von ihnen starben unmittelbar nach den Operationen, sechs wurden mit noch nicht verheilten Wunden erschossen. Die Überlebenden litten vielfach für den Rest ihres Lebens an Knochen- und Muskeldefekten und schweren Krankheiten.
Der Nürnberger Prozeß und seine Folgeprozesse
Die Nürnberger Prozesse waren jene Gerichtsverfahren, die in der Zeit von 1945 bis 1949 vor einem Internationalen Militärgerichtshof (IMT) und vor amerikanischen Militärgerichten in Nürnberg stattfanden. Berlin wurde als Sitz des Tribunals, Nürnberg als Ort der Verhandlungen gewählt. Insgesamt 24 führende Repräsentanten des NS-Regimes wurden vor dem IMT angeklagt. Die Anklage warf ihnen:
- Vorbereitung zum Angriffskrieg,
- Verbrechen gegen den Frieden,
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
- Kriegsverbrechen
vor. Nach einer zehnmonatigen Verhandlung wurden am 1. Oktober 1946 zweiundzwanzig der Angeklagten verurteilt. Der ursprüngliche Plan der Alliierten, weitere Prozesse vor dem IMT gegen Personen, die während des Nazi-Regimes führende Stellungen innehatten, stattfinden zu lassen, wurde fallengelassen. Die Verurteilung sollte statt dessen in den einzelnen Besatzungszonen von den Gerichten der jeweiligen Besatzungsmächte vorgenommen werden. So fanden anschließend vor dem amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg bis Mitte 1949 noch zwölf Folgeprozesse statt. Der erste Nachfolgeprozeß vor dem amerikanischen Militärgericht war der sogenannte „Ärzte-Prozeß“, in dem Herta Oberheuser als einzige Frau angeklagt wurde.
Der Verlauf des „Ärzte-Prozesses“ vor dem amerikanischen Militärgericht in Nürnberg
Der „Ärzte-Prozeß“ (offizieller Name: Vereinigte Staaten von Nordamerika gegen Karl Brandt und andere, Fall Nr. 1) dauerte vom 21. November 1946 bis zum 19. Juli 1947. Ursprünglich war geplant, ihn bis Februar 1947 zu beenden, aber auch dieser Prozeß hat länger gedauert als geplant. Die Anklageschrift, die am 25. Oktober 1946 von dem amerikanischen Hauptankläger Telford Taylor eingereicht wurde, enthielt die Namen von 23 Angeklagten. Sie wurden wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Dabei handelte es sich um Aktivitäten und Straftaten auf dem Gebiet der Medizin. Im Unterschied zum ersten Nürnberger Prozeß wurden auch die Verbrechen an deutschen Häftlingen verhandelt.
Alle für die Nürnberger Prozesse ausfindig gemachten Angeklagten und Zeugen wurden im Zellengefängnis des Justiz-Palastes, einem Sternbau mit vier Flügeln zu je hundert Zellen, untergebracht. Im ersten Flügel waren bis zu ihrer Verlegung ins Spandauer Gefängnis die Häftlinge untergebracht, die im Rahmen des ersten Prozesses nicht zum Tode verurteilt worden sind. In den übrigen Flügeln saßen die Angeklagten des „Ärzte-Prozesses“, sowie Personen, die in späteren Prozessen angeklagt werden sollten, aber auch viele Zeugen. Lediglich einige ausgewählte Zeugen wurden etwas komfortabler untergebracht: Die amerikanische Besatzungsmacht hatte einige Häuser angemietet, unter anderem eine Villa in der Nürnberger Novalisstr. 24. Das Aufeinandertreffen von Zeugen und ehemaligen Repräsentanten des NS-Regimes führte häufig zu harten Konfrontationen. Trotzdem wurden die Häuser bis zum letzten Prozeß vor dem amerikanischen Militärgericht (Ende 1948) unterhalten.
Das Überwachungssystem im Zellenbau des Justiz-Palastes wurde nach dem ersten Prozeß gelockert. Es stand jetzt nicht mehr vor jeder Zelle ein Wachposten. Das Licht in den Zellen war etwas gedämpft, und der Lichtstrahl, der während der Schlafenszeit auf das Gesicht der Internierten gerichtet war, wurde abgeschaltet. Die Gefangenen waren trotzdem nach wie vor von der Außenwelt abgeschlossen. Nachrichten haben sie nur über die Post von ihren Verwandten erhalten. Richter und Ankläger des „Ärzte-Prozesses“ waren Amerikaner, die Verteidiger deutsche Rechtsanwälte. Das Gericht, unter Vorsitz von Richter Walter Beals, setzte sich aus Richter Harold L. Sebring, Richter Johnson T. Crawford und dem Ersatzrichter Victor C. Swearingen zusammen. Der Hauptankläger war Telford Taylor. Ihm zur Seite standen James Mc Haney und Alexander Hardy als weitere Ankläger und Dr. Leo Alexander als medizinischer Berater. Die Angeklagten hatten das Recht je einen Anwalt und einen stellvertretenden Anwalt für ihre Verteidigung zu benennen, der jedoch vom Gericht zugelassen werden mußte. Die Gerichtssprache war Englisch. Für die Übersetzung stand ein eigens für die Nürnberger Prozesse entworfenes Kopfhörersystem zur Verfügung. Beim ersten Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß wurde die Verhandlung in vier Sprachen übersetzt, diesmal war lediglich das Übersetzen von Englisch und Deutsch notwendig. Am 9. November 1946 wurde den Angeklagten die Anklageschrift verlesen. Anschließend hatten sie einige Tage Zeit, um ihren Verteidiger zu bestimmen oder zu erklären, dass sie sich selbst verteidigen. Diese Möglichkeit wurde von keinem der Angeklagten in Anspruch genommen. Zur offiziellen Prozeßeröffnung am 21. November notierte ein Journalist des „Neuen Deutschland“:
„Am 21. November, fast auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn des ersten Kriegsverbrecherprozesses begann vor dem Nürnberger Interalliierten Gerichtshof der zweite Kriegsverbrecherprozeß. Auf den gleichen Bänken, auf denen die faschistischen Hauptkriegsverbrecher das Urteil entgegennahmen, sitzen jetzt 23 nationalsozialistische Ärzte.“
Am 9. Dezember 1946 hielt Brigadier General Taylor die Eröffnungsrede der Anklage. Er gab zu Beginn eine kurze Übersicht über das System der medizinischen Versorgung im „Dritten Reich“. Anschließend machte er dem Gericht genaue Angaben über die Verbrechen unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Forschung: Jedes der fünfzehn medizinischen Experimente, für die sich die Angeklagten verantworten mußten, wurde von ihm erläutert. Unter den Punkten E. und F., „Sulfonamid- und Knochentransplantationsexperimente im Konzentrationslager Ravensbrück“, erwähnte er neben Gebhardt und Fischer auch die Mitarbeit Oberheusers:
„Zu den Aufgaben der Angeklagten Oberheuser in Ravensbrück gehörte, dass sie, im Zusammenhang mit den Experimenten, jung und gesunde Häftlinge ausgesucht hat, bei allen Operationen anwesend war und die Nachbehandlungen übernahm. Wir werden beweisen, dass sie die erforderlichen ärztlichen Hilfeleistungen nicht ernst genommen hat. Sie hat ihre Opfer auf grausamste Weise misshandelt.“
Seine Beweisführung werde ergeben, dass es nicht Zweck der Versuche gewesen sei, Menschen zu heilen, sondern Menschen zu vernichten. Herta Oberheuser aber ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Wie alle anderen Angeklagten bekannte sie sich als „nicht schuldig“. Offenbar bereute keiner der Angeklagten seine Taten:
„Die ersten Verhandlungstage des Nürnberger Ärzteprozesses ergaben wiederum das gleiche Bild wie bei dem Prozeß der Hauptkriegsverbrecher. Die Angeklagten (…) versuchten sich als unschuldig hinzustellen.“
Die Beweisführung gegen Herta Oberheuser
Herta Oberheuser wurde vor Gericht von Dr. Alfred Seidl, der im Hauptkriegsverbrecherprozeß Rudolf Heß und Hans Frank verteidigt hatte, vertreten. Gleich nach ihrer Verhaftung hat Oberheuser Ende Juli 1945 eine erste Erklärung abgegeben. Hier machte sie Angaben darüber, dass sie in Ravensbrück Krankentransporte beobachtet habe. Sie habe damals vermutet, dass die Häftlinge „vernichtet“ werden sollten:
Sie habe ein „persönliches Interesse“ an ihren Patienten gehabt, habe es jedoch nicht leiden können, wenn sie ihr in der Revierstunde zu nahe gekommen seien. Sie habe sie sich deshalb mit „ausgestrecktem Fuße vom Leibe gehalten“. Oberheuser räumte ein, gemeinsam mit Gebhardt und Fischer Experimente durchgeführt zu haben: „Im August 1942 begann bei uns im Revier die so genannte Kaninchenoperation [!], ich nenne es Versuch am lebenden Objekt [!].“
Die Versuchspersonen seien zunächst von ihrem Kollegen Fischer, dem Lagerkommandanten und dem Standortarzt, schließlich aber auch von ihr selbst ausgesucht worden. Erst seien Versuche mit Gasbrandbazillen („Meiner Meinung nach sind nur drei Frauen an den Folgen gestorben. Wir haben als Todesursache Kreislaufstörung festgestellt“) und dann mit Knochentransplantationen gemacht worden:
„Ich machte die Spritzen und behandelte die Kaninchen [!] so wie es mir von meinen Vorgesetzten vorgeschrieben war.“
Bevor Oberheuser Ende Juni 1943 nach Hohenlychen versetzt wurde, habe sie sich vorher „die Kaninchen [!] nochmals vorführen“ lassen und Anweisungen für ihre Weiterbehandlung gegeben. Die Verhandlung gegen Herta Oberheuser fand am 3. und 8. April 1947 statt. Die Aussagen in ihrem Kreuzverhör deckten sich weitgehend mit denen, die sie in ihrer Vernehmung am 1. November 1946 gemacht und am 13. November 1946 noch einmal bestätigt hatte Sie unterschieden sich jedoch in etlichen Punkten von der Erklärung, die sie nach ihrer Verhaftung im Juli 1945 gemacht hat. In ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 1. November 1946, die ihr in der Haftanstalt in Nürnberg abgenommen wurde, gab sie an, dass sie durch die Tatsache, dass sie Gebhardt, Fischer und Stumpfeggert bei ihren Operationen und Experimentenassistiert habe, eine detaillierte Kenntnis von den Sulfonamidexperimenten und Knochentransplantationen erlangt habe. Oberheuser gab zu Protokoll, dass die fraglichen Versuche zwischen August und Dezember 1942 stattgefunden haben. Ihre Aufgabe habe lediglich darin bestanden, die von der Lagerleitung ausgesuchten Personen auf ihren Gesundheitszustand hin zu untersuchen. Für die Experimente seien „lediglich vollkommen gesunde polnische Staatsangehörige verwendet [!] worden.“
Bei Fischers Operationen habe sie manchmal assistiert. Ihre Aufgabe sei es gewesen, die Operierten anschließend zu betreuen. Oberheuser gab an, nicht zu wissen, wie viele Opfer dauernde Schäden davontrugen. Nach ihrer Erinnerung seien an 40 Personen derartige Operationen vorgenommen worden. Die Knochentransplantationen im KZ Ravensbrück haben nach ihrer Aussage Ende 1942/Anfang 1943 stattgefunden. Sie habe dabei Stumpfeggert assistiert. Hierbei seien 15 bis 20 Personen „verwendet“ worden. Gebhardt habe die Experimente geleitet, sei jedoch nie bei einer Operation anwesend gewesen. Oberheuser erinnerte sich angeblich nicht daran, ob eine der operierten Personen anschließend tatsächlich begnadigt worden sei, wie es ihnen vorher von der SS versprochen wurde. Über die Zustände im KZ Ravensbrück sagte Oberheuser, dass sie beobachte habe wie ihr Kollege Sonntag, einer der Lagerärzte, Gefangene, die sich krank meldeten, getreten und geschlagen habe. Häufig seien Gefangene, „die dem Tode nahe waren“, durch Injektionen getötet worden. Oberheuser selbst räumte ein, „fünf oder sechs“ derartige Injektionen verabreicht zu haben. Zahlreiche Zeuginnen, hauptsächlich ehemalige Patientinnen und Arbeiterinnen aus dem Revier, sagten nach der Befreiung gegen Oberheuser aus. Sie gaben übereinstimmend an, dass Oberheuser Frauen für die Versuche ausgesucht habe und an den Operationen beteiligt gewesen sei. Die anschließende Nachversorgung sei völlig unzureichend gewesen, die Kranken weitgehend sich selbst überlassen worden. Auch seien die Räume völlig verdreckt und die medizinischen Instrumente unhygienisch gewesen. Gustawa Winkowska sagte aus:
„Oberheuser hat die Versuchskaninchen aus einem Häftlingstransport aus Lublin ausgesucht. Die Häftlinge mußten vor dem Revier auf und ab gehen und ihre Beine zeigen. Die Narkosen hat eine SS-Schwester gegeben.“
Nur wenige ehemalige Häftlinge entlasteten Oberheuser so wie Margartha Mydla. Sie berichtete, im Januar 1943 ins Krankenrevier des KZ Ravensbrück gebracht worden zu sein. Dort sei sie sehr schlecht behandelt worden. Als sie nach drei Wochen auf ihren Block zurückgeschickt worden sei, habe sie nach nur einer Woche wieder ins Krankenrevier zurückkehren müssen. Diesmal habe sie Frau Oberheuser behandelt. Oberheuser habe sich alle Mühe mit ihr gegeben, für eine gute Verpflegung gesorgt und ihr schmerzstillende Mittel gegeben:
„Fräulein Dr. Oberheuser hat trotz schwieriger Verhältnisse und obwohl sie selbst offenbar an die Weisungen des Lagerarztes gebunden war, mich während meiner mehreren Monate langen Krankheit gut behandelt und hat alles getan, um meine Gesundheit wiederherzustellen. In der gleichen Weise hat sie den anderen Patienten des Reviers zu helfen versucht, wo immer sie nur konnte, und ich habe nie gesehen, dass sie einen Patienten mißhandelt hat.“
Als Oberheuser am 3. April 1947 selbst das erste Mal in den Zeugenstand treten mußte, wurde sie von ihrem Verteidiger Seidl befragt. Sie hob dabei hervor, dass sie angeblich niemals, weder vor ihrer Zeit in Ravensbrück, noch dort, selbständig gearbeitet habe. Sie habe stets die Weisungen eines Vorgesetzten ausführen müssen. Zu ihren Helferinnen im Krankenrevier im KZ Ravensbrück habe sie stets ein gutes, aber dienstliches Verhältnis gehabt. Ihre Hauptaufgabe habe in der Behandlung von Hautkrankheiten gelegen. Um ihre Patientinnen bestmöglichst behandeln zu können, habe sie angeblich in regelmäßigem Kontakt mit ihrer früheren Düsseldorfer Klinik gestanden. Mit dem Ansteigen der Häftlingszahl in Ravensbrück habe aber auch die Zahl der Kranken rapide zugenommen. Aus diesem Grunde habe sie eine „gewisse Distanz“ zu den Häftlingen gehalten. Ihr einziges Anliegen im KZ Ravensbrück sei jedenfalls das „Wohl der Patienten“ [!] gewesen. Aus freien Stücken hätte sie ihre Tätigkeit im Konzentrationslager ohnehin nicht beenden können: Da sie im Frühjahr 1941 zur SS verpflichtet wurde, habe es Probleme gegeben, die Stelle wieder aufzugeben. Dies gelang ihr erst im Sommer 1943. Nach einer kurzen Beschreibung des Krankenreviers durch Oberheuser, kam Rechtsanwalt Seidl auf die Sulfonamid-Experimente zu sprechen. Oberheuser sagte aus, Gebhardt habe ihr gesagt, dass die Versuche von „höchster Stelle“ angeordnet seien, dass „alles legal“ sei und dass die Betroffenen, angeblich durchweg zum Tode Verurteilte, die Chance einer Begnadigung hätten:
„Nachdem ich mir dieses nun überlegt hatte, dass die Versuche von Herrn Professor Gebhardt durchgeführt werden sollten, – den ich zwar zuvor nicht kannte, dessen Ruf mir aber von seiner großen Klinik wegen bekannt war, – so sagte ich mir dann, wenn Herr Professor Gebhardt sie durchführt, dann wird es schon richtig sein.“
Darüber hinaus habe sie an keinen vorbereitenden Besprechungen teilgenommen und sei auch nicht an der Auswahl der Versuchspersonen beteiligt gewesen. Nach ihrer Erinnerung sein angeblich eine der überlebenden Frauen begnadigt worden. Ob auch andere an den Versuchen beteiligte Frauen aus Ravensbrück entlassen worden seien, entzog sich ihrer Kenntnis. Ihre Aufgabe bei den Operationen sei es gewesen, die Narkose einzuleiten, später habe sie beim Verbändeanlegen geholfen und sei für die stationäre Nachbehandlung verantwortlich gewesen. Auch hierbei habe sie sich stets streng an die Weisungen Gebhardts und Fischers gehalten. Abschließend bat Rechtsanwalt Seidl Oberheuser, dem Gericht zu schildern, unter welchen Umständen sie Patienten Injektionen gegeben habe, um:
„(…) die Leiden ihrer Patienten abzukürzen und um ihnen den Tod zu erleichtern.“
Oberheuser nahm das Stichwort auf. Es habe auf ihrer Station Schwerkranke gegeben, die an Krebs oder Syphilis im Endstadium gelitten haben. In einigen Fällen („etwa vier oder fünf“) habe sie sich an das Bett der Leidenden gesetzt, die sie um Hilfe gebeten haben, und ihnen in Gegenwart einer Häftlingsschwester intravenös eine „Spritze zum Einschlafen“ gegeben. Am 8. April 1947 wurde Oberheuser erneut in den Zeugenstand gerufen. Das Kreuzverhör wurde diesmal von Ankläger Alexander Hardy durchgeführt. Hardy fragte sie mehrmals, ob sie je selbst die Opfer der Versuche ausgewählt oder ob sie irgendeinen Einfluß auf die Wahl gehabt habe. Oberheuser entgegnete ihm, dass die Auswahl der Versuchspersonen angeblich ausschließlich von ihren Vorgesetzten vorgenommen worden sei. Sie habe lediglich die Personen, die eine Narkose bekommen haben, untersuchen müssen. Sie habe die Untersuchung auch nur nach dem Aspekt der Narkose gemacht, und dabei nicht zu beurteilen gehabt, ob die betreffende Person für die Experimente geeignet sei. Nach den Operationen habe sie es als ihre Pflicht angesehen, die Frauen auf ihrer Station zu pflegen. Auf die Frage Hardys, ob sie nicht gewußt habe, dass die operierten Frauen starke Schmerzen hatten, antwortete Oberheuser:
„So wie sie [die Operationen] durchgeführt wurden, haben die Patienten, glaube ich, nicht so sehr darunter gelitten; denn sie haben sich nie irgendwie gegenteilig geäußert, sowohl bei der Behandlung von Professor Gebhardt, noch von Dr. Fischer. Ich selbst habe auch nie Schwierigkeiten gehabt, sondern habe immer geglaubt, dass ihnen meine Pflege angenehm wäre und außerdem bestand ja für sie auch eine Chance der Begnadigung.“
Angeblich hat sie die Patientinnen solange versorgt, bis deren Wunden verheilt waren. Ob es stimme, dass die betreffenden Personen immer noch krank seien, habe sie nicht weiter beurteilen können, schließlich sei sie Dermatologin. Wieviel Menschen auf ihrer Station darüber hinaus noch verstorben seien, entzog sich angeblich ihrer Kenntnis. Sie habe den Patientinnen lediglich die Mittel, die ihr vom Standortarzt übergeben wurden, injiziert, um Schmerzen zu lindern. Woraus das Mittel bestand, sei ihr unbekannt. Trotz gegenteiliger Zeugenaussagen und Untersuchungsergebnisse bestand Oberheuser darauf, dass sie „höchstens fünf oder sechs“ tödliche Injektionen verabreicht habe. Die Aussage einer Zeugin, die angeblich beobachtet hat, wie Oberheuser eine kranke Frau mit Fußtritten aus dem Revier gejagt habe, verneinte sie energisch: Sie habe nie jemanden getreten, sondern stets versucht, Hilfe zu leisten. Derartige „Handlungsweisen, die im SS-Milieu zugegen waren“, habe sie strikt abgelehnt. Am Ende ihres Verhörs mußte Oberheuser gegenüber dem amerikanischen Ankläger Hardy einräumen, dass sie die Kriegsverdienstmedaille erhalten hat. Aus welchem Anlaß sie ihr verliehen worden war, hatte sie jedoch angeblich vergessen. Im Anschluß an das Kreuzverhör setzte Rechtsanwalt Seidl die Vernehmung fort, um seine Mandantin wieder in ein besseres Licht zu stellen. Oberheuser habe bei den Sulfonamid-Experimenten lediglich auf die Verträglichkeit der Narkose geachtet, wie es vor jeder Operation üblich sei. „Sterbehilfe“ habe sie darüber hinaus nur bei unheilbar Kranken mit starken Schmerzen geleistet. Zum Abschluß kam auch Seidl noch einmal auf die Kriegsverdienstmedaille zu sprechen:
„Ich frage sie nun, bedeutet diese Auszeichnung etwas Besonderes, oder ist es nicht eine Tatsache, dass während des Krieges in Deutschland diese Medaille mehrere Millionen bekommen haben?“ Oberheuser:
„Ja, und ich kann mich im Moment auch nicht mehr genau besinnen, wann ich sie bekommen habe, und es besteht sogar die Möglichkeit, dass ich sie vor Beginn der Sulfonamid-Experimente bekommen habe. Aber ich kann mich nicht genau entsinnen.“
Nach einigen weiteren Fragen von Richter Beals, die das von der Angeklagten injizierte Mittel betrafen, wurde Oberheuser aus dem Zeugenstand entlassen.
Die Schlußplädoyers und das Urteil
Am 19. Juli 1947 hatten die Angeklagten die Möglichkeit im Nürnberger Ärzteprozess, abschließend einige Worte zu ihrer Verteidigung zu sagen. Im Gegensatz zu den anderen Angeklagten, hielt sich Oberheuser ausgesprochen kurz:
„Ich habe den Aussagen, die ich unter Eid im Zeugenstand gemacht habe, nichts hinzuzufügen. Ich habe als Frau in einer schwierigen Position unter Berücksichtigung medizinischer Prinzipien und Hilfeleistungen alles getan, was ich konnte. Darüber hinaus stimme ich allen Statements meines Verteidigers vollkommen bei und werde keine weiteren Aussagen mehr machen.“
Das Gericht befand nach einer fast vierwöchigen Beratungszeit Oberheuser für schuldig, Kriegsverbrechen, und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Das Gericht bezeichnete Oberheuser als aktive Mitarbeiterin Gebhardts und als solche an den Sulfonamid-Experimenten, Knochen-, Muskel- und Nervenregenerations- und Knochenverpflanzungsversuchen beteiligt. Nach Ansicht des Gerichtes war Oberheuser an der Auswahl der Versuchspersonen beteiligt und bei den Operationen anwesend. Nach den Operationen sei es wegen mangelhafter medizinische Pflege, Mißhandlungen oder Amputationen entzündeter Körperteile zu Todesfällen gekommen, die der Angeklagten angelastet wurden.
Rechtsanwalt Seidl legte gegen diese Begründungen Widerspruch ein. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass Oberheuser nicht an Knochenregenerationsversuchen beteiligt gewesen sei und bei den Sulfonamid Experimentenlediglich assistiert habe. Hinsichtlich der Behauptung, Oberheuser habe kranke Insassen des Lagers durch Injektionen getötet, habe die eidesstattliche Aussage Oberheusers bewiesen, dass es sich ausschließlich um Sterbehilfe gehandelt habe. Auch sei nicht zutreffend, dass Oberheuser an „den in den Konzentrationslagern üblichen Greueltaten teilgenommen“ habe. Für diese Behauptung sei in der Beweisaufnahme keinerlei Nachweis erbracht worden. Am Donnerstag, dem 20. August 1947, wurden die Urteile verkündet. Die Angeklagten wurden einzeln in den Gerichtssaal hereingeführt und nahmen ihr Urteil entgegen:
„Herta Oberheuser, Militärgerichtshof I hat entschieden und geurteilt, dass sie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig sind, gemäß der gegen sie in der Anklageschrift erhobenen Beschuldigungen. Ihrer erwähnten Verbrechen wegen, derer Sie überführt und nun schuldig befunden werden, verurteilt Sie, Herta Oberheuser, Militärgerichtshof I zu 20 Jahren Haft in solchem Gefängnis oder solchen Strafanstalten oder anderen geeignetem Gewahrsam, wie es die zuständige Behörde bestimmen möge.“
Herta Oberheuser nahm ihr Urteil äußerlich unbewegt entgegen und wurde anschließend abgeführt. Karl Gebhardt wurde als Hauptverantwortlicher der Sulfonamid-Experimente schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt; Fritz Fischer, der ebenfalls wegen der Beteiligung an den Sulfonamid-Experimenten angeklagt war, wurde ebenfalls für schuldig befunden und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.
Autor: Ralf Jatzkowski
Literatur
Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Fischer, Heidelberg 1960.
Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht. BIS Verlag, Oldenburg 1998.
Freya Klier: Die Kaninchen von Ravensbrück. Droemer Knaur, 2001
Silke Schäfer: Zum Selbstverständnis von Frauen im Konzentrationslager. Das Lager Ravensbrück. Berlin 2002 (Dissertation TU Berlin).
Sylvija Kavčič: Dr. Herta Oberheuser – Karriere einer Ärztin. In: Viola Schubert-Lehnhardt, Sylvia Korch (Hrsg.): Frauen als Täterinnen und Mittäterinnen im Nationalsozialismus. Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg, Halle 2007.
Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer, Frankfurt am Main 2007.
Kathrin Kompisch: Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, Köln 2008.