Ein kurzes Kapitel einer seltsamen Art der Völkerverständigung in Deutschland stellt die Einrichtung von Institutionen für die Ausbildung islamischer Feldgeistlicher in der Wehrmacht und in der Waffen-SS dar.
Während des zweiten Weltkrieges kämpften auf deutscher Seite aus unterschiedlichen Gründen auch viele Muslime. Oft waren es gemeinsame Feindbilder (Kommunismus, Juden) oder eine pragmatische Kollaboration und der Wunsch, der, durch tödlichen Hunger geprägten, Kriegsgefangenschaft zu entkommen, die Muslime auf die deutsche Seite führten. Jedoch stellt sich bei dem Motiv der „Flucht“ aus den Lagern immer noch die Frage warum, sich manche Kriegsgefangenen zu den Bau- und Nachschubeinheiten und andere zu den bewaffneten Einheiten meldeten.
Ideologischer Einpeitscher dieses Bündnisses war der notorische Antisemit Mohammed Amin al-Husseini (1893-1974), der als Großmufti von Jerusalem eine gewisse religiöse Autorität besaß. Die Muslime aus der UdSSR (Aserbaidschaner, Krim- und Wolgatataren, Nordkaukasier, Baschkiren, Usbeken und andere zentralasiatische Völker) dienten mit anderen Angehörigen nicht-russischer Minderheitenvölker der Sowjetunion (Armenier, Georgier, Ukrainer) in den, der Wehrmacht unterstellten, Ostlegionen, in denen nur Nicht-Russen dienten. Sie wurden vor allem unter sowjetischen Kriegsgefangenen angeworben.
Später dienten sowjetische Muslime auch in Einheiten der Waffen-SS, wie dem 1. Ostmuselmanischen SS-Regiment mit den Waffengruppen „Idel-Ural“, „Turkestan“ und „Krim“, das 1943 nach Vorbild der Ostlegionen aufgestellt wurde. Bis Kriegsende gab es daneben mehrere mehrheitlich muslimische SS-Divisionen, deren Mitglieder zumeist vom Balkan stammten. Das waren die bosniakische „13. Waffen-Gebirgs-Division-SS Handschar“ (benannt nach der arabischen Bezeichnung für einen Krummsäbel), die albanische „21. Waffengebirgsdivision der SS Skanderbeg“ und die albanische „23. Waffengebirgsdivision der SS Kama“, die aber nicht Bestand hatte. Ferner existierte eine „Arabische Legion“, die im Januar 1942 mit der Erlaubnis Hitlers aus britischen Kriegsgefangenen gebildet wurde und vermutlich aus 6.000 arabischen und nordafrikanischen Muslimen bestand (Anton Maegerle/Heribert Schiedel), daneben gab es noch kleinere arabische SS-Einheiten. Die meisten muslimischen SS-Einheiten aber stammten vom Balkan. Am 10.02.1943 erlaubte Himmler die Aufstellung einer Waffen-SS-Einheit aus Muslimen vom Balkan.
Insgesamt gab es bei der deutschen Wehrmacht sechs mehrheitlich muslimische Legionen und bei der SS drei Divisionen, eine Brigade und einen Waffenverband (M. S. Abdullah: 35) mit mehrheitlich muslimischen Mitgliedern. Zumindest von den Waffen-SS-Einheiten sind schwere Kriegsverbrechen bei der „Partisanenbekämpfung“ auf dem Balkan bekannt. Besonders in Ostbosnien, dem Herkunftsgebiet der meisten Handschar-Divisions-Angehörigen, richtete die Einheit 1943/44 bei der „Operation Kugelblitz“ ein Blutbad an (W. Oschlies).
Die Offiziere der muslimischen Einheiten waren meist so genannte „Volksdeutsche“, also Angehörige deutschsprachiger Minderheiten. Vom SS-Hauptamt wurde die Tätigkeit von Imamen in den einzelnen Bataillonen genehmigt und die Beachtung der islamischen Speisevorschriften zugesagt. Sogar die Einhaltung muslimischer Begräbnisriten wurde gewährt (J. Hoffmann: 139). Jede muslimische Einheit bekam zudem einen jungen Mufti als geistlichen Ratgeber. Muslimische Feldgeistliche mussten jedoch oft erst noch ausgebildet werden.
Diese geschah ab Juni 1944 in zunächst 14-tägigen später 3- bis 4-wöchigen Imam- bzw. Mullah-Kursen bei dem Islamwissenschaftler Bertold Spuler (1911-1990) am Islam-Institut der Universität Göttingen (J. Hoffmann: 139). In den insgesamt sechs stattgefundenen Kursen wurden je 30 bis 40 muslimische Legionäre in theologischem Grundwissen und Ritualistik des Islam unterrichtet. Unterrichtssprache war hauptsächlich Türkisch (J. Hoffmann: 140) und neben religiösen Inhalten mussten oft teilweise kaum vorhandene Arabisch-Kenntnisse verbessert werden. Nicht selten kam es bei diesen Kursen zu interkonfessionellen und interethnischen Konflikten und Spannungen. Spuler empfahl deswegen beispielsweise die Trennung von Schiiten und Sunniten (P. Heine: 234). Im Jahr 1944 wurden auch eigene Schulen für die Ausbildung von muslimischen Wehrgeistlichen eingerichtet.
Es spricht für die ideologische Blindheit der Nationalsozialisten, dass auch bei absehbarer Kriegsniederlage noch derlei Projekte in Angriff genommen wurden. Andererseits wurden in dieser Zeit aus einer personellen Notlage heraus entgegen dem „arischen“ Eliteverständnis gerade Muslime rekrutiert. Politisch gesehen gab es für deren Heimatregionen sehr unterschiedliche Pläne, sollten die bosniakischen Muslime unter der Herrschaft der kroatischen Ustascha-Regierung verbleiben (W. Oschlies), so gab es für Zentralasien die fantastischen Pläne eines unabhängigen Vereinigten Turkestan (P. Heine: 236; J. Hoffmann: 107). Mit dem Näherrücken der Frontlinien an Deutschland wurden derartige Überlegungen immer unwahrscheinlicher, jedoch war anscheinend auch geplant Einheiten hinter der Linie abzusetzen, um im Hinterland unter der nicht-russischen Bevölkerung Aufstände anzufachen. In der Hauptstadt Berlin gastierten derweil diverse nationale Emigrationsregierungen, wie das „Nationalturkestanische Einheitskomitee“ (NTEK).
Vorsitzender des NTEK 1942 bis 1945 war der 1905 in Buchara geborene Weli Khajum Khan. Er stellte, von dem einflussreichen NS-Ideologen Rosenberg protegiert, im August 1942 das Komitee zusammen. Schriftliches Organ des NTEK war die Zeitschrift „Nationales Turkestan“, die anfangs in einer Auflage von 15.000 und zuletzt in einer Auflage von 80.000 Exemplaren erschien (F. V. Seidel: 278). Nach dem Krieg erschien „Nationales Turkestan“ übrigens wieder als Zeitschrift der überlebenden muslimischen NS-Kollaborateure aus Zentralasien. Kurz vor Kriegsende, am 18.03.1945, erkannte in einem reinen Propaganda-Akt das NS-Regime ein Unabhängiges Turkestan an und akzeptierte sechs Tage später das NTEK als Regierung.
Neben einer am 21.04.1944 in Guben eröffneten Imam-Schule (Muftipapiere: 212, 213), gab es ab November 1944 auch in Dresden eine auf Geheiß vom SS-Reichsführer Heinrich Himmler gegründete SS-Mullahschule speziell für so genannte „Russlandtürken“, also Muslime aus dem Gebiet der UdSSR, die in der SS dienten (J. Hoffmann: 142). Diese waren speziell im „Osttürkischen Waffenverband“ und im „Kaukasischen Waffenverband“ innerhalb der SS organisiert.
Basis dieser Einrichtung war eine schon vorher existierende „Arbeitsgemeinschaft Turkestan e.V.“. Diese Arbeitsgemeinschaft wurde im Januar 1944 im Rahmen der „Deutsch-Morgenländischen Gesellschaft (DMG)“ gegründet. Die Arbeitsgemeinschaft hatte zwei Adressen, eine in Berlin und eine in Dresden, genauer gesagt am Taschenberg 3 in der Dresdner Innenstadt. Der Sitz der Arbeitsgemeinschaft mitten in der Innenstadt dürfte von der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 stark betroffen worden sein.
Geschäftsführer der Dresdner Dienststelle der Arbeitsgemeinschaft war ein gewisser Dr. Korad Schlons (B. Brentjes: 157). Ausgestattet wurde die Arbeitsgemeinschaft mit Raubgut (z.B. Bücher) aus Riga, Tartu (Estland), Holland oder Paris (B. Brentjes: 158). Unterteilt war die Arbeitsgemeinschaft in neun Arbeitsbereiche (Landeskunde und Verkehr, Bodenkunde und Geologie, Landwirtschaft und Klimatologie, Volkskunde, Volkskunst, Islam, Folkloristik, Medizin, Literatur), die von acht Professoren und einer Doktorin geleitet wurden. Einige davon sollen laut dem Forscher Burchard Brentjes früher Auslandsagenten gewesen sein.
Im Rahmen des „Kriegsdienstes der Geisteswissenschaften“ diente die AG vor allem militärischen und politischen Zwecken, z.B. zur geografischen Unterstützung der Luftwaffe (H. Kißmehl: 150). Die Ziele der Gründung dieser Institution erkennt man auch daran, dass sie zwar offiziell der DMG zugeordnet wurde, aber eigentlich eine dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) – Amt VI Gruppe G zugehörige Forschungseinrichtung war (H. Kißmehl: 145), die auch vom RSHA finanziert wurde (B. Brentjes: 157). Das RSHA Amt VI war für die Spionage im Ausland zuständig, daher war der „Sicherheitsdienst (SD)“ der eigentlich federführende Akteur (B. Brentjes: 153/54) bei der Gründung der bereits Ende 1943 geplanten Einrichtung (B. Brentjes: 154). Denn auf direkte Anweisung des SD wurde die AG im Rahmen der DMG gegründet, „um der >AG< somit ein neutrales Auftreten in der Öffentlichkeit zu geben“, wie der damalige SS-Sturmbannführer Dr. med. Rainer Olzscha an Walter Schellenberg, den Leiter des Auslandsnachrichtendienstes des RSHA, schreibt (nach B. Brentjes: 154). Unter den Mitarbeitern in der AG waren auch aus Turkestan stammende Mitglieder der Ostlegionen oder der Waffen-SS bzw. vom SD oder aus Kriegsgefangenenlagern. Diese wurde zur Tarnung bewusst in zivil gekleidet (B. Brentjes: 155). Feldgeistliche der muslimischen SS-Verbände wurden schon seit März 1944 in der von der „Arbeitsgemeinschaft Turkestan“ in Dresden gegründeten und ihr angeschlossenen „Schule für die Ausbildung von Mullahs für die turkotatarischen und kaukasischen Freiwilligenverbände der SS“ ausgebildet (M. S. Abdullah: 35). Die Mullahschule wurde offiziell erst ein halbes Jahr später eröffnet, nämlich am 26.11.1944 mit einer Ansprache des SS-Offiziers Walter Schellenberg. Per Telegramm aus Dresden bedankte sich der bereits erwähnte Großmufti Husseini am 27.11. bei Himmler: „Anlaesslich der Eroeffnung des Imam-Institutes der Osttuerken in Dresden, das als weiteres Zeichen fuer Ihr grosses Interesse an der islamisch-deutschen Zusammenarbeit zu betrachten ist. uebermittle ich Ihnen den aufrichtigen Dank und die besten Gruesse der Muslimen. [Schreibweise im Original]“ (Muftipapiere: 229).
Die Ausbildung von muslimischen Wehrgeistlichen sollte auch die geistlichen Autoritäten in den Heimatregionen der muslimischen Einheiten pro-deutsch beeinflussen. Im Gegensatz zu den Kursen in Göttingen gab es in Dresden für Schiiten und Sunniten ein einheitliches Unterrichtsprogramm, wogegen der bereits erwähnte Spuler protestierte (J. Hoffmann: 142). Einen möglichen Hinweis auf die bei der Gründung der Schule involvierten AG Turkestan findet man auch bei dem, von den Nationalsozialisten verfolgten, jüdischen Chronisten Victor Klemperer. In seinem Tagebuch vermerkt Klemperer in seinem Eintrag vom 12. November 1944: „Bei ihr wohnt jetzt eine aus der Krim gekommene Dolmetscherin, die bei der geheimnisvollen, jetzt am Lothringer Weg 2 hausenden mohammedanischen Arbeitsgruppe [offensichtlich Krimtataren] Dienst getan hat oder noch tut.“
Der Lothringer Weg 2 gehörte damals in Dresden zu den so genannten „Judenhäusern“. Häuser von ehemaligen jüdischen Besitzern in denen größtenteils die verbliebenen Juden zusammengepfercht leben mussten. Eventuell handelte es um einen Teil der bereits erwähnten Arbeitsgruppe oder um eine eigenständige krimtatarische Arbeitsgruppe in Waffen-SS oder Wehrmacht. Von insgesamt 200.000 auf der Krim lebenden Tataren dienten immerhin 20.000 Freiwillige in „Tatarenformationen“ auf deutscher Seite (J. Hoffmann: 39-50). Im Jahr 1944 wurde versucht aus evakuierten (Krim-)Tataren in Ungarn eine Waffen-Gebirgsbrigade der SS zu bilden (J. Hoffmann: 50). Auch die Schule selbst dürfte das massive Bombardement im Februar nicht unbeschadet überstanden haben. Im nachfolgenden Chaos dürfte jedenfalls kein sinnvoller Unterricht für die ca. 50 Schüler (B. Brentjes: 157) mehr stattgefunden haben. Gegen Kriegsende jedenfalls floh die Arbeitsgemeinschaft mit 70 Angehörigen vor der sich nähernden Front und traf am 23.02.1945 in Weißenfels ein. Prominentere Mitglieder wie der Medizinalrat und SS-Obersturmführer Rainer Olzscha, der im SS-Hauptamt D den Arbeitsbereich Freiwilligenverbände leitete, begaben sich in US-Gefangenschaft. Ob die Arbeitsgemeinschafts-Mitglieder wie andere NS-Wissenschaftler im bald beginnenden kalten Krieg auf alliierter Seite Verwendung fanden ist ungewiss.
Dresden war im Übrigen nicht der einzige sächsische Ort in dem sich der Großmufti länger aufhielt. Er wohnte auf Grund der Bombengefahr in Berlin vom Sommer 1944 bis April 1945 als persönlicher Gast Hitlers mitsamt seines Stabes von etwa 60 Arabern (F. V. Seidel: 266) in dem kleinen ostsächsischen Kurort Oybin. Nach Kriegsende flüchteten die Muslime, die während des zweiten Weltkrieges auf deutscher Seite gekämpft hatten soweit möglich in die Zonen der Westalliierten. Hier stellten sie die Gruppe der so genannten Muslimflüchtlinge und ließen sich besonders in Süddeutschland und hier besonders in Franken nieder bzw. wurden dort angesiedelt.
Diese Gruppe organisierte sich in der 1951 in München gegründeten „Geistlichen Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland e.V.“, einer Art Betreuungsverein für ehemalige Wehrmachtsangehörige muslimischen Glaubens. Die geistliche Verwaltung organisierte in Nürnberg, Neu-Ulm, Augsburg, Pforzheim, Erlangen, Bamberg, Waldkraiburg, Schwabach, Forchheim, Dieburg und Osnabrück Religionsunterricht für muslimische Kinder. Für Nürnberg und München existierten auch zwei Imame. Das Organ der geistlichen Verwaltung war das Magazin „Al-Muhadschirun“ (Die Flüchtlinge). Im Gegensatz zu späteren muslimischen Gruppen assimilierte sich diese fast vollständig in der Mehrheitsbevölkerung.
Autor: Titus Lenk
Quellen
Fernschreiben von Amin El Husseini an Himmler vom 27.11.1944, in: Gerhard Höpp (Hg.): Mufti-Papiere. Briefe, Memoranden, Reden und Aufrufe Amin al-Husainis aus dem Exil, 1940 – 1945, Berlin 2001, Seite 212, 213 und 229.
Victor Klemperer: Tagebücher 1933-1945, herausgegeben von Walter Nowojski, Berlin 2. Auflage 1999.
Literatur
Muhammad Salim Abdullah: Geschichte des Islams in Deutschland, Islam und westliche Welt, Bd. 5, Graz-Wien-Köln 1981, S. 34-42.
Burchard Brentjes: Die Arbeitsgemeinschaft Turkestan im Rahmen der DMG; in: Burchard Brentjes (Hg.): 60 Jahre Nationale Sowjetrepubliken in Mittelasien im Spiegel der Wissenschaften, Halle/Saale 1985, Seite 151-72.
Peter Heine: Die Imam-Kurse der deutschen Wehrmacht im Jahre 1944, in: Gerhard Höpp (Hg.): Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945, Berlin 1997.
Joachim Hoffmann: Die Ostlegionen 1941-1943, Freiburg 1976, Seite 39-50, 136-46.
Horst Kißmehl: Mittelasien – Ziel- und Einsatzgebiet deutscher bürgerlicher Wissenschaften; in: Burchard Brentjes (Hg.): 60 Jahre Nationale Sowjetrepubliken in Mittelasien im Spiegel der Wissenschaften, Halle/Saale 1985, Seite 127-50.
Matthias Küntzel: Von Zeesen bis Beirut. Nationalsozialismus und islamischer Antisemitismus, in: Jungle World Nr. 44 vom 20. Oktober 2004;
http://www.jungle-world.com/seiten/2004/43/4202.php
Anton Maegerle: Die unheilige Allianz zwischen Hakenkreuz und Halbmond. Neonazis und fundamentalistische Islamisten, erstveröffentlicht in: „TRIBÜNE“ Nr. 160, 4. Quartal 2001;
Anton Maegerle/Heribert Schiedel: Krude Allianz. Das arabisch-islamistische Bündnis mit deutschen und österreichischen Rechtsextremisten.
Wolf Oschlies: Die 13. SS-Division „Handshar“ in Bosnien-Hercegovina, 2005.
Frank V. Seidel: Die Kollaboration, Herbig-Verlag, Berlin 1995, Seite 266.