Einer der wohl spektakulärsten der zwölf Nachkriegsprozesse gegen Verantwortliche im Rahmen der sogenannten Nürnberger Prozesse war sicherlich der Prozess „Vereinigte Staaten ./. Carl Krauch u.a.“, der später unter dem Namen „I.G. Farben-Prozess“ von besonderer Bedeutung für die Aufarbeitung der Beziehungen von Spitzenfunktionären der deutschen Wirtschaft zum NS-Regime werden sollte. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass „IG Farben“ zu den unternehmerischen Zeiten während des Dritten Reiches mit 200 Werken in Deutschland sowie 400 deutschen und 500 ausländischen Unternehmensbeteiligungen das größte europäische Unternehmen und nach General Motors, US Steel sowie Standard Oil das viertgrößte Unternehmen der Welt war.
Beginnen wir unsere Aufarbeitung mit dem 3. Mai 1947, dem Verkünden der Anklageschrift in o.g. Verfahren, in der den angeklagten 23 leitenden Angestellten folgendes zur Last gelegt wurde:
- Verbrechen gegen den Frieden durch Planung, Vorbereitung, Einleitung und Führung von Angriffskriegen und Invasionen anderer Länder
- Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Plünderung und Raub öffentlichen und privaten Eigentums in kriegerisch besetzten Ländern
- Versklavung der Zivilbevölkerung in von Deutschland besetzten oder kontrollierten Gebieten, Einziehung dieser Zivilisten zur Zwangsarbeit, Teilnahme an der Versklavung von Konzentrationslagerinsassen innerhalb Deutschlands, an der völkerrechtswidrigen Verwendung von Kriegsgefangenen bei Kriegshandlungen, Misshandlung, Einschüchterung, Folterung und Ermordung versklavter Menschen
- Mitgliedschaft in der SS, die als verbrecherische Organisation eingestuft worden war
- Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden
Entstehung, Wachstum und internationale Verflechtung der I.G. Farben, die Milde der Strafe gegen einige Angeklagte sowie das rund 60 Jahre andauernde Liquidationsverfahren führen noch heute zu vielen offenen Fragen.
Wie entstand I.G. Farben?
Am 21. November 1925, d.h. erst sechs Jahre und zwei Monate vor der Machtergreifung Hitlers schlossen die nachfolgenden Firmen:
- Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation, Firmensitz Berlin
- Badische Anilin- und Sodafabrik AG, Firmensitz Ludwigshafen
- Ammoniakwerk Merseburg GmbH – Leuna Werke, Firmensitz Merseburg
- Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Firmensitz Leverkusen
- Chemische Fabrik Griesheim-Elektron, Firmensitz Griesheim
- Chemische Fabrik Kalle & Co. AG, Firmensitz Biebrich
- Chemische Fabriken Weiler-ter Meer, Firmensitz Uerdingen
- Farbwerke Leopold Cassella & Co., Firmensitz Fechenheim
- Farbwerke vorm. Meister Lucius und Brüning AG, Firmensitz Höchst
einen Vertrag zur konkurrenzlosen Zusammenarbeit in einer Interessengemeinschaft. Die vorstehend genannten Firmen übertrugen ihre Aktiva in Gänze an die BASF AG und erhielten hierfür wertgleiche Aktienanteile an der BASF AG, welche wiederum ihren Namen änderte in I.G. Farbenindustrie AG. Sitz der I.G. Farben wurde Frankfurt, das Gründungsstammkapital betrug 1,1 Milliarden Reichsmark. Die Stammbelegschaft betrug zur Unternehmensgründung 94.000, wobei diese sich aber zügig auf 189.000 erhöhen sollte.
Weltweit führend war I.G. Farben zu Zeiten der Unternehmensgründung dabei in den folgenden Bereichen:
- Luftstickstoffindustrie
- Erzeugung von Basischemikalien
- Herstellung von Treibstoffen durch Kohlehydrierung
- Herstellung von Farbstoffen, Arzneimitteln, Sprengstoffen und Fasern
Bis zur Kriegserklärung des Deutschen Reiches an die Vereinigten Staaten von Amerika am 11. Dezember 1941 gab es sehr enge Beziehungen zwischen der IG Farben und amerikanischen Banken und Chemiekonzernen und die 1929 geschlossenen Geschäftsbeziehungen und Kartellabsprachen zwischen I.G. Farben und der US-amerikanischen Standard Oil of New Jersey von Rockefeller sollten auch in denen Zeiten des Zweiten Weltkrieges in erheblichem Umfang Geltung behalten, in denen das Deutsche Reich offiziell mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Krieg war.
Zweck der Unternehmensgründung war die Gewinnmaximierung durch Monopolstellung. Welch verheerende Wirkungen Monopole für Volkswirtschaften haben, war aus den Erfahrungen der USA mit derartigen Kartellen bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt, so dass es bereits mehr als seltsam anmutet, dass man in der Weimarer Republik weder aus politischer noch aus juristischer Sicht etwas gegen die Gründung dieses Monopolisten unternahm.
Gab es vor der Machtergreifung Hitlers Kontakte von I.G. Farben zu Hitler?
Fakt ist erst einmal, dass bis zur Machtergreifung Hitlers niemand aus der Führungsriege der I.G. Farben Mitglied der NSDAP war. Gleichwohl gab es jedoch gewichtige Kontakte.
Durch das so genannte Bergius Verfahren war der I.G. Farben die Herstellung synthetischen Benzins durch Kohlehydrierung gelungen, gleichwohl war es der I.G. Farben bewusst, dass nur durch erhebliche Subventionierung synthetisches Benzin auf den Markt eingeführt werden konnte. Die beiden leitenden Angestellten der I.G. Farben, Heinrich Bütefisch und Heinrich Gattineau, nahmen aus diesem Grunde im Sommer 1932 im Auftrag von Carl Bosch, dem damaligen I.G.-Farben-Vorstandsvorsitzenden, Kontakt zu Adolf Hitler auf, um herauszufinden, welche wirtschaftspolitische Haltung dieser im Falle einer Machtübernahme hier einnehmen würde. Aus kriegstaktischer Sicht erklärte Hitler sein unbedingtes Ja zur Subventionierung des kriegswichtigen synthetischen Benzins, so dass der Vorstandsvorsitzende der I.G. Farben Hitler bei den Spitzenfunktionären der deutschen Wirtschaft hoffähig machte: „Der Mann ist ja vernünftiger als ich dachte.“
Inwieweit es Absprachen zwischen der NSDAP und der I.G. Farben in Sachen Agrarkartellierung gab, ist bis heute nicht eindeutig belegt. Bekannt ist nur, dass Hitler sehr stark an einem Interessenskompromiss zwischen Industrie und Großagrariern gelegen war. Nahezu unmittelbar nach der Unterstützungszusage Hitlers in Sachen synthetischen Benzins zu Gunsten der I.G. Farben, befürwortete die I.G. Farben den Interessenkompromiss zwischen Industrie und Großagrariern dahingehend, dass Anfang Dezember 1932 die I.G.-Farben-Generalversammlung dem Programm der Agrarkartellierung zu.
Es liegt der Verdacht nahe, dass es hier Absprachen gab. Beweisen lässt sich dies jedoch nicht. Auch eine Spende von 400.000 Reichsmark von der I.G. Farben an die NSDAP nach dem Interessenkompromiss in Sachen synthetisches Benzin deutet darauf hin, dass es nicht gerade nur lockere Beziehungen gab, zumal es zu einem Treffen von IG Farben und Hitlers NSDAP-Führungsriege am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in Köln kam. Ein ebenfalls sehr eindrucksvolles Indiz liegt darin, dass genau 21 Tage nach der Machtergreifung Hitlers an einem erst nach Kriegsende bekannt gewordenen geheimen Treffen von Industriellen am 20. Februar 1933 der NSDAP von der deutschen Industrie drei Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt wurden, wovon 400.000 Reichsmark von der I.G. Farben stammten. Ist es ein Zufall, dass die deutsche Regierung ausgerechnet an diesem 20. Februar 1933 einen Vertrag mit I.G. Farben schloss, welcher Absatz und Mindestpreisgarantie für 350.000 Tonnen synthetisches Benzin fixierte? Hierdurch wurde die I.G. Farben vor einem Verlust 300 Millionen Euro bewahrt.
Gab es politische Kontakte der I.G. Farben zur NSDAP?
Zumindest in Bezug auf die Personalie des I.G.-Farben-Aufsichtsratsvorsitzenden Carl Krauch gab es eine offensichtliche Verknüpfung zwischen I.G. Farben und NSDAP. Ab 1935 leitete er zusätzlich die Vermittlungsstelle Wehrmacht der I.G. Farben. Von 1936 bis 1938 hatte er die politische Funktion des Leiters der Abteilung Forschung und Entwicklung des Amtes für Deutsche Roh- und Werkstoffe inne. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP. 1938 wurde er zum Wehrwirtschaftsführer und Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung und arbeitete in seiner Funktion als Wehrwirtschaftsführer den „Schnellplan“ aus, mit dem Deutschland für den September 1939 kriegsbereit gemacht wurde. Ab 1939 war Carl Krauch, der von Hitler persönlich im Jahr 1939 das „Eiserne Kreuz“ wegen seiner Siege auf dem „Schlachtfeld der deutschen Industrie“ erhielt, auch Präsident des Reichsamtes für Wirtschaftsaufbau.
Kommen wir kurz noch auf den“ Schnellplan“ zu sprechen. Dieser [teilweise auch Crauch-Plan genannt] war Beweisstück mit der Nummer NI-8797 im so genannten „I.G.-Farben-Prozess“. Gegenstand des Planes war, dass neben Mineralöl, synthetischem Kautschuk, Aluminium und Magnesium auch die Produktion von Sprengstoff, Pulver und Kampfstoffen wie folgt gesteigert werden sollte:
Pulver: 13.250 Monatstonnen
Sprengstoff: 13.600 Monatstonnen
Kampfstoffe: 2.900 Monatstonnen
Am 5. Juni 1943 wurde Carl Krauch auch noch das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes überreicht. Es mag aus diesem Grunde nicht so ganz nachvollziehbar sein, wieso das I.G.-Farben-Gericht im Anklagepunkt 1 „Verbrechen gegen den Frieden durch Planung, Vorbereitung, Einleitung und Führung von Angriffskriegen und Invasionen anderer Länder“ weder Carl Krauch noch einen anderen der 22 Angeklagten schuldig sprach und als Begründung hierfür angab, dass eine Teilnahme an der Wiederaufrüstung nicht strafbar gewesen sei.
Nicht berücksichtigt wurde auch das Engagement der I.G. Farben im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 – April 1939):
Zumindest in zweifacher Form unterstützte I.G. Farben die Putschisten unter dem späteren Diktator Franco. Zum einen spendete I.G. Farben mehrere Beträge in Höhe von 100.000 Peseten an die Legion Vidal. Die Legion Vidal war die Sanitätstruppe der Legion Condor. Legion Condor wiederum war eine verdeckt operierende Einheit der deutschen Wehrmacht im Spanischen Bürgerkrieg, die in allen bedeutenden Schlachten zu Gunsten von Franco eingriff. Traurige Berühmtheit erlangte die Legion Condor dadurch, dass sie 1937 nicht nur völkerrechtswidrig die Stadt Guernica bombardierte und zerstörte, sondern dort auch mit besonderer Menschenverachtung vorging. Das Bild „Guernica“ von Pablo Picasso wird uns stets hieran erinnern. Des Weiteren nutzte die Legion Condor die von der I.G. Farben produzierte Elektron-Thermit-Stabbrandbombe B1E. Diese Stabbrandbombe entwickelte beim Einschlag eine Hitze von bis zu 2.400 Grad und entfachte eine Feuerbrunst, welcher mit Löschwasser nicht beizukommen war.
Es ist kaum zu glauben, dass die I.G. Farben ihr diesbezügliches Engagement im Spanischen Bürgerkrieg ohne Rückendeckung des NS-Regimes betrieb. Das in Berlin befindliche Archiv der Legion Condor überlebte im Übrigen nicht den Zweiten Weltkrieg, gleichwohl konnte über das in Rom weitestgehend unversehrte Archiv der Aviazione Legionaria, der Schwesterorganisation der Legion Condor, der vorstehende Sachverhalt später aufgeklärt werden. Zum Zeitpunkt des I.G.-Farben-Prozesses lagen diese Informationen jedoch genau so wenig vor wie die für die historische Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkriegs eigentlich unvorstellbare Tatsache, dass Royal Dutch Shell, Texas Oil Company sowie die Standard Oil Company die Putschisten unterstützten.
I.G. Farben und Auschwitz
Eine Tochtergesellschaft der Degussa AG sowie der IG Farben, die DEGESCH (=Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung) produzierte und vertrieb das originär für die Landwirtschaft konzipierte Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B. Interessanter Weise wurde im I.G.-Farben-Prozess von der Anklage nachgewiesen, dass I.G. Farben an die SS große Mengen von Zyklon B lieferte. Bis heute nicht nachzuvollziehen ist dann aber der überraschende Schluss des Gerichtes im I.G.-Farben-Prozess, dass I.G. Farben „keinerlei Kenntnis über die bestimmungswidrige Verwendung des Zyklon B durch die SS in den Gaskammern von Auschwitz hatte“. Das Gericht selbst hatte herausgearbeitet, dass es zumindest teilweise sehr gute Beziehungen von Leistungsfunktionen der I.G. Farben zur NSDAP gab, so dass diese Leitungsebenen doch gewusst haben müssten, wer die SS war und dass die SS nicht in der Landwirtschaft tätig war.
Hinzu kommt aber noch ein weiterer bemerkenswerter Umstand:
1941 errichte I.G. Farben eine große Bunafabrik in Auschwitz, da die deutsche Wehrmacht zur Kriegsführung einen sehr hohen Bedarf an synthetischem Kautschuk sowie synthetischem Benzin hatte. Im März 1941 einigten sich SS und I.G. Farben dergestalt auf einen Kompromiss, dass die I.G. Farben Baumaterialien aus ihrem Kontingent an Zement, Eisen und Holz zum Ausbau des „Stammlagers Auschwitz“ zur Verfügung stellte und die SS im Gegenzug Arbeitskräfte durch die Häftlinge des KZ Auschwitz erhielt, wobei für 1941 1.000 und ab 1942 3.000 Häftlinge von der SS zugesagt wurden. Die Häftlinge mussten im Sommer zehn sowie im Winter neun Stunden arbeiten. Hierfür zahlte die I.G. Farben dann für jeden Facharbeiter täglich vier Reichsmark an die SS sowie für Hilfsarbeiter täglich drei Reichsmark an die SS. Geschwächte oder kranke Häftlinge, die nach Ansicht der Lagerärzte der SS nicht (mehr) arbeitsfähig waren, wurden durch andere Häftlinge ersetzt. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau müsste eigentlich auch den Vertretern der I.G. Farben in Auschwitz klar gewesen sein, dass die zurückgesandten Häftlinge im Konzentrationslager mit sehr großer Wahrscheinlichkeit den Tod finden würden. Circa 20.000 bis 25.000 Menschen fanden beim Bau und Betrieb der I.G.-Farben-Fabrik in Auschwitz übrigens den Tod.
Diese Fakten sprechen für sich. An dem, was in Auschwitz geschah, hat auch I.G. Farben eine nicht unwesentliche Verantwortung.
Der I.G.-Farben-Prozess
Von den 23 angeklagten leitenden Angestellten der IG Farben wurden folgende Personen verurteilt:
- Carl Krauch, Aufsichtsratsvorstizender:
sechs Jahre Haft wegen Versklavung, 1950 entlassen, 1955 Aufsichtsratsmitglied der Hüls GmbH - Otto Ambros, Vorstandsmitglied, Planung I.G. Auschwitz:
acht Jahre Haft, 1952 entlassen, ab 1954 diverse Vorstandsfunktionen in der Pharma-Industrie, aber auch Berater für Flick - Ernst Bürgin, Vorstandsmitglied:
zwei Jahre Haft - Heinrich Bütefisch, Vorstandsmitglied, Benzin-Synthese I.G. Auschwitz:
sechs Jahre Haft wegen Versklavung, 1951 entlassen, 1952 Aufsichtsrat bei RuhrChemie AG - Walter Dürrfeld, Stellvertreter des IG-Farben-Vorstandsmitglieds Otto Ambros:
acht Jahre Haft, 1950 entlassen, später Vorstand der Scholven Chemie AG in Gelsenkirchen-Buer, wurde Aufsichtsratsvorsitzender der Borkenberge Gesellschaft in Recklinghausen, Mitglied des Aufsichtsrats der Phenolchemie GmbH in Gladbeck, der Friesecke & Hoepfner GmbH in Erlangen und des Beirats der Ruhrstickstoff AG. - Paul Häfliger, Vorstandsmitglied:
zwei Jahre, 1950 verstorben - Max Ilgner, Vorstandsmitglied:
drei Jahre, 1948 vorzeitig entlassen, übernahm im Auftrag der Evangelischen Kirche 1948 Planung und Oberaufsicht der Flüchtlingsstadt Espelkamp, ab 1955 Vorsitz einer schweizerisch/niederländi- schen Chemiefirmengruppe - Friedrich Jähne, Vorstandsmitglied:
ein Jahr und sechs Monate wegen Plünderung, 1955 Aufsichtsratsmitglied der neuen Farbwerke Hoechst AG - Hans Kugler, Direktor der „Verkaufsgemeinschaft Farbstoffe sowie später Mitglied des Südost- sowie des kaufmännischen Ausschusses:
ein Jahr und sechs Monate, später: Vorstand der Casella Farbwerke Mainkur AG, Vorstand der Riedel-de-Haen AG sowie Mitglied im Hauptausschuss des Verbandes der Chemischen Industrie e.V. - Fritz ter Meer, Vorstandsmitglied, Verwalter I.G. Auschwitz:
sieben Jahre wegen „Plünderung“ und „Versklavung“, 1952 entlassen, später: 1955 Aufsichtsratsmitglied der BAYER AG - Heinrich Oster, Vorstandsmitglied:
zwei Jahre, 1949 vorzeitig entlassen, seit 1949 Mitglied im Aufsichtsrat der Gelsenberg AG - Hermann Schmitz, Aussichtsratsmitglied sowie Finanzchef:
vier Jahre wegen „Plünderung“, 1950 entlassen, 1952 Aufsichtsratsmitglied der deutschen Bank Berlin West, 1956 Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats der Rheinischen Stahlwerke - Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied:
fünf Jahre, 1949 entlassen, später: Präsident der Deutsch-Ibero-Amerikanischen Gesellschaft
Sämtliche zu Haftstrafen verurteilten Angeklagten wurden vorzeitig aus der Haft entlassen. Die letzten in Haft sitzenden Personen wurden 1951 freigelassen.
Von folgenden Anklagepunkten wurden im Übrigen alle Angeklagten freigesprochen:
- Verbrechen gegen den Frieden durch Planung, Vorbereitung, Einleitung und Führung von Angriffskriegen und Invasionen anderer Länder
- Mitgliedschaft in der SS, die als verbrecherische Organisation eingestuft worden war
- Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden
Folgende leitenden Angestellten der I.G. Farben wurden freigesprochen:
- Fritz Gajewski, Vorstandsmitglied
- Heinrich Gattineau, Leiter der Pressestelle IG Farben
- Erich von der Heyde, leitender Angestellter
- Heinrich Hörlein, Vorstandsmitglied
- August von Knierim, Vorstandsmitglied
- Hans Kühne, Vorstandsmitglied
- Carl-Ludwig Lautenschläger, Vorstandsmitglied
- Wilhelm Rudolf Mann, Vorstandsmitglied
- Carl Wurster, Vorstandsmitglied
- Christian Schneider, Vorstandsmitglied
Ein ebenfalls sehr interessantes Faktum ist der Umstand, dass nicht alle Mitglieder im Vorstand beziehungsweise im Aufsichtsrat der I.G. Farben angeklagt wurden. Im inneren Zirkel nannten sich die Aufsichtsratsmitglieder der I.G. Farben im Übrigen auch „Rat der Götter“.
Die Höhe der Strafe im I.G.-Farben-Prozess kommentierte im Jahre 1948 Alexander Menne, damaliger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Chemie wie folgt:
„Die größere Zahl der Verurteilten, die sich heute als Sträflinge im Gerichtsgefängnis in Landsberg befinden, ist am Ende eines erfolgreichen, von Fleiß und Gewissenhaftigkeit, Lebensernst und unbestrittener Moral geführten Lebens in die Gefängniszelle gewandert […] Wir stehen nur bestürzt vor der Höhe einer Strafe, die wir nicht fassen und nicht fassen können; mit einem Wort: Wir empfinden sie als ungerecht und unser Mitleid gilt denen, die –aus unseren Reihen stammend– zur Zeit in Landsberg schon die Sträflingskleidung tragen.“
Unmittelbare Nachkriegszeit und Entflechtung
Die Ermittler der Finance Division der US-Militärregierung bezifferten das Inlandsvermögen der I.G. Farben auf sechs Milliarden Reichsmark, das Auslandsvermögen auf einer Milliarde Reichsmark. 87% des Maschinenparks, den die I.G. Farben 1943 betrieben hatte, war bei Kriegsende uneingeschränkt nutzbar. Erst am 5. Juli 1945, das heißt knapp zwei Monate nach Kriegsende, verfügte die US-Militärregierung die Beschlagnahme des gesamten I.G.-Farben-Vermögens, die Absetzung und Entlassung der Konzernleitung sowie die Suspendierung der Aktionäre. Und sogar erst Ende November 1945 bestätigte der von den vier Siegermächten gebildete Alliierte Kontrollrat die Maßnahmen der US-Militäradministration. Interessanterweise hatte die britische Besatzungsmacht die Werksdirektoren der I.G. Farben in ihren Ämtern belassen und die offizielle Beschlagnahme der Anlagen der I.G. Farben erfolgte erst im November 1945. In der französischen Besatzungszone wurde anders verfahren. Hier wurden die Leitungsfunktionen in jeder Fabrik mit französischen Experten besetzt. Und obgleich das BASF-Werk in Ludwigshafen vergleichsweise sehr beschädigt war, gelang es den Franzosen, dass die chemische Produktion in ihrer Zone bereits 1948 wieder 91 Prozent des Vorkriegsstandes erreichte.
1951 präsentierte die seit 1949 unter Konrad Adenauer regierende Bundesregierung den Westalliierten eine Beratergruppe in Sachen der von den Westalliierten gewünschten I.G.-Farben-Entflechtung, die von den folgenden Personen dominiert war:
- Hermann Josef Abs, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank
- Helmut Wohltat, vormals Ministerialdirektor in der Vierjahresplanbehörde der Nazi-Größe Göring
- Hermann Gross, vormals Leiter der Wiener Außenstelle der Volkswirtschaftlichen Abteilung der I.G. Farben
Abs war in der NS-Zeit Aufsichtsratsmitglied bei I.G. Farben. Wohltat war Initiator des nach ihm benannten deutsch-rumänischen Wirtschaftsvertrags vom 23.03.1939, welcher die rumänische Volkswirtschaft auf die Bedürfnisse der deutschen Rüstungsindustrie ausrichtete.
Auch der damalige Bundeswirtschaftsminister Erhard besetzte die für die Entflechtung der der I.G. Farben zuständige Abteilung seines Ministeriums in den Schlüsselstellen mit zwei ehemaligen Experten der I.G. Farben.
Die Lobbyarbeit all dieser Herren war so erfolgreich, dass statt der Zerschlagung des I.G. Farben – Konzerns in 50 „Independent Units“ (Vorschlag des von den USA und Großbritannien geschaffenen Bipartite IG Farben Control Office BIFCO aus dem Jahr 1950) die Alliierte Hohe Kommission am 23. Mai 1952 die Gründung von formal selbständigen IG Farben – Nachfolgeunternehmen vorsah:
- Agfa AG
- BASF AG
- Cassella Farbwerke AG
- Chemische Werke Hüls AG
- Bayer AG
- Hoechst AG
- Duisburger Kupferhütte AG
- Kalle AG
- Wacker Chemie AG
- Dynamit AG
- Wasag Chemie AG
Insgesamt wurde auf die I.G.-Farben-Nachfolgeunternehmen ein Reinvermögen von 1,64 Milliarden DM übertragen. Am 1. Oktober 1953 erhielten dann die I.G.-Farben-Aktionäre für jede I.G.-Farben-Aktie im Wert von 1.000 Reichsmark Aktien der Nachfolgeunternehmen im Wert von 915 DM. Hinzu kam hier noch ein Liquidationsanteilschein, welcher in Reichsmark ausgegeben wurde.
Offiziell beendet wurde dann die Entflechtung der I.G. Farben durch das am 21. Januar 1955 von der Alliierten Hohen Kommission im Einvernehmen mit der Bundesregierung erlassene „I.G. Liquidationsschlussgesetz“.
I.G. Farben in Liquidation
Mit dem „Liquidationsschlussgesetz“ von 1955 entstand die formellen Rechtsnachfolgerin, die „I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation“. Erster Aufsichtsratsvorsitzender wurde der damalige I.G. Vorstand, August von Knieriem. Der I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation waren zwei Funktionen zugedacht:
- Sicherung der Ansprüche auf die im Ausland befindlichen Vermögenswerte
- Befriedigung der Gläubiger des Konzerns
Strittig war zu dieser Zeit – und dies schon seitdem der ehemalige Zwangsarbeiter Norbert Wollheimer 1951 von der I.G. Farben sowie später von der I.G. Farben i.L. auf Nachzahlung des ihm vorenthaltenen Lohnes und Schmerzensgeld geklagt hatte – ob ehemalige Zwangsarbeiter Ansprüche gegen diejenigen hätten, bei denen sie Arbeit verrichten mussten. Die I.G. Farben i.L. verneinte dies stets und verwies auf die staatlichen Wiedergutmachungsbehörden. Weiterhin wurde ausgeführt, dass die Bundesrepublik Deutschland schon durch das Israel-Abkommen die Notwendigkeit der Opfer des Dritten Reiches durch den Staat anerkannt habe.
1958 zahlte dann die I.G. Farben i.L. einmalig 27 Millionen Mark an die Conference on Jewish Material Claims against Germany zur Entschädigung der jüdischen Zwangsarbeiter der I.G. Auschwitz, wobei die Zahlung nur unter der Bedingung erfolgte, dass keine weiteren Forderungen mehr gestellt werden würden. Die Ansprüche anderer Zwangsarbeiter gegenüber der I.G. Farben hatten sich zwischenzeitlich dadurch erübrigt, dass der Bundesgerichtshof entschieden hatte, dass die Forderungen von derartigen Zwangsarbeitern aufgrund des Londoner Schuldenabkommens von 1953 bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Deutschland und den Alliierten des Zweiten Weltkrieges suspendiert sei. Bis zum In-Kraft-Treten des „Zwei-plus-Vertrages“ am 15. März 1991 hatte Deutschland aber keinen offiziellen Friedensvertrag mit den Alliierten des Zweiten Weltkrieges. Im Übrigen ist dies auch der Grund dafür, dass es bis zum März 1991 keinerlei weitere Schadensersatzforderungen gab.
Mitte der 1990er Jahre wurde dann nahezu das gesamte Kapital der I.G. Farben in Liquidation an die Aktionäre und somit vor allem an den Mehrheitseigner, die Firma WCM ausgeschüttet. Es handelt sich hierbei um einen Betrag von 130 Millionen DM. Für die verbliebenen 30 Millionen DM kaufte die I.G. Farben i.L. Immobilien. Im April 2001 einigten sich I.G. Farben i.L. und oben erwähnte Firma WCM darauf, dass WCM die Immobilien übernehmen solle und dafür bis Ende 2003 1,5 Millionen Euro zahlen solle. Plötzlich konnte WCM jedoch seinen Zahlungsverpflichtungen mit der Folge nicht mehr nachkommen, dass die I.G. Farben i.L. keine ausreichenden eigenen Mittel mehr hatte, um den laufenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Aus diesem Grunde musste dann im November 2003 der Gang zum Insolvenzverwalter gegangen werden und das Ende der I.G. Farben i.L. war besiegelt.
Abschließend sollten noch zwei Fakten erwähnt werden:
Am 18. August 1999 erklärten die beiden Liquidatoren der I.G. Farben i.L., Otto Bernhard und Volker Pollehn, dass sie eine Stiftung zur Entschädigung der I.G.-Opfer gründen wollten. Unter Verweis auf die eigene Entschädigungsinitiative lehnte die I.G. Farben im Jahr 2001 die Beteiligung an dem von Bundesregierung und deutscher Wirtschaft im Jahr 2000 geschaffenen Stiftungsfonds für NS-ZwangsarbeiterInnen ab. Das letztlich in die Stiftung eingebrachte Kapital betrug dann jedoch nur noch 500.000 DM, d.h. 255.000 Euro.
Entschädigungsforderungen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen von I.G. Farben haben:
- Bayer
- BASF
- Hoechst
bis in die 1990er Jahre von sich gewiesen, da bei der Entflechtung der I.G. Farben laut Auffassung der Vorstandsvorsitzenden der Bayer AG, der BASF AG sowie der Hoechst AG „drei organisatorisch völlig neue und selbständige Unternehmen gebildet wurden, die keine Verantwortlichkeit für die Gräueltaten des Naziterrors an Zwangsarbeitern trügen.“ Gleichwohl traten diese drei Firmen dann jedoch doch noch der „Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft“ bei.
Geld kommt nicht weg. Das haben nur andere – an diese Volksweisheit muss man unweigerlich denken, wenn man sich den Weg der Vermögenswerte in Sachen I.G. Farben anschaut. Und es stellt sich wirklich die Frage: Ist dies denn wirklich alles so geschehen oder ist dies nur ein schlechter Krimi? Nein, es ist so geschehen. Unglaublich. Möge sich so etwas nie mehr wiederholen.
Autor: Stefan Loubichi, Wirtschaftswissenschaftler des Jahrganges 1966, der sich seit vielen Jahren auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema beschäftigt und durch sein Engagement verhindern möchte, dass durch Vergessen jemals wieder vergleichbare Gräueltaten wie die der Nazis im Dritten Reich entstehen könnten – Zukunft braucht Erinnerung.
Literaturverzeichnis
Office of Military Government for Germany, United States (O.M.G.U.S). Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. September 1945. Übersetzt und bearbeitet von der Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik Hamburg. Greno, Nördlingen 1986, ISBN 3-89190-019-8
Jens Ulrich Heine: Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. (1925–1945) in 161 Kurzbiographien. Verlag Chemie, Weinheim u.a. 1990, ISBN 3-527-28144-4
Udo Walendy (Hrsg.): Auschwitz im IG-Farben-Prozess. Holocaust-Dokumente? Verlag für Volkstum u. Zeitgeschichtsforschung, Vlotho/Weser 1981, ISBN 3-922252-15-X.
Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse (= Beck’sche Reihe 2404 C. H. Beck Wissen). Beck, München 2006, ISBN 3-406-53604-2
Bundesfachtagung der Chemiefachschaften/Arbeitskreis I.G. Farben (Hrsg.): …von Anilin bis Zwangsarbeit. Der Weg eines Monopols durch die Geschichte. Zur Entstehung und Entwicklung der deutschen Chemischen Industrie. 2. Auflage (2007)
Gottfried Plumpe: Die I.G. Farbenindustrie AG – Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-06892-0
Diarmuid Jeffreys, Weltkonzern und Kriegskartell. Der zerstörerische Werk der IG Farben, Karl Blessing Verlag, München 2011