Die Frau in Hitlers Badewanne
Ein bewegendes Porträt der Kriegsfotografin Lee Miller
Kate Winslet brilliert in Ellen Kuras‘ eindrucksvollem Regiedebüt über eine der faszinierendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Der 2024 erscheinende Film zeichnet Lee Millers außergewöhnlichen Weg von der gefeierten Muse und Supermodel zur mutigen Kriegsreporterin nach und offenbart dabei eine komplexe Frau, die für ihre rasche Entschlüsse und überraschende Kehrtwendungen in ihrem Leben bekannt war.
Die wahre Geschichte von Lee Miller ist so fesselnd wie erschütternd. Als ehemaliges Model und Muse des surrealistischen Künstlers Man Ray beschließt Miller zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, selbst hinter die Kamera zu treten. Gegen alle Widerstände in der von Männern dominierten Welt des Fotojournalismus erkämpft sie sich eine Position als Kriegsberichterstatterin für die britische Vogue.
Winslet verkörpert Miller mit einer beeindruckenden Mischung aus Verletzlichkeit und Entschlossenheit. In den Vorkriegsszenen im sonnendurchfluteten Südfrankreich, wo Miller mit Künstlern wie Max Ernst und Pablo Picasso verkehrte, strahlt sie eine fast schon übermütige Lebensfreude aus. Doch als der Krieg ausbricht, wandelt sich Millers Charakter. Winslet lässt uns spüren, wie die grausamen Erlebnisse an der Front Miller zunehmend belasten, ohne dass die Fotografin ihre innere Stärke verliert.
Der Film folgt Miller durch einige der dunkelsten Kapitel des Krieges. Besonders eindringlich sind die Szenen, in denen sie und ihr Kollege David E. Scherman im April 1945 die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau dokumentieren. Winslet und Andy Samberg spielen diese Momente mit einer Mischung aus Entsetzen und professioneller Entschlossenheit, die unter die Haut geht. Man spürt förmlich, wie sehr diese Erlebnisse Miller für den Rest ihres Lebens prägen werden.
Eine der ikonischsten Szenen des Films zeigt Miller in Hitlers Badewanne in seiner Münchner Wohnung – ein Bild, das in die Geschichte eingehen sollte. Kuras inszeniert diesen Moment mit beeindruckender Subtilität. Es ist weniger ein Akt des Triumphs als vielmehr der verzweifelte Versuch, den Schrecken des gerade Erlebten abzuwaschen.
Die Regisseurin Ellen Kuras, die zuvor als preisgekrönte Kamerafrau arbeitete, beweist mit ihrem Spielfilmdebüt ein sicheres Gespür für visuelle Komposition. Gemeinsam mit Kameramann Pawel Edelman erschafft sie eindrucksvolle Bilderwelten, die Millers fotografischen Blick widerspiegeln. Von den lichtdurchfluteten Stränden der Côte d’Azur bis zu den düsteren Ruinen des kriegszerstörten Europa fängt jede Einstellung die jeweilige Stimmung perfekt ein.
Besonders gelungen ist Kuras‘ Entscheidung, zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her zu springen. Eine Rahmenhandlung zeigt die gealterte Miller (ebenfalls von Winslet gespielt) im Gespräch mit einem jungen Journalisten. Diese Szenen erlauben es dem Publikum, Millers emotionale Reise besser nachzuvollziehen und vermitteln ein Gefühl dafür, wie sehr die Kriegserlebnisse sie ihr Leben lang begleitet haben. Zudem hält das Setting am Ende noch einen unerwarteten Twist bereit.
Die Besetzung ist durchweg exzellent. Neben Winslet und Samberg überzeugen vor allem Alexander Skarsgård als Millers Ehemann Roland Penrose und Marion Cotillard als ihre Freundin Solange D’Ayen. Eine besonders bewegende Szene zeigt das Wiedersehen zwischen Miller und der vom Krieg gezeichneten Solange in deren verwüstetem Pariser Herrenhaus.
„Die Fotografin“ ist aber vor allem Kate Winslets Film. Die Oscar-Preisträgerin, die das Projekt über acht Jahre lang vorantrieb, verschmilzt förmlich mit ihrer Rolle. Sie fängt Millers Komplexität perfekt ein – ihre Leidenschaft, ihren Mut, aber auch ihre inneren Kämpfe und Selbstzweifel. Es ist eine nuancierte Darstellung, die Millers Bedeutung als Pionierin des Fotojournalismus ebenso gerecht wird wie ihrer facettenreichen Persönlichkeit.
Der Film zeichnet ein vielschichtiges Porträt einer Frau, die sich weigerte, in vorgegebene Rollen zu passen. Als Model war Miller es leid, nur das Objekt männlicher Blicke zu sein. 1929 begann sie ihre Karriere als Modell in New York, doch schon 1932 kehrte sie nach New York zurück, um sich als Fotografin zu etablieren. Als Fotografin kämpfte sie gegen Vorurteile und bürokratische Hürden, um an die Front zu gelangen. Und als Zeugin der Schrecken des Krieges nutzte sie ihre Kamera, um die Wahrheit zu enthüllen – koste es, was es wolle.
Die Produktion des Films war selbst eine achtjährige Odyssee, angetrieben von Winslets Leidenschaft für Millers Geschichte. Die enge Zusammenarbeit mit Millers Sohn Antony Penrose und der uneingeschränkte Zugang zu den Lee Miller Archives ermöglichten es dem Team, ein authentisches Bild der Fotografin zu zeichnen. Die akribische Rekonstruktion historischer Schauplätze und die detailgetreue Kostümarbeit tragen erheblich zur Glaubwürdigkeit des Films bei.
„Die Fotografin“ ist jedoch weit mehr als eine bloße Biografie. Der Film wirft wichtige Fragen über die Rolle von Journalisten in Krisenzeiten auf und thematisiert die emotionalen Kosten, die mit dem Bezeugen von Gräueltaten einhergehen. Er zeigt eindrücklich, wie Miller durch ihre Arbeit versuchte, den Opfern des Krieges eine Stimme zu geben und gleichzeitig mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen.
Besonders stark ist der Film in den Momenten, in denen er die Grenzen zwischen Kunst und Dokumentation, zwischen persönlicher Involviertheit und professioneller Distanz auslotet. Millers surrealistisch anmutende Aufnahmen aus Hitlers Badewanne werden so zu einem kraftvollen Symbol für den Versuch, das Unfassbare zu verarbeiten.
Ellen Kuras‘ Regiedebüt ist eine würdige Hommage an eine bemerkenswerte Frau, deren Beitrag zur Fotografie und Kriegsberichterstattung lange Zeit unterschätzt wurde. Der Film macht deutlich, wie modern und relevant Millers Geschichte auch heute noch ist – in einer Zeit, in der der Journalismus erneut unter Beschuss gerät und die Rolle von Frauen in Konfliktgebieten immer noch diskutiert wird.
„Die Fotografin“ ist ein visuell beeindruckender, emotional aufwühlender Film, der lange nachwirkt. Er erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die Wahrheit zu dokumentieren, selbst wenn sie unangenehm oder schmerzhaft ist. Kate Winslets tour de force Performance und Ellen Kuras‘ einfühlsame Regie machen den Film zu einem der bemerkenswertesten Biopics der letzten Jahre.
Ab 19. September im Kino!
Website: https://www.DieFotografin-Film.de