Hitlers letzte Offensive – Wie die Ardennenoffensive 1944 absehbar scheiterte
Ardennenoffensive. Am 6. Juni 1944 hatte mit der Landung in der Normandie, dem D-Day oder Operation „Neptune“ die große Offensive der Westalliierten begonnen, mit der sie Frankreich, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und in letzter Instanz auch das Deutsche Reich dem Würgegriff des NS-Regimes entreißen wollten. Der Überbegriff für die Offensive war Operation „Overlord“. Das Deutsche Reich befand sich dadurch plötzlich in einem echten Zweifrontenkrieg. Gegen die Sowjetunion führten die Nazis schon länger Krieg, mussten nun aber mehr und mehr Niederlagen einstecken. Im Westen hatten sie bislang relativ ungehindert ihren Eroberungsfeldzug durchziehen und die eroberten und angegliederten Gebiete für sich behaupten können.
Wirkliche Gegenwehr hatte es einzig von den Briten und Widerstandsgruppen in den einzelnen Ländern gegeben – jedoch mit wenig messbarem Erfolg. Doch nun hatten sich jene Widerständler, Briten, US-Amerikaner und andere westlich geprägte Nationen wie etwa Neuseeland zusammengeschlossen und marschierten nun unter dem Kommando von General Dwight D. Eisenhower (1890 – 1969) ebenso erfolgreich gen Osten wie die Nazis dereinst gen Westen. Das Blatt hatte sich gewendet und die NS-Führung sah sich gezwungen, Schritte für eine Gegenoffensive einzuleiten, deren Planung im Spätsommer 1944 begonnen hatte.
Die Gegenoffensive sollte über die Ardennen erfolgen, einen dicht bewaldeten westlichen Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges, eines Mittelgebirges, zu dem etwa auch Eifel und Taunus gehören. Während sich der größte Teil des Rheinischen Schiefergebirges in Deutschland befindet, liegen die Ardennen hauptsächlich in Belgien, zu kleinen Teilen in Luxemburg und Frankreich. Schon im Mai 1940 war den deutschen Truppen hier ein militärischer Vorstoß gelungen und das Truppenaufgebot der Alliierten war 1944 nicht so stark wie an anderen Teilen der Westfront, deshalb wollten die Nazis hier nun erneut die feindlichen Linien durchstoßen und dabei die alliierten Truppen einem Stoßkeil gleich aufspalten. Das Ziel: Antwerpen. Der Hafen von Antwerpen ist der größte Hafen Belgiens. 1944 wickelten die Westalliierten hierüber einen Großteil ihres Nachschubs ab. Die Einnahme von Antwerpen bei gleichzeitiger Spaltung der Truppen in Briten und US-Amerikaner hätte dem Deutschen Reich einen erheblichen Vorteil zurückgegeben. Allerdings hieß das auch, dass man die Maas überschreiten musste. Den Fluss hatten die Alliierten trotz des sonstigen Scheiterns der Operation „Market Garden“ Ende September 1944 bei Nijmegen überschreiten können.
Adolf Hitler (1889 – 1945) befahl neben dem Unternehmen „Christrose“ (später Unternehmen „Wacht am Rhein“), wie die Ardennenoffensive intern offiziell hieß, auch das Unternehmen „Nordwind“, einen Angriff in Lothringen und im Elsass auf die 7. US-Armee, die so zerschlagen werden sollte. Es handelte sich bei dem groß angelegten Angriff um die vorletzte Offensive des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg, bei der fast alle noch verfügbaren Kräfte eingesetzt wurden. Die Ardennenoffensive war also ein letztes Aufbäumen eines Ungeheuers, das im Grunde schon geschlagen war, es aber selbst noch nicht so recht wahrhaben wollte. Wobei selbst Hitler zumindest schon so weit war, dass er die Westalliierten nicht auf dem Schlachtfeld schlagen, sondern durch die Offensive zur Verhandlungsbereitschaft zermürben wollte, um sich dann mit voller Stärke wieder der Ostfront widmen zu können. Das war im Übrigen nicht das erste Mal, dass Hitler glaubte, die westlichen Staaten seien naiv und nachgiebig genug, sich mit ihm auf einen krummen Deal einzulassen, den er mit großer Wahrscheinlichkeit früher oder später ebenso gebrochen hätte wie seinen Nichtangriffspakt mit Stalin (1878 -1953).
Die Aufklärung der Alliierten hatte wegen eines von den Codebrechern um Alan Turing (1912 – 1954) in Bletchley Park entschlüsselten Befehls von Reichsmarschall Hermann Göring (1893 – 1946) vom 31. Oktober und eines weiteren vom 14. November durchaus Hinweise darauf, dass die Nazis etwas planten. Mehr noch: Während die vom eher leichtsinnig dekadenten Göring geführte Luftwaffe so lasch mit der Geheimhaltung umging, dass diese Befehle durchsickern konnten, war zu dieser Zeit von der Waffen-SS unter dem Kommando vom Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 – 1945) und der Wehrmacht unter dem Oberkommando von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel (1882 – 1946) bzw. dem Kommando von Generaloberst Alfred Jodl (1890 – 1846) nichts zu hören. Trotz dieser Ruhe vor dem Sturm gab die Aufklärung die Informationen nicht oder zumindest nicht mit dem nötigen Nachdruck weiter.
So standen den 200.000 deutschen Soldaten mit ihren 600 Panzern und 1.900 Geschützen, die man von der Ostfront abgezogen und klammheimlich an den Rhein beordert hatte, am 16. Dezember 1944 im Osten und Nordosten Belgiens nur 83.000 Soldaten der 12th Army Group der US-Armee mit 400 Panzern und ebenso vielen Geschützen gegenüber. Die Truppen in Städten wie Rochefort, Bastogne, La Roche, St. Vith, Clerf, Houffalize, Stavelot, Diekirch oder Vianden wurden vom Angriff der Wehrmacht zunächst überrumpelt. Hinzukam, dass die Alliierten ihre Lufthoheit aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse nicht ausspielen konnte. So konnten die Truppen des NS-Regimes auf einer Breite von 60 km um 100 km in die gegnerischen Gebiete vorstoßen.
Was auf den ersten Blick nach Erfolg klingt, war bei Lichte betrachtet keiner. So kam die 6. SS-Panzerarmee von SS-Oberst-Gruppenführer Sepp Dietrich (1892 – 1966) mit ihren Panzerkampfwagen V Panther eher langsam voran und konnte erst am 21. Dezember St. Vith einnehmen. Die 5. Panzerarmee von General der Panzertruppe Hasso von Manteuffel (1897 – 1978) konnte lediglich bis zur Maas vordringen, diese aber nicht überqueren. Und während die Nazis alles in die Waagschale geworfen hatten, was nicht an der Ostfront benötigt wurde, konnten die Westalliierten auf Nachschub zurückgreifen. So verloren die alliierten Streitkräfte zwar insgesamt 87.000 Mann (davon 19.276 Tote, 21.144 Gefangene oder Vermisste, 47.139 Verwundete), hatten aber immer noch eine beachtliche Schlagkraft. Obwohl die Wehrmacht und die SS „nur“ 68.000 Soldaten (davon 17.236 Tote, 16.000 Gefangene oder Vermisste, 34.439 Verwundete) verloren, war es für das Deutsche Reich also eine Niederlage.
Jodl sprach nach dem Scheitern derArdennenoffensive davon, dass die „Wacht am Rhein“ nun das nächste Ziel für das Deutsche Reich wäre. Ein Wehrmachtsoffizier sah die Situation seinerzeit etwas nüchterner und stellte fest, dass es statt um die „Festung Europa“, welche Hitler ja angestrebt hatte, nun nur noch um die „Festung Deutschland“ ginge. Anders gesagt: Der Traum Hitlers, der für den überwiegenden Rest der Menschheit wohl eher ein Albtraum war, war ausgeträumt. Jetzt ging es für die Nazis allenfalls noch darum, die eigene Haut zu retten.
Literatur
Antony Beevor: Ardennes 1944: Hitler’s Last Gamble. Viking, London 2015, ISBN 978-0-670-91864-5. Deutsche Ausgabe: Die Ardennenoffensive 1944. Hitlers letzte Schlacht im Westen. Bertelsmann, München 2016. ISBN 978-3-570-10220-6.
Gert Buchheit: Hitler der Feldherr, List Taschenbücher 285, München 1965.
Peter Caddick-Adams: Snow and Steel: The Battle of the Bulge, 1944–45. Oxford University Press, New York 2014, ISBN 978-0-19-933514-5.
William C. C. Cavanagh, Rochereth Krinkelt: The Battle for He Twin Villages. Christopher Publ. House 1985, ISBN 0-8158-0435-0.
Peter Elstob: Ardennenoffensive. Hitlers letzte Offensive. List, München 1972, ISBN 3-471-77406-8.
Kurt Kaeres: Das verstummte Hurra. Hürtgenwald 1944. 4. Auflage, Helios, Aachen 2002, ISBN 3-933608-50-3.
Chester Wilmot: Der Kampf um Europa. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1955; deutsche Ausgabe: S. Fischer Verlag, 1960.
Deutsche Welle Beitrag: Der Überlebende der Ardennenoffensive.