Etwa 18 Millionen Menschen wurden unter nationalsozialistischer Herrschaft durch ideologisch und rassistisch begründeten Massenmord zu Tode gequält, vergiftet, erschossen, vergast, durch Zwangsarbeit umgebracht oder verhungerten in den Lagern und Ghettos. Schon die Ortsbezeichnungen „Auschwitz“, „Dachau“, „Sobibor“ oder „Bergen-Belsen“ sind heute „Gedenkstätten“ im allgemeinen Bewußtsein: Ihre bloße Erwähnung löst ein Gedenken an den nationalsozialistischen Terror, an weltbekannte Bilder und Millionen Ermordete aus.
Der Umgang mit Gedenkstätten, und damit mit den Stätten der Verbrechen in Deutschland und durch die deutsche Gesellschaft, ist nicht einheitlich fassbar, sondern hängt sehr stark von dem betrachteten Zeitraum innerhalb der letzten 60 Jahre, von der Zugehörigkeit zur Generation der Zeitgenossen oder Nachgeborenen, der Zugehörigkeit zu den Verfolgten oder Nicht-Wissen-Wollenden und nicht zuletzt davon ab, ob man in der alten Bundesrepublik oder DDR lebte.
Entstehung der Gedenkstätten
An vielen Stätten nationalsozialistischer Verbrechen konfrontierten bereits die Alliierten die Anwohner mit den Gräueln, die in ihrer Nachbarschaft stattgefunden hatten, durch erzwungene Besuche, Mitarbeit bei der Bergung und Beerdigung der Toten und der Anlage von Gräberfeldern und Friedhöfen. Die Idee der notwendigen Bewahrung der Erinnerung an die Verbrechen und die Toten und die zukünftige besondere Würdigung der Orte fand bei allen Alliierten breite Zustimmung. Sehr bald nach ihrer Befreiung begannen auch Überlebende und ausländische Regierungen, in den ehemaligen Lagern das Totengedenken für die Ermordeten zu organisieren und Denk- und Mahnmale zu errichten, Teile der Lager wurden nach 1945 aber auch weitergenutzt als Unterkünfte für Flüchtlinge und Vertriebene (z.B. Dachau), als Gefängnisse für tatsächliche oder vermeintliche NS-Verbrecher (z.B. Buchenwald) oder zur Unterbringung der Besatzungsarmee (z.B. Ravensbrück).
Am 9. September 1945 demonstrierten in Berlin Überlebende und Antifaschisten zum Gedenken an die Massaker im Zuchthaus Plötzensee vom 6. bis 9. September 1943 und der zweite Septembersonntag begann, sich als „Gedenktag der Opfer des Faschismus“ durchzusetzen. Die Spaltung der Stadt bewirkte zwar sehr bald, dass der Gedenktag ab 1948 nur noch in der Sowjetischen Besatzungszone/Deutschen Demokratischen Republik begangen wurde, doch Ereignis und Datum spielten auch im Westteil Berlins noch eine Rolle: Da Plötzensee hier liegt, beschloss der Berliner Senat 1951 die Einrichtung der ersten Gedenkstätte auf deutschem Boden an und über diesen Ort.
Die Mehrheit der Deutschen allerdings neigte eher dazu, die Erinnerung an die Verbrechen ruhen zu lassen. Der Großteil der Lagerkomplexe lag brach, vor allem die Häftlingsbaracken wurden abgerissen oder als Baumaterialien verwertet.
Umgang mit Gedenkstätten In der Deutschen Demokratischen Republik
Nach einem zunächst von unterschiedlichen Verbänden initiierten ersten Opfergedenken prägte seit etwa Mitte der 1950er Jahre die nach eigenem Selbstverständnis nur in der sozialistischen DDR verwirklichte Lehre aus dem Unrecht die Erinnerungspolitik der DDR. Aus diesem Geschichtsbewußtsein heraus wurden sehr früh Täterorte zu Gedenkstätten gegen den Terror, zur Erinnerung der Toten, des Kampfes und des Sieges des Sozialismus ausgebaut. Bereits 1954 wurden die „Ehrenstätte KZ Dora“ und das „Museum der Widerstandsbewegung“ in Buchenwald, 1958 – 1961 die ehemaligen KZ Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen als „Nationale Mahn- und Gedenkstätten“ der DDR errichtet. Dem Ausbau der „Ehrenstätte KZ Dora“ folgte 1966 die Umwidmung zur „Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau-Dora“. Ermordete Gegner des Nationalsozialismus wurden als antifaschistische Kämpfer gezeigt, diesen ideologisch nachgeordnet, in den Dauerausstellungen allerdings ebenfalls mahnend präsent, war die sowohl die Täter als auch das System anklagende Trauer um die „Opfer des Faschismus“, vor allem um die ermordeten Juden aus allen Ländern Europas.
Die Demonstration einer antifaschistischen Grundhaltung war für die Bevölkerung Pflicht, die Mitarbeit bei Gedenkveranstaltungen oder Kranzniederlegungen wurde von Partei und Staat gern gesehen und der Besuch der Gedenkstätten gehörte zum Schulunterricht. Das in stark ritualisierten Formen ablaufende Gedenken und die in den Gedenkstätten angebotene Interpretation der Geschichte erreichte quantitativ zwar eine breite Öffentlichkeit, bot aber auch Gelegenheit zum innerlichen Rückzug. Seit Mitte der 1980er Jahre wurden auch in der DDR die Formen des Erinnerns daher wieder vielfältiger und die starke Betonung des antifaschistischen Kampfes etwas zurückgenommen. 1987 wurde zu der Ravensbrücker „Wand der Nationen“ mit den 20 Herkunftsländern, aus denen die Häftlinge stammten, ein Gedenkstein zur ausdrücklichen Erinnerung an die jüdischen Häftlinge hinzugefügt, dem inzwischen ein Gedenkstein für die ermordeten Sinti und Roma folgte.
Umgang mit Gedenkstätten In der Bundesrepublik Deutschland
Vorangetrieben durch Opferverbände, doch erst befördert durch den beginnenden Generationenwechsel, die öffentliche Aufmerksamkeit, die der „Eichmann-Prozess“ in Jerusalem 1961 und der erste „Auschwitz-Prozess“ in Frankfurt am Main 1963 erregte, begann Mitte der 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland der Aufbau musealer Einrichtungen in den ehemaligen Lagern. 1965 wurde auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau eine Gedenkstätte mit Museum, Archiv und Bibliothek eingerichtet, in Bergen-Belsen, das über keine baulichen Überreste mehr verfügte, erfolgte 1966 die Eröffnung eines Dokumentenhauses mit einer Ausstellung zur Geschichte des KZ. 1968 eröffnete der Senat von Berlin die Gedenk- und Bildungsstätte über den Widerstand des „20. Juli“ im „Bendlerblock“.
Forderungen von Angehörigen Ermordeter, Opferverbänden und Überlebenden für Erhalt und Ausbau der Täterorte zu Gedenkstätten wurden in der bundesdeutschen Öffentlichkeit kontrovers aufgenommen und konnten oft nur gegen erhebliche Widerstände der lokalen Behörden und Anwohner durchgesetzt werden. Die freiwillige Mitarbeit in und der Besuch von Gedenkstätten beruhten zumeist auf dem Engagement Einzelner. Eine Wende im öffentlichen Bewußtsein leitete erst die 1979 in Deutschland ausgestrahlte US-Fernsehserie „Holocaust“ ein, die zu einer unerwartet ausführlichen Beschäftigung mit dem Völkermord an den europäischen Juden in allen Teilen und Generationen der Bevölkerung führte und den Filmtitel „Holocaust“ als Begriff für den Völkermord etablierte.
„Vergessene“ Orte, Opfer und Täter
Viele Opfergruppen blieben in der DDR wie in der Bundesrepublik in der offiziellen Erinnerungskultur jahrzehntelang ebenso unberücksichtigt wie zahlreiche Details der Schuld und Mitschuld von Gemeinden, Betrieben und Nachbarn. Erst durch die vor allem seit den 1980er Jahren von Schülern, lokalen Geschichtsinitiativen und Berufsgruppen vorangetriebene Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der eigenen Region und dem eigenen Betrieb wurden zahlreiche „vergessene“ Lager und andere Orte nationalsozialistischer Verbrechen wiederentdeckt und in vielen Fällen ehrenamtlich als Gedenkstätten mit einer Ausstellung und/oder eigenem Programm über Täter, Opfer, Mitwisser und Nutznießer der Verbrechen erschlossen.
Auch der „vergessenen“, d.h. der gesellschaftlich und/oder staatlich nicht als Opfer anerkannten oder aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängten Opfer – wie beispielsweise „Euthanasie„-Opfer und „Zigeuner“ – wird seit den 1980er Jahren stärker gedacht. 1982 wurde in Bergen-Belsen zunächst eine Inschrift für die ermordeten Sinti angebracht und im April 1999 die dortige Wand der Nationen durch eine Bronzetafel zur ausdrücklichen Erinnerung sowohl an die politischen Gegner des Nationalsozialismus, Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle als auch an die Opfer der Zerstörung des Rechts, der Kriegsgefangenen der Sowjetunion und aus anderen Staaten ergänzt.
Entwicklung seit 1990
Mit der seit den 1990er Jahren bundesweit erfolgten Umgestaltung oder Neueröffnung von biografisch geprägten Ausstellungen mit Lebensgeschichten von Opfern und Tätern bieten die Gedenkstätten heute überwiegend an, sich durch das Erkennen Einzelner mit dem System der Menschenverachtung und –vernichtung einerseits und der Erfahrung von Haft, Verlust, aber auch Solidarität und Freundschaft andererseits differenziert zu beschäftigen. Die pädagogisch betreuten Lernorte stellen durch Angebote zu Gespräch, Kunstaktionen oder Mitarbeit zugleich verschiedene Methoden der persönlichen Bewältigung der Eindrücke vor und sind dadurch nicht mehr nur Orte des ohnmächtigen Trauerns oder politisch vorgegebener Traditionsbildung. Ein Besuch hier kann heute auch der Sensibilisierung und persönlichen Ermutigung dienen. Gleichzeitig gibt diese Form des Erinnerns den Verfolgten und Ermordeten Individualität, Würde, ihr menschliches Antlitz.
Trotz aller politischer, finanzieller und personeller Schwierigkeiten, denen Gedenkstätten heute ausgesetzt sind, konnte Professor Arno Lustiger anläßlich seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, am 27. Januar 2005, die Zahl von rund 180 Gedenkstätten in ehemaligen KZs, Zuchthäusern, Synagogen usw. in Deutschland nennen. 98 von ihnen seien große Gedenkstätten an Orten des Geschehens, die ständig geöffnet sind und pädagogische Programme durchführen und von über 3,5 Millionen Menschen jährlich besucht würden. Doch 60 Jahre nach der Befreiung stellt sich den Gedenkstätten auch die Frage nach ihrem Selbstverständnis und ihrer Aufgabe für eine Zukunft, in der es keine Überlebenden mehr geben wird, die durch ihre Anwesenheit die Erinnerung wachhalten und die Orte zum Sprechen bringen. Zugleich werden die authentischen Zeugnisse an den ehemaligen Orten des Terrors spärlicher. Der Umbau eines ehemaligen Lagers, Gefängnisses oder Krankenhauses zu einer Gedenkstätte verlangt bauliche Veränderungen, die verfallenden Gebäude benötigen Sanierungsmaßnahmen und so bewegen sich die Gedenkstätten auf dem schmalen Grat zwischen der Konservierung oder (Re-) Konstruktion des authentischen Ortes. Der Kritik, dass Gedenkstätten auf ehemaligem Lagergelände darum kaum mehr seien als themenbezogene Museen, wird allerdings jeder widersprechen, der einen solchen Ort besucht hat und mit den Eindrücken aus den Ausstellungen auf die Nähe von Barackenplätzen und Wachhäusern schaut, sich an Zeugenaussagen von Tätern und Überlebenden erinnert oder vom Lager aus sogar zur nahen Stadt sehen kann. Nichts zwingt den Blick so sehr auf die Verflechtungen von Tätern, Mitwissern, Nutznießern und die Absurdität des späteren Leugnens jeglichen Wissens über die NS-Verbrechen wie die Perspektiven in und von einem Ort des Terrors.
Die Botschaft, die die Nachgeborenen nach einem Besuch einer Gedenkstätte außer dem Tatsachenwissen mitnehmen, ist dabei längst nicht mehr nur auf die Angst gerichtet, in Deutschland könnten sich diese Verbrechen wiederholen. Die Ermunterung zu Zivilcourage und Solidarität und die Mahnung zur Wachsamkeit, schon bei ersten Anzeichen von Verbrechen nicht wegzuschauen, richten sich heute an alle Menschen und auf alle Teile der Erde, in denen Menschenrechte bedroht sind.
Autorin: Bettina Altendorf
Links
Portal zu NS Gedenkstätten in Deutschland
Der Gedenkstättenrundbrief zu Ereignissen, Themen und aktuellen Diskussionen der Gedenkstättenarbeit.
Literatur
Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung – Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit. Frankfurt/M. 1999 (mit umfangreichem Literaturverzeichnis)
Asmuss, Burkhard; Hinz, Hans-Martin (Hg.): Zum Umgang mit historischen Stätten aus der Zeit des Nationalsozialismus – Symposium im Deutschen Historischen Museum. Berlin 1999
Bundesverband Museumspädagogik e.V. (Hg.), Zeitschrift „Standbein-Spielbein“ No. 27, August 2005: Pädagogik in Gedenkstätten.