Die Wehrmachtsausstellung der 90iger Jahre bezeichnet eine Wanderausstellung, welche vom Hamburger Institut für Sozialforschung zwischen den Jahren 1995 bis 1999 ausgerichtet wurde. In den Jahren 2001 bis 2004 wurde eine zweite Wanderausstellung inszeniert. Die Ausstellung fokussierte den Vernichtungskrieg des Hitler-Regimes sowie die Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944. Sie rekonstruierte die verbrecherischen Handlungen der deutschen Wehrmacht an der Ostfront und führte zu einer breiten Diskussion in der Öffentlichkeit.
Die Vorgeschichte der ersten Wanderausstellung 1995 – 1999
Bereits vor dem Jahr 1991 stellte der 50. Jahrestag des deutschen Angriffs auf den östlichen Nachbarn, die Sowjetunion, ein viel debattiertes Thema in der deutschen Medienlandschaft dar. Zahlreiche Gruppen führten Projekte zum Gedenken an den 22. Juni des Jahres 1941 durch. So veröffentlichte etwa eine evangelische Arbeitsgemeinschaft den Sammelband „Brücken der Verständigung“, welcher breit rezipiert wurde. Allerdings sollte der Gedenktag auch breiteren Bevölkerungsschichten, insbesondere Jugendlichen und Schülern, ins Bewusstsein gehoben werden. Außerdem sollten die Ergebnisse der neueren historischen Forschung zu dem Thema, die sich vor allem auf die Kriegsopfer der Sowjetseite sowie die deutschen Pläne der Massenvernichtung bezogen, vermittelt werden. Ziel war es, die ideologischen und gesellschaftlichen Motivationsstrukturen, welche deutsche Führungseliten zur Partizipation am Verbrecherregime brachten, nachzuvollziehen. In diesem Rahmen wurde in Berlin von Reinhard Rürup eine Ausstellung mit dem Titel „Der Krieg gegen die Sowjetunion“ gestaltet, welche jedoch außerhalb der Hauptstadt wenig bis keine Beachtung fand.
Fakten zur ersten Wehrmachtsausstellung
Die erste der beiden Wehrmachtsausstellungen hieß „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Am 5. März des Jahres 1995, also ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, wurde sie zunächst als kleinere Ausstellung in Hamburg eröffnet. Bis zum 4. November des Jahres 1999 wurde die Ausstellung in insgesamt 34 österreichischen und deutschen Städten gezeigt: in Berlin, in Potsdam, in Stuttgart, in Wien, in Innsbruck, in Freiburg, in Mönchengladbach, in Essen, in Erfurt, in Regensburg, in Klagenfurt, in Nürnberg, in Linz, in Karlsruhe, in München, in Frankfurt am Main, in Bremen, in Marburg, in Konstanz, in Graz, in Dresden, in Salzburg, in Aachen, in Kassel, in Koblenz, sowie in Münster. Weitere Ausstellungsorte waren die Städte Bonn, Hannover, Kiel, Saarbrücken, Köln, ein zweites Mal Hamburg und zuletzt Osnabrück.
Die Ausstellung wurde von bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der politischen Klasse mit Reden eröffnet. So sprach Klaus von Bismarck zur Eröffnung in Hamburg, Iring Fetscher ergriff in Potsdam das Wort, Erhard Eppler hielt eine Rede in Stuttgart. In München sprach Christian Ude, in Frankfurt Hans Eichel, in Marburg Hans-Jochen Vogel, in Salzburg Franz Vranitzky, in Aachen Avi Primor und in Bonn Johannes Rau.
Innerhalb der vier Jahre ihrer Dauer wurde die erste Wehrmachtsausstellung von schätzungsweise 900.000 Menschen besucht, wobei sämtliche Bevölkerungsschichten, Altersstufen und Berufsgruppen vertreten waren. Die Furcht, dass die Veranstaltungen eher bürgerliche Interessenten anziehen könnte, während große Teile der Restbevölkerung außen vor bleiben würden, bestätigte sich also nicht. Aber nicht nur im deutschsprachigen Raum fand die Ausstellung große Beachtung. Auch international wurde sie reichlich rezipiert. Der allgemeine Andrang erreichte im Jahre 1997 seinen Höhepunkt, sodass mehrstündige Wartezeiten vielerorts zur Norm und der Ausstellungskatalog zum Bestseller wurden.
Die Ausstellung wurde darüber hinaus von mehr als 80 weiteren Städten angefordert, sodass ursprüngliche Planungen bis zum Jahr 2005 reichten. Die Wehrmachtsausstellung sollte auch im nicht deutschsprachigen Ausland gezeigt werden. Zu den größten Interessenten zählen Australien, China, Frankreich, Großbritannien, Italien und Israel. 1999 wurden zu diesem Zweck eine englische Version der Ausstellung sowie des Ausstellungskatalogs angefertigt.
Hauptaussagen und Mitwirkende der ersten Wehrmachtsausstellung
Die Ausstellung wurde von vier namhaften Historikern mehr als ein Jahr lang vorbereitet: von Hannes Heer, Bernd Boll, Walter Manoschek und Hans Safrian. Die Präsentation der Inhalte sowie weitere visuelle Gestaltungsaspekte wurden von Christian Reuther und Johannes Bacher verantwortet. Die Gesamtleitung hatte Hannes Heer inne.
Insgesamt wurden mehr als 400 m² Schautafeln verwendet, um zahlreiche Dokumente und Fotografien auszustellen. Dabei stellte die „Bilderwelt der Nachkriegsjahre“ einen wesentlichen Schwerpunkt dar. Die für die Ausstellung zentralen Kriegsschauplätze waren Serbien im Partisanenkrieg, der Weg der 6. Armee nach Stalingrad sowie die jahrelange Besetzung Weißrusslands. Hierbei ging es darum, den „Mikrokosmus der militärischen Gewalt“, welcher sich gegen Kriegsgefangene, Juden, Partisanen und weitere Zivilisten gleichermaßen richtete, zu dokumentieren. Außerdem wurde gezeigt, wie beim Truppenabzug versucht wurde, die Verbrechen der Wehrmacht zu verwischen. Den Kern der Ausstellung bildete eine Installation, welche in Form eines Eisernen Kreuzes eingerichtet war. Diese beinhaltete kleinformatige Fotografien, welche kommentarlos zur Schau gestellt wurden. Lediglich Überschriften, wie „Genickschüsse“, „Judenquälen“, „Galgen“ und „tote Zonen“ wurden angebracht.
Auf diese Weise wurde die Beteiligung des deutschen Heeres – ausdrücklich nicht nur der Waffen SS! – in vier kardinalen Bereichen ans Licht geführt: erstens der Vernichtung und Hinrichtung sowjetischer Kriegsgefangener, zweitens den Massenmorden an der Zivilbevölkerung der besetzten Zonen, drittens der Plünderung und Ausraubung der okkupierten Gebiete sowie viertens am Holocaust selbst.
Die deutsche und internationale Öffentlichkeit hatte somit zum ersten Mal die Möglichkeit, historisch zwar gut erforschte, jedoch bisher wenig verbreitete und daher allgemein unbekannte Aspekte des deutschen Vernichtungskrieges zur Kenntnis zu nehmen. Dies umfasste den Anfang des Holocausts, welcher in den Besatzungsregionen durch die Wehrmachtsführung mitgeplant und durchgeführt wurde, die Einbindung großer Truppenteile an diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie den in allen Teilen und auf allen Hierarchieebenen der Wehrmacht grassierenden Rassismus und Antisemitismus. Erschütternd war dabei auch die Erkenntnis, dass Widerstand so gut wie nie vorkam. Stattdessen wurden die verbrecherischen Befehle weitgehend widerspruchsfrei ausgeführt, was in der millionenfachen und fabrikmäßigen Hinrichtung der osteuropäischen Zivilbevölkerung einen grausamen Höhepunkt fand.
Die Reaktionen auf die erste Wehrmachtsausstellung aus Medien, Politik und Wissenschaft
In den Medien wurde die erste Wehrmachtsausstellung weitgehend positiv bewertet, weil sie die Legende der sauberen Wehrmacht endgültig zerstört hatte. Das führte zu zahlreichen Kontroversen, die nicht nur aber zu großen Teilen politisch motiviert waren. Zu unvorstellbar schien es, dass „plötzlich“ fast jedermanns Vater oder Großvater bereits als einfacher Soldat pauschal als (Mit-)Täter in einem Vernichtungskrieg gerechnet wurde. Zu dunkel war der Schatten, der sich damit auf die Bundeswehr warf, die in Teilen an die Tradition der Wehrmacht anknüpfte.
So kritisierte beispielsweise Rüdiger Proske, dass der Feldzug gegen die Sowjetunion vor allem imperialistisch motiviert gewesen sei und nicht in erster Linie einen Vernichtungskrieg darstellte. Er befürchtete eine gesellschaftliche Stigmatisierung der Bundeswehr. Er selbst sah die alleinige Verantwortung der schrecklichen NS-Verbrechen bei der SS, wohingegen die Übergriffe der Wehrmacht aus Stalins brutaler Kriegsführung resultierten. Er forderte sowohl den deutschen Kanzler als auch alle Abgeordnete des Bundestages sowie die Kultusminister und Bürgermeister der Ausstellungsorte auf, sich öffentlich von der Ausstellung zu distanzieren.
Auch in der Politik führte die Ausstellung zu zahlreichen Verwerfungen. Allein die Absicht, sie zeigen zu wollen, verursachte in einigen Städten anhaltende Konflikte. Während die Befürworter die notwendige und detaillierte Aufklärung der Kriegsverbrechen deutscher Soldaten lobten, sahen ihre Kritiker sie als pauschalisierende Verleumdung aller Wehrmachtsangehörigen an. Diese Konfliktlinie verlief häufig entlang von Parteilinien und führte etwa in Bremen beinahe zum Bruch der großen Koalition aus CDU und SPD. Auch in München und Nürnberg rief die erste Wehrmachtsausstellungen heftige Reaktionen hervor, sodass der Nürnberger Oberbürgermeister die Schirmherrschaft über die Ausstellung zurückgab.
Aus wissenschaftlicher Sicht wurde darauf hingewiesen, dass die Ausstellung kaum neue Forschungsergebnisse präsentiere. Der Historiker Bogdan Musial belegte eine Reihe von Interpretations- und Zuordnungsfehlern bei den verwendeten Bildern.
Die Reaktionen auf die Kritik an der ersten Wehrmachtsausstellung
Die Kritik an der Ausstellung sowie das darauf hin anschwellende Medienecho bewogen den Institutsleiter Jan Reemtsma, die Ausstellung am 4. November 1999 zur Überarbeitung auszusetzen. Zu diesem Zweck wurde eine neue, sechsköpfige Historikerkommission gebildet.
Die Untersuchungskommission kam zu dem Ergebnis, dass die erste Wehrmachtsausstellung einige sachliche Fehler als auch Ungenauigkeiten und Flüchtigkeitsfehler enthalte. Gleichzeitig wurde jedoch hervorgehoben, dass die Grundaussagen der ersten Ausstellung über die Wehrmachtsverbrechen an der Ostfront nach wie vor richtig seien.
2001 bis 2004 wurde eine die Ausstellung in einer weiterentwickelten Konzeption – ohne Hannes Heer – neu gezeigt und erzeugte mit insgesamt 450.000 Besuchern erneut ein gewaltiges öffentliches Interesse. Bei aller Kritik ist die Wehrmachtsausstellung bis heute ein wichtiger Eckstein der Aufarbeitung deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg
Die Bundestagsdebatte zur Wehrmachtsausstellung
Zu den wichtigen Stunden der deutschen Demokratie gehörte die Bundestagsdebatte, die zur Wehrmachtsausstellung am 13. März 1997 in Bonn stattfand. Eine bewegte Diskussion, in der Denklinien von „Niederlage“ und „Befreiung“, die Friedrich von Weizsäcker in seiner Rede am 8. Mai 1985 angestoßen hatte noch kontrovers diskutiert wurden.
Den sicher wichtigsten Beitrag hielt der Abgeordnete Otto Schily, der nicht nur in seiner persönlichen Emotionalität einmalig ist. Ihm gelingt als einzigem sich aus der deutschen Innenperspektive zu befreien, in der die meisten Diskutanten nach wie vor gefangen waren.
„Gestatten Sie mir an dieser Stelle einige persönliche Bemerkungen. Mein Onkel Fritz Schily, ein Mann von lauterem Charakter, war Oberst der Luftwaffe. Zum Ende des Krieges war er Kommandeur eines Fliegerhorstes in der Nähe von Ulm. Er suchte in Verzweiflung über die Verbrechen des Hitler-Regimes bei einem Tieffliegerbeschuß den Tod.
Mein ältester Bruder Peter Schily verweigerte sich der Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend und versuchte zunächst ins Ausland zu fliehen. Da ihm das nicht gelang, meldete er sich freiwillig an die Front. Er wurde nach kurzer Ausbildung als Pionier im Rußlandfeldzug eingesetzt, erlitt schwere Verwundungen und verlor ein Auge sowie die Bewegungsfähigkeit eines Armes.
Mein Vater, eine herausragende Unternehmerpersönlichkeit, dem ich unendlich viel für mein Leben verdanke, war ein erklärter Gegner des Nazi-Regimes, empfand es aber als Reserveoffizier des Ersten Weltkrieges als tiefe Demütigung, daß er auf Grund seiner Mitgliedschaft in der von den Nazis verbotenen anthroposophischen Gesellschaft nicht zum Wehrdienst eingezogen wurde. Erst später hat er die Verrücktheit – ich verwende seine eigenen Worte – seiner damaligen Einstellung erkannt.
Der Vater meiner Frau, Jindrich Chajmovic, ein ungewöhnlich mutiger und opferbereiter Mensch, hat als jüdischer Partisan in Rußland gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft.
Nun sage ich einen Satz, der in seiner Härte und Klarheit von mir und uns allen angenommen werden muß: Der einzige von allen vier genannten Personen – der einzige! -, der für eine gerechte Sache sein Leben eingesetzt hat, war Jindrich Chajmovic. Denn er kämpfte gegen eine Armee, in deren Rücken sich die Gaskammern befanden, in denen seine Eltern und seine gesamte Familie ermordet wurden. Er kämpfte gegen eine Armee, die einen Ausrottungs- und Vernichtungskrieg führte, die die Massenmorde der berüchtigten Einsatztruppen unterstützte oder diese jedenfalls gewähren ließ. Er kämpfte, damit nicht weiter Tausende von Frauen, Kindern und Greisen auf brutalste Weise umgebracht wurden. Er kämpfte gegen eine deutsche Wehrmacht, die sich zum Vollstrecker des Rassenwahns, der Unmenschlichkeit des Hitler-Regimes erniedrigt und damit ihre Ehre verloren hatte.“ (Quelle s.u.)
Quellen / Literatur
Podcast: Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ eröffnet (am 5.3.1995 ). WDR ZeitZeichen. 05.03.2020. 14:39 Min. Verfügbar bis 03.03.2090 WDR 5
Hartmann, Christian; Hürter, Johannes; Jureit, Ulrike (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. München 2005.
Hamburger Institut für Sozialforschung: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 – 1944. Ausstellungskatalog, Hamburg 2002.