Arthur Seyss-Inquart – Hitlers österreichischer Verbindungsmann und Schreibtischtäter, Verantwortlich für das Schicksal der Niederländischen Juden 1940-1945
Der vom selbst aus Österreich stammenden Adolf Hitler (1889 – 1945) stets angestrebte Anschluss des deutschsprachigen Teiles Österreich-Ungarns und später der Republik Österreich, wäre nicht möglich gewesen, hätte Hitler im nationalsozialistischen Rechtsanwalt und Politiker Arthur Seyß-Inquart (1892 – 1946) nicht einen willfährigen Verbündeten gehabt, der die eigene Bevölkerung auf Hitler und den Nationalsozialismus einschwor. Dabei war Seyß-Inquart anders als Hitler oder Joseph Goebbels (1897 – 1945) kein lautstarker Hetzer, sondern ein ruhiger Bürokrat, der seine Massaker vom Schreibtisch aus beging. Denn nach Österreich fielen ihm zuerst Polen und dann die Niederlande zum Opfer.
Arthur Seyß-Inquart wurde am 22. Juli 1892 in Stannern in Mähren, dem heutigen Stonarov, damals Österreich-Ungarn, heute Tschechien, als Sohn des Gymnasialdirektors Emil Seyß-Inquart (1841 – 1921) und dessen Frau Auguste (geb. Hyrenbach) als jüngstes von sechs Kindern geboren. Den Namen Inquart erhielt er erst mit 14 Jahren durch eine Namensübertragung von seinem Großonkel Heinrich Ritter von Inquart (1816 – 1896), Hofrat der Finanzverwaltung. Nach seinem Schulabschluss studierte Arthur Seyß-Inquart in Wien Jura, konnte aber erst während eines Fronturlaubes 1917 zum Dr. iur. promovieren, da er ab 1915 bis Kriegsende in einem Regiment der K.u.k. Kaiserjäger der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg kämpfte, wobei er bis zum Oberleutnant der Reserve aufstieg. Nach eigener Aussage formte sich während der Kriegsjahre sein Antisemitismus aus. 1916 heiratete er seine langjährige Partnerin Gertrud Maschka. Das Paar hatte drei Kinder. 1921 ließ Seyß-Inquart sich dann in Wien mit einer eigenen Anwaltskanzlei nieder.
Erste Schritte in die Politik machte Seyß-Inquart in katholisch-nationalen Verbänden wie der Deutschen Gemeinschaft, der auch sein späterer Gegner und Begründer des Austrofaschismus Engelbert Dollfuß (1892 – 1934) angehörte. Wie Hitler forcierte Seyß-Inquart einen Anschluss der österreichischen Heimat an das vermeintliche Mutterland, das Deutsche Reich. Während der Führer darüber in seinem Buch „Mein Kampf“ fabulierte, das er während seiner Festungshaft 1924/25 in Landsberg am Lech seinem Sekretär Rudolph Heß (1894 – 1987) diktierte, übernahm Seyß-Inquart den Parteivorstand des Deutsch-Österreichischen Volksbunds und trat dem Steirischen Heimatschutz bei. Erst sechs Jahre später, ab 1931 also, baute er dann Kontakte zum österreichischen Ableger der NSDAP auf, der er jedoch erst 1938 beitrat. 1932 wurde Dollfuß, der den Faschismus nach Hitlers Prägung ablehnte, österreichischer Bundeskanzler und schaltete die demokratischen Strukturen in seinem Land sowie die politischen Gegner binnen eines Jahres aus. 1934 nahm er Kontakt zu seinem einstigen Weggefährten und jetzigen Konkurrenten Seyß-Inquart auf und es kam zu zwei Treffen der beiden faschistischen Politiker im Juli desselben Jahres. Unmittelbar danach versuchten die österreichischen Nazis, im Juliputsch die Macht an sich zu reißen. Obwohl sie Dollfuß im Zuge des Putschversuches ermordeten, blieb es bei einem Versuch, denn der Putsch scheiterte genauso wie Hitlers Putsch im November 1923.
Zunächst löste Dollfuß‘ Stellvertreter, der bisherige Justizminister Kurt Alois Josef Johann Schuschnigg (1897 – 1977) Dollfuß als Bundeskanzler des austrofaschistischen Ständestaats ab und regierte weiterhin diktatorisch – bis zum 11. März 1938. Seyß-Inquart war inzwischen auf Drängen des Deutschen Reiches in den österreichischen Staatsrat berufen worden, um eine Verbindung zur „nationalen Opposition“ in Österreich aufzubauen. Nach Seyß-Inquarts Beitritt zur in Österreich nun verbotenen NSDAP hatte Hitler Kurt Schuschnigg am 12. Februar unverhohlen mit einem Einmarsch der Wehrmacht gedroht, wenn jener das Verbot der NSDAP nicht aufhebe und die Partei an der Regierung beteilige. Schuschnigg gab nach und übertrug Seyß-Inquart vier Tage später das Ministerium für innere Verwaltung und Sicherheit. Eine machtvolle Position, denn als Innen- und Sicherheitsminister verfügte Seyß-Inquart über die österreichische Polizei. Letztlich hatte Schuschnigg damit auch nur das Unvermeidliche hinausgezögert, was von den Nazis wirklich angestrebt wurde: Am 11. März 1938 sah Schuschnigg sich dann nämlich zum Rücktritt gezwungen.
Seyß-Inquart trat Schuschniggs Nachfolge als neuer Bundeskanzler an und bildete noch am selben Tag eine nationalsozialistische Bundesregierung. Die unterstützte nicht nur die Anbindung Österreichs ans Deutsche Reich, sondern berief die schon im Anmarsch befindlichen deutschen Truppen ganz offiziell ins Land. Ganz nach dem Vorbilde Hitlers übernahm Regierungschef Seyß-Inquart, nun auch SS-Mitglied (SS-Nummer 292.771, Beitritt am 12. März 1938), zwei Tage später auch die Vollmachten des Staatsoberhauptes vom bisherigen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas (1872 – 1956), der aus Protest zurücktrat. Miklas hatte die Unterschrift unter Hitlers Gesetz zum Anschluss Österreichs, die Hitlers „Anschluss-Marionette“ Seyß-Inquart natürlich willfährig leistete, verweigert. Die Folge: Die staatlichen Einrichtungen Österreichs wurden allesamt den Behörden des Deutschen Reiches unterstellt bzw. von ihnen übernommen. Damit einhergehend wurden sämtliche Beamte im österreichischen Staatsdienst nun auf Adolf Hitler als ihren neuen obersten Dienstherr vereidigt. Seyß-Inquart wurde am 16. März 1938 zum Reichsstatthalter und stieg dabei zum SS-Rang eines Obergruppenführers auf. In den Folgemonaten organisierte der neue Reichsstatthalter die Enteignung jüdischer Bürger und die Deportation politischer Gegner in Konzentrationslager.
Mit dem Ostmarkgesetz, das am 1. Mai 1939 in Kraft trat, wurde dann das letzte bisschen österreichische Souveränität beendet: Die österreichische Regierung wurde aufgelöst und Seyß-Inquart wurde als Reichsminister ohne Geschäftsbereich Teil von Hitlers Kabinett. Vier Monate danach überfielen die Truppen des NS-Regimes Polen: Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Am 12. Oktober, also sechs Wochen nach Kriegsbeginn, ernannte man ihn zum Stellvertreter des Generalgouverneurs Hans Frank (1900 – 1946) in den besetzten polnischen Gebieten. Obgleich Frank, der sich ganz klar als einer der gewissenlosesten und grausamsten Nazis einstufen lässt (was schon etwas heißt, wenn unter Nazis mit derartigen „Qualitäten“ besonders heraussticht), trägt dessen Regime ganz klar die Handschrift seines wohl noch ruchloseren Stellvertreters, der sich für die Vernichtung der polnischen Führungsschicht sowie die Ausplünderung und Verschleppung der Bevölkerung verantwortlich zeigte. Dabei blieb er Schreibtischtäter, ein konsequenter und durchaus intelligenter Planer, der aus fanatischer Überzeugung heraus Menschen mit einem Federstrich richtete.
Am 29. Mai 1940 teilte Hitler Seyß-Inquart, der ein aus seiner Sicht großes Geschick bei der Einschwörung der Österreicher auf die nationalsozialistische Idee gezeigt hatte, einen neuen Aufgabenbereich zu und ernannte ihn zum Reichskommissar in den besetzten Niederlanden. Hier ließ Seyß-Inquart eine ähnliche Gangart walten wie zuvor in Polen: Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften, Ausbeuten der Wirtschaft, Verfolgung des Widerstands, Hinrichtung Gefangener durch Erschießung und die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Konzentrationslager. Im Detail heißt das etwa, dass der nun zum regulären SS-Obergruppenführer ernannte Seyß-Inquart den Zwangsarbeitsdienst am 28. Februar 1941 einführte und am 22. September desselben Jahres das Inkrafttreten der zuvor schon im Deutschen Reich geltenden Erlasse in Bezug auf Juden auch in den Niederlanden anordnete. Doch anders als die Österreicher setzten die Niederländer sich gegen ihre neuen Herren zu Wehr. Dies gipfelte am 30. April 1943 in einem Generalstreik gegen die erneute Internierung von Zwangsarbeitern, woraufhin Seyß-Inquart den Ausnahmezustand verhängte. Am 30. Juli 1944 richtete Seyß-Inquart auf Grundlage eines Befehls Hitlers ein nie dagewesenes Blutbad an, bei dem er Widerständler direkt den Händen der Gestapo überantwortete – nicht zum Verhör, sondern zur Erschießung, deren Befehle er detailliert ausarbeitete und dabei oftmals vermutlich eher willkürlich festlegte, wie viele der Widerstandsakteure erschossen werden sollten.
In seinem einen Tag vor seinem Suizid, also am 29. April 1945, verfassten „Politischen Testament“ setzte Hitler Seyß-Inquart als neuen Außenminister anstelle von Joachim von Ribbentrop (1893 – 1946) ein und befahl ihm, in den Niederlanden nur verbrannte Erde zu hinterlassen. Doch Seyß-Inquart, der zuvor schon mit der gezielten Überflutung von Teilen der Niederlande gedroht hatte, kam dem Befehl nicht nach und wollte sich nach Flensburg absetzten. Doch wurde er bald von kanadischen Truppen in Den Haag festgenommen und dann an die militärische Justiz überstellt. Es folgte die Anklage bei den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher. Nach außen gab sich Seyß-Inquart zunächst als geläuterter Katholik, doch die Schriften, die er während der Haft verfasste, zeigen, dass er dem Nationalsozialismus einschließlich der antisemitischen Vernichtungspolitik weiter treu ergeben war. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich bei seinen Schlussworten im Prozess noch einmal zu Hitler und dem Deutschen Reich bekannte. Er wurde in den Anklagepunkten (2) Verbrechen gegen den Frieden, (3) Kriegsverbrechen und (4) Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden und zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde am 16. Oktober 1946 vollstreckt und der glühende Nationalsozialist hingerichtet.
Literatur
Johannes Koll: „Arthur Seyß-Inquart und die deutsche Besatzungspolitik in den Niederlanden“ (1940–1945). Böhlau, Wien [u. a.] 2015.
Wolfgang Rosar: „Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluß“. Europa-Verlag, Wien 1971.
Forschungsprojekt an der Uni Wien