Kollaborateur Hitlers oder „ukrainischer Schindler“?
60 Jahre nach Kriegsende hat sich in Europa eine gewisse Normalität der Einschätzungen und Wertungen eingespielt. Es hat keinen Sinn und führt zu nichts Gutem, nach so vielen Jahren noch Fragen diskutieren oder gar beantworten zu wollen, die vor sechs Jahrzehnten die Politik und den Alltag bestimmten: Territoriale Veränderungen bei Ländern, Vertreibungen und Repatriierungen bei Millionen Menschen, Suche und Verurteilung von Kriegsverbrechern, Reparationen und Wiedergutmachungen zwischen Staaten und Völkern.
Damit soll keinen „Schlussstrich“-Erwägungen das Wort geredet werden. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass Verluste an Territorium, Volk, Heimat, Eigentum etc. allgemein mehr oder minder akzeptiert, hingenommen oder verdrängt wurden, schaffte Raum, sich auch und endlich an Phänomene und Personen zu erinnern, die Ausgangspunkte und Initiatoren eines neuen Zueinander sein können – wenn sie erst einmal vom „Schutt“ einseitiger Wertungen und vorschneller Urteile befreit sein werden.
Das betrifft insbesondere das leidvolle Problem der Kollaboration, die nur scheinbar eindeutig ist. Tatsächlich umfasst sie einen schier unüberblickbar breiten Rahmen von Formen, Vorbehalten und Verweigerungen im Umgang mit dem Okkupator. Der Okkupator war Hitler, der Ausgangspunkt jedweder Kollaboration der von ihm entfesselte Zweite Weltkrieg. Gegenüber Hitler gab es nur drei Verhaltensweisen bei den Opfern: Zum einen die totale Unterwerfung und Identifikation mit dem „Sieger“, zum zweiten der totale Widerstand, etwa mittels Partisanenkampf. Diese beiden Positionen wurden natürlich nur von Minderheiten bezogen – gemessen an der Gesamtzahl der Kriegsopfer gab es überall nur relativ wenige „echte“ Kollaborateure und eine vergleichsweise geringe Zahl entschlossener Widerstandskämpfer.
Bleibt die dritte Form der gewissermaßen „Kollaboration mit Hintergedanken und Nebenabsichten“, der wir uns erst langsam nähern. Es handelt sich aber auch um ein ungemein kompliziertes, schwer fassbares und höchst arbeitsintensives Problem, wie gerade in diesen Herbsttagen 2005 ein Beispiel aus der Ukraine verdeutlicht. Es geht um Andrzej Szeptycki (Andrej Šeptic’ki), Metropolit (Erzbischof) der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (Ukraïns’ka Greko-Katolic’ka Cerkva, UGKC). Im Zweiten Weltkrieg hat dieser Geistliche mindestens 150 Juden, vor allem Kinder, vor dem Tode gerettet, weswegen in Israel gefordert wurde, die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem solle ihn mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ auszeichnen. Leiter der Gedenkstätte ist derzeit Prof. Szewach Weiss, vormals Präsident des Parlaments (Knesset) und israelischer Botschafter in Polen. Gewiß nicht ohne sein Zutun lehnte Yad Vashem die Forderung ab, weil Szeptycki die Truppen der deutschen Invasoren als „Befreier unseres Volks“ feierte und mit ihnen kollaborierte.
Weiss’ Bruder Aharon hat, zusammen mit anderen, für Jahresende 2005 in der Ukraine eine Historiker-Konferenz organisiert, die zu einem eindeutigen Urteil über den ukrainischen Kirchenfürsten kommen soll. Wird sie es können? Wird sie, falls ihr Urteil überwiegend positiv ausfällt, Yad Vashem überzeugen können? Dessen Kriterien sind außerordentlich streng, werden zudem von einer Kommission überprüft, an deren Spitze das Oberste Gericht des Staates Israel steht.[1] Noch besteht bei Yad Vashem kaum Bereitschaft, Szeptycki zu ehren – wer sich wie er über deutsche Truppen äußerte, kann nicht den Titel „Gerechter unter den Völkern“ tragen?
Biographie Szeptyckis
Andrzej (Andrej) wurde als Roman Maria Aleksander Szeptycki am 25. Juli 1865 in Przyłbice (Ost-Galizien) geboren. Sein Vater Jan Kanty Szeptycki war ein ukrainisierter Russe, seine Mutter Zofia eine Polin, die ihre sieben Söhne in streng römisch-katholischer Religiosität erzog. 1883 beendete Andrzej das Sankt-Anna-Gymnasium in Krakau, im Herbst desselben Jahres begann er seinen Wehrdienst bei einem Ulanen-Regiment in Krakau. Nach wenigen Monaten erkrankte er an Scharlach und wurde aus der Armee entlassen. Danach wollte er Geistlicher der Griechisch-Katholischen Kirche werden, was seinen Eltern nicht gefiel. Der Vater zwang ihn, zuerst ein Studium zu beenden. Szeptycki studierte 1884–1887 Jura und Theologie an den Universitäten Krakau und Breslau und promovierte zum Doktor der Rechte. Jetzt erlaubte der Vater eine geistliche Karriere, und der Sohn trat 1888 dem Orden des Heiligen Basilius des Großen (Ordo Sancti Basilii Magni, OSBM) bei, in dem er den Mönchsnamen Andrej annahm, also den Namen des Patrons der orthodoxen Christen. Der Orden geht auf den Heiligen Basilius den Großen (329–379) zurück, einen der wichtigsten Geistlichen der Oströmischen Kirche. 1888–1890 studierte Szeptycki in München und Wien weiter, kurz darauf schickte der Ordens-General ihn nach Bulgarien, wo er mit großem Erfolg die dortige Unierte Kirche reformierte. Am 19. Juni 1899 wurde er zum Bischof in Stanisław geweiht, am 29. Oktober 1900 von Papst Leo XIII. zum Metropoliten von Galizien und Lodomerien ernannt.
Das Königreich Galizien-Lodomerien war seit der ersten Teilung Polens (1772) Teil der Habsburger Monarchie, die UGKC ist die Rechtsnachfolgerin der Staatskirche im (altrussischen Kernland) Kiewer Rus’, in welchem Fürst Wladimir (Volodimir) der Große 988 das Christentum einführte. Nach dem Schisma von 1054, als sich West- und Ost-Rom trennten, blieb sie bei ihrem oströmisch-byzantinischen Ritus, hielt aber an der Einheit des Christentums fest und unterstellte sich partiell dem Papst in Rom, hierin grundverschieden von den östlichen Orthodoxen, die ihr anderweitig sehr ähnlich sind. 1566 bestätigte die Kirche, unter dem mittelbaren Druck der Reformation in Europa, ihre Loyalität mit Rom, beharrte aber auch auf ihrem „traditionellen östlichen Ritus“ und ihrer „ethno-kulturellen Unabhängigkeit“. Sichtbares Zeichen dessen ist bis zur Gegenwart die kirchensprachliche Dominanz des Griechischen, vor allem aber des sog. Altkirchenslavischen, also der altslavischen Koiné (Gemeinsprache), geschrieben in dem (reformierten) Alphabet der „Slavenapostel“ Kyrill und Method aus dem 9. Jahrhundert.
Ab dem 16. Jahrhundert verstärkte sich der Druck der Russischen Orthodoxen Kirche auf die UGKC, was dieser große Verluste verursachte, sie aber auch zur wahren Nationalkirche machte: Zu ihr zu halten, bedeutete, „Ukrainophiler“ und Gegner des großrussischen Imperialismus zu sein. Diese Rolle spielte sie auch, als später west-ukrainische Territorien unter polnische bzw. österreichisch-ungarische Herrschaft kamen. Ab 1774, als die Bezeichnung „griechisch-katholisch“ offiziell wurde, spielte sich eine ethnogenetische Symbiose zwischen Kirche und Volk ein: Aus dem vage religiös formierten Ethnikum der „Ruthenen“ wurde die selbstbewusste Nation der „Ukrainer“ – eine Transformation, die von der UGKC geleitet wurde und die sie selber mitmachte. Die Österreicher waren damit sehr zufrieden und förderten die Kirche, u. a. mit der Schaffung eines theologischen Seminars in der Hauptstadt Lemberg (Lviv) durch Joseph II. in den 1780er Jahren. 1900 umfaßte das Königreich 78.496 km² mit 7,47 Millionen Einwohnern, davon die meisten Ukrainer. Natürlich wollte Wien nur polnische und russische Einflüsse auf die Ukraine minimieren, aber dank der überragenden Führung durch Metropolit Szeptycki, der von 1901 bis 1944 oberster Kirchenfürst der Ukraine war, ging die nationale Affirmation der Ukrainer in aufsteigender Linie weiter.
Szeptycki war Angeordneter im „Herrenhaus“ des Wiener Parlaments und nutzte seine Position dazu, Vorteile für „seine“ Ukrainer zu erlangen – etwa durch die Gründung der Zeitung „Junge Ukraine“ oder die Schaffung des „Ukrainischen Nationalmuseums“ in Lviv. Im Ersten Weltkrieg eroberten die Russen die Stadt, Szeptycki wurde 1914 festgenommen und nach Kiew, später Nishny Nowgorod und Kursk deportiert. Die Provisorische russische Regierung, die nach der ersten Revolution in Russland gebildet worden war, setzte ihn im März 1917 auf freien Fuß, und am 10. September 1917 kehrte er im Triumph nach Lviv zurück.
Bis etwa 1921 ging der Kirchenmann ein politisches Engagement ein, das im Grunde eine schiere Torheit war, in einem weiteren Sinne aber ein milderes Licht auf Szeptycki als Kollaborateur wirft. Er unterstützte den Erzherzog Wilhelm von Österreich-Toskana (1895– vermutlich 1949, Bild) bei dessen Bemühungen, König der Ukraine oder wenigstens des ukrainischen Ostgaliziens zu werden. Wilhelm, bei Ukrainern nur Wyszywany („der Geschniegelte“) genannt, war zwar ein aufrichtiger Freund der Ukrainer, aber seine Pläne (also auch die Szeptyckis) waren reiner Nonsens: Das nach 123 Jahren Unfreiheit und Teilung restituierte Polen führte bis Juli 1919 Krieg mit der West-Ukrainischen Volksrepublik, schlug ein Jahr später die bolschewistischen Angreifer zurück und bekam im März 1923 die internationale Bestätigung seiner Ostgrenze, innerhalb derer auch Ostgalizien lag.[2] In diesen Kriegen und Konflikten hatte sich Szeptycki als kirchlicher Führer stets für ukrainische Belange eingesetzt, und das in einem „groß-ukrainischen“ Sinne: Einen unabhängigen ukrainischen Staat wollte er, der Galizien und die ukrainischen Regionen bis zum Dnjepr und darüber hinaus einschloß. In dieselbe Richtung wiesen auch groß-polnische Träume, die ein „Polen von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer“ erstrebten.
Unter diesen Umständen war es für Metropolit Szeptycki ratsam, erst einmal „abzutauchen“. Von 1921 bis 1923 war er auf Reisen, die ihn bis nach Kanada, USA und Süd-Amerika führten. Überall dort gab es größere ukrainische Diaspora-Gruppen, mit denen er Gespräche über eine „künftige ukrainische Staatlichkeit“ führte. Das nahm man ihm in Warschau übel, und als er im August 1923, aus der Tschechoslowakei kommend, die polnische Grenze überschritt, wurde er in Poznań (Posen) inhaftiert und durfte erst am 5. Oktober 1923 nach Lviv zurückkehren. Fortan waren ihm für einige Jahre Auslandsreisen untersagt, vor allem zu den Ökumenischen Kongressen, die er seit 1907 geleitet hatte. Erst 1927 durfte er wieder unbegrenzt reisen.
In den 1930-er Jahren konzentrierte sich Szeptycki mit zwei Absichten auf kirchliche Belange. Er wollte die UGKC zu einer geistigen Pflanzstätte der ukrainischen Jugend machen, wofür er den Beistand von Intellektuellen wie dem Historiker Kost Lewicki (1859–1941, Bild rechts) gewann. Szeptycki gründete eine „Theologische Wissenschaftliche Gesellschaft“, eine „Griechisch-Katholische Theologische Akademie“ und andere Institutionen dieser Art. Zum zweiten wollte er Ukrainer im benachbarten Ausland an die UGKC binden, wobei er vor allem die junge Tschechoslowakei im Auge hatte; in deren östlichen Landesteilen, der Slowakei und der Karpato-Ukraine, lebten zahlreiche Ukrainer, bei denen die UGKC Diözesen unterhielt, die der Metropolit „visitierte“.
Ab 1930 hatte sich Szeptyckis Gesundheitszustand laufend verschlechtert – zunächst konnte er sich noch an Krücken bewegen, später nur noch in einem Rollstuhl. Dennoch blieb er im Amt und überstand die schwersten Zeiten für sein Volk – 1939 sowjetische, 1941 deutsche Besatzung, ab Juli 1944 Eingliederung der gesamten Ukraine und Galiziens in Stalins Sowjetimperium (wofür er Stalin einen Dankbrief geschickt hatte).
Am 1. November 1944 starb Szeptycki, 79 Jahre alt. Das letzte Geleit gaben ihm zahlreiche Gläubige – und eine Ehrenkompanie der Roten Armee. Er wurde in der Krypta der Kathedrale des Hl. Juro beigesetzt, derselben Kirche, in welcher er am 17. Januar 1901 als Metropolit in sein Amt eingeführt worden war.
Szeptycki im Zweiten Weltkrieg
Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen. Am 17. September 1939 kündigte Stalin, beunruhigt vom raschen Vormarsch der Deutschen, die sowjetische Neutralität zu Polen auf und ließ Ostgalizien durch seine Truppen besetzen. Die Ukrainer waren damit nicht unzufrieden: Ihre Lage in Polen war erheblich schlechter als unter Habsburg gewesen – die Sowjetunion wollte das neu gewonnene Gebiet in ihren Machtbereich integrieren und gab sich 1939/40 sehr generös mit Lieferungen an Lebensmitteln und Versorgungsgütern. Die neuen Verhältnisse konnten – wenigstens für eine gewisse Zeit – als Wiedervereinigung aller Ukrainer, als Befreiung von massiver Unterdrückung ukrainischer Kultur und Identität durch Polen angesehen werden, als Beseitigung des „Jochs“ polnischer Großgrundbesitzer, als Erfüllung ukrainischer Wünsche, die man in den zwei Jahrzehnten seit Ende des Ersten Weltkriegs nicht hatte äußern dürfen.[3]
Was die Ukrainer nicht kannten, war das geheime Zusatz-Protokoll des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. August 1939; mit diesem steckten die beiden Diktatoren ihre „Interessenssphären“ ab, wobei Stalin das Baltikum, Galizien, die Bukowina und andere Regionen für sich beanspruchte. Entsprechend wurde nach der Niederschlagung Polens Osteuropa aufgeteilt (vgl. die nebenstehende Karte). Bei den Ukrainern Ostgaliziens verflog rasch die anfängliche Zustimmung zu den neuen Machthabern: Wer sich der nun anrollenden Welle massiver Ideologisierung und Russifizierung widersetzte, bekam bald die harte Hand von Stalins Geheimpolizei zu spüren. Insofern war es (fast) verständlich, dass die Ukrainer den deutschen Überfall auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941 als eine „Chance“ begriffen, zumal die Deutschen bis Oktober 1941 nahezu die gesamte Ukraine erobert hatten. Besonders junge Ukrainer bewarben sich in großer Zahl zum „Hilfsdienst“ bei Wehrmacht, Polizei und SS und Ende 1943 wurde eine eigene SS-Division mit Freiwilligen aus Ostgalizien aufgestellt.
Auch Metropolit Szeptycki konnte sich diesem Sinneswandel nicht auf Dauer entziehen. Sein Einfluß war unter den Ukrainern enorm gewachsen, da ihm kein Primas der polnischen katholischen Kirche mehr etwas sagen konnte und es auch keinen apostolischen Nuntius mehr gab. Damit erhöhte sich automatisch Szeptyckis Rang im Umgang mit deutschen Bischöfen, was er sehr geschickt zum Nutzen der UGKC ausnutzte: Polnische katholische Seminare und Akademien wurden geschlossen – die der UGKC blieben nicht nur unbehelligt, sie genossen sogar gewisse Privilegien.
Szeptycki hatte 1941 eine Proklamation erlassen, in welcher er die nach Galizien einrückenden deutschen Truppen ausdrücklich begrüßte, denn „wir schauen auf die deutsche Armee wie auf einen Befreier, der uns von einem Feind erlöst“. Mehr wollte er freilich nicht tun: Er gab nicht dem Drängen einiger Geistlicher nach, die jungen Ukrainer zum Eintritt in die SS-Division „Galizien“ aufzufordern. Auch unterstützte er nicht die 1929 gegründete, radikale Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die eigene militärische Abteilungen Ukrainischer Nationalisten (DUN) unterhielt und von einem unabhängigen ukrainischen Staat unter deutscher Schutzherrschaft träumte (Bild mit der Unterschrift: DUN in einem Ausbildungslager in Österreich).
Was immer Szeptycki Gutes über die deutschen Truppen gesagt hatte – es hat ihn bald gereut. Er hatte früher als andere erkannt, dass Hitlers Regime absolut nichts für Ukrainer empfand: „Der germanischen Herrenrasse als Arbeitsvolk zu dienen und für den deutschen Sieg zu beten – eine andere Bestimmung hatte Hitler den Ukrainern niemals zugedacht. Experten, die (…) für eine pfleglichere Behandlung warben, vermochten gegen die Brutalität des Reichskommissars Koch (Bild: Erich Koch, 1896–1986) nichts auszurichten. Nur einige konzessionierte Emigranten in Berlin durften, als im Osten Entsetzliches geschah, für deutsche Leser publizieren – Bücher über die Geschichte der Ukraine und den segensreichen Kultureinfluß der Deutschen. Auch in dieser Hinsicht war der Zynismus der nazistischen Propaganda nicht zu übertreffen“.[4]
Die Ukraine war ein deutsches Besatzungsgebiet (vgl. die nebenstehende Karte), das ökonomisch ausgebeutet, kulturell niedergehalten und politisch hingehalten wurde. Das war sehr bald offenkundig, und bereits Ende 1941 sind von Szeptycki einige sehr deutliche Aussagen überliefert: „Heute ist sich das ganze Land darin einig, dass die deutsche Macht schlimm ist, geradezu teuflisch, und das in einem wohl noch höheren Maße als die bolschewistische Macht“. Als Hitler Kiew erobert hatte, schickte ihm der Metropolit ein Gratulationsschreiben – kurze Zeit später befand er, das NS-Machtsystem sei „unvereinbar mit den christlichen Grundsätzen“. Das galt besonders für deutsche Repressalien gegen Ukrainer und Juden. Szeptycki hielt in seinem Bischofs-Palast zwei jüdische Rabbiner versteckt und hat 1942 Heinrich Himmler, Reichsführer SS, brieflich aufgefordert, „mit den Morden an Ukrainern und Juden aufzuhören“. Das tat Himmler zwar nicht, verzichtete aber auch darauf, den Metropoliten zur Rechenschaft zu ziehen – „aus Angst, so etwas könnte eine Welle des Widerstands auslösen, sogar bei ukrainischen Antisemiten“.[5]
So konnte Szeptycki fortfahren – mit Taten, an die sich ein dadurch Geretteter noch sechs Jahrzehnte später erinnerte[6]: „Ein Mönch besuchte uns damals. Er wandte sich vor dem Abschied, schon im Türrahmen, an meinen Vater und fragte: Herr Doktor, vielleicht geben Sie auch Ihren kleinen Sohn in unsere Obhut? Damals war ich dreieinhalb Jahre alt. Plötzlich begann die ganze Familie hastig, mich anzuziehen, zu umarmen und zu küssen. Sie brachte mich auf den Hof, wo ein angespannter Wagen wartete. Das war das letzte Mal, dass ich meine Eltern gesehen habe. (…) Der Metropolit Andrzej Szeptycki hatte entschieden, dass alle ihm unterstehenden Klöster jüdische Kinder verstecken sollten. Dank dieser Aktion wurden fast 150 Jungen und Mädchen gerettet“.
Autor: Wolf Oschlies
Literatur
Werhahn, Torsten: Die Westukrainische Volksrepublik – Zu den polnisch-ukrainischen Beziehungen und dem Problem der ukrainischen Staatlichkeit in den Jahren 1918 bis 1923, Berlin 2004.
Anmerkungen
[1] Szewach Weiss: Ukraiński Schindler, in: Wprost 9.10.2005
[2] Torsten Werhahn: Die Westukrainische Volksrepublik – Zu den polnisch-ukrainischen Beziehungen und dem Problem der ukrainischen Staatlichkeit in den Jahren 1918 bis 1923, Berlin 2004
[3] Larissa Cybenko: Die Ukraine im Spannungsfeld der Kulturen, in: Trans – Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften Nr. 5/1998
[4] Dietrich Geyer: Die Erfindung der Ukraine, in: Die Zeit Nr. 24, 8.6.2000
[5] Weiss, Ukraiński… aaO.
[6] Interview in: Spiegel Special Nr. 4/2005