Überläufer Andrej Wlassow (Vlasov) kämpfte als General erst sowjetisch für Stalin und ab 1943 mit der sog. Wlassow-Armee für Hitler.
Zur Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges gehört auch die Geschichte des Verrats – der des sowjetischen Generals: Andrej Wlassow.
Geboren wurde Andrej Andrejewitsch Wlassow im September 1901 in Nishnij-Nowgorod. Zunächst besuchte er, ebenso wie Stalin, ein Priesterseminar. Im März 1919 zog es ihn in die Roten Garden und 1930 wurde Wlassow Mitglied der KPdSU. Ende der dreißiger Jahre arbeitete er in China als Militärberater von Tschiang Kai Schek. 1940 erhielt er den Rang eines Generalmajors. Zum 23. Jahrestag der Roten Armee heftete man ihm den Leninorden an die Brust. Das war 1941- dem Jahr des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion. Nun, als Befehlshaber der 20. Armee der Westfront trug Wlassow entscheidend zum Sieg der Roten Armee in der Schlacht um Moskau bei. Daraufhin wurde er als Volksheld gefeiert, von Stalin zum Generalleutnant befördert und die „ISWESTJA“ veröffentlichte sein Konterfei gemeinsam mit anderen Militärs auf der Titelseite.
Ilja Ehrenburg nannte den General nach einem Besuch, 1942: „einen interessanten, ehrgeizigen und mutigen Menschen“. Nach den Memoiren von N. Chruschtschow war Wlassow: „allgemein geachtet, als ein rechtschaffener Mann und als sehr fähiger Kommandeur“. Doch im Sommer 1942 mutierte dieser „mutige Mensch“ zu einem erbärmlichen Verräter an seiner Heimat.
Stalin persönlich schickte ihn im Frühjahr in den Leningrader Raum, um dort zur Entlastung der Sowjettruppen beizutragen. Dabei wurde der Generalleutnant mit der 2. Stoßarmee der Wolchow-Front eingekesselt. Seine Soldaten im Stich lassend, versuchte Wlassow dem Kessel zu entkommen. Mit Erfolg. Aber im Wehrmachtsbericht vom 14. Juli 1942 konnte die Gefangennahme des Armeeoberbefehlshabers gemeldet werden. Der Stalin-Befehl vom 16. August 1941, wonach jeder, der Kriegsgefangenschaft gerät, mitsamt seinen Angehörigen als Verräter anzusehen ist, hatte für Anna Michailowna, die Frau des Generals ganz praktische Folgen: Arbeitslager!
Solshenizyn behauptet in seinem Buch „Archipel GULAG“, der letzte Anstoß für Wlassows Überlaufen zu den Faschisten sei gewesen, dass er mit seiner Armee vom sowjetischen Oberkommando dem Schicksal überlassen worden sei. Dem widerspricht Marschall Wassilewski, der zu jener Zeit 1. Stellvertreter des Generalstabschefs war. In seinen Erinnerungen ist zu lesen, dass Stalin, um die Lage der 2. Stoßarmee sehr besorgt war. Das würden auch zahlreiche Direktiven beweisen. Uns schien – so der Marschall – das wir alle möglichen Vorkehrungen getroffen hatten, um die Eingeschlossenen zu retten.
Der nun Kriegsgefangene Wlassow gab in den Verhören scheinbar bereitwillig auf alle Fragen eine Antwort, die ihm von deutscher Seite gestellt wurden. Zudem schienen die Verhöre in einer entspannten Atmosphäre zu verlaufen. Auskunftsbereit zeigt er sich auch in Winniza, gegenüber von Oberst Reinhard Gehlen, Abt. Fremde Heere Ost, der ihm die Bildung einer „Russischen Befreiungsarmee“ (ROA) vorschlug, was durch Wlassow keine Einwände erfuhr. Natürlich der Wehrmacht unterstellt. Dafür lehnte zum Beispiel Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel alle Bestrebungen zur Bildung einer solchen Armee um so energischer ab. Keitel verbat sich sogar künftig solche Vorschläge. Dennoch fanden sich im faschistischen Deutschland genügend Komplizen, die bereit waren, die verräterischen Ambitionen eines Andrej Wlassow fördern. Somit war der Weg frei.
Mit deutscher Genehmigung sprach man Mitte 1943 in einem „Smolensker Aufruf“ fiktiv vom Bestehen einer Gegenregierung zu Stalin. Ferner enthielt dieses Papier Zusagen von Demokratie, Meinungsfreiheit und die Unterschrift Wlassows. In den Monaten Februar/März 1943 absolvierte der Überläufer ein Besuchsprogramm bei zwei Heeresgruppen. In besetzten Gebieten der UdSSR! Gehlen begann im Frühjahr des selben Jahres die Operation „Silberstreif“. Das Ziel dieser Operation war, Rotarmisten dazu zu bewegen, sich freiwillig in Gefangenschaft zu begeben. Versprochen wurde für diesen Fall eine bevorzugte Behandlung. Unter dem Befehl von Wlassow sollten sie dann in einer „Russischen Befreiungsarmee“ gegen ihre „stalinistischen Unterdrücker“ marschieren.
Zur Schaffung dieser Armee wurde in Dabendorf bei Berlin ein Planungszentrum eingerichtet. Heinrich Himmler, der einst zu den besonders fanatischen Gegnern einer ROA zählte, äußerte 1944, zu eben diesem Thema, überraschend die Bereitschaft, zu einem Gespräch mit Wlassow.
Ursprünglicher Termin dafür war der 21. Juli. Das Hitler-Attentat ließ dieses Treffen am 16. September stattfinden. Deutschland stimmte bei der Bildung dieser Armee, die tatsächlich erst im November 1944 begann, der Aufstellung von zwei Divisionen zu.
Unter Federführung Himmlers konstituierte sich am 14. November 1944 auf der Prager Burg ein „Komitee zur Befreiung der Völker Russlands“. Zum Vorsitzenden berief man Wlassow. Während dieser Veranstaltung in Prag wurde ein „Prager Manifest“ verabschiedet. Darin war von der Selbstbestimmung der Völker Russlands, der Abschaffung von Zwangsarbeit und Kolchosen, sowie von Religions- und Pressefreiheit u.a. die Rede. O-Ton Wlassow an diesem Tag: „Soldaten und Offiziere der sowjetischen Armee, beendet den kriminellen Krieg, der nur dazu dient andere Völker zu unterdrücken“.
Durch ein Treffen mit Goebbels und Göring, Anfang 1945 erlebte der „Befreiungskämpfer“ noch eine politische Aufwertung. Aber es half nichts. Längst hielten den Vormarsch der Roten Armee weder deutsche Nazigrößen noch ein verräterischer Wlassow auf. So währte auch die Feuertaufe der 1. Division der Wlassow-Armee erst einen Tag, da ordnete ihr Kommandeur schon den Rückzug nach Böhmen an. Ein Brückenkopf der sowjetischen Truppen bei Fürstenberg/Oder ließ sich einfach nicht erstürmen. Bei Kriegsende im Mai 1945 begab sich Wlassow freiwillig in US-Kriegsgefangenschaft. Als ein Konvoi der US-Armee mit dem Ex-Sowjetgeneral zu einem Verhör unterwegs war, wurde dieser von einer sowjetischen Streife gestoppt. Von dieser Streife wurde Wlassow verhaftet.
So sieht man sich wieder. Nach Verhören – jetzt in Moskau – machte man ihm den Prozess.
Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR verurteilte Andrej A. Wlassow am 30. Juli 1946 zum Tode. Am nächsten Tag wurde das Urteil vollstreckt.
Autor: René Lindenau
Literatur
Günther Hecht: General Wlassow. Millionen Russen vertrauten ihm. Zeitbiographischer Verlag, Limburg an der Lahn, 1960.
Joachim Hoffmann: Die Geschichte der Wlassow-Armee. 2., unveränd. Aufl. Rombach, Freiburg 1986.
Joachim Hoffmann: Die Tragödie der „Russischen Befreiungsarmee“ 1944/45. Wlassow gegen Stalin. Herbig, München 2003.
Aleksandr Lapsin: Rokovaja schvatka: Vlasov, Stalin, Allilueva, Gitler, Berija i drugie – neizvestnoe. Kron-Press, Moskva 1997.
Matthias Schröder: Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942–1945. „Rußland kann nur von Russen besiegt werden“: Erhard Kroeger, Friedrich Buchardt und die „Russische Befreiungsarmee“. Schöningh, Paderborn u. a. 2001. (= Dissertation, Universität Münster 2000).
Sven Steenberg: Wlassow, Verräter oder Patriot? Wissenschaft und Politik, Köln 1968.
Spiegel Artikel: General für Stalin – und Hitler.