Soldat bis zum letzten Tag – Kesselrings umstrittenes Vermächtnis
Albert Kesselring, eine der kontroversesten Figuren des Zweiten Weltkriegs, verkörperte wie kaum ein anderer den Typus des pflichtbewussten deutschen Soldaten. Vom einfachen Kadetten bis zum Generalfeldmarschall stieg er in den Rängen der deutschen Streitkräfte auf und blieb bis zum bitteren Ende des Krieges ein treuer Diener des Nazi-Regimes. Von seinen frühen Jahren in der bayerischen Armee bis zu seiner Verurteilung durch ein britisches Militärgericht zeichnet sich das Bild eines Mannes, der seine militärische Pflicht über alles stellte – oft mit verheerenden Konsequenzen.
Frühe Jahre und Aufstieg in der Reichswehr
Albert Kesselring wurde am 30. November 1885 in Marktsteft, Bayern, geboren. Seine militärische Laufbahn begann er 1904 als Fahnenjunker im bayerischen Artillerie-Regiment. Während des Ersten Weltkrieges diente er als Generalstabsoffizier in verschiedenen Divisions- und Korpsstäben, wo er sich durch seine analytischen Fähigkeiten und sein taktisches Geschick auszeichnete. Diese frühen Erfahrungen sollten prägend für seine spätere Karriere sein und ihm den Ruf eines fähigen Strategen einbringen.
Nach dem Krieg wurde Kesselring in die Reichswehr übernommen, wo er zunächst als Adjutant bei verschiedenen bayerischen Artillerie-Kommandeuren tätig war. In dieser Zeit war er auch an der Demobilisierung des bayerischen Wehrkreiskommandos VII beteiligt – eine Aufgabe, die er mit der für ihn typischen Effizienz erledigte. Seine Karriere in der Reichswehr verlief stetig aufwärts: 1922 wurde er zum Hauptmann befördert und 1929 in das Reichswehrministerium versetzt. Hier zeigte sich bereits Kesselrings Talent für Organisation und Logistik, das ihn später zu einem wertvollen Mitglied der Luftwaffenführung machen sollte.
Ironischerweise sollte ausgerechnet Kesselring, der seine Laufbahn in der Artillerie begonnen hatte, später eine Schlüsselrolle beim Aufbau der Luftwaffe spielen. 1933 wechselte er zum neu gegründeten Reichsluftfahrtministerium, wo er maßgeblich an der Entwicklung der deutschen Luftstreitkräfte beteiligt war. Sein Organisationstalent und seine Fähigkeit, komplexe logistische Probleme zu lösen, machten ihn zu einem wertvollen Mitarbeiter für Hermann Göring, der damals die Luftstreitkräfte aufbaute.
Aufstieg in der Luftwaffe
Kesselrings Karriere verlief rasant. 1936 wurde er zum Oberstleutnant, dann Generalleutnant befördert und übernahm das Kommando über die Luftflotte 1. Diese schnelle Beförderung war nicht nur ein Zeichen seine Fähigkeiten, sondern auch für die dringende Notwendigkeit erfahrener Führungskräfte beim Aufbau der neuen Teilstreitkraft. In seiner neuen Position war Kesselring maßgeblich an der Ausarbeitung von Taktiken und Strategien für den Einsatz beteiligt.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war Kesselring bereits als General der Flieger Chef der Luftflotte 2, mit der er am Überfall auf Polen teilnahm. Für seine Leistungen während des Polenfeldzugs wurde ihm am 30. September 1939 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen – eine Auszeichnung, die seine Bedeutung für die deutsche Kriegsführung unterstrich. Die Luftwaffe spielte eine entscheidende Rolle bei der schnellen Niederwerfung Polens, und die Luftflotte hatte einen wesentlichen Anteil daran.
Im Jahr 1940 erreichte Kesselring den Höhepunkt seiner militärischen Karriere: Er wurde zum Generalfeldmarschall befördert. In dieser Position leitete er Luftoperationen während des Westfeldzuges und der Luftschlacht um England. Die anfänglichen Erfolge gegen Frankreich und die Niederlande schienen seine Strategie zu bestätigen, doch die Luftschlacht um England offenbarte bald die Grenzen der deutschen Luftstreitkräfte. Trotz massiver Angriffe gelang es nicht, die Royal Air Force entscheidend zu schwächen oder die britische Bevölkerung zu demoralisieren.
Der Historiker Richard Overy kommentiert Kesselrings Rolle in dieser Phase des Krieges:
„Kesselring war zweifellos ein fähiger Taktiker, aber wie viele seiner Kollegen unterschätzte er die Widerstandsfähigkeit der britischen Luftverteidigung. Seine Fehleinschätzung der Situation trug maßgeblich zum Scheitern der deutschen Luftoffensive bei.“
Mittelmeerraum und Nordafrika
Ende 1941 wurde Kesselring mit seinem Luftflottenstab und einem Teil seiner Verbände nach Italien verlegt. Als Oberbefehlshaber Süd übernahm er die Führung aller im Mittelmeerraum operierenden Luftwaffeneinheiten. In dieser Funktion war er auch für die Luftunterstützung des Afrikakorps unter Erwin Rommel verantwortlich. Die Verlegung Kesselrings in den Mittelmeerraum zeigte die wachsende Bedeutung dieses Kriegsschauplatzes für die deutsche Führung.
Seine Strategie im Mittelmeerraum zielte darauf ab, die britische Vormachtstellung zu brechen. Er intensivierte die Luftangriffe auf Malta, um die wichtige Nachschubroute der Alliierten zu unterbrechen. Trotz massiver Bombardements gelang es jedoch nicht, die Insel zu bezwingen – ein weiterer Rückschlag für seine ambitionierte Pläne. Die Verteidigung Maltas durch die Briten erwies sich als zäher als erwartet und band wertvolle deutsche und italienische Ressourcen.
Die Landung der Alliierten in Nordafrika im November 1942 markierte einen Wendepunkt im Mittelmeerkrieg. Kesselring, der nun auch zum Oberbefehlshaber Südwest ernannt worden war, sah sich mit einer zunehmend prekären Lage konfrontiert. Trotz seiner Bemühungen, die deutsch-italienischen Streitkräfte zu koordinieren, wurden diese schließlich aus Nordafrika verdrängt. Die Niederlage in Nordafrika war ein schwerer Schlag für die Achsenmächte und leitete den Anfang vom Ende der deutschen Präsenz im Mittelmeerraum ein.
Italien und der Rückzugskampf
Nach der alliierten Landung auf Sizilien im Juli 1943 betraute man Kesselring mit der Verteidigung Italiens. In dieser Phase zeigte sich seine Fähigkeit zur flexiblen Verteidigung. Durch geschickte Nutzung des Geländes und mobile Reserven gelang es ihm, den gegnerischen Vormarsch zu verzögern. Diese Taktik des kontrollierten Rückzugs und der Verzögerung sollte sich als effektiv erweisen und den Gegnern hohe Verluste zufügen.
Der Militärhistoriker Carlo D’Este würdigt Kesselrings taktisches Geschick:
„Seine Verteidigung Italiens war meisterhaft. Mit begrenzten Ressourcen schaffte er es, die Alliierten fast zwei Jahre lang aufzuhalten und ihnen hohe Verluste zuzudfügen.“
Doch der Preis für diesen militärischen Erfolg war hoch. Kesselring autorisierte brutale Vergeltungsmaßnahmen gegen die italienische Zivilbevölkerung, die der Unterstützung der Resistenza verdächtigt wurde. Nach dem Attentat in der Via Rasella in Rom im März 1944 ließ Kesselring als Vergeltung 335 italienische Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen erschießen – ein Kriegsverbrechen, für das er später zur Rechenschaft gezogen wurde. Diese Aktionen zeigten die dunkle Seite seiner Kriegsführung.
Ab April 1944 leitete Kesselring auch die gesamte Abwehr gegen die Landung der Alliierten in Italien, bei der Heeresgruppe Süd beim italienischen Abwehrkampf. Trotz seiner geschickten Verzögerungstaktik musste er sich Schritt für Schritt zurückziehen. Die alliierten Streitkräfte, unterstützt durch überlegene Ressourcen und Luftherrschaft, drängten die deutschen Truppen langsam aber stetig nach Norden. Die Verteidigung Italiens wurde zu einem Beispiel für die Grenzen militärischer Brillanz angesichts überwältigender gegnerischer Überlegenheit.
Im März 1945, als die Niederlage Deutschlands bereits unabwendbar war, ernannte ihn Hitler zum Oberbefehlshaber West – als Nachfolger Gerd von Rundstedts. In dieser Position erlebte er das Ende des Krieges. Die Ernennung zum Oberbefehlshaber West in den letzten Kriegswochen war mehr ein Zeichen der Verzweiflung als eine realistische militärische Entscheidung. Kesselring konnte den Zusammenbruch der deutschen Westfront nicht mehr aufhalten.
Nachkriegszeit und Verurteilung
Nach Kriegsende wurde Kesselring von einem britischen Militärgericht in Venedig-Mestre wegen der Erschießung von Geiseln und Angehörigen der italienischen Befreiungsbewegung angeklagt. Er wurde für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde jedoch später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Die Verurteilung war Teil der Bemühungen der Alliierten, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.
Kesselring verfasste nach seiner Verurteilung seine Memoiren, in denen er seine Handlungen zu rechtfertigen versuchte. Er schrieb:
„Ich war Soldat bis zum letzten Tag und habe meine Pflicht erfüllt, wie ich sie verstand.“
Diese Aussage zeigt die Zwiespältigkeit seines Charakters: Einerseits ein brillanter Militärstratege, andererseits ein Mann, der bis zuletzt nicht bereit war, die moralischen Implikationen seines Handelns zu hinterfragen. Seine Memoiren sind ein Versuch, sein Handeln im Krieg zu rechtfertigen und sich als pflichtbewussten Soldaten darzustellen, der lediglich Befehle ausführte.
1952 wurde Kesselring aus gesundheitlichen Gründen aus dem Gefängnis von Werl entlassen. In seinen letzten Lebensjahren engagierte er sich in Veteranenverbänden und verfasste weitere Bücher über seine militärische Karriere. Er starb am 16. Juli 1960 in Bad Nauheim. Bis zu seinem Tod blieb Kesselring seiner Sicht der Dinge treu und zeigte wenig Einsicht in die moralische Fragwürdigkeit seines Handelns während des Krieges.
Bewertung und Nachwirkung
Die Bewertung von Kesselrings Rolle im Zweiten Weltkrieg bleibt umstritten. Einerseits wird seine militärische Kompetenz allgemein anerkannt. Seine Fähigkeit, mit begrenzten Mitteln effektive Verteidigungsstrategien zu entwickeln, wird von Militärhistorikern oft hervorgehoben. Andererseits ist seine Beteiligung an Kriegsverbrechen und seine bis zuletzt aufrechterhaltene Loyalität zum NS-Regime Gegenstand heftiger Kritik.
Der Historiker Gerhard Schreiber fasst das Dilemma treffend zusammen:
„Kesselring verkörpert wie kaum ein anderer den Widerspruch zwischen militärischer Professionalität und moralischer Verantwortung. Seine Karriere zeigt exemplarisch die Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des NS-Regimes.“
Der „Fall Kesselring“ wirft bis heute Fragen nach der Verantwortung von Militärs in Diktaturen auf. War er lediglich ein Soldat, der Befehle ausführte, oder trug er als hochrangiger Befehlshaber eine besondere Verantwortung für die unter seinem Kommando begangenen Verbrechen? Die Diskussion um seine Rolle zeigt die Komplexität der moralischen Beurteilung militärischer Führer in Kriegszeiten.
Kesselring selbst sah sich bis zu seinem Tod als jemand, der seinem Land gedient hatte. Diese Selbstwahrnehmung steht in Gegensatz zu den Urteilen vieler Historiker und der Opfer seiner Kriegsführung. Seine Weigerung, die moralischen Implikationen seines Handelns anzuerkennen, ist charakteristisch für viele hochrangige Militärs des Dritten Reiches.
Die Nachwirkungen seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg sind bis heute spürbar. Sein Name taucht regelmäßig in Debatten über die Rolle der Wehrmacht im Nationalsozialismus auf. Die Kontroverse um Kesselring zeigt exemplarisch die Schwierigkeit, militärische Leistungen und moralische Verantwortung in Einklang zu bringen.
Fazit
Albert Kesselring bleibt eine der umstrittensten Figuren des Zweiten Weltkriegs. Seine militärische Karriere, die ihn vom bayerischen Artilleristen zum Generalfeldmarschall der Luftwaffe und schließlich zum Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte in Italien und Westeuropa führte, zeugt von seinem taktischen Geschick und seiner Anpassungsfähigkeit. Seine Rolle beim Aufbau der Luftwaffe und seine Führung im Mittelmeerraum und in Italien zeigen seine Fähigkeiten als Militärstratege.
Doch seine bedingungslose Loyalität zu Hitler und seine Beteiligung an Kriegsverbrechen werfen einen dunklen Schatten auf sein Vermächtnis. Der „Soldat bis zum letzten Tag“ wurde zum Symbol für die moralische Bankrotterklärung einer ganzen Generation von Militärs, die ihre professionelle Pflichterfüllung über ethische Prinzipien stellten. Sein Handeln in Italien, insbesondere die Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten, zeigt die Grenzen des „Nur-Soldaten“.
Literatur
Friedrich Andrae: Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943–1945. Piper, München 1995, ISBN 3-492-03698-8.
Michael Bertram: Das Bild der NS-Herrschaft in den Memoiren führender Generäle des Dritten Reiches – eine kritische Untersuchung. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-8382-0034-7.
Robert Herde: Command responsibility. Die Verfolgung der „Zweiten Garde“ deutscher und japanischer Generäle im alliierten Prozeßprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg (= Nomos Universitätsschriften – Geschichte. Band 12). Nomos, Baden-Baden 2002, ISBN 978-3-7890-7089-1 (Rezension).
Elmar Krautkrämer: Generalfeldmarschall Albert Kesselring. In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Hitlers militärische Elite. Band 1, Primus, Darmstadt 1998, ISBN 3-89678-083-2, S. 121–129.
Kerstin von Lingen: Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: Der Fall Kesselring. Schöningh, Paderborn 2004, ISBN 3-506-71749-9 (Digitalisat).
Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung. Beck, München 1996, ISBN 3-406-39268-7.
Thilo Vogelsang: Keßelring, Albert. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 542 f. (Digitalisat).