„Die tägliche Massenversammlung des Führers“
Kaum eine Zeitung des Dritten Reiches ist bekannter als der Völkische Beobachter. Er war nicht nur das zentrale Sprachrohr der NSDAP, sondern wurde auch nach der Machtergreifung zur auflagenstärksten deutschen Tageszeitung. Die Anfänge hingegen nahmen sich eher bescheiden aus.
Vom „Münchener“ zum „Völkischen Beobachter“…
Ursprünglich war der Völkische Beobachter aus dem 1887 gegründeten „Münchener Beobachter“ hervorgegangen, einer kleinen Vorstadtzeitung, die in den Folgejahren noch öfter Namen und Besitzer wechseln sollte: Der Verleger Franz Eher zeichnete seit 1900 für die Herausgabe verantwortlich, bis nach seinem Tod 1918 Eher-Verlag samt Beobachter an die völkisch gesinnte Thule-Gesellschaft verkauft wurden (vgl. Hale, 27 f.). Die Thule-Gesellschaft, ein „Orden für deutsche Art“, änderte den Namen des Blättchens in „Völkischer Beobachter“ und hatte neben ihrer Hetze gegen die Weimarer Republik vor allem ein Thema: Antisemitismus (vgl. Noller, 4f.).
…und zum Parteiblatt der NSDAP
Als Verlag und Zeitung Ende 1920 in finanzielle Not gerieten und zum Verkauf standen, drängte vor allem Dietrich Eckart, Herausgeber der antisemitischen Wochenschrift „Auf gut deutsch“ und früher Mentor Hitlers, den Völkischen Beobachter zu erwerben. Und so war am 18. Dezember im Völkischen Beobachter schließlich zu lesen, daß die Zeitung in den Besitz der NSDAP übergegangen sei (vgl. Hale, 28). Der Eher-Verlag, der ebenfalls von der NSDAP übernommen wurde, sollte Jahre später zur zentralen Verlagsgesellschaft des Nationalsozialismus, zum „Herzstück“ des NS-Pressetrusts werden.
Als Verlagsleiter und Herausgeber des Völkischen Beobachters fungierte nun Max Amann, der das Blatt mit etwa 7.000 Abonnenten übernahm (vgl. Pürer, 84). Hauptschriftleiter (also Chefredakteur) war zunächst Dietrich Eckart, der jedoch schon 1923 von Alfred Rosenberg abgelöst wurde. Anfangs erschien der Völkische Beobachter zwei Mal wöchentlich (Mittwoch und Samstag), ab Februar 1923 täglich (vgl. Koszyk, 381).
Verbot und Neugründung
Nach dem Scheitern des Hitlerputsches wurde der Völkische Beobachter ebenso wie die Partei am 9. November 1923 verboten und eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“, wie sich die Zeitung im Untertitel nannte, eine Auflage von 30.000 Exemplaren erreicht (vgl. Hale, 39).
Erst nach Hitlers Haftentlassung wurde der Völkische Beobachter am 26. Februar 1925 mit einer Startauflage von gerade 4.000 Exemplaren wiederbegründet, zunächst als Wochen- und einen Monat später als Tageszeitung. Er finanzierte sich zunächst vor allem aus Spenden und den Erlösen, die der Eher-Verlag mit seinen völkischen Publikationen erreichte, ab 1930 kamen die Einkünfte aus dem Verkauf von „Mein Kampf“ hinzu (vgl. Noller, 9).
Von der Integrationspropaganda…
Bis 1933 zeichnete Hitler als Herausgeber verantwortlich und trat des öfteren mit seinen Leitartikeln in Erscheinung. Denn eine wichtige Aufgabe des Völkischen Beobachters war aus seiner Sicht zunächst die innerparteiliche Kommunikation der „Bewegung“, die Integrationspropaganda: So forderte Hitler in seinem Artikel „Aufruf zur Bildung eines Pressefonds“, die Zeitung solle die Partei „nicht nur in ihrem Kampfe nach außen unterstützen, sondern auch mithelfen, im Inneren der „Bewegung“ jene einheitliche Richtung tonangebend zu bestimmen, ohne die eine innere Einheit der Partei nicht denkbar wäre“ (Völkischer Beobachter, 26.2.1925, Seite 2). Der Völkische Beobachter diente also der Vermittlung der offiziellen Parteilinie an die Mitglieder: Die „tägliche Massenversammlung des Führers“ ist er einmal treffend genannt worden (Woweries, Unsere NS-Presse. Der Schulungsbrief 2, 75). Und in dieser „täglichen Massenversammlung“ wurden dann hauptsächlich Antiparlamentarismus, Antikommunismus, Nationalismus und Antisemitismus gepredigt, was dazu führte, daß der Völkische Beobachter bis 1933 vierunddreißigmal verboten wurde (vgl. Noller, 7f.).
…zum quasioffiziellen Verlautbarungsorgan
Mit der Machtergreifung von 1933 etablierte sich der Völkische Beobachter quasi als Regierungsorgan (vgl. Koszyk, 381f), dessen Verlautbarungen offiziellen Charakter annahmen und erlebte bis 1944 eine Auflagensteigerung auf etwa 1,7 Millionen Exemplare. Das Blatt war damit zur bis dahin auflagenstärksten Tageszeitung in Deutschland geworden (vgl. Frei 99), doch diesen Erfolg verdankte der Völkische Beobachter mehr seiner Monopolstellung als überregionaler Parteizeitung und weniger seinen (kaum vorhandenen) journalistischen Qualitäten (vgl. Hale, 47).
Denn der Völkische Beobachter verstand sich auch nach der Machtergreifung weiterhin als „Kampfblatt“, also als ein Mittel der Agitation und Propaganda. Seine Aufmachung blieb reißerisch, seine Sprache war meist geprägt von aneinandergereihten Schlagworten und Superlativen, im Ton grob, zynisch und aggressiv.
So lautete die Schlagzeile am 29.3.1933: „Samstag, Schlag 10 Uhr, wird das Judentum wissen, wem es den Kampf angesagt hat“, ein offizieller „Aufruf der Parteileitung“ zum Boykott „jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte“.
Damit war der Völkische Beobachter (neben Streichers „Der Stürmer“) einer der aktivsten Exponenten jenes antisemitischen und rassistischen Gedankenguts, das schließlich in den Holocaust führte.
Autor: Christian A. Braun
Literatur
Abel, Karl-Dietrich: Presselenkung im NS-Staat. Berlin 1968
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Frei, Norbert: Journalismus im dritten Reich. München, 3. Auflage 1999
Hagemann, Jürgen: Die Presselenkung im Dritten Reich. Bonn 1970
Hale, O. J.: Presse in der Zwangsjacke 1933-1945. Düsseldorf 1965
Koszyk, K.: Deutsche Presse. 1914-1945. Berlin 1972
Layton, R. V.: The Völkischer Beobachter, 1920-1933. The Nazi Party Newspaper in the Weimar Era. In: Central European History 3, 1970, S. 353 – 382
Noller, S. (Hrsg.): Facsimile-Querschnitt durch den Völkischen Beobachter. Bern, München 1984
Pürer, Heinz / Raabe, Johannes: Medien in Deutschland. Band 1: Presse. München 1994
Woweries, F. H.: Unsere NS-Presse. Ihr Weg von der Opposition zum Mittel der Volks- und Staatsführung. In: Der Schulungsbrief 2, 1936, S. 69 – 76