Trauma in Stein gemeißelt: The Brutalist – Ein Film über den gebrochenen Traum

The Brutalist – von Brady Corbet. Original: A24 & Universal Pictures Derivative work: Logovectorizer, Der Brutalist Logo, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons.
Brady Corbets The Brutalist ist kein Film, den man einfach „ansieht“. Man erträgt ihn, ertrinkt in ihm, lässt sich von seiner visuellen Wucht erschlagen und von der Tragödie seines Protagonisten zutiefst verstören. Mit einer Laufzeit von dreieinhalb Stunden, gedreht im VistaVision-Format der 1950er-Jahre, inszeniert Corbet nicht nur die Biografie eines fiktiven Architekten, sondern ein Lehrstück über die gebrochenen Versprechen des 20. Jahrhunderts. Adrien Brody verkörpert László Tóth, einen ungarisch-jüdischen Holocaust-Überlebenden, der 1947 in New York ankommt, um in den USA als Architekt neu zu beginnen – und stattdessen in einem Albtraum aus Antisemitismus, kapitalistischer Gier und unverarbeitetem Trauma versinkt.
Schon die Eröffnungssequenz setzt den Ton: Aus der stickigen Enge eines Schiffsbauchs drängen Passagiere ans Deck, wo sich ihnen die Freiheitsstatue zeigt – kopfüber hängend, als wären die Fundamente der Neuen Welt aus den Angeln gehoben. Diese surreal verzerrte Perspektive, erklärt Regisseur Corbet in Interviews, sei keine artistische Marotte, sondern Programm. Tóths Blick auf Amerika ist von vornherein gebrochen, vergiftet durch die Erinnerungen an Buchenwald, die Trennung von seiner Frau Erzsébet (Felicity Jones) und die nagende Gewissheit, dass selbst der Ozean ihn nicht vor dem radikalen Misstrauen gegenüber Juden schützen wird. Als er in einer New Yorker Gasse für einen Dollar Sex bei einer Prostituierten sucht, scheitert der Akt nicht an ihrer Verachtung, sondern an seinem eigenen, von Schuld zerfressenen Körper. „Sie hassen uns hier genauso wie dort“, flüstert er später seiner Frau in einem Brief, der nie ankommt.
Corbet verwebt die persönliche Tragödie Tóths geschickt mit dem historischen Kontext der jüdischen Nachkriegsemigration. Wie Hunderttausende realer Überlebender strandet der Protagonist in einem Land, das sich zwar als Retter Europas inszeniert, aber wenig Interesse an den gebrochenen Menschen zeigt, die es aufnimmt. Die USA der späten 1940er-Jahre, hier in düsteren Sepiatönen gefilmt, sind ein Ort der Widersprüche: Auf den Straßen Philadelphias, wo Tóth bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) Unterschlupf findet, prallen die utopischen Entwürfe des Bauhaus-Modernismus gegen die brutale Realität des Fordismus. Als Tóth einen Auftrag für die Bibliothek des Industriellen Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) erhält, wird sein Entwurf als „jüdisch-degeneriert“ verrissen – eine Anspielung auf die Nazi-Propaganda, die einst seine Lehrer am Dessauer Bauhaus diffamierte.
Doch der Film belässt es nicht bei der Darstellung offenen Hasses. Subtiler, aber umso brutaler ist die Art, wie Van Burens Sohn Harry (Joe Alwyn) Tóth als „nützlichen Exoten“ behandelt. In einer Schlüsselszene, die an die psychologische Grausamkeit eines Harold Pinter-Stücks erinnert, lädt Harry den Architekten zum Golfspiel ein – nur um ihn anschließend vor versammelter High Society als „unseren kleinen ungarischen Picasso“ zu verhöhnen. Die Gewalt hier ist keine der Fäuste, sondern der Herablassung. Als Tóth sich weigert, seinen Entwurf für Van Burens Kulturzentrum zu verwässern, eskaliert der Konflikt in einer Prügelszene, die nicht zufällig an die Misshandlungen in Buchenwald erinnert: Harry und seine Freunde zwingen den Architekten, barfuß über Glasscherben zu laufen – eine Metapher für die unmögliche Balance zwischen künstlerischer Integrität und assimilationistischem Überlebenswillen.
Corbet bedient sich der Architektur nicht nur als Setting, sondern als strukturelles Element. Tóths Entwürfe – rohe Betonmonumente mit labyrinthischen Grundrissen – spiegeln sein Trauma wider. In einer besonders eindrücklichen Sequenz erklärt er Van Buren, dass die sichtbaren Gussnähte im Beton „die Wunden des Materials“ zelebrieren sollten. „Wir können sie übertünchen“, bietet der Magnat an. „Dann lügen wir“, entgegnet Tóth. Dieser Dialog, mehr Manifest als Unterhaltung, fasst die Essenz des Films: Der Brutalismus wird zur ästhetischen Antwort auf den Holocaust, eine Weigerung, die Narben der Geschichte zu verstecken.
Dass Corbet dabei reale Vorbilder wie Marcel Breuer oder Louis Kahn zitiert, verleiht der Fiktion Authentizität. Wie diese emigrierten Bauhaus-Architekten muss Tóth erfahren, dass Amerikas Liebe zur Moderne an der Profitlogik scheitert. Sein Meisterwerk, das Van-Buren-Kulturzentrum, wird am Ende nicht als Museum, sondern als Einkaufstempel genutzt – eine bittere Pointe, die an das Schicksal des Berliner Kaufhauses Wertheim erinnert, dessen Besitzer als Juden enteignet wurden.
Doch The Brutalist wäre kein Corbet-Film, würde er sich im Historischen verlieren. Indem er die Kamera (grandios: Laurie Crawley) oft in extremen Nahaufnahmen auf Brodys zerfurchtes Gesicht verharren lässt, macht er das Trauma physisch spürbar. Jede Narbe, jeder Zuckungsanfall – Resultat von Tóths Morphiumsucht – wird zur Landkarte einer verlorenen Generation. Dass Brody hier an seine Oscar-Rolle in Der Pianist anknüpft, ist kein Zufall: Wie Władysław Szpilman ist Tóth ein Überlebender, der die Befreiung nicht als Ende, sondern als Anfang neuer Qualen erlebt. Die Oscars honorierten diese schmerzhaft intime Leistung: Brody gewann zum zweiten Mal nach 2003 den Preis als Bester Hauptdarsteller, während der Film auch in den Kategorien Beste Kamera (Lol Crawley) und Beste Filmmusik (Daniel Blumberg) triumphierte.
Die größte Stärke des Films liegt jedoch in der Darstellung der Ehe zwischen László und Erzsébet. Felicity Jones spielt die zurückhaltende Stärke einer Frau, die in Budapest um das Überleben ihrer Nichte kämpft, während sie Briefe an einen Mann schreibt, der längst in Selbstmitleid ertrunken ist. Ihr Wiedersehen in Amerika – eine Szene von atemberaubender Zurückhaltung – entlarvt den Mythos der „Wiedergutmachung“ durch Immigration. Als Erzsébet ihren Mann fragt, warum er nie nach ihr suchte, antwortet er: „Ich wollte dir nicht zeigen, was aus mir geworden bin.“ Die Leinwand erstarrt in dieser Sekunde zur Grabplatte einer Ehe, die der Holocaust nicht zerstören konnte, die aber am amerikanischen Traum zerschellt.
Musikalisch untermalt Daniel Blumbergs Score diese Tragödie mit einem Orchester, das zwischen Mahler’scher Düsternis und minimalistischer Beklemmung oszilliert. Besonders verstörend: die Verwendung jiddischer Melodien, die während der Gewaltszenen abrupt abbrechen – als würden die Geigen selbst an den Gaskammern ersticken. Der Oscar für Blumbergs Komposition unterstreicht, wie sehr die Musik zum emotionalen Gerüst des Films wird.
Ist The Brutalist damit ein perfekter Film? Mitnichten. Die Laufzeit von 215 Minuten überfordert stellenweise, manche Dialoge wirken zu theatralisch, und die politischen Parallelen zur Gegenwart (Stichwort Trump’sche Einwanderungspolitik) werden im Epilog etwas plakativ eingehämmert. Doch diese Mängel verblassen angesichts der bildgewaltigen Szenen, die noch Wochen nach dem Verlassen des Kinos nachhallen.
Corbet, selbst kein Jude, aber seit langem mit jüdischen Themen beschäftigt, gelingt hier das scheinbar Unmögliche: ein Holocaust-Film, der weder in KZ-Pornografie noch in rührseliger Versöhnung schwelgt. Stattdessen zeigt er, wie der Antisemitismus des 20. Jahrhunderts in der Profitgier des Kapitalismus weiterwucherte – und wie Architektur zum Schlachtfeld dieser Kontinuitäten wurde.
Mit zehn Oscar-Nominierungen, darunter für Bester Film und Beste Regie, und drei gewonnenen Trophäen geht The Brutalist als moralischer Sieger der Awards-Saison hervor. Sein eigentlicher Triumph liegt jedoch anderswo: Als Mahnmal für all jene, die den American Dream überlebten, um im Albtraum zu erwachen, setzt dieser Film neue Maßstäbe – so roh, so wahr, so unversöhnlich wie der Beton, den er verklärt. Die Academy erkannte dies an, doch die wahre Ehrung liegt im Nachhall, den Corbets Werk in der kollektiven Erinnerung hinterlässt.