Die Geburt einer „sozialistischen“ Partei in der Tradition der NSDAP
Im Oktober 1949, als die junge Bundesrepublik Deutschland gerade ihre ersten Schritte machte, erblickte eine Partei das Licht der Welt, die schon bald für erhebliche Unruhe sorgen sollte: die Sozialistische Reichspartei (SRP). Gegründet von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Wehrmachtsoffizieren, darunter Fritz Dorls und Otto Ernst Remer, verstand sich die SRP als Sammelbecken für all jene, die sich nach den „guten alten Zeiten“ sehnten – wobei „gut“ und „alt“ hier durchaus relativ zu verstehen sind. Mit einem selbst ernannten „klaren sozialistischen und nationalen Programm zur Überwindung der deutschen Not“ versuchte die Partei, an die Traditionen der NSDAP anzuknüpfen, ohne dabei allzu offensichtlich verfassungsfeindlich zu erscheinen – ein Balanceakt, der bekanntlich misslang.
Die SRP sah sich selbst als „Sammlung aller wahrhaften Deutschen durch kämpferisches Bekenntnis und Verpflichtung auf ein klares sozialistisches und nationales Programm“. Dass dieses Programm in wesentlichen Teilen auf dem der NSDAP basierte, versuchte die Parteiführung zunächst noch zu verschleiern. Doch schon bald wurde deutlich, dass die SRP nichts anderes war als ein schlecht getarnter Versuch, nationalsozialistisches Gedankengut in die neue Republik zu schmuggeln – gewissermaßen als ideologisches Trojanisches Pferd.
Vom Wahlerfolg zum Verfassungsfeind: Die kurze, aber turbulente Geschichte der SRP
Die Geschichte der SRP liest sich wie ein Lehrbuch für politischen Extremismus im Nachkriegsdeutschland. Kaum gegründet, erzielte die Partei bei der Landtagswahl in Niedersachsen 1951 einen überraschenden Erfolg: Mit 11 Prozent der Stimmen und 16 Mandaten zog die rechtsradikale SRP in den Landtag ein. Dieser Wahlerfolg sorgte nicht nur in Niedersachsen für Aufsehen, sondern ließ auch in Bonn die Alarmglocken schrillen.
Die Bundesregierung, allen voran Bundesinnenminister Robert Lehr, sah in der SRP eine ernsthafte Bedrohung für die noch junge Demokratie. Schon 1950 war die Partei als extremistisch eingestuft worden, doch erst der Wahlerfolg in Niedersachsen brachte das Fass zum Überlaufen. Im Mai 1951 stellte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht den Antrag auf ein Verbot der SRP.
Der Historiker Richard Evans kommentiert die Situation treffend: „Die SRP war ein Lackmustest für die Widerstandsfähigkeit der jungen Bundesrepublik gegen rechtsextreme Tendenzen. Ihr Erfolg in Niedersachsen zeigte, dass die Geister der Vergangenheit noch lange nicht gebannt waren.“
Das Bundesverfassungsgericht urteilt: Die SRP ist verfassungswidrig
Der Prozess gegen die SRP vor dem Bundesverfassungsgericht wurde zum Präzedenzfall für den Umgang der BRD mit verfassungsfeindlichen Parteien. Am 23. Oktober 1952 fällte das Gericht sein Urteil: Die Sozialistische Reichspartei wurde für verfassungswidrig erklärt und verboten. Damit war die SRP die erste Partei, die in der Geschichte der RepublikDeutschland verboten wurde – ein zweifelhafter Ruhm, auf den die Parteiführung sicherlich gerne verzichtet hätte.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war eindeutig: „Die Sozialistische Reichspartei ist verfassungswidrig“, hieß es in der Urteilsbegründung. Das Gericht stellte fest, dass die SRP in ihrer Zielsetzung und dem Verhalten ihrer Anhänger die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigte und gefährdete. Die offene Bezugnahme auf die NSDAP, die Verharmlosung der NS-Verbrechen und die Ablehnung der demokratischen Grundwerte waren für die Richter Grund genug, der Partei einen Riegel vorzuschieben.
Fritz Dorls, der Vorsitzende der SRP, kommentierte das Urteil mit bemerkenswerter Ignoranz: „Das Verbot der SRP ist ein Beweis dafür, dass die BRD keine echte Demokratie ist. Wir werden weiterkämpfen für ein wahrhaft sozialistisches und nationales Deutschland.“ Dass er mit dieser Aussage die Richtigkeit des Urteils nur untermauerte, schien ihm entgangen zu sein.
Die Folgen des Verbots: Auflösung, Mandate und Ersatzorganisationen
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts begann die Abwicklung der SRP. Die Partei wurde aufgelöst, ihr Vermögen eingezogen und die Bildung von Ersatzorganisationen verboten. Die 16 Mandate der SRP im niedersächsischen Landtag wurden ersatzlos gestrichen – ein herber Schlag für die Partei und ihre Anhänger, die sich wohl schon als Königsmacher in der Landespolitik gesehen hatten.
Doch wie es bei Extremisten so üblich ist, gaben sich die ehemaligen SRP-Mitglieder nicht einfach geschlagen. Trotz des Verbots von Ersatzorganisationen versuchten einige, unter anderen Namen weiterzumachen. So entstanden Gruppierungen wie die „Deutsche Reichspartei“, die „Gemeinschaft unabhängiger Deutscher“ oder die kurzlebige „Deutsche Konservative Partei“ – allesamt Versuche, das rechtsextreme Gedankengut der SRP in neuem Gewand zu präsentieren.
Der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse merkt dazu an: „Das Verbot der SRP war ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung der Demokratie in der frühen Republik. Es zeigte aber auch, dass ein Parteiverbot allein nicht ausreicht, um rechtsextremes Gedankengut aus der Gesellschaft zu verbannen.“
Zwischen Widerstand und Anpassung: Die Protagonisten der SRP nach dem Verbot
Das Schicksal der führenden SRP-Mitglieder nach dem Verbot ist ein Spiegel der Zerrissenheit der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Während einige wie Fritz Dorls und Wolf Graf von Westarp weiterhin im rechtsextremen Milieu aktiv blieben, versuchten andere, sich in der BRD zu arrangieren – mit unterschiedlichem Erfolg.
Besonders bemerkenswert ist der Fall von Otto Ernst Remer, einem der Gründungsmitglieder der SRP. Remer, der sich während des Krieges als Unterdrücker des Widerstands vom 20. Juli 1944 einen Namen gemacht hatte, stilisierte sich nach dem Verbot der SRP zum „ehemaliger Widerstandskämpfer“ gegen das „Unrechtsregime“ der Bundesrepublik – eine Verdrehung der Tatsachen, die an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist.
Die Historikerin Christiane Kuller kommentiert: „Die Biografien der SRP-Führung nach dem Verbot zeigen exemplarisch die Schwierigkeiten der Entnazifizierung. Viele ehemalige Nationalsozialisten fanden Wege, sich in der neuen Ordnung einzurichten, ohne ihre Überzeugungen wirklich aufzugeben.“
Ein Präzedenzfall mit Folgen: Die Bedeutung des SRP-Verbots für die deutsche Demokratie
Das Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 war mehr als nur das Ende einer rechtsextremen Partei. Es war ein Meilenstein in der Geschichte der BRD und setzte Maßstäbe für den Umgang mit verfassungsfeindlichen Parteien. Als erstes Parteiverbot schuf es einen Präzedenzfall, auf den sich spätere Verfahren berufen konnten – nicht zuletzt das Verbot der KPD 1956.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigte, dass die junge Demokratie bereit war, sich gegen ihre Feinde zur Wehr zu setzen. Gleichzeitig warf sie Fragen auf, die bis heute diskutiert werden: Wie weit darf eine Demokratie gehen, um sich zu schützen? Wo liegt die Grenze zwischen legitimer politischer Opposition und verfassungsfeindlicher Aktivität?
Das Verbot der SRP war ein klares Signal: Die Bundesrepublik Deutschland war entschlossen, eine „wehrhafte Demokratie“ zu sein. Dass die Partei dabei ausgerechnet das Wort „sozialistisch“ im Namen trug, entbehrt nicht einer gewissen Ironie – zeigte es doch, wie austauschbar politische Etiketten sein können, wenn es darum geht, extremistisches Gedankengut zu tarnen.
Fazit zur Sozialistischen Reichspartei : Ein notwendiger Schnitt für die junge Demokratie
Das Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 war ein entscheidender Moment in der Konsolidierung der bundesdeutschen Demokratie. Es zeigte, dass die Republik bereit war, aus den Fehlern der Weimarer Republik zu lernen und entschieden gegen antidemokratische Kräfte und Ausläufer des Nationalsozialismus vorzugehen.
Gleichzeitig macht die Geschichte der SRP deutlich, wie fragil die demokratische Ordnung in den Nachkriegsjahren noch war. Der Wahlerfolg in Niedersachsen zeigte, dass rechtsextremes Gedankengut in Teilen der Bevölkerung nach wie vor auf fruchtbaren Boden fiel. Das Verbot allein konnte diese Tendenzen nicht beseitigen, aber es setzte ein wichtiges Zeichen.
Die SRP mag längst Geschichte sein, doch die Fragen, die ihr Verbot aufwarf, bleiben aktuell. In Zeiten, in denen populistische und extreme Parteien wie die AfD europaweit Zulauf erfahren, ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte der SRP und ihres Verbots relevanter denn je. Sie erinnert uns daran, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern jeden Tag aufs Neue verteidigt werden muss – auch und gerade gegen jene, die sich hinter wohlklingenden Parteinamen verstecken.
Literatur
Benz, Wolfgang: „Geschichte des Dritten Reiches“, C.H. Beck, München, 2000.
Dudek, Peter & Jaschke, Hans-Gerd: „Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik“, Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984.
Evans, Richard J.: „Das Dritte Reich“, DVA, München, 2004.
Frei, Norbert: „Vergangenheitspolitik: Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit“, C.H. Beck, München, 1996.
Jesse, Eckhard: „Demokratieschutz“, in: Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.): „Handwörterbuch des politischen Systems der BRD“, Leske+Budrich, Opladen, 2003.
Kailitz, Steffen: „Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland“, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2004.
Kuller, Christiane: „Bürokratie und Verbrechen: Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland“, Oldenbourg, München, 2013.
Winkler, Heinrich August: „Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom ‚Dritten Reich‘ bis zur Wiedervereinigung“, C.H. Beck, München, 2000.
Internetlink: Bundeszentrale für politische Bildung: „Das Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952“ https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/42032/verbot-der-srp-1952