Der SD wurde 1931 auf Initiative Heinrich Himmlers (1900-1945) als Nachrichtendienst der SS gegründet. Der ursprünglich „Ic-Dienst“ genannte SD mit Sitz in München erhielt die Aufgabe, den politischen Gegner, aber auch die eigenen Parteimitglieder politisch zu überwachen und der Parteiführung zu berichten. Mit dem Auf- und Ausbau des Ic/SD betraute Himmler den damals 27-jährigen Reinhard Heydrich (1904-1942), der den SD bis zu seinem Tod leitete. Ihm folgte Ernst Kaltenbrunner (1903-1946) als Chef des SD und des Reichssicherheitshauptamtes.
In seiner nur 14 Jahre währenden Existenz entwickelte sich der SD aus bescheidensten Anfängen zu einem hochdifferenzierten bürokratischen Apparat mit reichsweit 51 Haupt- und 519 Nebenstellen und mehr als 6.000 hauptamtlichen Mitarbeitern (1944), denen schätzungsweise 30.000 V-Leute zuarbeiteten. In der historischen Betrachtung treten die ursprünglichen Aufgaben des SD – Gegnerbeobachtung, Lageberichterstattung für die Partei- und Staatsführung, weltanschauliche Forschung und Auswertung, Auslandsspionage – in ihrer Bedeutung zurück hinter der Federführung des SD bei den konzeptionellen Planungen zur ›Endlösung der Judenfrage‹ und deren praktischer Durchführung.
Der SD verstand sich als „Elite der Elite“ im nationalsozialistischen Deutschland. Seine Führungsschicht setzte sich vor allem aus jungen Akademikern zusammen, die weltanschaulich gefestigt waren, ihrer Arbeit mit hoher Professionalität nachgingen und nicht davor zurückscheuten, ihre völkische Ideologie und ihren Anti-Semitismus in die Praxis des Völkermords zu übersetzen und sich selbst daran aktiv zu beteiligen.
Mit der Übernahme der Macht auf Reichsebene 1933 und der Gleichschaltung der Politischen Polizeien in den Ländern 1933/34 begann ein Prozess der organisatorischen und personellen Amalgamierung von Polizei und SS, der mit der Errichtung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) im September 1939 institutionellen Ausdruck fand. Für den SD bedeutete dieser Prozess in personeller Hinsicht eine drastische Zunahme seines Personals im Laufe der 1930er Jahre: SS-Angehörige der Sicherheitspolizei (Sipo, d.i. Gestapo und Kripo) mussten sich für den SD qualifizieren. Zugleich veränderte sich damit auch das Aufgabengebiet des SD, das von der Gegnerbeobachtung nun auch zur Gegnerbekämpfung überging, während gleichzeitig die Arbeitsbereiche „weltanschauliche Auswertung“ und „Schulung“ an Bedeutung gewannen. Die Aufgaben des SD 1940 fasste der Chef des Amtes I des RSHA, SS-Brigadeführer Werner Best, folgendermaßen zusammen:
„Der SD hat die Aufgabe, mit nachrichtendienstlichen Mitteln alle Lebensgebiete des Deutschen Volkes auf ihren Zustand und auf das Auftreten und die Wirkung volksschädlicher Erscheinungen zu überwachen, die für Abhilfe zuständigen Einrichtungen der Sicherheitspolizei sowie andere zuständigen Stellen zu unterrichten und die von seinen Vorgesetzten erteilten besonderen Aufträge – hinsichtlich des Auslands o.ä. – auszuführen.“
(Werner Best, Der Aufbau der Sipo und des SD …, 29.01.1940. Bundesarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, ZR 592/10, Bl.38-50)
Mit den „besonderen Aufträgen“ hinsichtlich des Auslandes spielte Best nicht nur auf den SD-Ausland und dessen (wenig erfolgreiche) Spionagetätigkeit an, sondern auch auf die Rolle der „Sonderkommandos“ und „Einsatzkommandos“ der Sipo und des SD, die erstmals 1938 beim Überfall auf Österreich in Erscheinung getreten waren. Diese mobilen Einheiten rekrutierten sich vor allem aus Angehörigen des Sicherheitsdienstes (während des Weltkrieges auch der Ordnungspolizei und der Waffen-SS) und hatten die Aufgabe, (angebliche) weltanschauliche und politische Gegner aufzuspüren und zu eliminieren sowie gegnerisches Schrift-, Archiv- und Kulturgut sicherzustellen. Während des Weltkrieges operierten zahlreiche „Einsatzgruppen“ in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten Europas; die Zahl der Opfer der Einsatzgruppen-Einsätze (Massenerschießungen, Gaswagen) schwankt zwischen deutlich mehr als einer halben Million und rund zwei Millionen Menschen.
Der SD reklamierte seit Mitte der 1930er Jahre für sich den Führungsanspruch in der Judenpolitik des Dritten Reiches. Dass er damit Erfolg hatte, war nicht zuletzt das Ergebnis der Arbeit der SD-Judenreferenten um Adolf Eichmann (1906-1962), Herbert Hagen (1913-) und Theodor Dannecker (1913-1945), deren visionäre Pläne zur Vertreibung, planmäßigen Emigration und – ab September 1939 – Deportation und Ghettoisierung der Juden wesentlich zur Radikalisierung der Judenpolitik beitrugen und den Holocaust möglich machten.
Die Gegnerbeobachtung und -bekämpfung des SD beschränkte sich nicht ausschließlich auf die Juden. Die nachrichtendienstliche und wissenschaftliche „Gegnerforschung“ beschäftigte sich auch mit der „Freimaurerei“, den „Politischen Kirchen“ (vor allem dem politischen Katholizismus), dem „Marxismus“, dem „Liberalismus“ und der politischen „Emigration“. In den entsprechenden SD-Referaten und (später) in den wissenschaftlichen Arbeitskreisen des RSHA-Amtes VII wurde beschlagnahmtes Material dieser „Gegner“ wissenschaftlich ausgewertet. Die Forschungsergebnisse dienten sowohl der weltanschaulichen Schulung innerhalb der SS („Leithefte“) als auch der akademischen Weiterqualifikation der SD-Mitarbeiter (Promotionen und Habilitationen an Universitäten). Diese „Akademisierung“ der Arbeit und des Personals des SD erfolgte in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre unter der Regie zweier junger Hochschullehrer: des Staats- und Verwaltungsrechtlers Reinhard Höhn (1904-2000) und des Zeitungswissenschaftlers Franz Alfred Six (1909-1975), die führende Stellungen im SD-Inland innehatten. Unter der faktischen Leitung von Franz Alfred Six in den späten 1930er Jahren wandte sich der SD auch der Wissenschaftspolitik zu: seine Mitarbeiter verfassten umfangreiche „Denkschriften“ zur Lage und zukünftigen Entwicklung einzelner Hochschuldisziplinen, nahmen Einfluss auf Berufungsvorgänge an deutschen Universitäten und versuchten sich am Aufbau eigener Hochschulstrukturen wie der „Auslandswissenschaftlichen Fakultät“ an der Berliner Universität (die Six leitete) oder den „Reichsuniversitäten“ Posen, Prag und Straßburg. Die kontinuierliche Berichterstattung des SD für die Führung von Partei und Staat zur alltäglichen Lage und politischen Meinung der deutschen Bevölkerung ist nach dem Krieg bekannt geworden durch die Veröffentlichung der sog. „Meldungen aus dem Reich“. Im „Fall IX“ der Nürnberger Prozesse – dem Einsatzgruppenprozess – stand eine Reihe hochrangiger SD-Funktionäre vor Gericht, die als Leiter diverser Einsatzgruppen fungiert hatten. Der SD als Institution wurde von den Alliierten in Nürnberg zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt.
In welchem Maße Netzwerke ehemaliger SD-Mitarbeiter Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung der BRD genommen haben – vor allem in den Bereichen der Publizistik und der Wissenschaft -, ist erst seit kurzem Gegenstand historischer Forschung.
Autor: Joachim Lerchenmueller Ph.D.
Literatur
Aronson, Shlomo: Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und SD, Stuttgart 1971.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage / Manon Eppenstein-Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999.
Browder, George C.: Foundations of the Nazi Police State. The Formation of Sipo and SD, Lexington/Kentucky 1990.
Hachmeister, Lutz: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 1998.
Ramme, Alwin: Der Sicherheitsdienst der SS. Zu seiner Funktion im faschistischen Machtapparat und im Besatzungsregime des sogenannten Generalgouvernements Polen, Berlin 1970.
Wildt, Michael: Die Judenpolitik des SD 1935-1938. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 71, München 1995.