Die Nürnberger „Reichsparteitage“ der NSDAP während des Dritten Reiches gehören zu den größten Veranstaltungen der Nazi-Diktatur überhaupt. Hier inszenierte sich die Nazibewegung und ihren Führer im September jeden Jahres in einem mehrtägigen Spektakel von pseudoreligiösen Inszenierungen und Aufmärschen. Zehn Parteitage veranstaltete die NSDAP zwischen 1923 und 1938. Vier in der Zeit der Weimarer Republik, sechs während des „Dritten Reiches“. Die Parteitage hatten keine programmatische Funktion. Sie dienten ausschließlich propagandistischen Zwecken. „Die Parteitage der Nationalsozialisten sind deshalb keine Einrichtungen zu unfruchtbaren Diskussionen – wie bei anderen Parteien – , sondern allen verständliche Kundgebungen des Wollens und der Kraft dieser Idee und Organisation“ betonte Hitler. Sie sollten Anhängern, Parteiangehörigen und Sympathisanten die eigene Stärke demonstrieren und diese zugleich auf ihren „Führer“ einschwören. Den Teilnehmern selbst – es waren zuletzt über eine halbe Million Menschen und noch einmal dieselbe Anzahl von Besuchern – sollte ein intensives Gefühl der Gemeinschaft vermittelt werden. Das jeweilige Motto, unter das die Parteitage im „Dritten Reich“ gestellt wurden, unterstreicht die propagandistische Bedeutung:
1933: Parteitag des Sieges
1934: Parteitag der Einheit und Stärke
1935: Parteitag der Freiheit
1936: Parteitag der Ehre
1937: Parteitag der Arbeit
1938: Parteitag Großdeutschlands
Der letzte geplante Parteitag, für den bereits auf Plakaten im ganzen Reich geworben wurde, sollte „Parteitag des Friedens“ heißen und war für Anfang September geplant. Dieser Parteitag wurde Ende August abgesagt: Hitlers Wehrmacht überfiel am 1. September 1939 Polen und entfesselte damit den Zweiten Weltkrieg.
Ablauf der Parteitage
Schon in der Weimarer Zeit, besonders aber nach der Machtergreifung waren Ablauf und Organisation auf den „Führer“ zugeschnitten, auf den stellvertretend durch die Parteitagsteilnehmer das ganze Volk in bedingungslosem Gehorsam eingeschworen werden sollte.
In ihrem Verlauf ähnelten sich die rund einwöchigen Parteitage:
1. Tag Eintreffen Hitlers in Nürnberg und Fahrt im offenen Wagen durch die Straßen, die von Tausenden von Menschen gesäumt werden und ihren „Führer“ mit frenetischen Heilrufen begrüßen. Die Stadt ist schon zuvor an öffentlichen, aber auch privaten Gebäuden wirkungsvoll mit großen roten Hakenkreuzflaggen drapiert worden. „Fahnenorgien, so daß der Himmel fast nicht mehr zu sehen war“, begeisterte sich Albert Speer, Hitlers Chefarchitekt der Parteitagsbauten. Unter Anwesenheit von Prominenten wird Hitler dann im Nürnberger Rathaussaal vom NSDAP-Bürgermeister begrüßt und bezieht dann im Hotel Deutscher Hof Quartier. In der Regel versammelte sich hier spätestens am Abend eine Menschenmenge, die verlangt, Hitler solle sich am Balkon zeigen.
2. Tag Vorbeimarsch der Hitler-Jugend am Deutschen Hof. Eröffnet wird der Kongreß in der Luitpoldhalle am Stadtrand von Nürnberg vor rund 16.000 Teilnehmern. Die Eröffnungsrede hält zunächst der „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, danach folgen Proklamation und Reden. Erst dann, nachdem solchermaßen die Spannung gesteigert wurde, hält Hitler die eigentliche Eröffnungsrede.
3.-8. Tag Im Zentrum stehen jeweils bestimmte Partei- und Staatsformation. Es gibt einen „Tag des Reichsarbeitsdienstes“, einen „Tag der Hitlerjugend“, einen „Tag der Sturmabteilungen“ (SA, SS) und einen „Tag der Wehrmacht“. Im Zentrum dieser Tage stehen jeweils große Aufmärsche der entsprechenden Formationen, in denen sich das Regime massenwirksam selbst darstellt. Höhepunkte sind dabei häufig nächtliche Märsche und Fackelzüge. Albert Speer inszenierte einen „Lichtdom“, bei dem das Aufmarschgelände Zeppelinfeld durch rundum postierte Flakscheinwerfer, deren Licht an den Himmel strahlte, von gewaltigen Lichtsäulen förmlich eingerahmt wurde. Auf diese Weise wurde das Gemeinschaftsgefühl beschworen.
Begleitet wurde das Programm von verschiedenen Parteikongreßen und Veranstaltungen bis hin zu „nationalsozialistischen Kampfspielen“. Eine besonders beliebte Disziplin: Handgranatenweitwurf. Immer wieder wußten die Nazis durch besondere Showelemente zu beeindrucken, so etwa durch einen Formationsflug von Militärmaschinen, die in Form eines riesigen Hakenkreuzes über die Parteitagsbesucher hinwegzogen.
Vorgeschichte
Ihren ersten Parteitag veranstaltete die NSDAP vom 27.- 29. Januar 1923 in München. An ihm nahmen bereits mehrere Tausend Parteianhänger und Sympathisanten und Mitglieder aus dem ganzen Reich, vorwiegend aber aus Bayern teil. Nach dem gescheiterten Putsch im November 1923 und der Festungshaft Hitlers begann die NSDAP deutliche Zerfallserscheinungen zu zeigen. Bei der Reichstagswahl 1924 brachte es die Partei gerade noch auf 3% der Wählerstimmen. Erst im Juli 1926 konnte wieder ein Parteitag durchgeführt werden – diesmal im thüringischen Weimar. Hitler hatte in Bayern noch Redeverbot. Auf diesem Parteitag wurde die Hitlerjugend gegründet und das Ritual der Fahnenweihe eingeführt: Die beim Putschversuch mitgeführte „Blutfahne“ weihte durch Berührung andere Standarten. Allein beim Umzug von SA und SS durch die Straßen in Weimar nahmen nach Angaben der lokalen Polizeibehörden rund 7000 Personen teil – die NSDAP war offenkundig eine bedrohliche Kraft in der Weimarer Republik geworden. Wie beim ersten Parteitag waren auch diesmal Diskussionen grundsätzlich verboten. 1927 fand der Parteitag der NSDAP dann erstmals in Nürnberg statt – jetzt bereits mit 30.000 Teilnehmern. Die Entscheidung für Nürnberg erfolgt weniger aus ideologischen denn aus pragmatischen Gründen: In Nürnberg hatte Hitler kein Redeverbot, die geographische Lage mit guter Verkehrsanbindung an das ganze Reich und zuletzt eine entgegenkommende örtliche Polizeibehörde – dies obwohl Nürnberg mehrheitlich sozialdemokratisch dominiert war. Dieser Mehrheit gelang es dann auch in den Jahren 1930 und 1931 die Parteitage wegen vorangegangener Ausschreitungen und Krawallen zu verhindern. 1932 fand ebenfalls kein Parteitag statt – die NSDAP war wieder einmal in finanziellen Nöten.
Nürnberg als „Stadt der Reichsparteitage“
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Nürnberg offiziell zur „Stadt der Reichsparteitage“. Hitler erklärt: „Ich habe mich entschlossen, daß unsere Parteitage jetzt und für immer in dieser Stadt stattfinden.“ Bereits der Parteitag 1933 kostete nach Schätzungen rund 1,8 Millionen Reichsmark, wovon die Stadt Nürnberg allein 1,5 Millionen beitragen muß. Die NSDAP beteiligt sich lediglich mit 200.000 Reichsmark. Bereits 1933 wird am Stadtrand Nürnbergs auf einem 16 Quadratkilometer großen Gelände mit der Errichtung von Parteitagsbauten begonnen. Auf der größten Baustelle Europas, wie die NS-Propaganda sie noch nicht einmal zu Unrecht nennt, werden die Arbeiten erst nach Hitlers Überfall auf Polen eingestellt. Obgleich man nur ein Bruchteil der gigantomanischen Planungen realisieren konnte, sind die Überreste der einstigen Parteitagsarchitektur noch heute unübersehbar. Schon von weitem fällt die enorme, in weißen Kalkstein gehaltene 23 Meter hohe Zeppelintribüne auf, die die Kopfseite eines für 100.000 Personen konzipierten Aufmarschfeldes bildet. Durch 6,5 Meter hohe Zuschauerwälle und 34 Fahnenpostamente wurde das Feld eingegrenzt und sollte so schon optisch und architektonisch die versammelten Massen zu einer ihrem Führer ergebenen Einheit zwingen. Dieser betrat über einen den Versammelten verborgenen Aufgang die vorgelagerte Rednertribüne mehrere Meter über deren Köpfen. Überhöht wurde Hitler nur durch ein riesiges Hakenkreuz auf der Spitze der Tribüne, bei den so beliebten nächtlichen Aufzügen wirkungsvoll beleuchtet. Durchzogen wird das Parteitagsgelände von einer 60 Meter breiten Aufmarschstraße, die den Blick genau auf die Burg des mittelalterlichen Nürnberg freigeben sollte. Die Nazis wollten so die Kontinuität von der mittelalterlichen Stadt der „Reichstage“ zu den nationalsozialistischen Reichsparteitagen suggerieren. Tausende von Zwangsarbeitern aus den nahegelegenen Konzentrationslagern Hersbruck und Flossenbürg wurden für diesen Bau eingesetzt – und nicht selten zu Tode gequält. Daß NS-Architektur Einschüchterungs- und Inszenierungsarchitektur war, spürt man auch bei einem weiteren, heute noch weitgehend erhaltenen Parteitagsbauwerk, der großen „Kongreßhalle“. Dem römischen Kolosseum nachgebildet, übertrifft sie dessen Größe aber um das anderthalbfache. Geplant war eine Überdachung aus Glas mit einer Spannweite von 160 Metern. Von einem weiteren Monumentalbauwerk ist nur eine riesige Baugrube geblieben die mit Wasser gefüllt heute einen See im Gelände bildet. Das „Deutsche Stadion“ sollte 400.000 Menschen aufnehmen können, die Fassade allein mehr als 100 Meter hoch sein. Tribünenanlagen für einen weiteren Aufmarschplatz sollten 80 Meter Höhe erreichen.
Die Parteitage als Medienereignis
Durch totale mediale Präsenz sollte das ganze deutsche Volk in das Parteitagsgeschehen eingebunden werden. Bereits im Vorfeld der Parteitage stimmte die NS-Propaganda mit Plakaten und in zahlreichen Presseartikeln auf das Ereignis ein. Viele Zeitungen und Zeitschriften wurden verpflichtet, Sondernummern zu den Parteitagen zu bringen. Beim Parteitag selbst waren zu Spitzenzeiten rund 750 Pressejournalisten zugelassen, teilweise aus dem Ausland, die für eine schnelle Übermittlung der gewünschten Botschaften sorgten. Der Rundfunk, den Goebbels‘ Propagandaministerium vollständig beherrschte, übertrug die wichtigsten Reden, produzierte Reportagen von den Aufmärschen und lieferte Hintergrundberichte. Via Kurzwelle versorgte man die Auslandsdeutschen in aller Welt mit Berichten von den Reichsparteitagen. Ausführliche Wochenschauberichte informierten ebenfalls über die Parteitage. Besonders viel versprachen sich die NS-Propagandisten von den Parteitagsfilmen – abendfüllende „Dokumentarfilme“ über die Parteitage. Bereits in der Weimarer Zeit war damit experimentiert worden. Nachdem bereits vom Parteitag 1933 die junge Regisseurin Leni Riefenstahl einen Film gedreht hatte, beauftragte Hitler sie, den offiziellen Parteitagsfilm zu drehen. Dieser lief Anfang 1935 unter dem Titel „Triumph des Willens“ überall in Deutschland an. Mit einem Budget von 300.000 Reichsmark und einem Personal von 170 Personen wurde so in einer dramaturgisch gekonnten Weise Hitler messiasgleich inszeniert. Bereits die Eingangssequenz dieses Films zeigt Hitler in seinem Junkersflugzeug gottgleich durch die Wolken nach Nürnberg schweben. Die Aufführung des Filmes geriet ebenfalls zu einem Propagandaspektakel: Die Kinos ließ man mit Flaggen dekorieren, Sonderveranstaltungen und zahllose Vorankündigungen heizten die Spannung an. Und wenn, wie nicht selten, in Kinos die Zuschauer in Heilrufe ausbrachen oder das Horst-Wessel-Lied gemeinsam sangen, dann wurde das Gemeinschaftserlebnis des Parteitags noch einmal nachvollzogen und das ganze Volk zum Mitteilnehmer am Parteitag gemacht.
Der Parteitag 1935: Die Nürnberger Rassegesetze
Von der weitgehenden programmatischen Abstinenz der NS-Parteitage machte der Reichsparteitag von 1935 eine berüchtigte Ausnahme. Hier wurden das „Gesetz über das Reichsbürgerrecht“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ – besser bekannt als „Nürnberger Rassegesetze“ – verkündet. Eheschließungen und außerehelicher Verkehr zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ waren ab jetzt bei Androhung von Gefängnis- und Zuchthausstrafen verboten. Die Nürnberger Rassegesetze waren ein entscheidender Schritt zum endgültigen Ausschluß der jüdischen Menschen aus der „Volksgemeinschaft“ und damit auch zum Auftakt für die Pogromnacht 1938 und letztlich zum Holocaust. Auf dem Parteitag wurden die Gesetze überhaupt erst zusammengestellt – vor allem auch, um ein propagandistisch vermarktbares Thema zu finden: Die Aufmerksamkeit des Volks für den Parteitag war angesichts des inzwischen zur Routine gewordenen Großspektakels gegenüber 1933 und 1934 bereits deutlich gesunken.
NS-Dokumentationszentrum in Nürnberg
Am 4. November 2001 wurde auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände ein neues NS-Dokumentationszentrum eröffnet. Eingerichtet im Nordflügel der Kongreßhalle, beschäftigt sich das Zentrum schwerpunktmäßig mit der Geschichte der Reichsparteitage und der nationalsozialistischen Propaganda. An Konzeption, Durchführung und Finanzierung waren die Stadt Nürnberg selbst, der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Nach einem Entwurf des Grazer Architekturprofessors Günther Domenig wird die Kongreßhalle durch einen diagonalen Gang aus Stahl und Glas „durchbohrt“. Damit soll ein Kontrapunkt gegen die Monumentalarchitektur der NS-Zeit gesetzt werden. An der Spitze dieses Ganges befindet sich eine Plattform, von wo aus der Besucher in die Kongreßhalle blicken und ihre ganze Ausdehnung erfassen kann. Ein Kinoraum für 100 Personen und Vortragssäle ergänzen die Ausstellungsräume. Ein zusätzliches Lern- und Studienforum in einem Glasaufsatz kommt hinzu. Ausgerichtet auf das Informationsbedürfnis vor allem jüngerer Besucher, werden moderne Präsentationsformen eingesetzt, wie Filme und Filmcollagen, Hörbilder, Zeitzeugen-Interviews und eine Einführungsmultivision.
Bei der Grundsteinlegung der Kongreßhalle prophezeite Hitler: „Wenn aber die Bewegung jemals schweigen sollte, dann werden nach Jahrtausenden diese Zeugnisse hier reden.“ Nürnberg hat dieser düsteren Drohung einen neuen Sinn gegeben: Als Warnung vor rechtsextremen Bestrebungen und vor der ständigen Gefährdung der Demokratie.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage / Manon Eppenstein-Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999.
Bartetzko, Dieter: Zwischen Zucht und Ekstase. Zur Theatralik von NS-Architektur, Berlin 1985 Geschichte für Alle (Hg.): Geländebegehung. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, 2. Aufl. Nürnberg 1995.
Ogan, Bernd / Weiß, Wolfgang W.(Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus, Nürnberg 1992.
Zelnhefer, Friedrich: Die Reichsparteitage der NSDAP. Geschichte, Struktur und Bedeutung der größten Propagandafeste der NSDAP im nationalsozialistischen Feierjahr, Nürnberg 1991.