Neuschwabenland. Dr. Axel Stoll (1948 – 2014) ist auch acht Jahre nach seinem Tod fleißiger Lieferant für Internet-Memes. Aussprüche wie „Muss man wissen“, „Magie ist Physik durch Wollen“ oder „Wer weiß das? Wieder keiner!“ sind legendär und noch immer sorgen Behauptungen, wie die Sonne sei kalt oder Frauenhaare eigneten sich als Funkempfänger, für Belustigung. Für alle Zeitgenossen, die ihren Kopf nicht nur als Hutständer benutzen, sei aber festgehalten: Axel Stoll war ein gefährlicher rechtsextremer Verschwörungstheoretiker und Holocaustleugner und sein Gefasel bildet nur die Spitze des Eisbergs der Verschwörungstheorien über eine geheime Nazi-Festung im ewigen Eis der Antarktis und Reichsflugscheiben.
Andere bekannte Anhänger dieser Mär von Hitlers Versteck am Südpol waren etwa der deutsche Wahlkanadier Ernst Zündel (1939 – 2017; Pseudonyme: Christof Friedrich, Mattern Friedrich) und die mit Stoll verbandelten Verschwörungstheoretiker Peter Schmidt (*1960) und Karl-Wilhelm Schneider (*1953), die mit ihm die Neuschwabenlandtreffen initiierten.
Also, wie sieht die Verschwörungstheorie aus? Auch wenn bestimmte Einzelheiten variieren, geht es gemeinhin stets um das Gebiet Neuschwabenland im westlichen Teil des Königin-Maud-Lands, was wiederum eine von Norwegen beanspruchte, aber international nicht als norwegisches Territorium anerkannte Region in Ostantarktika am Weddellmeer, einem der vierzehn Teilmeere des Südlichen Ozeans, auch Antarktischer Ozean oder Antarktik (analog zu Atlantik, Pazifik, Indik und Arktik), ist. Hier soll nun während der deutschen Antarktisexpedition 1938/39 das Schiff Schwabenland, was dem Gebiet später seinen Namen gab, angelandet sein.
Im Schlepptau der Expedition: Wehrmachtstruppen, die im ewigen Eis ein System aus unterirdischen Gängen aushoben, Vorräte bunkerten und so eine geheime Festung unterhalb der Antarktis errichteten. Gerne wird hier dann auch gleich die ebenfalls sehr beliebte Verschwörungstheorie von der Hohlerde mit eingeworfen.
Diese Theorie besagt, dass sich im Innern der Erde, unter der Oberfläche eine geheime Welt befindet – ähnlich wie in „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ von Jules Verne (1828 – 1905). Bevölkert wird die Hohlerde dann wahlweise von Echsenmenschen (, wenn die mal gerade nicht aus dem Weltall kommen,) oder eben der NS-Führung. Eben die sollen nämlich die zwei U-Boote U-530 und U-977 unter den Kommandos des Oberleutnants Otto Wermuth (1920 – 2011) und des Kapitäns zur See Heinz Scheffer (1896 – 1977) nach Kriegsende in die Festung im ewigen Eis evakuiert haben, d. h. Adolf Hitler (1889 – 1945), Eva Braun (1912 – 1945), vermutlich auch Blondi (1941 – 1945) und Wolf (1945 – 1945), Martin Bormann (1900 – 1945) und der übliche Tross an Speichelleckern wurden heimlich in die Antarktis verschifft und ihr Tod in Berlin nur vorgetäuscht.
Das ist die harmlose Variante. Glaubt man Dr. Axel Stoll, flogen die Nazis mit den stark an Fliegende Untertassen erinnernden Reichsflugscheiben wahlweise nach Aldebaran, von wo mit ihnen verbündete Außerirdische stammten, oder zu einem weiteren geheimen Stützpunkt auf der uns abgekehrten Seite des Mondes – ja, genau wie in „Iron Sky“. So oder so ist die Erde hier eine Strafkolonie von Außerirdischen … oder Echsenmenschen … oder außerirdischen Echsenmenschen … aus der Hohlerde. Gerne hat Hitler in diesen Geschichten auch die Atombombe und beherrscht die kalte Fusion.
So konnten die Nazis dann angeblich erst 1945 einen Angriff der Briten abwehren. Demnach war der Sieg der Eis-Nazis gegen das britische Kommando der Operation „Tabarin“ auch der Auslöser für die nächste Eskalationsstufe: die US-amerikanische Operation „Highjump“ unter dem Kommando von Rear Admiral Richard Byrd (1888 – 1957). Bei dieser sollen im Winter (bzw. auf der Südhalbkugel Sommer) 1946/47 4700 Soldaten, 33 Flugzeuge und 13 Schiffe zum Einsatz gekommen sein. Einen wirklichen Sieg sollen die USA aber erst 1958 mit der Vernichtung der „Zweitfestung“ Neuberchtesgaden mit Atombomben errungen haben.
Die Antarktisexpedition der Schwabenland in den Jahren 1938/39 gab es tatsächlich und deshalb heißt das Gebiet am Weddellmeer tatsächlich Neuschwabenland. Die beiden U-Boote U-530 und U-977 und ihre befehlshabenden Offiziere Wermuth und Scheffer existierten auch wirklich und tauchten wortwörtlich im Juli und August 1945 im argentinischen Hafen Mar de la Plata auf. Sie wollten mit ihren Besatzungen wie so viele Ex-Nazis in Argentinien untertauchen, jedoch kam der den ehemaligen Nazis wohlwollend gesinnte Präsident Juan Perón (1895 – 1974), der eine Militärdiktatur errichtete, erst 1946 an die Macht und so wurde aus dem Vorhaben nichts. Viele Nazi-Funktionäre sollten aber über die „Rattenlinien“ nach Südamerika, meist Argentinien fliehen und dort untertauchen.
1945 nahm man die Offiziere nebst Besatzung fest und verhörte sie. Schon damals keimte das Gerücht auf, die U-Boote seien Teil eines Konvois gewesen, der Hitler und seine Mischpoke zuvor in der Antarktis abgesetzt hatte. Dies ist wegen der geringen Vorräte an Verpflegung und Treibstoff schon einmal sehr unwahrscheinlich. Was die Geschichte aber als Märchen entlarvt, ist die Jahreszeit, denn wenn auf der Nordhalbkugel Sommer ist, ist auf der Südhalbkugel Winter. Für die Antarktis bedeutet das: völlige Finsternis und meterdickes Packeis. Nichtsdestotrotz publizierte der im Exil in Buenos Aires lebende Ungar Ladiszlav Szabó (Lebensdaten konnten wir leider nicht ermitteln) 1947 ein Buch mit dem Titel „Hitler está vivo“ (zu Deutsch: „Hitler ist am Leben“), womit die populäre Verschwörungstheorie geboren war.
Dann wären da noch die Aktivitäten der Westalliierten. Richard Byrd leitete mit Operation „Highjump“ keinen Angriff auf die Nazis, sondern ein Manöver in der Antarktik. Seine Warnung vor einer „Invasion feindlicher Flugzeuge aus Richtung der Polarregion“ bezog sich keineswegs auf Nazis, sondern die Sowjetunion. Und die drei Atombomben? Ja, die USA zündeten 1958 drei Atombomben im Rahmen ihrer vielen Hundert von Atomwaffentests, jedoch nicht in Neuschwabenland oder Neuberchtesgarden, sondern 2200 bis 3500 km entfernt davon, 1760 km südwestlich von Kapstadt, noch dazu in einer Flughöhe von 160 bis 750 km Höhe, also in der Thermosphäre. Womit es wohl wahrscheinlicher wäre, sie hätten versucht, auf die angebliche Nazifestung auf der Mondrückseite zu schießen.
Kurzum: Die Geschichte von den Tiefkühlnazis in ihrer Hohlerdenfestung komplett mit eigenen Fliegenden Untertassen ist zweifelsohne eine Verschwörungstheorie von der unterhaltsamen Sorte, aber bis auf einen kleinen wahren Kern ein völliges Hirngespinnst.
Literatur
Sebastian Bartoschek, Alexa Waschkau, Alexander Waschkau: „Muss man wissen! Ein Interview mit Dr. Axel Stoll“, jmb Verlag, Hannover 2013.