Die „Neue Reichskanzlei“ im Zentrum Berlins gehört zu den typischen Repräsentationsbauten des Dritten Reiches. Eingeweiht im Januar 1939 sollte die Reichskanzlei in der Hauptstadt vor der einheimischen Bevölkerung wie vor den Besuchern der Stadt den Machtanspruch des NS-Regimes und seines Führers repräsentieren. Und genau hier endete im Mai 1945 die Geschichte des NS-Größenwahns: Im Bunker unter der neuen Reichskanzlei beging Hitler Selbstmord. Und einen Tag nach ihm auch der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels mit seiner Frau, nachdem sie zuvor ihre sechs Kinder getötet hatten.Die Geschichte der Reichskanzlei reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück: Das Gebäude der später sogenannten „Alten Reichskanzlei“ war 1738–1739 von Carl Friedrich Richter erbaut worden. 1869 wurde das Palais von Otto von Bismarck für die preußische Staatsregierung angekauft. Nach der Reichsgründung ging es dann in den Reichsbesitz über und wurde als Wohn- und Amtssitz des Reichskanzlers genutzt. Mehrfach wurde es umgebaut und erweitert. Während der Regierung Bismarcks wurde die Reichskanzlei zur zentralen Behörde des Reiches, in der die Arbeit der wichtigen Staatsorgane koordiniert wurde. Auch in der Zeit nach Bismarck blieb hier das Zentrum der Reichsregierung.
Seit 1932 diente das Reichskanzlerpalais als Dienstwohnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Bald nach der Machtergreifung übernahm Adolf Hitler die Reichskanzlei als Dienstsitz. Seinem Anspruch an einen repräsentativen Amtssitz genügte das Gebäude allerdings nicht. Bereits im Sommer erteilte er seinem Lieblingsarchitekten Paul Ludwig Troost, der bereits vor der Machtergreifung für die NSDAP tätig war, den Auftrag zum Umbau. Das betraf vor allem den Innenbereich, die Dienstwohnung und sein Arbeitszimmer. Außerdem wurde 1935 nach Entwürfen Hitlers ein Balkon an der Außenfront angebracht.
Bau der neuen Reichskanzlei
Bereits 1934 gab es Überlegungen für einen umfangreichen Erweiterungsbau bzw. einen weitgehenden Neubau der Reichskanzlei. Hitler selbst entwarf das Konzept und beaufsichtigte persönlich den Fortgang der Arbeiten Auf den 27. Januar 1938 datiert auch ein interner „Fertigstellungsbefehl“ Hitlers: „Ich ordne an, daß das Gesamtbauvorhaben in der Voßstraße im Rohbau bis zum 1. August 1938 fertig gestellt und am 1. Januar 1939 bezugsfertig ist. (…) Sämtliche Behörden sind angewiesen, zur Erreichung des Bauzieles der Bauleitung die notwendige Unterstützung zu geben.“
Leitender Architekt war nun Albert Speer, der nach dem Tod Troosts im Jahr 1934 zum engsten Vertrauten Hitlers in Baufragen wurde. Insgesamt waren an der Baustelle rund 10.000 Arbeiter tätig – auch an Wochenenden und Feiertagen, in Schichtarbeit Tag und Nacht. Auch die Baukosten waren enorm: 1937 wurde von Albert Speer die Summe von 28 Millionen Reichsmark veranschlagt, tatsächlich wurden die Kosten dann dreifach so hoch. Insgesamt zogen sich die Bauarbeiten vom Abriss der ersten Häuser im Jahr 1936 bis zur Einweihung im 9. Januar 1939 rund drei Jahre hin.
Repräsentationsbau Reichskanzlei
Architektur im Nationalsozialismus war keine Funktionsarchitektur – NS-Bauten sollten den Machtanspruch des Regimes ausdrücken. Das zeigt sich in vielen Details der Reichskanzlei, vor allem an der monumentalen Größe. Die Außenfassade der Neuen Reichskanzlei zog sich insgesamt rund 420 Meter der Voßstraße entlang und war knapp 20 Meter hoch. Pompös gestaltet war auch der Eingang. Vier monumentale Säulen, ein zehnstufiger Treppenaufgang und ein Reichsadler mit Hakenkreuzsymbol über dem Eingang sollten dem Besucher Respekt abnötigen. Die Monumentalität setzte sich im Innern fort. Wer das Gebäude betrat, gelangte zunächst in den sogenannten „Ehrenhof“, mit einer Größe von 68 mal 26 Meter und einer Höhe von rund 18 Metern ebenfalls von imposanter Größe. Dieser wurde auch weit in den Krieg hinein noch genutzt. Empfänge, Aufmärsche. Vor allem Staatsbegräbnisse wurden hier propagandistisch inszeniert. Darüber hinaus gab es eine Reihe von ebenso monumentalen Sälen, wie den „Mosaiksaal“, in dem ebenfalls Empfänge stattfanden oder den „Runden Saal“ der dem antiken Pantheon nachempfunden wurde. Das Innere des Gebäudes war von teilweise über 100 Meter langen Korridoren geprägt. Die „Marmorgalerie“ im Mittelteil des Gebäudes hatte eine Länge von 146 Metern und übertraf dabei sogar die Spiegelgalerie in Versailles um das Doppelte. Ebenfalls auf optischen Eindruck hin war auch Hitlers Arbeitszimmer konzipiert. 400 Quadratmeter Grundfläche und 10 Meter Höhe sollten auch nach dem erklärten Willen Hitlers Diplomaten und Staatsgäste vor allem einschüchtern. Die „Neue Reichskanzlei“ war aus Sicht Hitler nur der Anfang zur vollständigen Umgestaltung Berlins zur Hauptstadt „Germania“.
Nutzung der Neuen Reichskanzlei
Als Regierungssitz wurde die „Neue Reichskanzlei“ von Hitler tatsächlich kaum genutzt. Viel häufiger hielt sich der „Führer“ auf seinem „Berghof“ bei Berchtesgaden auf, während des Krieges wechselte er zwischen den „Führerhauptquartieren“ in Frontnähe. Staatsgeschäfte wurden in der „Neuen Reichskanzlei“ von Hitler nur wenige getätigt. Darunter allerdings einige historisch bedeutende: So wurde hier am 15. März 1939 der tschechische Staatspräsident Hácha dazu genötigt, der Besetzung der Tschechei durch das Deutsche Reich zuzustimmen. Und am 31. August 1939 unterzeichnete Hitler hier den Befehl für den Angriff auf Polen, mit dem der 2. Weltkrieg begann.
In den Kriegsjahren wurde die Neue Reichskanzlei praktisch nur für propagandistische Inszenierungen genutzt. So etwa bei Beerdigungsfeierlichkeiten für den 1942 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Rüstungsminister Fritz Todt. Auch die Trauerfeiern für Reinhard Heydrich, der in Folge eines Attentats starb, fanden im Ehrenhof der Reichskanzlei statt.
Hitler selbst bezog in der Endphase des Dritten Reiches wieder seine Wohnräume im ersten Stock der alten Reichskanzlei. Erst Anfang Februar kam es allmählich zu größeren Zerstörungen sowohl der alten wie der neuen Reichskanzlei. Ende des Monates zog Hitler dann endgültig in den „Führerbunker“ unter dem Garten der Reichskanzlei um.
Im Gegensatz zu vielen Gebäuden in der Umgebung hatte die „Neue Reichskanzlei“ den Krieg zwar beschädigt, aber weitgehend unzerstört überstanden. In den ersten Monaten nach Kriegsende wurde das Gebäude sogar zu einer regelrechten touristischen Attraktion, vor allem für alliierte Militärangehörige. 1949 wurde dann damit begonnen, das Gebäude abzureißen. Der „Führerbunker“ unter der Reichskanzlei hatte zuvor schon mehreren Sprengversuchen widerstanden und wurde einfach mit Schutt verfüllt, so gut es ging. Es sollte aber noch bis 1956 dauern bis auch die letzten oberirdischen Überreste der neuen Reichskanzlei beseitigt waren. In unmittelbarer Nähe befindet sich jetzt das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Literatur
Arnold, Dietmar: Neue Reichskanzlei und Führerbunker. Legenden und Wirklichkeit, 2. Aufl., Berlin 2006.
Demps, Laurenz: Berlin-Wilhelmstraße – Eine Topographie preußisch-deutscher Macht, Berlin, 3. Aufl. 2000.
Fest, Joachim: Speer – eine Biographie, Frankfurt a. M. 2003.
Groehler, Olaf: Die neue Reichskanzlei – Das Ende, Berlin 1995.
Christoph Neubauer: Albert Speers Neue Reichskanzlei, 2 DVD (deutsch und englisch), zusammen 87 Minuten, „25FPS Filmproduction“, Frankfurt O.
Christoph Neubauer: Das Berliner Regierungsviertel, Teil 1: 1932-1938, DVD (deutsch und englisch, 70 Minuten, „25FPS Filmproduction“, Frankfurt O.
Schäche, Wolfgang: Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945, Berlin 1991.
Wolters, Rudolf: Die Neue Reichskanzlei – Architekt Albert Speer, München 1939.