Der Morgenthau Plan: Eine Analyse der amerikanischen Nachkriegspolitik in Deutschland
Der Morgenthau Plan, benannt nach dem damaligen US-Schatzsekretär Henry Morgenthau Jr., ist eines der kontroversesten Kapitel in der Geschichte der Nachkriegszeit, um das sich zahlreiche Legenden, Lügen und Vorurteile ranken. Dieser Plan, der nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde, sah drastische Maßnahmen zur Deindustrialisierung und De-Nazifizierung Deutschlands vor.
Entstehung des Morgenthau Plans
Der Morgenthau Plan wurde während des Zweiten Weltkriegs entwickelt, insbesondere in den Jahren 1944 und 1945. Sein Hauptverfasser war Henry Morgenthau Jr., der zu dieser Zeit US-Schatzsekretär war. Der Plan wurde als Teil der Diskussion über die Nachkriegsordnung und die Zukunft Deutschlands in den letzten Kriegsmonaten ausgearbeitet.
Eine der treibenden Kräfte hinter dem Morgenthau Plan war die Vorstellung, dass Deutschland nach dem Krieg dauerhaft entmilitarisiert und von seinen Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Zudem war die Idee, Deutschland so zu schwächen, dass es nie wieder zu einer Bedrohung für den Weltfrieden werden könnte, ein wichtiger Aspekt des Plans. Dies spiegelte die weit verbreitete Meinung wider, dass Deutschlands aggressive Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den beiden Weltkriegen geführt hatte.
Die Elemente des Plans
Der Morgenthau Plan bestand aus mehreren Schlüsselkomponenten:
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Deindustrialisierung: Ein zentrales Ziel des Plans war die Reduzierung der deutschen Industriekapazität auf ein Minimum. Dies sollte erreicht werden, indem wichtige Industrieanlagen demontiert und verschrottet wurden. Die Idee dahinter war, die wirtschaftliche Basis Deutschlands zu zerstören und seine Fähigkeit zur Kriegsführung zu begrenzen.
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Dezentralisierung: Deutschland sollte in eine lose Gruppe von Staaten aufgeteilt werden, um eine starke zentrale Regierung zu verhindern. Dies sollte die Macht der deutschen Regierung und damit ihre Fähigkeit zur Kriegsführung begrenzen.
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De-Nazifizierung: Der Plan sah vor, die Nationalsozialisten aus der deutschen Regierung zu entfernen und eine neue demokratische Regierung zu etablieren. Dies sollte sicherstellen, dass Deutschland nicht erneut eine aggressive außenpolitische Agenda verfolgen würde.
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Landwirtschaftliche Nutzung: Der Plan sah vor, dass Deutschland in erster Linie eine agrarwirtschaftliche Nation sein sollte, um die industrielle Basis zu untergraben und die Fähigkeit zur Kriegsführung weiter zu schwächen.
Die Umsetzung des Morgenthau Plans
Während der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 wurde der Morgenthau Plan von den Alliierten diskutiert, aber er stieß auf Widerstand. Sowohl die Briten als auch die Sowjets waren besorgt über die radikalen Maßnahmen des Plans und die potenziellen geopolitischen Auswirkungen. Die Sowjetunion hatte bereits große Teile Osteuropas unter ihre Kontrolle gebracht und war zögerlich, weitere Veränderungen in Europa zu akzeptieren.
Schließlich wurde der Plan modifiziert und abgeschwächt. Die Deindustrialisierung wurde in geringerem Maße durchgeführt, und die Idee der Dezentralisierung wurde aufgegeben. Stattdessen wurde Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt, wobei jede der Hauptalliierten (USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion) eine Zone kontrollierte.
Die Gründe für die Verwerfung der Planungen
Es gab mehrere Gründe, warum der ursprüngliche Morgenthau Plan letztendlich aufgegeben wurde:
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Geopolitische Realitäten: Die geopolitische Situation hatte sich seit der Entwicklung des Plans verändert. Die Sowjetunion hatte große Teile Osteuropas erobert und kontrollierte bereits eine beträchtliche Fläche. Die USA und Großbritannien erkannten, dass es schwierig sein würde, die Sowjets dazu zu bringen, den Plan zu akzeptieren, und dass eine Einigung auf eine gemeinsame Nachkriegspolitik notwendig war.
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Humanitäre Bedenken: Es gab ernsthafte Bedenken hinsichtlich der humanitären Auswirkungen des Plans. Die Deindustrialisierung hätte zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einem Mangel an lebenswichtigen Gütern geführt, was zu großem Leid für die deutsche Bevölkerung geführt hätte.
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Wirtschaftliche Erholung: Die USA erkannten auch die Bedeutung der wirtschaftlichen Erholung Europas für die Sicherheit und Stabilität der Region. Deutschland spielte eine Schlüsselrolle in diesem Prozess, und eine dauerhafte Deindustrialisierung hätte die wirtschaftliche Erholung behindert.
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Kalter Krieg: Schließlich spielte der aufkommende Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion eine entscheidende Rolle. Die USA waren bestrebt, Westdeutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus zu etablieren. Dies erforderte eine wirtschaftlich starke und stabile Westdeutschland.
Konsequenzen
Obwohl der ursprüngliche Morgenthau Plan aufgegeben wurde, hatte er dennoch Auswirkungen auf die Nachkriegsordnung in Deutschland und Europa. Die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Entfernung der Nationalsozialisten aus der Regierung waren zentrale Elemente des Plans, die in der Nachkriegszeit umgesetzt wurden.
Darüber hinaus führte der Plan zu Debatten über die Rolle Deutschlands in der Nachkriegsordnung und die Verantwortung der Deutschen für die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Diese Debatten beeinflussten die Entstehung des Nürnberger Prozesses und die Verfolgung von Kriegsverbrechern.
Literatur
Wolfgang Benz: Morgenthau Plan. In: Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte. dtv, München 1998, ISBN 3-423-30130-9 (Text online).
Wolfgang Benz: Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946–1949. Frankfurt am Main 1989.
John Morton Blum: Deutschland ein Ackerland? Morgenthau und die amerikanische Kriegspolitik 1941–1945. Droste, Düsseldorf 1968.
Harry G. Gelber: Der Morgenthau Plan. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 13, 1965, Heft 4, S. 372–402, Text ifz-muenchen.de (PDF; 5,9 MB).
Wilfried Mausbach: Zwischen Morgenthau und Marshall. Das wirtschaftspolitische Deutschlandkonzept der USA 1944–1947 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 30). Droste, Düsseldorf 1996.
Bernd Greiner: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans. Hamburger Edition, Hamburg 1995.
Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 1995.
Wolfgang Krieger: Die amerikanische Deutschlandplanung. In: Hans-Erich Volkmann (Hrsg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs.München 1995, S. 25–50.