Im sechsundsiebzigsten Jahr des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion eroberte eine neue Biographie der Person die Buchläden, die mit ihren militärischen Leistungen wesentlich zur Niederlage des Hitlerregimes beitragen sollte. Die Rede ist von Marschall Georgi K. Schukow (1896-1974). Sich der Mühe „auf der Basis neuester geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse zu Schukow eine Neubewertung vorgenommen zu haben (wo nötig) und dabei seine Verdienste und Schwächen im Kontext der historischen Situation zu beleuchten (…)“ – der hat sich der britische Publizist und Slawist Philipp Ewers unterzogen. Das Ergebnis ist nun eine Biographie über eine facettenreiche Persönlichkeit, die die Sowjetunion über Jahrzehnte, insbesondere ihre Armee geprägt hat, im Grunde bis heute prägt. Ist er doch fester Bestandteil der Erinnerungskultur im heutigen Russland. Aber der Autor lässt nicht nur den Militär Schukow zum Vorkommnis werden, sondern auch den Privatmann Schukow. Seiner Frau Alexandra war er bis zu ihrer Scheidung Mitte der 60-ger Jahre häufig untreu, dafür wurde ihm z. B, eine attraktive Ärztin zur „Herzensangelegenheit“ die er nach seinem zweiten Herzanfall in einer Klinik kennenlernte.
So, wer mehr Privates lesen möchte, der kaufe sich das Buch. Zumal es ja nicht sein Kern ist, aber es macht den „Kriegskünstler“ vielleicht etwas menschlicher.
Was beim Lesen auffällt: Angefangen bei der Schilderung seiner Kindheit und Jugend, oder später während des Krieges als stellvertretender Oberbefehlshaber Stalins, Schukow zeigte sich erfinderisch: So war der soziale Status seiner Familie gar nicht so ärmlich, wie er behauptete, schrieb Ewers. Und später als einer der ranghöchsten Soldaten der Roten Armee erklärte er bei Stalin u.a. zur Ausarbeitung von militärischen Operationen gewesen zu sein, obwohl, so wiederum Ewers, sich kein entsprechender Eintrag in Stalins Terminkalender dazu findet.
Man fragt sich, warum macht einer so was, hatte das ein Schukow nötig? Waren es Selbstzensur oder die tatsächliche Parteizensur? Diese verlogene Zensur hatte auch für den Kriegshelden Schukow seine Auswirkungen, denn lange unveröffentlichtes Material gelangte teils erst posthum zum Druck.
Seine Feuertaufe erhielt der spätere „Sieger von Berlin“ im Ersten Weltkrieg. Er diente in der Kavallerie, der er sich zeitlebens verbunden fühlte. Um einen historischen Vorgriff zu exerzieren; die Siegesparade am 24. Juni 1945 nahm er über den Roten Platz reitend ab. Und dies mit einem weißen Araberhengst, der ihm zuvor von Budjonny geschenkt worden war. Seine Ausbeute aus dem „Großen Krieg“, es sollten noch drei Kriege folgen, waren zwei Georgskreuze, ein deutscher Gefangener und eine schwere Verwundung. Weitere seiner Kampffelder waren die des stellvertretenden Inspekteurs der Kavallerie der Roten Armee, das Kommando über eine Kavalleriedivision sowie die Schlacht am Chalchin Gol, 1939. Zur Sprache bringt der Autor auch die Zeit der „Großen Säuberungen“, wo Tausende Armeeangehörige schon in Friedenszeiten ihr Leben verloren. Breiten Raum nimmt das Vorkriegsgeschehen und der, trotz Nichtangriffspakt als unvermeidlich betrachtete, kommende Krieg mit Hitlerdeutschland ein. Zu Kriegsbeginn war Schukow Generalstabschef.
Ewers begleitet den „Rüpel“ (General Pawel Batow) in die Schlachten des Großen Vaterländischen Krieges. Er folgt ihm von den anfänglichen Kesseln, nach Leningrad, Moskau, Stalingrad, von Kursk nach Warschau und schließlich nach Berlin. Immer war Schukow dabei – ob als Entwickler von Operationsideen, als Vertreter des Hauptquartiers, oder als Frontoberbefehlshaber. Doch wie groß sein Anteil an faschistischen Niederlagen und den damit verbundenen sowjetischen Siegen jeweils war, ist fraglich bis umstritten. Denn aus dem Buch erfahren wir, der vierfache Held der Sowjetunion teilte den Ruhm ungern mit anderen. Stattdessen setzte er viel daran, seine Rolle im damaligen „Kriegsspiel“ überzubewerten.
Der Höhepunkt in der militärischen Laufbahn des Marschalls dürfte das Amt des Verteidigungsministers gewesen sein, in das ihn Chruschtschow 1955 hievte. Aber schon zwei Jahre später ließ er ihn wieder fallen. Dabei vollbrachte er als Minister Erstaunliches. In dieser Zeit gelingt es insgesamt zwei Millionen Mann zu demobilisieren. Maßgeblich sollte er an der Ausarbeitung des Warschauer Vertragswerkes beteiligt sein, das letztlich zur Gründung des Warschauer Vertrages führte. Dabei hatte er dafür gesorgt, dass eine weniger militärisch-aggressiv, als eine vielmehr friedensfördernd-defensive Note darin aufgenommen wurde. Weil der Soldat weiß, was Krieg heißt? Bei der Genfer Abrüstungskonferenz (1955) kann Chruschtschow nicht mit der Aufmerksamkeit umgehen, die seinem mitreisenden Spitzenmilitär zukommt. So landet Schukow auf der Titelseite des TIME-Magazine. Geht ja gar nicht. Am Ende wird ihm vorgeworfen, „Partei und Armee auseinander dividieren zu wollen“ und so wird er durch den „Speichellecker“, Marschall Rodion Malinowski, ersetzt.
Das Leben von Marschall Georgi K. Schukow war eines von zahlreichen Erfolgen, Rückschlägen, Brüchen und politischen wie privaten Tragödien und sicher auch von Momenten des Glücks. Er war eine Gestalt, die polarisierte und seine Zeitgenossen zu den unterschiedlichsten Urteilen veranlasste. Beim BBC-Korrespondenten Alexander Werth habe er u.a. „den Eindruck eines großen Mannes hinterlassen“. Derb wie er selbst war, äußerte sich der US-General George Patton: „Schukow sei ihm wie ein Operettenbuffo vorgekommen mit dem ganzen Ordensblech an seiner Brust, zudem sei er ziemlich klein, fett und habe ein Affengebiss, aber gute blaue Augen“. Ein ganz anderes Bild zeichnete der sowjetische Übersetzer zweier Unterredungen, die Eisenhower und Schukow am Rande der schon erwähnten Genfer Abrüstungskonferenz führten. Hier habe sich der neue sowjetische Minister sehr würdevoll und diplomatisch verhalten, wobei er nicht wie der gnadenlose Befehlshaber gewirkt habe, als der er oft beschrieben wurde.
Ferner stößt der Leser auf manchen Schreibfehler, des öfteren könnten die Übersetzung kreativer und der Wortschatz größer sein. Zu empfehlen wäre ebenso ein Quellenverzeichnis und eine vertiefende Literaturliste.
Schon zu Beginn erfährt man, der Buchautor Philipp Ewers, heißt in Wirklichkeit tatsächlich anders. Nun – so schlecht ist das Buch trotz der zuletzt vorgebrachten Kritik nicht. Eine verbesserte und ergänzte Nachauflage wäre auf jeden Fall wünschenswert.
Autor: René Lindenau
Philipp Ewers: Marschall Schukow – Der Mann der Hitler besiegte, edition berolina, 1. Auflage, ISBN 978-3-95841-060-2