In der Herausgeberschaft des Militärhistorikers Dr. Roman Töppel erschien im Mai 2025 bei Brill und Schöningh der erste Band der Kriegstagebücher und Briefe von Generalfeldmarschall Erwin von Manstein. Der in ihm abgesteckte Zeitrahmen umfasst die Jahre 1939 bis 1941.
Im ersten Band wird der Weg in den Krieg und dessen Beginn aufgezeigt. Dabei werden die Spuren der Wehrmachtstiefel nachgezeichnet, die sie in kriegerischer Absicht im Polen- und im Westfeldzug hinterlassen haben. In den Anschlussbänden geht es ab 1941 in den Russlandfeldzug. Der Inhaltsgeber war ja bis zu seiner Versetzung in die Führerreserve (1944) durch den Führer immer vorneweg dabei; Krim, Charkow, Stalingrad, Kursk.
In der Einleitung wird abrissartig der militärische Werdegang Mansteins geschildert. Zur Nennung kommen seine verschiedenen Dienststellungen, die er im regelmäßigen Wechsel im Truppen- und Stabsdienst innehatte. Nicht zu vergessen die Teilnahme am Ersten Weltkrieg, den er unter anderem als Ordonnanz oder in Stabsdiensten zubrachte. Bei einem Nahkampf wurde er am 16. November 1914 schwer verwundet. Aus dem – Privatsektor – ist die Eheschließung mit der damals 20-jährigen Jutta-Sibylle von Loesch zu „melden“. Der junge Offizier heiratete sie im Jahre 1920. Jutta-Sibylle war die Tochter eines schlesischen Rittergutsbesitzers. Drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter wurden in die Familie hineingeboren. Sieben Jahre sollte Erich von Manstein seine Frau überleben, sie schied schon im Alter von 66 Jahren aus dem Leben. Geht man nach den im Buch nachlesbaren Briefen, dann war es eine große und zärtliche Liebe, die vor allem in der vom Kriege geschwängerten Zeit gehalten und Schicksalsschläge ertragen musste.
Laut Töppel (Einleitung) schrieben sich die Mansteins im Zeitraum von September 1939 bis März 1944 circa 2.400 Briefe und Postkarten. Auffallend dabei die ausgesprochen zärtliche Anrede seiner Frau durch Manstein, einem alten Soldaten, der nicht zuletzt später als Kriegsverbrecher verurteilt werden sollte; Herzliebes, Herzelein oder Herzliebchen. Seine Gattin war da weniger breit aufgestellt, sie beließ es meist bei „Erli“. Doch im Kriegsalltag hatte er für seine Soldaten und die Zivilbevölkerung in seinen rückwärtigen Operationsgebieten offensichtlich weniger Herz. Mit der allzu harten Realität des Krieges hat er seine Julia aber nicht konfrontiert, auch Momente, wo er persönlich hoher Gefahr ausgesetzt war. Oft schrieb er ihr nur von Übungen und Besprechungen, Ausritten und Essen. Nur einmal war dies unabänderlich – als das Schicksal des Krieges in ihr familiäres Umfeld einschlug: Ihr Sohn Gero war für „Führer, Volk und Vaterland“ 1942 an der Ostfront gefallen. Davon abgesehen; andere Vertreter der militärischen Führungselite der Hitler-Wehrmacht mussten in diesem Krieg ebensolche Verlustabschreibungen „verbuchen“: Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel verlor zwei Söhne in Russland und Großadmiral Karl Dönitz einen Sohn auf See.
Die Ehefrau Jutta-Sibylle beschäftigte naturgemäß vorrangig das Wohlergehen ihres „Erli“.
So freute sie sich mit ihm über die Eroberung Warschaus, die zum Glück nicht so viel deutsche Opfer brachte. Ihr „Erwin der Eroberer“ bekannte in einem Brief: „Ich schlief gestern so glücklich ein, als die Nachricht kam, dass Warschau kapituliert hat“ (siehe Roman Töppel (Herausgeber), Manstein Kriegstagebücher und Briefe, 1939–1941, Brill und Schöningh 2025, Seite 86). Aber an den schrecklichen Preis seines glücklichen Schlafs für das polnische Volk dachte der Feldherr natürlich nicht. Anders ihr Tonfall in einer Postkarte vom 15. Juni 1940. Verdun war gerade gefallen, sie vermutete, dass er (auch dort) immer mit dabei war. Aber dem war diesmal nicht so (siehe Roman Töppel (Herausgeber), Manstein Kriegstagebücher und Briefe, 1939–1941, Brill und Schöningh 2025, Seite 468 f.). Ferner berichtete sie von den Zuständen daheim. In einem Brief teilt Jutta-Sibylle ihrem Mann die Kündigung des Abonnements der bürgerlich-konservativen Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ) mit. „Drei Zeitungen seien Luxus“, so seine Frau. Schwerwiegender dürfte allerdings das Unbehagen von Goebbels mit der DAZ und der damit verbundene Druck gewesen sein. Nebensächlich erscheint dagegen, wenn „Erli“ einige Male von den Magenschmerzen von Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt berichtet, der ewig nur Pillen schlucke und regelmäßig verkündete, wir werden alle an Krebs sterben. Er starb mit 77 an Herzversagen (!).
Beide waren stets erfreut, voneinander zu lesen. In einem Fall äußerte sich jedoch seine Frau hinsichtlich der Anwürfe allein auf ihren Namen besorgt bis kritisch. Bei „Manstein“ wurde regelmäßig ein jüdischer Hintergrund vermutet, was für seine Träger im Dritten Reich eine direkte Gefährdung darstellen konnte (siehe Roman Töppel (Herausgeber), Manstein Kriegstagebücher und Briefe, 1939–1941, Brill und Schöningh 2025, Seite 215). Jahrzehnte nach der Hitlerzeit konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass solche Verdächtigungen jeder Grundlage entbehrten. Aber es sagt etwas über das Klima, das in der Nazi-Zeit herrschte.
Wer sich auf diese inhaltsreiche Lektüre einlässt, so viel kann man schon sagen, wird feststellen, dass die einzelnen Abschnitte nach einem bestimmten Turnus ablaufen. Zunächst werden Hintergründe der militärischen/politischen Lage, der Prozess der Operationsplanung (einschließlich der Beschreibung erster Konflikte) und die Durchführung des Feldzuges/Operation selbst dargestellt. Im Anschluss ist dem Punkt Edition die Einsichtnahme in Kriegstagebücher des Generals und in hinterlassene Briefe der Eheleute möglich. Neben dem schon erwähnten Weg in den Krieg geht es um den Feldzug gegen Polen, um den Feldzug im Westen und, wie heißt, um „Neue Aufgaben in Frankreich“.
Wie oben schon angedeutet, waren sich Frontbefehlshaber und höherer Kommandostellen der Wehrmacht schon in der Frühphase des Krieges des Öfteren uneins. Das mag nur eine Titelzeile „Das Ringen mit dem OKH“ (1940) illustrieren (siehe Roman Töppel (Herausgeber), Manstein Kriegstagebücher und Briefe, 1939–1941, Brill und Schöningh 2025, Seite 109). Im weiteren Kriegsverlauf, als der Krieg die Rückkehr nach Deutschland in Angriff nahm, sollte sich bekanntermaßen diese Konflikte zuspitzten.
Für die militärgeschichtlich besonders Interessierten behält die Publikation ein Schmankerl bereit.
Denn viel Platz wird der Entstehung, Diskussion, Ausführung und Folgen des „Sichelschnittplans“ gewidmet. Dabei wird auch mit mancher Legende aufgeräumt, ähnlich wie zum Halt-Befehl in Dünkirchen. Diese beiden militärgeschichtlichen Komplexe werden ja bis heute kontrovers debattiert, wobei es inzwischen doch einige neue wissenschaftliche Raumgewinne zu verzeichnen gibt; siehe Töppel. Hierzu nur zwei Überschriften: „Der ‚Sichelschnitt‘ wird durchgesetzt“ (Seite 235 f.) und „Der Halt-Befehl vom 16. Mai 1940 ‚Dichtung und Wahrheit‘“ (Seite 290 f.).
In seine Kriegstagebücher formulierte der schreibende General die unmittelbaren Kampfverläufe und die Ergebnisse der Operationsführung seiner Truppen. In das Bild des Strategen Manstein passt die Denkschrift „Gedanken zur Kriegsführung gegen die Westmächte“ vom 29.11.1939 (siehe Roman Töppel (Herausgeber), Manstein Kriegstagebücher und Briefe, 1939–1941, Brill und Schöningh 2025, Seite 191 f.).
Es ist neben der ungeheuren Fleißarbeit das Verdienst des Herausgebers, langlebige Legenden in die Wirklichkeit überführt, Richtigstellungen vorgenommen und ewig verfestigte falsche „Kriegsbilder“ vom Haken genommen zu haben.
Schließlich findet man im Anhang einen Bild- und Kartenteil, zahlreiche weiterführende Literaturhinweise und Quellenangaben sowie ein umfangreiches Register. Man darf also in freudiger Erwartung auf die Fortsetzung des Werkes gespannt sein.
Autor: René Lindenau
Roman Töppel (Herausgeber), Manstein Kriegstagebücher und Briefe, 1939 – 1941, Brill und Schöningh 2025