Großadmiral Karl Dönitz. Herr der U-Boote, Hitlers Nachfolger, Führer der letzten Reichsregierung im Dritten Reich. Legende und Wirklichkeit.
Die meisten Staaten der Welt trennen das Amt des Regierungschefs und das des Staatsoberhaupts voneinander, um zu verhindern, dass eine zu große Macht auf eine Person vereinigt wird. Ausnahmen bilden etwa die Vereinigten Staaten von Amerika oder die Republik Türkei. In Deutschland waren die Ämter schon im Kaiserreich voneinander getrennt: Der Kaiser war Staatsoberhaupt, der Reichskanzler Regierungschef. In der Weimarer Republik trat der Reichspräsident an die Stelle des Kaisers, das Amt des Reichskanzlers als Regierungschef blieb bestehen. Als Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847 – 1934) Ende Januar 1933 widerwillig Adolf Hitler (1889 – 1945) zum Reichskanzler ernannte, begann zwar die Herrschaft der Nazis, jedoch nicht Hitlers Alleinherrschaft. Diese erlangte er erst, als er mit dem Tod Hindenburgs anderthalb Jahre später das Amt von Reichskanzler und Reichspräsident auf seine Person und das neu geschaffene Amt des Führers vereinte. Doch wie war Hitlers Nachfolge geregelt? Lange gar nicht, dann stand einige Zeit Hermann Göring (1893 – 1946) als designierter Nachfolger fest, doch als sich im April 1945 die Schlinge der Roten Armee immer enger um Berlin schloss und Hitler seinen Suizid plante, musste ein Nachfolger her, dem Hitler nach wie vor wohlgesonnen war. Reichskanzler wurde für einen Tag Joseph Goebbels (1897 – 1945), bis auch der Selbstmord beging und von Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk (1887 – 1977) ersetzt wurde. Das viel entscheidendere Amt des Reichspräsidenten, also seine tatsächliche Nachfolge, vererbte Hitler an Großadmiral Karl Dönitz (1891 – 1980). Nicht Heinrich Himmler (1900 – 1945), nicht Hermann Göring, nicht Albert Speer (1905 – 1981), die allesamt in Ungnade gefallen waren, sondern der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und U-Boot-Flotte sollte den „Führer“ beerben.
Als 1933 die Nazis die Macht an sich rissen, begrüßte Großadmiral Dönitz wie viele Militärs zu jener Zeit deren Politik, versprach die doch einen gegen den Friedensvertrag von Versailles verstoßenden Ausbau der Streitkräfte. Noch im selben Jahr wurde Dönitz zum Fregattenkapitän befördert und 1934 mit dem Kommando über den Kreuzer Emden betraut. 1935 wurde das Flottenabkommen zwischen Deutschem Reich und Vereinigtem Königreich geschlossen, das dem Deutschen Reich entgegen den 1918/19 im Friedensvertrag von Versailles von Frankreich geforderten Beschränkungen der deutschen Streitkräfte einen Ausbau der deutschen Kriegsmarine auf 35 % der Stärke der Royal Navy ermöglichte. Die Briten versprachen sich von einem militärisch starken Deutschen Reich einen Schutz vor der Roten Armee der Sowjetunion. Man sah damals die Gefahr vor allem in Stalin (1878 – 1953), nicht Hitler. Der wiederum beauftragte nun seinen glühenden Verehrer Dönitz, der nun zum Kapitän zur See befördert wurde, mit dem Neuaufbau der U-Boot-Flotte. Bis Kriegsbeginn sollte die über 57 U-Boote verfügen – nicht genug, um es mit der Royal Navy aufzunehmen. Dönitz, der wenige Monate vor Kriegsbeginn (genau gesagt am 28. Januar 1939) zum Kommodore befördert wurde und nun auch „Führer der U-Boote“ genannt wurde, entwickelte die „Wolfsrudeltaktik“, um die zahlenmäßige Überlegenheit der Royal Navy zu kompensieren. Die U-Boot-Waffe sollten bei Nacht an die Wasseroberfläche kommen, wo das Sonar sie nicht erfassen konnte und sie gegen den Meeresspiegel wegen der Dunkelheit schwer zu sehen wären, und dann angreifen. Zwei Wochen nach Dönitz‘ Beförderung zum Konteradmiral und der damit einhergehenden Berufung zum „Befehlshaber der U-Boote“ (BdU) machte er von sich und seiner U-Boot-Flotte durch einen aufsehenerregenden Coup reden: In der Nacht vom 14. Oktober 1939 drang die U 47 in den Royal Navy-Hafen Scapa Flow ein und vernichtete dort das Schlachtschiff HMS Royal Oak. Strategisch war der Angriff nahezu bedeutungslos, doch seine psychologische Wirkung war gewaltig für den U-Boot-Krieg.
Die Erfolge der deutsche U-Boote mit der „Rudeltaktik“, die nun immer weiter vergrößert wurde, waren in den ersten Kriegsjahren enorm und führten fast zur Unterbrechung britischer Nachschubwege. Etwa 2800 Schiffe versenkte Dönitz‘ U-Boot-Flotte, was ihm am 1. September 1940, genau ein Jahr nach Kriegsbeginn, die Beförderung zum Vizeadmiral einbrachte. Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg der deutschen Streitkräfte und insbesondere der U-Boot-Flotte war die verschlüsselte Kommunikation mittels der Enigma. Doch hatten die Nazis die Rechnung ohne die Codebraker vom Bletchley Park rund um Alan Turing (1912 – 1954) gemacht. Als der die Enigma knackte, wendete sich das Blatt für die deutschen Streitkräfte, nicht aber für Dönitz, welcher am 14. März 1942, wenige Monate bevor die Briten auch die vierte Generation der Verschlüsselungsmaschine dechiffrieren sollten, zum Admiral befördert wurde.
Trotz alledem konnte Dönitz mit seinen U-Booten mehr Erfolge verbuchen als Großadmiral Erich Raeder (1876 – 1960), der bei Hitler 1943 nicht zuletzt wegen seiner Abneigung gegen U-Boote so sehr in Ungnade gefallen war, dass er durch Dönitz ersetzt wurde. Dem wurde 1944 als nun dritter Mann in der Kommandohierarchie nach Hitler und Göring das Goldene Parteiabzeichen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) verliehen.
Am 30. April 1945 erreichte Dönitz dann das Schreiben Hitlers, mit dem er laut dessen politischen Testament zum Nachfolger des Führers bestimmt wurde und antwortete auch auf dieses, da er nicht wusste, dass Hitler sich bereits das Leben genommen hatte. Dies erfuhr er einen Tag später, am 1. Mai 1945. Er übernahm die Staatsführung und den Oberbefehl über sämtliche Streitkräfte und forderte daher über den Rundfunk zur Fortsetzung des Krieges an der Ostfront auf. Soldaten, die angesichts des nicht mehr zu gewinnenden Krieges nach Hause flüchten wollten, ließ Dönitz auch jetzt noch als Deserteure hinrichten. Auch die Rettung von Flüchtlingen aus den Ostgebieten zögerte er zugunsten der Weiterführung des Krieges, der weiterhin oberste Priorität hatte, hinaus. Später sollte Dönitz sich damit brüsten, Flüchtlinge und Vertriebene auf dem Seeweg gerettet zu haben – zu spät und daher auch zu wenige, sagen seine Kritiker bis heute. Die Kapitulation wollte Dönitz stufenweise durchführen, doch am 8. Mai 1945 erklärt er die bedingungslose Kapitulation im Rundfunk. Am 23. Mai 1945 wurde der Reichspräsident in Flensburg Mürwik vom britischen Oberkommando abgesetzt und festgenommen. 1946 war er dann einer von 24 bzw. eigentlich nur 21 Angeklagten beim Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg. Man klagte Dönitz in den Anklagepunkten 1 (Verschwörung), 2 (Verbrechen gegen den Frieden bzw. Vorbereitung eines Angriffskrieges) und 3 (Kriegsverbrechen) an und sprach ihn in den Anklagepunkten 2 und 3 wegen der damals dürftigen Beweislage schuldig und verurteilte ihn zu 10 Jahren Haft, die er im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau verbüßte.
1968 – zwölf Jahre nach der Haftentlassung – veröffentlichte Dönitz seine Memoiren „Mein wechselvolles Leben“, in denen er bemüht ist, das Bild von sich als das eines Offizier und Großadmirals in der Wehrmacht zu zeichnen, der mit der Ideologie des NS-Regimes keine Berührungspunkte hatte. Seine teils flammenden Briefe und Reden aus der NS-Zeit strafen ihn dabei Lügen. Am 24. Dezember 1980 starb Karl Dönitz in Aumühle.
Literatur
Walter Görlitz: Karl Dönitz. Der Großadmiral. Musterschmidt, Göttingen 1972.
Marlis G. Steinert: Die 23 Tage der Regierung Dönitz. Die Agonie des Dritten Reiches. München 1978.
Walter Frank: Dönitz. Dokumentation zur Zeitgeschichte. Hrsg. vom Deutschen Marinebund. Wilhelmshaven 1981.
Bodo Herzog: Der Kriegsverbrecher Karl Dönitz. Legende und Wirklichkeit. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte. Band 15, Tel Aviv 1986, ISSN 0334-4606, S. 477–489.
Jörg Hillmann: Der „Mythos“ Dönitz – Annäherungen an ein Geschichtsbild. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe (= Beiträge zur Geschichtskultur. Bd. 27). Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2004.
Klaus Hesse: Das „Dritte Reich“ nach Hitler: 23 Tage im Mai 1945. Eine Chronik. Hentrich und Hentrich Verlag, Berlin 2016.
Kriegsende und die Alliierten in Flensburg
Stern Artikel: Dönitz – die absurde Regierung des letzten Führers