Rezension über: |
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Martin Klaus: Mädchen im 3. Reich. Der Bund Deutscher Mädel (= Neue Kleine Bibliothek; 55). 3. aktualisierte Auflage. PapyRossa, Köln 1998, 234 Seiten, ISBN 3-89438-152-3. |
Hitler und die Frauen – in Medien und populären Fernsehreportagen hat das Thema Hochkonjunktur. Auch wenn es mancher Sendung mit vermeintlichem Schlüssellochblick auf Hitlers private Frauenbeziehungen vor allem um Quotensteigerung geht, ist doch nicht zu übersehen: Von der historischen Forschung sind die Frauen im Nationalsozialismus lange vernachlässigt worden. Gerade aber junge Frauen und Mädchen waren vom „Führer“ und dem neuen Staat fasziniert, dem sie nicht selten bis zum Untergang die Treue hielten. Erstaunlich genug, denn in der männerdominierten NS-Bewegung waren Frauen von wichtigen Positionen und politischen Entscheidungen nahezu völlig ausgeschlossen.
Wenn dennoch gerade junge Mädchen in Hitler ihren „Führer“ sahen und mit Begeisterung in der weiblichen Hitlerjugend, im „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) mitarbeiteten, dann ist das erklärungsbedürftig. Martin Klaus geht in seiner Untersuchung genau dieser Frage nach. Mädchen im Dritten Reich ist ursprünglich 1983 als Dissertation veröffentlicht worden, liegt jetzt – überarbeitet und aktualisiert – in der 3. Auflage vor. Martin Klaus hat nicht nur eine Fülle zeitgenössischer Quellen ausgewertet, sondern auch selbst Befragungen ehemaliger Mitglieder beim „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) durchgeführt. Gegründet wurde der BDM 1930, deutlich später als die männliche Hitlerjugend, die sich bereits 1926 organisierte. Zu einem Aufschwung in den anfangs bescheidenen Mitgliederzahlen kam es erst nach der Machtergreifung 1933, als der BDM gezielt gefördert wurde. Immerhin 600.000 junge Frauen schlossen sich ihm an. Zunächst freiwillig, denn erst ab 1936 wurden HJ und BDM zum Staatsjugendverband mit Zwangsmitgliedschaft. Interessanterweise unterschieden sich die praktischen Aktivitäten des BDM – ungeachtet des auf die Mutterrolle konzentrierten NS-Frauenbildes – anfangs nur wenig von denen der männlichen HJ. Fahrten, Wanderungen, Durchsetzung des Führerprinzips und sportliche Betätigungen spielten hier wie dort die zentrale Rolle. Innerhalb des BDM gab es sogar so etwas wie ein Idealbild des physisch-starken und kämpferischen Mädchens. Das Mädchen des Dritten Reiches sollte, so Propagandaminister Goebbels, „gesund und kräftig, graziös und hübsch anzusehen sein.“
Vor allem das Gemeinschaftserlebnis wurde positiv als attraktives Gegenkonzept zu einer in Einzelinteressen sich aufspaltenden modernen Gesellschaft empfunden. Ungeachtet der Gehorsamspflicht und der weitgehenden Verplanung des Tagesablaufs der Mädchen, wurde die BDM-Arbeit oftmals sogar als persönliche Befreiung gegenüber konventionellen bürgerlichen Zwängen und Familie gesehen. Im Selbstverständnis war der BDM – wie übrigens auch die HJ – geradezu eine Oppositionsbewegung gegen die Gesellschaft der Elterngeneration. Vor allem: Die Mädchen, seit der Kaiserzeit traditionell kein öffentlicher Faktor, konnten sich politisch bedeutend fühlen. Sie besetzten jetzt mit Aufmärschen und Wanderungen – wie die männliche Jugend – den öffentlichen Raum. Die NS-Propaganda schmeichelte ihnen mit der Aussicht, am neuen Dritten Reich mitzuarbeiten und damit ein politischer Faktor zu sein. Ohne dass sie freilich jemals eine Chance hatten, wirkliche Bedeutung zu erlangen.
Allerdings änderte sich die ideologische Ausrichtung des BDM und damit auch das propagierte Mädchenbild während der NS-Diktatur. Innerhalb der NS-Führung stieß insbesondere die vermeintliche Vermännlichung auf Kritik. In einer zweiten Phase wurde der BDM daher ideologisch vorrangig auf die künftige Rolle des Mädchens als Mutter ausgerichtet. Eigene BDM-Haushaltsschulen wurden gegründet. Das Marschieren wurde stark eingeschränkt und das zuvor übliche nächtliche Zelten im Reich untersagt.
Viele Mädchen, das zeigt Klaus auch, akzeptierten das nicht immer. Auch wenn es kaum zu offenem Widerstand oder gar zu einer völligen Ablehnung des BDM-Systems kam, häufte sich in späteren Jahren das Fernbleiben von Heimabenden oder das Vernachlässigen von Dienstpflichten. Seit 1939 hatte der BDM kriegswichtige Funktionen zu erfüllen. Zunächst in klassischen weiblichen Feldern wie Verletztenpflege und Kinderbetreuung, dann aber in klassisch männlichen Bereichen: in der Rüstungsindustrie bis hin zu frontnahen Einsätzen wie Schanzeinsätze, Grenz- und Betreuungseinsätze. Der vielbehauptete Waffeneinsatz von BDM-Mädchen lässt sich allerdings nicht belegen. Das Ende des Dritten Reiches bedeutete für viele Mädchen den Zusammenbruch ihres Weltbildes: Während man einsehen musste, welches verbrecherische Regime die Hitler-Diktatur tatsächlich war, blieb der BDM mit positiven persönlichen Erlebnissen verbunden. „Wir glaubten an eine neue Welt und als wir sie glücklich aufgestellt in unserm Innern, da lag sie in Wirklichkeit schon in Trümmern,“ zitiert Martin Klaus eine Zeitzeugin.
Martin Klaus Buch über die „Mädchen im Dritten Reich“ bleibt ein Standardwerk. Gut geschrieben ist es obendrein.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans
Siehe dazu auch Artikel zum Bund Deutscher Mädel (BDM) und Mutterkreuz.