„Ich will wirken in dieser Zeit“
Die Mutter kniet gramgebeugt und hält die Arme fest vor ihrer Brust verschränkt. Sie trauert um ihren gefallenen Sohn. Diese Mutterfigur, eine Plastik der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz, passte den Nationalsozialisten nicht in ihr Konzept: „So sieht Gott sei Dank eine deutsche Mutter nicht aus“, urteilte das Nazi-Blatt „Völkischer Beobachter“. Nordisch und fruchtbar, mit blondem Haar und ein propperes Baby an der prallen Brust haltend – das war eine Darstellung wie sie den neuen Herren Deutschlands gefiel.
Die Kunst der Käthe Kollwitz war nie politisch korrekt. Schon früher in ihrer Laufbahn hatte Käthe Kollwitz darum Anstoß erregt. Im Jahr 1906 empörte sich die deutsche Kaiserin Auguste Viktoria über ein Kollwitz-Plakat für die Deutsche Heimwerkerausstellung: Die Frau auf dem Plakat sah der Kaiserin zu abgearbeitet aus. Das Missfallen der Majestät tat dem Erfolg der Künstlerin keinen Abbruch, eher im Gegenteil. Nach 1933 aber sah die Sache anders aus. Käthe Kollwitz galt nicht als entartete Künstlerin, sie hörte ganz und gar auf, als Künstlerin zu existieren. Ihre Werke wurden beschlagnahmt und Plastiken wie die der Mutterfigur aus Ausstellungsräumen verbannt.
Als „Frau Professor“ in Preußen
Käthe Kollwitz, geborene Schmidt, stammte aus Königsberg. Ihr Vater, Maurermeister und später Prediger, erkannte und förderte das Talent seines 5. Kindes. Sie ging bei einem Kupferstecher in die Lehre und besuchte die beiden Künstlerinnenschulen in München und Berlin. In der Reichshauptstadt heiratete Käthe 1891 ihren Jugendfreund, den Arzt Karl Kollwitz. Die beiden zogen in ein Mietshaus im Berliner Norden, in dem Karl seine Praxis eröffnete. Dort, unter seinen Patienten, erlebte die Künstlerin hautnah das Elend des Großstadtproletariats: Frauen, die ausgemergelt vom Hunger waren und von viel zu vielen Schwangerschaften, arbeitslose Männer, die ihre Frustration im Alkohol ertränkten. So bedeutete ihre Arbeit für Käthe Kollwitz auch „ein Ventil, oder eine Möglichkeit, das Leben zu ertragen.“
Der künstlerische Durchbruch kam 1898 mit dem Bilderzyklus „Ein Weberaufstand“. Inspiriert durch die Uraufführung des Hauptmann-Dramas hatte sich Käthe Kollwitz direkt an die Arbeit gemacht. Mit diesen Bildern wie auch mit sieben Radierungen über die Bauernkriege eroberte sie sich einen Platz in der vorderen Reihe der deutschen Künstler.
Als erste Frau gelang ihr im Jahr 1919 die Aufnahme an die Preußische Akademie der Künste. Sie führte fortan den Titel „Professor“ und war eine der ersten hauptberuflichen Künstlerinnen. Sie unterrichtete Grafik und Zeichnen an der Berliner Künstlerinnenschule, die sie als junges Mädchen selbst besucht hatte.
Der größte Schmerz
Käthe Kollwitz machte Karriere und zog dabei noch ihre beiden Söhne Hans und Peter groß. Doch mit Beginn des Ersten Weltkrieges änderte sich ihr Leben schlagartig. Enthusiastisch wie viele junge Männer, zog ihr jüngerer Sohn Peter als Freiwilliger in den Krieg. Weil er noch minderjährig war, brauchte er die Erlaubnis seines Vaters. Doch Karl wollte seinen Sohn nicht gehen lassen und willigte erst ein, als sich Käthe an Peters Seite stellte. Sie glaubte, ihrem Sohn diese Erfahrung nicht verweigern zu dürfen. Im Oktober 1914 fiel Peter Kollwitz in Belgien.
An diesem Schicksalsschlag zerbrach die Künstlerin fast. Was sie aufrecht hielt, war unter anderem die Arbeit an einer Skulptur für den Soldatenfriedhof im belgischen Roggevelde, auf dem Peter begraben wurde. Und ein kompromissloses Eintreten für den Frieden. Allen, die am Ende des Ersten Weltkrieges meinten, es müsse bis zum letzten Blutstropfen weitergekämpft werden, antwortete sie in der SPD-Zeitung „Vorwärts“: „Es ist genug gestorben. Keiner darf mehr fallen.“ Damals gebrauchte sie zum ersten Mal das Goethe-Zitat, das sie ihr ganzes Leben lang begleitete: „Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden.“
Käthe Kollwitz trat nie einer Partei bei, auch wenn sie sich selbst als Sozialistin empfand und wie ihr Mann mit der jungen Sowjetrepublik sympathisierte. Ihre Waffe war die Kunst : „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“ Anfang der 20er Jahre entstanden viele ihrer Plakate mit sozialpolitischem Inhalt, für die sie auch heute noch bekannt ist, wie zum Beispiel „Nie wieder Krieg“, das sie für den Mitteldeutschen Jugendtag in Leipzig schuf. Sie zeichnete Karl Liebknecht auf seinem Totenbett und gab das Gedenkblatt an den ermordeten Arbeiterführer in hoher, unsignierter Auflage heraus. Es sollte für jeden Arbeiter erschwinglich sein.
Nichts mehr zu sagen
Im Februar 1933 mussten Käthe Kollwitz und der Schriftsteller Heinrich Mann die Preußische Akademie der Künste verlassen. Sie hatten einen Appell gegen Hitler mitunterzeichnet zum Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront von KPD und SPD.
Als Freunde sich für sie bei den neuen Machthabern einsetzen wollten mit dem Hinweis, sie sei nie parteipolitisch aktiv gewesen, lehnte sie das ab. „Ich will und muß bei den Gemaßregelten stehen.“
Im Jahr 1936 erschien in einer sowjetischen Zeitung ohne ihr Wissen ein Artikel, in dem sie -zu Unrecht – als völlig isoliert und verarmt dargestellt wurde. Daraufhin zeigte das Nazi-Regime ihr gegenüber sein wahres Gesicht. Die Gestapo verhörte sie und zwang sie, sich von dem Artikel zu distanzieren. Für den Wiederholungsfall drohte man Käthe Kollwitz mit Konzentrationslager. Seitdem stand sie unter einem inoffiziellen Ausstellungsverbot, so dass sie in ihr Tagebuch schrieb: „Es wird mir ganz allmählich erst klar, dass ich wirklich mit meiner Arbeit zu Ende bin. Es gibt nichts mehr zu sagen.“ Die Nazis verboten auch eine Ausstellung zu ihrem 70. Geburtstag im Jahr 1937.
Nie wieder Krieg
Im Jahr 1940 starb Karl Kollwitz, zwei Jahre später musste Käthe erleben, wie ihr Enkel Peter in Russland fiel. Ihre letzte Lithographie entstand, eine Mutter, die ihre Arme schützend um ihre Kinder legt, schützend vor dem Krieg. Käthe Kollwitz nannte das Werk: „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“. Es ist ihr Testament.
1943 verließ Käthe das Haus, in dem sie über 50 Jahre gewohnt hatte. Als es bald darauf zerbombt wurde, waren damit auch viele ihrer Arbeiten für immer verloren. Ihr letztes Zuhause fand die Künstlerin in Moritzburg bei Dresden, wo sie 1945, wenige Tage vor Kriegsende, starb.
Das Vermächtnis der Käthe Kollwitz könnte nicht aktueller sein: „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ und „Nie wieder Krieg“.
Autorin: Martina Reinhard
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Kleeberger, Ilse: Käthe Kollwitz. Eine Biographie. Seemann Verlag 1999
Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt/Main 2003
Kollwitz, Käthe: Aus meinem Leben. Ein Testament des Herzens, Verlag Herder, 1992
Kollwitz, Käthe: Die Tagebücher, Siedler Verlag 1988
Trüper, Ursula: Leider war ich ein Mädchen. Über Käthe Kollwitz. Edition Nautilus 2001
Wulf, Joseph: Die bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Verlag Ullstein 1983