Ladislava Chateau (*1950) ist eine tschechische Publizistin, die abwechselnd in Prag und in Paris lebt. Ihre Hauptinteressen gelten literarischen Themen, weshalb sie vorwiegend bei Literaturzeitschriften der tschechischen Hauptstadt beschäftigt ist. Ende 2004 publizierte sie in den „Listy“ (Blätter), einem sehr niveauvollen, lebendigen Blatt für Literatur und Politik, einen Aufsatz über Geschichte und Geschicke des Prager Jüdischen Museums (Pražské židovské muzeum), das 2006 auf 100 Jahre seines Bestehens zurückblickt. Shoa.de dankt den „Listy“ und Frau Chateau für die freundliche Erlaubnis zur Übersetzung und Veröffentlichung.
Das Prager Jüdische Museum (www.jewishmuseum.cz) feiert demnächst sein hundertjähriges Bestehen. Aber es gibt in diesen Tagen Gründe genug, sich seiner Bedeutung zu erinnern, denn sein Geschick steht für das bewegte Schicksal der Juden in Böhmen und Mähren; seine Geschichte spiegelt politische Wandlungen und Ereignisse der neueren Geschichte wieder.
Das Jüdische Museum wurde 1906 als drittältestes jüdisches Museum in Mitteleuropa gegründet. In Wien entstand eins 1895, zwei Jahre später ein weiteres in Frankfurt. Die Gründung solcher Institutionen wurde mehr und mehr durch soziale und politische Veränderungen bedingt. Die Isolation jüdischer Gemeinden wurde mit der Zeit durch die Durchsetzung bürgerlicher Gleichheit, Assimilation, gleichberechtigte Stellung und wechselseitige Anerkennung abgeschafft. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten sich zunächst begüterte Einzelne, nach 1848 auch alle Juden außerhalb des ehemaligen mittelalterlichen Ghettobezirks frei niederlassen.
Diese Veränderungen erweckten wissenschaftliches Interesse an einer Erforschung der Sitten und Traditionen der jüdischen Bevölkerung in böhmischen und mährischen Regionen.[1] Man musste vor allem das bedeutsame Inventar der Cikánova synagoga[2] und der Velkodvorská synagoga[3] schützen, die im Mai 1906 abgerissen wurden. Damals wurde auf Initiative des Philosophen Salomon Hugo Lieben (1881-1942) und seines Freundes, des Juristen August Stein, ein Museumsverein gegründet. Hauptabsicht des Vereins war, Gegenstände des häuslichen und synagogalen Lebens zu bewahren und auszustellen, eingeschlossen Archivalien, alte Drucke und Bilder von jüdischen Sehenswürdigkeiten in Böhmen und Mähren und Porträts bedeutsamer Persönlichkeiten des jüdischen intellektuellen Lebens. Hugo Lieben sah zudem den größten historischen Beitrag der Sammlung in ihrer regionalen Ausrichtung, also in ihrer unikalen Gesamtheit.
Von ihren ersten Anfängen an erfreute sich die Ausstellung eines nachhaltigen Interesses der Öffentlichkeit, 1924 wurde ein erster Ausstellungsführer ediert und bald darauf musste man die Ausstellungsräume erweitern, denn die Sammlung wuchs und es kamen immer mehr Besucher. Folglich wurde am 9. Mai 1926 die Ausstellung feierlich im ehemaligen Zeremoniensaal des Alten Prager Friedhofs[4] eröffnet. Allein im Jahre 1927 kamen über 13.000 Besucher ins Museum. Der Verein kooperierte rege mit den jüdischen Museen in Wien, Frankfurt und München – man tauschte Erfahrungen aus und plante gemeinsame Aktionen.
Die Katastrophe
Allerdings verhießen die Dreißiger Jahre nichts Gutes. Das Interesse schwand, die finanzielle Unterstützung ging zurück. Tragische Ereignisse rückten unaufhaltsam näher. Der Zweite Weltkrieg brach aus. Bereits zuvor, am Tag der Besetzung der „Rest-Tschechei“, dem 15. März 1939[5], wurde die Tätigkeit des Museums eingestellt. Die Okkupation von Böhmen und Mähren überschattete in tragischer Weise das Schicksal der Juden und des Museums: Harte Verfolgung, Liquidation jüdischer Gemeinden, aber auch jüdischer Wohnungen – das alles war nur ein schreckliches Vorspiel des Märtyrertods von 80.000 böhmischen und mährischen Juden. Der Weg zu dieser größten Apokalypse begann mit der Ausschließung der Juden aus dem normalen Leben und mit der lückenlosen Beschlagnahmung und Einkassierung aller Güter der liquidierten Gemeinden und Haushalte. Die Nazis haben diese Maschinerie streng kontrolliert und über die gestohlenen Sachen eine genaue Aufstellung geführt, Zuerst wurden sie in ein Verzeichnis eingetragen, dann bekamen sie eine Nummer und am Ende war auch ihr ehemaliger Besitzer nur noch eine Lagernummer. Gleichzeitig lief auch die sog. Kartographierung, die Registrierung von Immobilien in jüdischem Besitz. Im Herbst 1940 machte das Finanzministerium[6] den Juden zur Pflicht, alle Gegenstände aus Gold, Platin und Silber, Edelsteine und Perlen bis spätestens zum 15. Oktober anzumelden. Eine ähnliche Weisung bezog sich auf individuelle Sammlungen, zunächst nur die, deren Wert 10.000 Kronen nicht überstieg, später auf alle. Zum Jahresende wurden die Juden verpflichtet, ihre Konten und Sparbücher abzugeben, deren Einlagen auf „jüdische Sperrkonten“ übertragen wurden. Dadurch waren die Möglichkeiten, über eigene Finanzmittel zu verfügen, sehr beschränkt.
Im Jüdischen Museum werden die Erinnerungen von Kurt Kotouč aufbewahrt, in denen es heißt: „Ende 1940 drang die Gestapo erstmals in unsere Wohnung ein. Zwei Männer kippten den Inhalt des Schranks mitten ins Zimmer. Einige Dinge – Seife, Pullover etc. – musste Mutter in einen Koffer packen, der anschließend versiegelt wurde. Am nächsten Tag musste Vater mit den Koffern ins Gebäude der Juristischen Fakultät fahren, die inzwischen als Sitz der Brünner Gestapo diente“.
Am Montag, dem 1. September 1941, brachte ein Reichsgesetz weitere Auflagen: Juden mussten sichtbar mit dem Davidstern gekennzeichnet sein. Sie wurden Wesen ohne Bürgerrechte, ohne Recht auf Bildung, auf Besitz, auf Schutz. Nur der Dichter Jiří Orten (1919-1941), der in seinen Versen das tragische Schicksal der Juden so eindrucksvoll geschildert hatte, entging diesem Schicksal. Er starb an diesem Tag in aller Frühe, nachdem er am Tag zuvor Opfer eines Verkehrsunfalls mit einem deutschen Krankenwagen geworden war. Der Fahrer brachte den Verletzten zwar ins Allgemeine Krankenhaus, wo Orten als Jude jedoch abgewiesen wurde. Dann brachte man ihn ins Krankenhaus in der Katherinenstraße, wo es im vierten Stockwerk eine Abteilung für jüdische Patienten gab, aber es war zu spät und der Verletzte wachte aus seinem Koma nicht mehr auf.
Die Synagogen wurden geschlossen, die Plätze vor ihnen streng überwacht, da die Umgebung von Synagogen mehrfach Schauplatz „reichsfeindlicher Propaganda“ gewesen war. Der eigentliche Grund war ein anderer: Anfangs hatten die Nazis nur die Synagoge in Smíchov als Lager für gestohlene Güter verwendet, allmählich machten sie aus allen Synagogen solche Lagerstätten.
Eine der letzten Verfügungen des Handelsministeriums untersagte Ende 1941 den Juden jeglichen Verkauf ihres Eigentums, wie auch „Ariern“ verboten wurde, von Juden irgendetwas zu kaufen oder an sie zu veräußern.
Die jüdischen Gemeinden führten Verzeichnisse über das beschlagnahmte Eigentum: Musikinstrumente, Radios, Autos, Nähmaschinen etc. Über Beschlagnahmungen gaben die Gemeinden Quittungen aus – diese Quittungen waren sehr wichtig, denn kurz vor der Deportation ins Konzentrationslager mussten sie vorgelegt werden, wie die Deportierten am Sammelplatz auch ihre Wohnungsschlüssel, Safenummern, Kontonummern, restliches Gepäck und letzte Wertgegenstände hinterlegen mussten.
„Herren in Uniform brüllten uns auf deutsch irgendetwas zu, erst später erfuhr ich, dass sie uns nachdrücklich aufforderten, unsere goldenen Uhren, Geld etc. abzugeben, falls uns das Leben lieb wäre. Dann zogen sie uns aus und prüften, ob wir die angegebenen Sachen wirklich abgeliefert hätten, und wenn sie bei einigen Leuten noch etwas fanden, dann gab es wie zur Bestätigung ein paar Ohrfeigen“ (Transport nach Theresienstadt, unbekannter Autor, Zeitschrift „Vedem“, Jüdisches Museum in Prag).
Der Verwaltungschef für die ländlichen Gemeinden, der erfahrene Jurist Karel Stein, bemühte sich um den Schutz der geraubten jüdischen Denkmäler. Zu Jahresbeginn 1942 schlug er den Nazis die Schaffung eines Jüdischen Museums in Prag vor, wo die Sammlungen aus jüdischen Museen und Gemeinden konzentriert werden sollten. Nach langem Zögern stimmten die Nazis dem Vorschlag zu[7], allerdings aus völlig anderen Gründen, wie sie dem Anreger vorschwebten.[8] Zur Mitarbeit an dem Projekt wurden die Philosophen Salomon Hugo Lieben und Josef Pollak aufgefordert, desgleichen die Professoren Tobiáš Jakobovitz und Alfred Engel, die Kunsthistorikerin Hana Volavková, der bekannte Architekt František Zelenka, der Hebraist Otto Muneles und weitere Fachleute. Kurze Zeit arbeitete im Museum auch der Schriftsteller und Übersetzer Jiří Weil (1900-1959), der sich allerdings 1942 einem Transport entzog und sich in der Illegalität verbarg. Unter der ständigen Drohung der Deportierung, bei maximaler Arbeitsanspannung und unter psychisch deprimierenden Bedingungen begann die kleine Gruppe, ihren schweren Auftrag zu erfüllen. Am 3. August 1942 begann das Jüdische Zentralmuseum (Ústřední židovské muzeum) seine Tätigkeit in der ehemaligen jüdischen Schule in der Jáchymov-Straße.
In dieser schrecklichen Zeit und unter tragischen Umständen wuchsen die Sammlungen des Museums rasch an. Die Exponate wurden gesichtet, klassifiziert und im Katalog aufgeführt. Der Gruppe wurde erlaubt, in geräumten Synagogen geschlossene Ausstellungen auszurichten. In der Vysoka synagoga[9] war eine Ausstellung hebräischer Handschriften zu sehen, in der Staronová synagoga (Bild)[10] eine Ausstellung zur Architektur mittelalterlicher Synagogen, in der Klausova synagoga[11] eine große Ausstellung, die jüdischen Sitten und Traditionen galt. Eine geplante Ausstellung in der Pinkas-Synagoge[12] kam nicht zustande. Im Sommer und Herbst 1944 wurden die Mitarbeiter des Museums nach Theresienstadt (Terezín) und Auschwitz deportiert, noch im Februar 1945 gingen die letzten Angestellten auf den Transport. Josef Pollak, Tobiáš Jakobovitz und viele andere haben nicht überlebt. So wurde das Prager Jüdische Museum ihr Denkmal, ihre ewige Mahnung. Die Wände der Pinkas-Synagoge tragen 80.000 handschriftlich aufgetragene Namen von Opfern des Holocaust.
Vegetieren und neue Hoffnung
Das Kriegsende brachte nicht die erwarteten glücklichen Veränderungen. Das Jüdische Museum Prag konnte seine Tätigkeit allerdings wieder aufnehmen, jetzt unter Führung des Rates Jüdischer Gemeinden in der ČSR, und mit der Leitung des Museums wurde Hana Volavková (1904-1985) beauftragt. Im Gebäude des Begräbnisvereins in der Široká-Straße Nr. 5 wurden die Bestände an synagogalem Textil, Silber und Bildern gelagert, in der Jáchymov-Straße die Bücher und Archivalien, als Novität wurde eine Dokumentationsabteilung für Verfolgung im Krieg und für Baudenkmäler geschaffen. Noch vor Jahresende 1949 gelang es, einen Teil des beschlagnahmten Eigentums den Überlebenden oder ihren Erben bzw. den jüdischen Gemeinden zurückzugeben. Es gab ein paar kurzfristige Ausstellungen, und die Kriegsausstellungen in der Klausová synagoga und im Museum des Prager Ghettos wurden wiederhergestellt. Für alle Ausstellungen bestand enormes Interesse, und täglich kamen wahre Besucherströme hierher.
Jedoch sehr rasch glich die kommunistische Macht den Kriegsverhältnissen – politische Prozesse, Antisemitismus und eine Atmosphäre der Angst. Unerwünscht war, sich mit judaistischen Themen zu befassen. Bereits am 4. April 1950 wurde das Museum dem Schulministerium unterstellt. Zuerst wurde das Gebäude in der Široká-Straße beschlagnahmt, schließlich kam das gesamte Museum unter staatliche Aufsicht – war also enteignet. Immer schwerer fiel es, sich gegen allmähliche Verwüstung und Verluste zu wehren. Die Smíchovská synagoga diente weiterhin als Lagerschuppen. Der jüdische Friedhof in der Fibichová-Straße im Stadtteil Žižkov wurde nicht mehr unterhalten. Im Jahre 1680 war er als Pest-Grabstätte der jüdischen Gemeinde angelegt worden, wo 40.000 Verstorbene begraben wurden, darunter Rabbiner und Gelehrte wie Eleazar Fleckeles (1754-1826), der Arzt Jonas Jeiteles oder der Prager Oberrabbiner Ezechiel Landau (1713-1793). In den 1960-er Jahren wurde ein Teil des Friedhofs zu einem Park umgestaltet, in der zweiten Hälfte der 1980-er Jahre dort ein TV-Sendeturm aufgestellt. Zum Glück blieb der älteste Teil mit Gräbern bedeutender Persönlichkeiten erhalten, und als der Friedhof 1999 wieder der Fürsorge des Jüdischen Museums übergeben wurde, konnte er restauriert und nach zwei Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In der „Normalisierungs-Zeit“[13] wurde eine bedeutsame Ausstellung unter dem Titel „Precious Legacy“ veranstaltet, die nach Kanada und in die USA ging, aber an der Stellung des Museums änderte sich nicht viel. Es blieb, milde gesagt, seitwärts liegen.
Grundsätzlich änderte sich die Lage erst nach dem Sturz des kommunistischen Regimes. Kurz nach dem November (1989) beteiligte sich das Museum an Ausstellungen in Israel, den USA und Europa und an der Pariser Konferenz Musée-Musées. Wertvolle Sammlungen kehrten allmählich zurück, historische Synagogen wurden der Jüdischen Gemeinde zurückgegeben, und schließlich – das Ereignis ist nach 56 Jahren höchster Aufmerksamkeit wert – wurden die Sammlungen und Gebäude des Museums definitiv der Föderation jüdischer Gemeinden übergeben und das Jüdische Museum in Prag gebildet. Und so ist es bereits zehn Jahre her, dass das Museum in neuer Rechtsstellung und unter seinem ursprünglichen Namen arbeitet. In den Sammlungen des Museums liegen 35.000 Kunstwerke und 100.000 Bücher.
Gerade die letzten Jahre waren für das Museum sehr bedeutsam. Die historischen Gebäude wurden von Grund auf renoviert, neue Ausstellungen und Magazine wurden eingerichtet, ein Bildungszentrum und Räumlichkeiten für wissenschaftliche Arbeit entstanden, der Bücherbestand wurde würdig betreut. Die wiederhergestellte Smíchovská synagoga dient heute zur Aufbewahrung von Archivmaterialien, sie ist ein Magazin für einmalige Sammlungen, Bilder und Photographien. Restauriert wurde auch der Alte Jüdische Friedhof mit seinen 12.000 Grabsteinen. Hier ist Rabbi Löw begraben (Juda Löwe b. Bezalel, um 1525-1609), nach der Legende der Schöpfer des Golem und der zuverlässige Schutzpatron von Schülern, hier ruhen auch der Primas der Prager jüdischen Gemeinde, Mordechai Maisel (1528-1601)), und der Astronom David Gans (1541-1613). Pro Jahr werden rund einhundert Grabsteine restauriert.
Bereits mehrere Jahre siedelt das Museum in seinen restaurierten Gebäuden, deren Bestandteil das Bildungs- und Kulturzentrum ist, wo zahlreiche Seminare und Vorträge stattfinden, mit denen auch ein Beitrag zur Verbesserung des Geschichts- und Bürgerkundeunterrichts beabsichtigt ist. Im Rahmen einer Aktion mit dem Titel „Memoiren“ sammelte das Museum mehr als 500 Erinnerungen an frühere Kriegsleiden. Mit dieser Arbeit hat sich das Museum zwar bereits seit Kriegsende beschäftigt, aber zu Zeiten des Kommunismus war diese Tätigkeit eingeschränkt, zufällig, eigentlich nur geduldet. Eine der wirkungsvollsten Aktionen, die im Bildungszentrum abliefen, war zweifellos der Besuch von Sir Nicolas G. Winston, der 664 jüdische Kinder vor dem sicheren Tod retten konnte. Unter anderem unterhält das Museum auch eine Holocaust-Abteilung, die Dokumente über Opfer sammelt und nötige Informationen liefert.
Vor neun Jahren wurden die Archivsammlungen um den bedeutsamen Nachlaß des Komponisten Gideon Klein (1919-1945) bereichert. Den Nachlaß widmete dem Museum seine Schwester Eliška Kleinová, ehedem eine enge Freundin oder die platonische Liebe von Jiří Orten. Gerade sie war Zeugin von dessen tödlicher Verletzung bei dem Unfall am Rašin-Ufer, aber sie konnte weder Jiří noch Gideon retten. Vor allem Oktober-Tage sind eine Mahnung an das Leiden und den tragischen Tod berühmter tschechischer Komponisten. Im Oktober 1944 wurde Gideon Klein in einen der letzten Transporte von Theresienstadt nach Auschwitz eingereiht, zusammen mit Hans Krása (1899-1944), Viktor Ullman (1898-1944), Pavel Haas (1899-1944), Karel Ančerl (1908-1973) und Franz Eugen Klein (1912-1944). Seine Lieder waren in der Interpretation von Arnošt Kafka besonders nach dem Krieg sehr populär. Das Leben Gideon Kleins endete 1945 tragisch, als er kaum 25 Jahre alt war – bis heute ist unbekannt, ob er auf einem Todesmarsch umkam oder ein Opfer der massenmörderischen SS wurde.
Vor acht Jahren wurde in der Pinkas-Synagoge eine sehr umfangreiche Ausstellung eröffnet – Kinderzeichnungen aus Theresienstadt 1942-1944, Zeichnungen von Kindern verschiedenen Alters, ungefähr zwischen acht und fünfzehn Jahren. Die Zeichnungen sind ein Zeugnis ihres schrecklichen Schicksals – von 8.000 Kindern, die in den Osten deportiert worden waren, überlebten nur 242. Viele der Zeichnungen wurden unter Anleitung von Friedel Dicker-Brandeis (1898-1944) angefertigt, einer Absolventin des Weimarer Bauhauses, die sich in Theresienstadt der Kunsterziehung der Kinder widmete.
Das Jüdische Museum in Prag sollte ein Ausdruck der Verbundenheit der jüdischen Gemeinschaft bleiben, denn es dient dem Sinn einer Vermittlung von Gedenken – der Zukunft.
Autorin: Ladislava Chateau. Erstveröffentlichung in: Pražské židovské muzeum – od zavržení k poznání (Das Prager Jüdische Museum – von der Schließung zur Erkenntnis), in: Listy (Prag) Nr. 6/2004. Übersetzung aus dem Tschechischen und Kommentare von Wolf Oschlies.
Anmerkungen
[1] In der tschechischen Sprache gibt es nur das Adjektiv „český“, das sowohl „tschechisch“ bedeuten kann, z.B. im Staatsnamen „Česká Republika“ (Tschechische Republik), als auch „böhmisch“, d.h. zur geographischen, ethnographischen etc. Binnendifferenzierung und Heraushebung gegenüber „moravský“ (mährisch) dient, z.B. in „česká ulička“, dem „böhmischen Gässchen“, also der Urform des Doppelpasses im Fußball. Da diese Feinheiten deutschen Lesern nicht gegenwärtig sind, wurde die im Originaltext durchgehende Verwendung von „český-moravský“ in dieser Übersetzung mit „böhmisch-mährisch“ wiedergegeben.
[2] 1613 erbaut, später durch einen Brand beschädigt, 1906 abgerissen. Von ihrer einstigen Pracht kündet ein schmiedeeisernes Gitter, das zweimal das Wappen des Prager Ghettos, den David-Stern mit einem Judenhut in der Mitte, zeigt.
[3] 1627 am Nordrand des Ghettos erbaut, 1906 abgerissen.
[4] Da die jüdische Religion Exhumierungen nicht gestattet, wurden Ende des 19. Jahrhunderts bei der Sanierung des ehemaligen Prager Ghettos wenigstens die Grabsteine der aufgelösten Friedhöfe auf den Alten Jüdischen Friedhof (Starý židovský hřbitov) verbracht. Dort sind bis heute auf engstem Raum ca. 12.000 jüdische Grabdenkmäler aus vielen Jahrhunderten versammelt.
[5] Im September 1938 war die Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen um das Sudetenland verkleinert worden. Am 15. März 1939 ließ Hitler, der am Vortag die Slowakei zur Abspaltung veranlasst hatte, deutsche Truppen in die (von ihm so bezeichnete) „Rest-Tschechei“ einmarschieren, die in das „Protektorat Böhmen und Mähren“ umgestaltet wurde.
[6] Obwohl das „Protektorat Böhmen und Mähren“ eine rein deutsche Formation war, in der der „Reichsprotektor“ letztinstanzliche Macht ausübte, bestanden zum Schein tschechische Staatsorgane wie Präsident, Premier und Regierung. Finanzminister war Josef Kalfus (1880-1955), der heimlich den antideutschen Widerstand förderte und deshalb nach dem Krieg unbehelligt blieb.
[7] Steins Urheberschaft an dieser Gründung, die in Prag als unbestreitbarer Bestandteil der Museumsgeschichte behandelt wird, gilt bei deutschen Autoren als wenig glaubhafte, bestenfalls mögliche Lösung (vgl. Jan Björn Potthast: Gegnerforschung und Völkermord im Nationalsozialismus, Frankfurt M./ New York 2002). Stein überlebte den Holocaust und starb in Israel, kurz bevor er im Eichmann-Prozeß aussagen wollte.
[8] Angeblich wollten die Deutschen die Exponate zu einem „Museum einer untergegangenen Rasse“ zusammenfügen. Der entsprechende Plan und/oder Name des Museums sind nirgendwo bestätigt.
[9] Nach 1670 erbaut, nach 1880 völlig umgebaut. Gegenwärtig dient die Synagoge allein der Prager jüdischen Gemeinde als Gebetshaus – der Öffentlichkeit ist sie verschlossen und auch aus dem touristischen Rundgang durch Prager jüdische Sehenswürdigkeiten herausgenommen.
[10] Um 1270 erbaut, älteste erhaltene Synagoge Europas.
[11] Ende des 16. Jh. in unmittelbarer Nähe des alten jüdischen Friedhofs erbaut.
[12] Ende des 14. Jh. als privates Gebetshaus erbaut.
[13] Als „Normalisierung“ (normalizace) wurde in der früheren Tschechoslowakei die neostalinistische Eiszeit bezeichnet, die dem reformkommunistischen Experiment des „Prager Frühlings“ von 1968 folgte, nachdem eine halbe Million Soldaten des Warschauer Pakts, darunter auch NVA-Truppen der DDR, das Land am 21. August 1968 überfallen und okkupiert hatten.