Ein Rechtsextremist und Neonazi als ‚Historiker‘
Geschichtsfälschungen gibt es, seit es Geschichte gibt
Seit Menschengedenken pflegen Einzelne oder manchmal ganze Gruppen von Menschen ihre Vergangenheit anders zu beschreiben, als es im Sinne möglichst weit reichender Objektivität möglich wäre, soll heißen: zu ihren eigenen Gunsten, um beispielsweise ihre eigene Rolle in der Geschichte umzudeuten, und zu relativieren. Manchmal tun dies Menschen auch, um das Verhalten ihrer Regierenden unter einem anderen Blickwinkel erscheinen zu lassen und so ihrer eigenen Ideologie anzupassen, womit nach und nach der Begriff der Ideologie einen schalen, unschönen Beigeschmack erhalten hat. Einer der ersten bekannten Geschichtsfälscher war ein ägyptischer Pharao, der um 800 vor Christus auf eine Stele neben anderen Beschreibungen seiner Feldzüge die Bemerkung pinseln ließ, er habe Jerusalem erfolgreich belagert und eingekesselt wie einen Vogel in seinem Käfig. Gänzlich falsch war die Behauptung nicht, nur von einem Erfolg konnte keine Rede sein, weil die Beschreibung in Wahrheit nur verschleierte, dass er in diesen Käfig partout nicht hineinkam. Was geschehen wäre, wenn es ihm gelungen wäre, entzieht sich unserer Vorstellung.
Andere, weitaus folgenreichere Geschichtsklitterungen hat es in den bald dreitausend Jahren seitdem immer wieder gegeben. Eine der bedeutendsten beschäftigt sich immer und immer wieder mit dem sogenannten ‚tausendjährigen Reich‘. Dem AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland ist es gelungen, zu behaupten, die Naziherrschaft sei lediglich ‚ein Vogelschiss in der Geschichte‘ Deutschlands gewesen, ohne sich damit strafrechtlich angreifbar zu machen. Andere sind da seit inzwischen schon recht vielen Jahren weniger zimperlich. Einer der schrägsten Vögel dieser Art neben dem Deutschen Nolte ist der britische sogenannte Historiker David Irving, geboren 1938 in Brentwood, Essex, und ihn stört es keineswegs, aufgrund der Thesen, die er verbreitet, bei Gelegenheit vor den Schranken eines Gerichts zu landen und rechtskräftig verurteilt zu werden. Es stört ihn nicht – er verbreitet seine Ansichten ungeniert auch weiterhin und leistet damit dem Gärprozess im braunen Sumpf weiter Vorschub. Nachdem ihm 2013 gegen seinen juristischen Widerstand endgültig – bis 2022! – die Einreise in die Bundesrepublik verboten worden war, beobachtet ihn der Berliner Verassungsschutz.
‚Historische Forschung‘ mit Anhängung einer kleinen Null
Interessant an David Irvings Karriere ist, dass er, ähnlich wie Nolte, lange Zeit als seriöser Historiker betrachtet wurde. Möglicherweise war er das anfangs auch. Irgendwann muss er sich aber, wie es heute immer wieder in ähnlichen Zusammenhängen heißt, ‚radikalisiert‘ haben. Sein 1963 erschienenes Buch ‚Der Untergang Dresdens‘ beispielsweise wurde anfangs von vielen Medien gelobt. Die Diskussion darüber, wie viele Menschen damals umgekommen seien, zieht sich bis in unsere Tage hin. Ernstzunehmende Historiker gehen heute davon aus, dass es eher 25.000 als 250.000 Menschen gewesen seien – was dem menschlichen Leid natürlich keinen Abbruch tut. Der ‚kleine Unterschied‘ ist aber bis heute dazu geeignet, die braune Wut auf die Siegermächte zu schüren und immer wieder anzufeuern und als Kriegsverbrechen zu brandmarken. Die Diskussion darüber, inwieweit diese Luftangriffe tatsächlich als solche zu bezeichnen seien, dauert bis heute an und macht einen halbwegs neutralen Umgang mit dem Thema so schwierig – und gibt den ‚revisionistischen Kräften‘, als die man den braunen Pöbel heute vorsichtshalber zu bezeichnen pflegt, heute und womöglich noch lange Zeit Nahrung. Ein wesentlicher Punkt wird in der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang gerne übersehen: Die Behauptung, 250.000 und nicht 25.000 Menschen seien damals in Dresden umgekommen, war eine Fälschung. Irving hatte schlicht eine Null an die tatsächlichen Opferzahlen angehängt. Diese Fälschung ist gerichtsfest belegt. Irving hat seinen ‚Irrtum‘ nach Auffinden entsprechender originaler Dokumente sogar zugegeben – verbreitet sie aber seither weiter und hat sie aus neuen Auflagen seiner ‚historischen‘ Publikationen nicht entfernt.
Angeblich hatte Hitler von der Judenvernichtung keine Ahhnung…
Einer der zentralen Punkte, um die es in Zusammenhang mit David Irving immer wieder einmal geht, ist die Frage, ob Adolf Hitler etwas von der Judenvernichtung gewusst habe, wobei, selbst wenn das wahr wäre, was eine unsinnige und historisch widerlegte dummdreiste Lüge ist, unberücksichtigt bleibt, dass dies das Terror-Regime insgesamt keineswegs in irgend einer Weise entlastet hätte.
Wann und warum sich Irving von einem anfangs seriös geglaubten Wissenschaftler in einen nationalsozialistisch gesinnten Propagandisten verwandelt hat, scheint nicht ganz klar zu sein. Inzwischen sind seine Thesen seit mehreren Jahrzehnten als geschichtsrevisionistisch erkannt. Seine kruden Behauptungen, Hitler habe von alledem nichts gewusst und erst 1943, also beinahe nach vollbrachter Tat, davon erfahren (war Hitler taub? war er blind?), können heute, aufgrund wirklicher historischer Dokumente und Fakten, nur noch als illusorisch und volksverhetzend bezeichnet werden. Mit den Jahren wurden Irvings Äußerungen immer irrwitziger.
Es gelang Irving, obwohl mit allen seinen Behauptungen längst widerlegt, noch einmal, sich in der Öffentlichkeit als seriöser Wissenschaftler darzustellen. Seine 1977 veröffentlichte Biographie über Erwin Rommel, in der er diesen als Widerstandskämpfer darstellt, wurde in manchen Medien ebenso wie von machen Historiker-Kollegen durchaus positiv beurteilt. Immer noch wurde er in der breiten Öffentlichkeit als provokativer, aber ernst zu nehmender Forscher wahrgenommen.
Mit den Jahren wurden Irvings Äußerungen aber immer irrwitziger. Er behauptete, ‚die Juden‘ hätten Großbritannien ‚übernommen‘, und Churchill habe den Führer der polnischen Exilregierung umbringen lassen. Er leugnete ab einem bestimmten Zeitpunkt endgültig den Holocaust insgesamt. Er hielt abstruse Vorträge in der BRD ebenso wie in der DDR, allgemein in rechtsradikalen Kreisen. 1993 verklagte er die US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt, die ihn in einem Buch als ’notorischen Holocaust-Leugner‘ bezeichnet hatte. Der Prozess endete damit, dass Irving, nicht Lipstadt, verurteilt wurde: zur Zahlung von in heutigem Wert über vier Millionen Euro, was ihn wirtschaftlich ruinierte, ihn aber keineswegs davon abhielt, mit immer neuen jetzt oft maßlos übersteigerten Behauptungen beinahe weltweit auf weitere ‚Vortragsreisen‘ zu gehen. Nachdem er 1989 behauptet hatte, die Gaskammern in Auschwitz seien eine von ‚den Polen‘ hergestellte Attrappe, wurde er zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Weil er schon dreizehn Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte, wurde er nach Großbritannien abgeschoben. In Australien, in Neuseeland, in Italien, Kanada und Südafrika hat er seitdem Einreiseverbot.
Dennoch gelingt es David Irving immer wieder, sich Gehör zu verschaffen, und es ist bekannt, dass er dies unter anderem aufgrund seiner Vernetzung in rechtsradikalen Kreisen nicht nur in Deutschland schafft. Er agitierte jahrelang in den USA, und es gelang ihm sogar, 2010 eine ‚Vortragsreise‘ nach Polen, unter anderem ins Vernichtungslager Treblinka, zu veranstalten, wobei offensichtlich gleichgesinnte Reiseteilnehmer fast 3.000 Dollar pro Person bezahlten. Proteste von Holocaust-Hinterbliebenen und antirassistischen Organisationen nützten wenig bis nichts.
Stoppen konnte diesen selbsternannten ‚Historiker‘ bis heute nichts wirklich. Die Einreiseverbote in verschiedene Länder bestehen allerdings bis heute. Seit seiner letzten Verurteilung darf David Irving als Pro-Nazi, als Rassist und Antisemit, als Rechtsextremer und Neonazi bezeichnet werden.