Die Vorbereitung des Überfalls auf Polen
Erste deutsch-sowjetische Annäherung
Am 23.08.1939 unterzeichneten der Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow einen Vertrag, der für die Zukunft Europas und der ganzen Welt weit reichende Folgen haben sollte. Vorangegangen war diesem Vertrag das Abkommen von München am 29.09.1938. Die UdSSR, als Verbündeter der Tschechoslowakei, war nicht in diese Verhandlungen einbezogen worden. Für die Sowjets ein Affront. Der damalige sowjetische Außenminister Maxim Litwinow betrieb eine ergebnislose Politik der „kollektiven Sicherheit“, mit welcher er sich um ein Bündnis mit den Westmächten zwecks Vermeidung eines Angriffs faschistischer Staaten bemühte. Im Oktober des Jahres 1938 kam es zu einem deutsch-sowjetischen Abkommen, welches die schreibende Presse beider Länder zu einem Verzicht auf verbale Angriffe verpflichtete. Die Initiative ergriff der deutsche Botschafter in Moskau, Friedrich Werner Graf von der Schulenburg. Genutzt wurden bilaterale Gespräche zum Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen beider Staaten, die allerdings recht holprig verliefen. Des Weiteren sorgte der Bruch des Münchener Abkommens durch den Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei am 15.03.1939 für Missstimmung. Am 03.05.1939 wurde Litwinow gestürzt. Stalin setzte mit Wjatscheslaw Molotow seinen engsten Parteigänger in das Amt des Außenministers ein und sorgte so dafür, dass die Außenpolitik zur Gänze seinen Vorstellungen entsprach. Litwinow war außerdem Jude, seine Absetzung wurde damit auch als ein Zeichen an Hitler gewertet.
Anbahnung und Verhandlungen mit dem Ziel eines Nichtangriffsvertrages
Beide Parteien konnten auf ideologischer Ebene kaum unterschiedlicher sein und ein Bündnis schien undenkbar. Ein Überfall auf Polen würde zur Folge haben, dass Frankreich und England ihrem Verbündeten zur Hilfe kommen würden. Mit einiger Sorge wurden die Verhandlungen zwischen Franzosen, Engländern und Sowjets gesehen. Einen Zweifrontenkrieg galt es unter allen Umständen zu vermeiden, da das militärische Potential Deutschlands dieser Auseinandersetzung nicht gewachsen gewesen wäre. Somit war für Hitler ein Scheitern der Verhandlungen von großer Relevanz. Gleichzeitig sollte eine Politik des Gleichgewichts und der Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Belangen mit der UdSSR betrieben werden. Um dies zu unterstützen, verzichtete Hitler in seinen Reden auf die sonst üblichen Attacken gegen die Sowjets, was nicht unbemerkt blieb. Deutsche Regierungsvertreter begannen mit Sondierungen zwecks Verbesserung der bilateralen Beziehungen, doch wurden Wirtschaftsverhandlungen durch die sowjetischen Diplomaten zunächst abgelehnt. Die Zeit drängte. Hitler ließ bereits alle Vorbereitungen zum Angriff auf Polen treffen und verlegte große Truppenteile in Richtung Osten. Die deutsche Diplomatie versuchte Überzeugungsarbeit zu leisten, traf aber in Moskau auf großes Misstrauen. Erst im Juli 1939 kamen die Gespräche wieder in Gang. Am 22.07.1939 verkündete schließlich die russische Presse die Wiederaufnahme der Handels- und Kreditverhandlungen in Berlin. Die Annäherung beider Staaten zeichnete sich ab, doch bestand diese noch hauptsächlich aus diplomatischem Geplänkel. Andeutungen der einen Seite folgten vage Antworten der anderen Seite. Die Lage der Sowjetregierung schuf indes dringenden Handlungsbedarf. Ihr war bewusst, dass jeglicher Bündnisverzicht und ein Handeln der Deutschen im Osten zu einer Ausdehnung des deutschen Territoriums bis an die Grenzen der UdSSR führen würden.
Die Reise Ribbentrops nach Moskau und der Abschluss des Nichtangriffspaktes
Wieder ergriffen die deutschen Diplomaten die Initiative. Nachdem allerdings mehrere Versuche ein Treffen Ribbentrops mit der Sowjetregierung zu arrangieren, gescheitert waren, griff nun Hitler persönlich ein. Er sandte ein Telegramm an Stalin, in dem er zum Ausdruck brachte, dass zu jeder Zeit eine „Krise ausbrechen kann“, in welche auch die Sowjetunion hineingezogen werden könne, sollte man auf die Unterzeichnung eines Nichtangriffsvertrages verzichten. Stalin, dessen Truppen bereits im Osten in Kämpfe mit den Japanern verwickelt waren und der sich einen weiteren Konflikt an seinen Westgrenzen militärisch nicht leisten konnte, wartete die letzte englisch-französisch-sowjetische Verhandlungssitzung am 21.08.1939 ab. Sie endete ergebnislos und so gab Stalin sein Einverständnis, Ribbentrop am 23.08. zu empfangen. In der Nacht zum 24.08. gegen 2.00 Uhr morgens wurde der Vertrag von ihm und Molotow, in Anwesenheit Stalins, unterzeichnet und in gegenseitigem Einvernehmen auf den 23.08. rückdatiert. In Artikel I wurde die Verpflichtung auf einen Angriff gegen den Vertragspartner zu verzichten festgeschrieben. Artikel II verpflichtete auf Unterlassung von Hilfeleistungen gegenüber Drittstaaten, die einen Vertragspartner angreifen. Den Informationsaustausch bezüglich Fragen gemeinsamer Interessen regelte Artikel III. Insgesamt wurden sieben Punkte festgeschrieben und der Vertrag auf die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen. Als nächstes wurde das „Geheime Zusatzprotokoll“ verfasst. In der Folgezeit leugnete die UdSSR dessen Existenz, die erst am 24.12.1989 vom Volksdeputiertenkongress bestätigt wurde. Gleichzeitig erklärte die Versammlung das Papier nachträglich für ungültig. Das Protokoll regelte die vierte Teilung Polens und legte eine ungefähre Grenze durch die Flüsse Narew, Weichsel und San fest. Ferner wurden Finnland, Lettland und Estland der sowjetischen, Litauen der deutschen Einflusszone zugerechnet. Bessarabien wurde dem Interessensgebiet der Sowjets zugeschrieben. Die Prawda meldete den Vertragsabschluss und sprach von einem Werk, welches der „allgemeinen Festigung des Friedens“ dienen werde. Der Nichtangriffspakt wurde im Westen mit großer Sorge aufgenommen. Die Appeasement-Politik von Neville Chamberlain war endgültig gescheitert. Der französische Ministerpräsident Daladier sah eine erhöhte Gefahr für einen militärischen Schlag gegen die Freunde Frankreichs, ja sogar selbst gegen sein Land. Letztendlich sollte er Recht behalten. Am 28.09.1939 folgte der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag, der ebenso ein geheimes Zusatzprotokoll enthielt. Durch diesen wurde Litauen nun an die UdSSR abgetreten und die baltischen Staaten zum Einräumen sowjetischer Militärstützpunkte gezwungen. Nach dem Angriff des Deutschen Reiches auf Polen folgte am 17.09. der Einmarsch der sowjetischen Truppen in den Ostteil Polens.
Fazit
Der Hitler-Stalin-Pakt ermöglichte Hitler letztendlich den Angriff auf Polen, ohne ein Eingreifen der Sowjetunion befürchten zu müssen. Der Zweifrontenkrieg wurde vermieden. Das Zusammenkommen dieser beiden, ideologisch verfeindeten Systeme bedarf der Aufklärung über die Motive der beiden Diktatoren, was an dieser Stelle nur in Kürze ausgeführt werden kann und sich insgesamt als sehr schwierig erweist. Bei Hitler spielte das opportunistische Kalkül die wesentliche Rolle. Er nahm an, dass die Westmächte Polen durch die Neutralisierung der Sowjetunion fallen lassen würden. Umso größer war seine Enttäuschung, als dies nicht geschah. Der Vertrag ermöglichte es ihm, sich – nachdem Polen nicht zum Juniorpartner werden wollte – zunächst der gefahrlosen Ausschaltung der Westmächte, insbesondere der Kontinentalmacht Frankreich, zu widmen, um sich dann schließlich wieder seinem Endziel, der „Gewinnung von Lebensraum im Osten“, dem Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion, zuzuwenden.
Die nach dem Münchener Abkommen außenpolitisch isolierte Sowjetunion hatte mindestens zwei Ziele. Zum einen die Aufteilung der ostmitteleuropäischen Gebiete, zum anderen den Abbau der Feindschaft mit Deutschland und daraus resultierend eine Entlastung hinsichtlich des Konfliktes mit Japan. Natürlich wusste die Sowjetregierung vom Angriff auf Polen und Stalin ging davon aus, dass sich Deutschland und die Westmächte in dessen Folge in einer längeren kriegerischen Auseinandersetzung gegenseitig „zerfleischen“ würden. Der Pakt sprach eindeutig dem Kampf des Kommunismus gegen den Faschismus zuwider und sorgte im eigenen Land und bei den kommunistischen Parteien im Ausland für Irritationen und Ratlosigkeit. Das Handeln Stalins war ein Verrat an der eigenen Sache, verbunden mit einem enormen Prestigeverlust auf internationaler Ebene. Zu bedenken ist, dass die Sowjets das Abkommen von München gegen sich auslegten und davon ausgehen mussten, dass die Westmächte sich einer Expansion Deutschlands im Osten nicht widersetzen würden. Die Annexion der „Rest-Tschechei“ schien dies zu bestätigten. Daher mag hier der Gedanke einer Absicherung gegen diese Expansionsüberlegungen des Naziregimes eine wichtige Rolle gespielt haben, um eine Pufferzone zu errichten.
Autor: Andrè Krajewski
Literatur
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