Ein jüdisches Politikerschicksal der Weimarer Zeit

Hans Goslar
Am 4. November 1889 wurde Hans Goslar in Hannover geboren. Das zeitgemäße hannoversche Melderegister belegt, dass sein Vater, der Kaufmann Gustav Goslar, seit 1870 in Hannover ansässig war. Gustav Goslar wurde vor seiner Eheschließung unter elf nachvollziehbaren Adressen beim Einwohnermeldeamt in Hannover registriert.
Auf dem zweitältesten hannoverschen jüdischen Friedhof („An der Strangriede“) existieren zwei gut erhaltene Familiengräber. Es handelt sich zum einen um die Grabstätte des 1878 in Hannover gestorbenen Jakob Blumenfeld, dem Großvater Hans Goslars. Zum anderen gibt es das ebenfalls gut erhaltene Kindergrab der im Jahr 1871 einjährig gestorbenen Elsa Blumenfeld, der Tante Hans Goslars.
Bevor die Eltern 1894 mit ihm nach Berlin übersiedelten, verlebte Hans Goslar seine ersten fünf Lebensjahre in Hannover.
Ministerialrat und Pressechef im Preußischen Innenministerium Berlin (1919–1932)
In Berlin vollzogen sich der intellektuelle Werdegang und das jüdisch-orthodoxe-kulturelle Leben Hans Goslars. So betätigte er sich vor dem Ersten Weltkrieg in der zionistischen Jugendbewegung.
Mit der (Weimarer) Koalition der ersten deutschen Republik gelangte der Nationalökonom und Wirtschaftspublizist Hans Goslar 1919 in das Preußische Innenministerium. Dort entwickelte er als „preußischer Pressechef“ und höchster publizistischer Beamter die Pressestelle, wobei sich für das kommende Jahrzehnt seine Befähigung für den Pressedienst erweisen sollte. Der Name Hans Goslar stand im politischen Berliner Journalismus der Weimarer Zeit als konstanter Begriff.
Am 3. April 1926 heiratete Hans Goslar in Berlin die am 23. Oktober 1901 in Bonn geborene Lehrerin Ruth Judith Klee. Am 12. November 1928 wurde die Tochter Hannah Elisabeth geboren.

Hans Goslar mit seiner dreijährigen Tochter Hanneli im Tiergarten Berlin, Juli 1932
Ab 1932 machten sich für den im Jahr 1927 zum Ministerialrat beförderten Hans Goslar die politischen Entwicklungen mit den daraus resultierenden Repressalien für den jüdischen Beamten und Sozialdemokraten zunehmend bemerkbar. Anfang 1932 war seine Karriere durch „Beurlaubung“ abrupt zu Ende.
1933 emigrierte Hans Goslar mit seiner Familie in die Niederlande/Amsterdam. Im Dezember 1933 registrierte er sich bei den Amsterdamer Behörden als „Wirtschafts- und Finanzberater“. Goslar eröffnete mit dem ebenfalls aus Berlin geflohenen Rechtsanwalt Franz Ledermann ein Beratungsbüro „zur Rettung von Juden aus Deutschland“. Bis zum Einmarsch der Deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940 blieben die Familien unbehelligt.
Am 25. Oktober 1940 kam in Amsterdam die zweite Tochter Rachel Gabriele zur Welt. Am 27. Oktober 1942 starb Goslars Ehefrau Ruth während der Geburt des dritten Kindes, das nicht am Leben blieb.
Hans Goslar, die in der Nachbarschaft lebenden Großeltern Klee und die Töchter Hannah und Rachel Gabriele wurden am 20. Juni 1943 bei einer Großrazzia der Deutschen verhaftet. Die zuvor durch die Hilfe von Schweizer Verwandten erkaufte südamerikanische Staatsbürgerschaft war nur für Staatenlose möglich. Daher fühlte sich auch die Familie Goslar lange mit den „Paraguay-Pässen“ relativ sicher. Doch dieses „Privileg“ blieb bei den Nationalsozialisten wenig später gnadenlos unberücksichtigt.
Die Menschen gerieten zunächst in das Durchgangslager Westerbork, wo im November 1943 sein Schwiegervater Alfred Klee an einem Herzanfall starb. Am 15. Februar 1944 wurde Hans Goslar mit seinen Töchtern und der Schwiegermutter Therese Klee in das deutsche Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Hier starb Hans Goslar am 25. Februar 1945 an den Hunger- und Krankheitsfolgen der KZ-Haft. Therese Klee folgte im am 25. März 1945. Hans Goslar hinterließ die sechzehnjährige Hannah und die vierjährige Rachel Gabriele. Seine Töchter hatten als einzige der Familie überlebt.
Völlig auf sich gestellt verließen Hannah und Rachel Gabriele Goslar Anfang April 1945 das Konzentrationslager Bergen-Belsen auf Veranlassung der Nationalsozialisten mit Tausenden anderen Häftlingen in Viehwaggons mit dem Ziel Theresienstadt. Dieser Zug ist in die Geschichtsschreibung als „Der Zug der Verlorenen“ eingegangen. Die unglücklichen Menschen des „Verlorenen Zuges“ erlebten schließlich nach zehntägiger Odyssee bei Tröbitz in Brandenburg die Befreiung durch die Rote Armee. Darunter auch Hans Goslars Töchter Hannah und Rachel Gabriele.

Hannah Pick (4. von rechts) mit ihrer Familie im Januar 2008
Die Mädchen gelangten nach der Befreiung durch die Hilfe von Anne Franks Vater Otto (ihn befreite in Auschwitz am 27. Januar 1945 die Rote Armee) zu Verwandten in die Schweiz. 1947 emigrierte Hannah nach Palästina. Ihre kranke Schwester Rachel verblieb zunächst in der Schweiz. Erst 1949 folgte sie ihrer Schwester nach Israel.
Frau Hannah Pick-Goslar lebt heute in Jerusalem, ihre Schwester Rachel Mozes in Petach Tikva, nahe Jerusalem.
Autorin: Heide Kramer (Erstveröffentlichung auf haGalil.com / März 2003)
Einige Publikationen von Hans Goslar:
„Die Krisis der jüdischen Jugend Deutschlands“ (1911);
„Die Sexualethik der jüdischen Wiedergeburt“ (1919);
„Jüdische Weltherrschaft, Phantasiegebilde oder Wirklichkeit?“ (1924);
„Amerika 1922 (Eindrücke einer Studienreise)“;
„Politik und Parlament“ (1929)
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von © Frau Hannah Pick, Jerusalem/Israel, August 2007 und Januar 2008.
(Quellenangaben: ©©Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn; Hans-Bredow-Stiftung, Hamburg).