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Hans Krah (Hrsg.): Geschichte(n). NS-Film – NS-Spuren heute (= LIMES – Literatur- und Medienwissenschaftliche Studien – KIEL 1). Ludwig, Kiel 2000, 224 Seiten, ISBN 3-933598-00-1, EUR 19,90. |
Der Blick in das Fernsehprogramm beinahe jeder beliebigen Woche zeigt es: Filme aus der NS-Zeit sind auch Jahrzehnte nach ihrer Produktion noch immer populär. Vor allem Regionalprogramme und Privatsender werben in ihren Nachmittagsprogrammen mit Rühmann, Albers und Moser erfolgreich um Einschaltquoten. Und keineswegs nur bei den älteren Zuschauern. Rühmann-Filme wie die „Feuerzangenbowle“ sind gerade beim jungen Publikum inzwischen „Kult“. Regelmäßig ausgeblendet werden dabei allerdings die historischen Umstände der Entstehung und der Zweck ihrer Produktion. Diese Filme werden dem Zuschauer vielmehr als zeitlose „Filmklassiker“ präsentiert, die außer der Entstehungszeit nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben. Tatsächlich werden so aber Stücke der NS-Ideologie einem breiten Publikum präsentiert, ohne dass sich dieses darüber bewusst wird.
Gerade diesen allzu oft ignorierten Spuren der NS-Ideologie in den Filmen geht der Herausgeber Hans Krah mit neun weiteren Autoren in den Aufsätzen nach, die in diesem Band versammelt sind. Die Basis der meist kritik- und kommentarlosen Präsentation von NS-Filmen, so zeigt der einführende Aufsatz von Hans Krah und Marianne Wünsch, ist eine weit verbreitete, gleichwohl befremdliche Unterscheidung zwischen politisch-ideologischen Propagandafilmen und unpolitischer Unterhaltung. Während die erste Gruppe, zu denen Filme wie „Jud Süß“ oder „Kolberg“ zählen, als sogenannte Vorbehaltshilfe nur auf Ausnahmegenehmigung gezeigt werden dürfen, gibt es für die zweite Gruppe von Filmen keinerlei Einschränkungen. Befremdlich ist eine solche Differenzierung schon deswegen, weil die NS-Zeit selbst diese scharfe Unterscheidung gar nicht gekannt hatte. Im Gegenteil: Der für den Film zuständige Propagandaminister Goebbels sah erklärtermaßen gerade im vordergründig unpolitischen Unterhaltungsfilm ein wichtiges Propagandainstrument. Mehrere sehr kompetente Beiträge beschäftigen sich mit den ideologischen Inhalten vordergründig unpolitischer Filme. So werden unter anderem Veit Harlans Verfilmung der Storm-Novelle „Immensee“, Willy Birgels „… reitet für Deutschland“, der Rühmann-Film „Quax in Fahrt“ analysiert. Weitere Aufsätze befassen sich unter anderem mit Zarah Leander, der Rolle der Musik im Film und schließlich mit dem Genre der Komödie allgemein.
Am Beispiel des 1939 uraufgeführten Filmes „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“, der schon bei RTL ausgestrahlt wurde, wird gezeigt, wie typische NS-Ideologeme in scheinbar unpolitischen Filmen noch heute wirken können. Formal beschreibt der Film historisch korrekt die Entdeckung der Tuberkelbazillen und Entwicklung eines Impfserums durch Robert Koch. Aber er tut dies in einer spezifisch nationalsozialistischen Weise. Koch erscheint im Film nicht als ein akribischer und sorgfältiger Forscher, sondern als einsames Genie, das sich nur durch seinen unbezwingbaren Willen durchsetzt. Er kennt keine Selbstzweifel und wird für seine Mitmenschen zur natürlichen Führerpersönlichkeit. So ist der Film nur oberflächlich ein historischer Spielfilm, im Kern aber eine Verherrlichung des Führergedankens und eines undemokratischen Machtwillens. Wenn in der Abmoderation im Fernsehen behauptet wurde, man habe „etwas wirklich gelernt“, dann zeigt schon dies eine bedenkliche Nachwirkung dieser Filmideologie. Der Band ist bei aller Kritik an der gedankenlosen Präsentation alter NS-Filme im Fernsehen und auf käuflichen Videos und DVDs kein Plädoyer für ein Verbot. Aber er spricht sich für einen deutlichen kritischeren Umgang mit diesem Filmmaterial aus. Das heißt vor allem für eine stärkere Berücksichtigung des Entstehungskontextes und der ideologischen Gehalte dieser Streifen.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans M.A.