Fritsche, Christiane: Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen. Westdeutsche Filme über den Nationalsozialismus in den 1950er und 60er Jahren. München: Martin Meidenbauer Verlag 2003.
Die Literatur zum Thema ‚deutsche Vergangenheitsbewältigung’ ist kaum überschaubar und mittlerweile liegen auch zahlreiche Studien zur Vergangenheitspolitik in den beiden deutschen Staaten vor. Um so mehr überrascht die Forschungslücke zur Rolle und Präsenz des Nationalsozialismus im (west)deutschen Fernsehen, das sich als „Instrument von Anpassungsprozessen“ aber auch als „Institution des Widerspruchs“ Anfang der 1960er Jahre in der Bundesrepublik zum gesellschaftlichen Leitmedium entwickelt hat. [1] Mit den „Bilder[n] der Vergangenheit“ im Fernsehen beschäftigte sich ausführlich bisher nur eine 1999 erschienene Publikation, in der Christoph Classen erstmals eine quantitative Auswertung der im westdeutschen Fernsehen von 1955 bis 1965 gesendeten Beiträge über den Nationalsozialismus, ergänzt durch Fallstudien, unternommen hat. [2] An diesen Ergebnissen orientiert sich Christiane Fritsche in der Veröffentlichung ihrer am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilans-Universität München entstandenen Magisterarbeit zur „Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen“.
Als Material zur Darstellung der Auseinandersetzung mit dem ‚Dritten Reich’ im westdeutschen Fernsehen zieht Fritsche drei Beiträge heran, die ausführlich untersucht werden: Der Spielfilm „In jenen Tagen“ von Helmut Käutner aus dem Jahr 1947, der 1955 im Fernsehen gesendet wurde, die 1960/61 von SDR und WDR produzierte 14-teilige Reihe „Das Dritte Reich“ und Joachim Fests Dokumentation „Adolf Hitler – Versuch eines Portraits“ aus dem Jahr 1969. Die Wahl des ersten Beitrags ist sicherlich auch der prekären Quellenlage geschuldet, da frühe Fernsehproduktionen zum Thema nur schwer, wenn überhaupt, zugänglich sind. Es stellt sich aber die Frage, ob bei der begrenzten Zahl der Beispiele nicht genuine TV-Formate wie das Fernsehspiel hinzugezogen hätten werden können oder ob nicht eine Beschränkung auf dokumentarische Formen sinnvoll gewesen wäre, um die Komplexität des Themas zu begrenzen.
Nicht immer wird denn auch diese wissenschaftliche Hausarbeit dem schwierigen Thema gerecht. Das zeigen zum einen gewisse Ungenauigkeiten, etwa wenn apodiktisch formuliert wird, dass „in den 50er Jahren keine Dokumentationen über das Dritte Reich gedreht“ (S. 16) worden seien, was angesichts von Kompilationsfilmen wie „Beiderseits der Rollbahn“ (Teil 1: 1953, Teil 2: 1955) und „Bis fünf Minuten nach zwölf – Adolf Hitler und das 3. Reich“ (1953) für den Film kaum zu halten ist. Schwerer wiegt, dass im Nebeneinander von fiktionalen und nicht-fiktionalen Formen mediale Implikationen nicht ausreichend reflektiert werden. Beispielsweise wird zu der Serie „Das Dritte Reich“ ausgeführt: „Die Tatsache, dass Dokumente […] so ausführlich gezeigt werden, unterstreicht den wissenschaftlichen Charakter der Dokumentarreihe und hebt die Objektivität der Serie hervor“ (S. 119f.). Tatsächlich handelt es sich bei diesem Verfahren im Dokumentarfilm zunächst nur um eine selbstlegitimatorische Strategie zur Authentisierung, die nichts mit einer wie auch immer gearteten ‚Objektivität’ zu tun hat.
Fritsche verfolgt den Ansatz, „nicht nur den jeweiligen Inhalt einzelner Filme, sondern auch die Entstehungsgeschichte und die Motivation der Regisseure“ (S. 14) darzustellen. Dementsprechend referiert sie jeweils einleitend zumeist sehr ausführlich den zeithistorischen Kontext, gefolgt von der Untersuchung der Beispielfilme: Zuerst wird deren Entstehungsgeschichte nachgezeichnet, um dann den Aufbau sowie die filmtechnische und sprachliche Gestaltung zu analysieren. Abschließend werden die Wahrnehmung des Films durch das zeitgenössische Publikum anhand der Presseberichterstattung rekonstruiert und die filmischen Thesen mit dem zeitgenössischen Forschungsstand verglichen.
Dabei fügen sich die filmischen Inhalte zumeist nahtlos in den skizzierten mentalitätsgeschichtlichen Kontext: Die Filmanalyse von „In jenen Tagen“ ergibt, dass Käutners Film sich durch eine selektive Opferwahrnehmung auszeichne, die sich auf Opfer und Widerstand der Deutschen konzentriere. 1947 entsprach dieser selbstbezogene Opfermythos der allgemeinen Befindlichkeit, wie sie auch noch 1955 bei der TV-Ausstrahlung des Films vorherrschend war. Zu letzterer stellt Fritsche fest, dass „die Presse seine zeithistorische Dimension überging“. (S. 84) Dem (scheinbaren) Widerspruch, dass der Film, obwohl er „dem Geist der Zeit“ entsprach, nicht wahrgenommen wurde, geht sie nicht nach. Problematisch wird es aber vor allem dort, wo ohne weitere Reflexion der Voraussetzungen diachron verglichen wird: So ergibt ihr Vergleich des Käutner-Films mit der Reihe „Das Dritte Reich“, dass dieses Prestigeprojekt 1961 wesentlich umfangreicher angekündigt wurde als die Fernsehausstrahlung des Kinofilms „In jenen Tagen“ sechs Jahre zuvor, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem nur zwei von 100 Haushalten einen Fernseher besaßen (S. 127). Das Fehlen statistischer Methoden in der Auswertung der Presseberichte ebenso wie mangelnde Hintergründe, die eine Einschätzung der Rolle der Zeitschriften in der TV-Berichterstattung ermöglichen würden, zeigt sich hier überdeutlich.
Die 1959 geplante Dokumentation „Das Dritte Reich“ beschreibt Fritsche als „Wende“ (S. 85) in der selbstkritischen Auseinandersetzung des bundesdeutschen Fernsehens mit der Vergangenheit. Zur Untersuchung der 14-teiligen Reihe (die Verantwortlichen um Heinz Huber reagierten auf die Kritik, die Grundlagen für das ‚Dritte Reich’ nicht ausreichend berücksichtigt zu haben, mit einem 15. Beitrag über die Weimarer Republik) wurden auch Produktionsunterlagen hinzugezogen, wobei diese zwar einige interessante Details beinhalten, ohne allerdings wirklich neue Erkenntnisse zu bieten. Fritsche analysiert ausführlich drei Folgen der Reihe: Folge 1: „Die Machtergreifung“, Folge 4: „Deutschland und die anderen“ sowie die 12. Folge mit dem Titel „Totaler Krieg und Widerstand“. Sie gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass primär Ereignisgeschichte gezeigt wurde, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf militärischen Details. Der deutsche Widerstand wurde von den Verantwortlichen überbewertet und ein Gegensatz zwischen Generalität und Hitler aufgebaut, erstmals im Fernsehen aber auch die Vernichtung der Juden ausführlich dargestellt.
Die Analyse der filmtechnischen Gestaltung enthält z.T. aufschlussreiche Beobachtungen, die das medienspezifische Potential erkennen lassen. Leider bleiben diese häufig auf halber Strecke stehen, beispielsweise wenn festgestellt wird, dass viele Landkarten zum Einsatz kommen, ohne dass deren Gestaltung thematisiert und deren Herkunft geklärt werden. Handelt es sich um NS-Film-(= Propaganda)material, in dem die „magische […] Geographie des Eroberungskrieges“ [3] eingeschrieben ist oder wurden die Landkarten für die Sendung hergestellt? Wenn ja, unterschieden sie sich von den NS-Karten oder war deren Ästhetik noch – unbewusst – formgebend?
Als letzten Beitrag untersucht Fritsche die 1969 von der ARD ausgestrahlte Fernsehproduktion „Adolf Hitler – Versuch eines Portraits“. Die Dokumentation, eine Kompilation von Filmaufnahmen aus der Zeit des ‚Dritten Reichs’, geht auf eine Publikation des Autors Joachim Fest aus dem Jahr 1963 zurück. Die Ergebnisse der Filmanalyse entsprechen im Wesentlichen der Kritik, die später öffentlich an Fests Kinoproduktion „Hitler – Eine Karriere“ (1977) geäußert wurde: Die Reduzierung des Nationalsozialismus’ auf die Person Hitlers und dessen faszinative Dämonisierung als das ‚absolut Böse‘. Fritsche veranschaulicht, wie suggestive Effekte der filmtechnischen Gestaltung dies unterstützen bei gleichzeitige Dominanz des Kommentars, der sich ausgefeilter rhetorischer Mittel bedient und sich, so die Autorin, „auf höchstem stilistischem Niveau“ (S. 169) bewege. Eine im Vergleich zu den älteren Darstellungen einschneidende Veränderung liegt in der Bewertung der Rolle der deutschen Bevölkerung: Sie wird nun nicht mehr als Opfer, sondern als bereitwillig Verführte beschrieben.
Widersprüche in Fests Darstellung macht Fritsche nur im Ignorieren zeitgenössischer Forschungsergebnisse wie dem „strukturgeschichtliche[n] Paradigmenwechsel“ (S. 174) aus. Inhärente Brüche oder Widersprüche tauchen in ihrem Zugriff auf das Material generell nicht auf; beispielsweise ist unlängst darauf hingewiesen worden, dass die Inszenierung der Zeitzeugen in „Das Dritte Reich“ aufgrund ihrer „Beglaubigungsfunktion“ eine „moralische Indifferenz“ in der Unterscheidung von Tätern und Opfern zur Folge hat. [4] Neben den konzeptionellen Mängeln fallen auch diverse film- bzw. medienwissenschaftliche Allgemeinplätze negativ auf, etwa, wenn mit der Feststellung, dass „die Interviews anders als in vielen späteren Dokumentarfilmen nicht gestellt wirken“ heutige Rezeptionserfahrungen verallgemeinert werden. (S. 118) Auch dürften Ausdrücke wie „Machtergreifung“ (S. 106) und „entartete Künstler“ (S. 167) eigentlich nicht ohne Anführungszeichen stehen.
Das Resümee schließlich postuliert einige Axiome, denen sich der Rezensent nicht anschließen mag. Das gilt sowohl für die Beschreibung der Regisseurstätigkeit, deren Aufgabe es (im Gegensatz zu derjenigen von Historikern) sei, „Text zu verfügbaren Bildern“ (S. 183) zu produzieren. Dass es auch andere Möglichkeiten zur Filmgestaltung gab und gibt, hat jüngst Jörn Frieß am Beispiel der Verwendung von Bildmaterial der NS-Propaganda in Dokumentarfilmen der 1960er Jahre anschaulich dargestellt. [5] Im Schlusswort bilanziert Fritsche, dass generell die Beschäftigung mit dem Thema „ein lobenswerter Verdienst“ (S. 184) sei, Guido Knopp eingeschlossen, weil so die Erinnerung wach gehalten werde und das Fernsehpublikum sich mit dem ‚Dritten Reich’ beschäftige. Man muss nicht in die Polemik gegen die „Clip-Schule vom Lerchenberg“ (Der Spiegel) einstimmen [6], um einen differenzierteren Umgang des Fernsehens mit Zeitgeschichte nicht nur für möglich, sondern auch für notwendig zu erachten.
Anmerkungen
[1] Hickethier, Knut, Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998, S. 1.
[2] Classen, Christoph, Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955-1965, (Medien in Geschichte und Gegenwart, Bd. 13) Köln/Weimar/Wien 1999.
[3] Kreimeier, Klaus, Dokumentarfilm, 1892-1992, in: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler; Hans Helmut (Hgg.), Geschichte des deutschen Films, Stuttgart/Weimar 1993, S. 391-416, hier S. 400.
[4] Keilbach, Judith, Zeugen der Vernichtung. Zur Inszenierung von Zeitzeugen in bundesdeutschen Fernsehdokumentationen, in: Hohenberger, Eva; dies. (Hgg.), Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte, Berlin 2003, S. 155-174, hier S. 162.
[5] Frieß, Jörn, Filme aus Filmen, Filme über Filme. Zur Rhetorik historischen Bildmaterials in Filmen über die Shoah, in: Kramer, Sven (Hg.), Die Shoah im Bild, München 2003.
[6] Vgl. Zimmermann, Peter, „Vergangenheitsbewältigung“. Das „Dritte Reich“ in Dokumentarfilmen und Fernseh-Dokumentationen der BRD, in:
Moldenhauer, Gerhard; ders. (Hgg.), Der geteilte Himmel: Arbeit, Alltag und Geschichte im ost- und westdeutschen Film. (Close Up, Bd. 13) Konstanz 2000, S. 57-75.
Autor: Matthias Steinle. Ersterscheinung auf H-Soz-u-Kult
Fritsche, Christiane: Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen. Westdeutsche Filme über den Nationalsozialismus in den 1950er und 60er Jahren. München: Martin Meidenbauer Verlag 2003. ISBN 3-89975-031-4; 232 S.; EUR 35,90.