Norman G. Finkelstein: Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird, München 2002.
Es sind mittlerweile sechs Jahre vergangen, seit Finkelstein sein Buch „Die Holocaust-Industrie“ herausgebracht hat und damit im Mittelpunkt aller Diskussionen zum Thema Holocaust stand. Das Buch hatte ich bereits kurz nach seinem Erscheinen gelesen und gleich darauf wieder ins Bücherregal verbannt. Damals wie heute, nachdem ich es mit dem Abstand von einigen Jahren ein weiteres Mal gelesen hatte, gewann ich mit jeder Seite mehr den Eindruck, dass es sich bei diesem Buch um einen persönlichen Kreuzzug handelt. Tatsächlich ist es schwierig, das Buch von vorne bis hinten zu lesen, ohne ständig die Seiten zu überschlagen, da sich Finkelstein in Anklagen, Verleumdungen und fadenscheinigen Thesen wiederholt. Doch dazu später.
Finkelsteins Aussage ist eigentlich ganz einfach: der Holocaust ist erfunden worden. Er leugnet die Judenvernichtung nicht, sondern behauptet, dass der HOLOCAUST erst zum Holocaust wurde, nachdem sich die USA, Israel und die amerikanischen Juden einen Nutzen daraus versprachen, das Gedenken an die Judenvernichtung im Dritten Reich wach zu halten, da dies eine geradezu perfekte ideologische und moralische Waffe gegen Kritik an ihnen abgebe. Damit ist seine Rollenverteilung beinahe abgeschlossen. Finkelstein gefällt sich selbst sehr gut in der Rolle des modernen Aufklärers, der die vertuschte Wahrheit ans Licht bringt und dabei noch persönlich motiviert ist, „mein ursprüngliches Interesse an dem Thema der Vernichtung der Juden durch die Nazis war persönlich motiviert. Mein Vater wie meine Mutter waren Überlebende des Warschauer Ghettos und der Konzentrationslager der Nazis.“[1] Damit legt er sich zweifellos eine Berechtigung zurecht, dermaßen offen und kritisch über die Nachwirkungen des Holocaust zu schreiben, da er sich als Sohn von Holocaustüberlebenden selbst zu der Gruppe zählen kann, die davon berührt wurde – frei nach dem Motto, wer darf darüber schreiben? Wer, wenn nicht ich?
Ihm gegenüber stehen die Ausbeuter des jüdischen Leidens: die USA, Israel und die amerikanischen Juden. Bevor sie in der Erfindung des Holocaust keinen Nutzen sahen, hätten sie, so Finkelstein, keinerlei Interesse an der Judenvernichtung gesehen und sich dessen nicht angenommen. Der aufmerksame Leser wird sich nun berechtigterweise und mit enormer Irritation fragen, wie Finkelstein darauf kommen kann, dass die Judenvernichtung (ich spreche absichtlich nicht vom Holocaust, da dies nach Finkelstein nur mit einer PR-Erfindung vergleichbar ist) sowohl von amerikanischen Juden, als auch vom Staat Israel absichtlich übersehen und ignoriert wurde. Antisemitische Ressentiments durchdringen den gesamten Text, der mehr und mehr als eine Abrechnung zu verstehen ist. Finkelstein nennt es „Opferstatus“, den sich Israel und die amerikanischen Juden zurechtgelegt hätten, um eine Immunität gegenüber Kritikern zu gewährleisten. Tatsächlich wechselt er in seiner Abrechnung ständig den Sündenbock und kann sich nicht festlegen, wer nun der schlimmste Verbrecher unter ihnen ist, der das Leiden der Überlebenden ausbeutet.
Seine eigene Motivation und Intention zu diesem Buch war angeblich – wie bereits erwähnt – persönlicher Natur, „ich sorge mich um das Andenken an die Verfolgung meiner Familie.“[2] Auch der Untertitel des Buches, „Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird“, mutet gleichsam wie jene Aussage philanthropisch an, ist jedoch fadenscheinig, da es impliziert, dass Finkelstein nur das Buch zu dem Zweck schreibt, die tatsächlichen Opfer des Holocaust vor profit- und habgierigen Nutznießern zu schützen. Dies ist tatsächlich eine Camouflage, denn er nimmt lediglich den Holocaust als Vorwand, um über die USA, die amerikanischen Juden und über Israel im Besonderen Kritik zu üben, „man hat ihn [den Holocaust] dazu benutzt, die verwerfliche Politik des israelischen Staates und die amerikanische Unterstützung für diese Politik zu rechtfertigen.“[3]
Im ersten Kapitel seines Buches, „Wie aus dem Holocaust Kapital geschlagen wird“, will Finkelstein darlegen, dass der Holocaust erst mit dem arabisch-israelischen Junikrieg von 1967 thematisiert wurde, während diesem historischen Thema zuvor kaum Beachtung geschenkt worden ist. Bevor er mit seiner Ausführung beginnt, dass der Holocaust einzig und allein zur Rechtfertigung der israelischen Politik instrumentalisiert wurde, zweifelt er die Erklärung an, dass Überlebende des Holocaust erst nach langer Zeit einen Teil ihrer traumatischen Erlebnisse soweit verarbeitet hatten, um darüber zu reden oder ihre Autobiographien zu veröffentlichen. Wie jedoch sehr häufig von Opfern beschrieben, benötigten sie tatsächlich eine zeitliche Distanz, um über ihre Erlebnisse reden zu können[4], und entwickelten durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem eine persönliche Motivation, darüber zu reden, nachdem Opfer dort Zeugenaussagen getätigt hatten.[5]
Finkelstein gibt jedoch an, dass es „in Wahrheit keinen Beleg gibt, der diesen Schluss stützen würde.“[6] An dieser Stelle möchte ich nur kurz ein Zitat aus Anita Lasker-Wallfischs Autobiographie Ihr sollt die Wahrheit erben angeben, „es hat viele Jahre gedauert, bis mir klar wurde, dass der Holocaust mit Schweigen nicht aus der Welt zu schaffen ist und dass ich meinen Kindern schulde, das Vakuum zwischen der Zerstörung meiner Familie und ihrer Existenz zu füllen.“[7]
Er selbst stützt seine Aussage auf keine einzige Quelle. Er erklärt, dass es keine Belege gibt. Basta. Tatsächlich stützt er seine Thesen nur sehr selten auf Quellen. Selbst seine Hauptthese, dass der Holocaust als moralische Waffe erst nach dem Junikrieg von 1967 interessant wurde, kann er nicht belegen. Er schreibt lediglich, dass es so ist, und gibt in seiner Fußnote an, dass Elie Wiesel dies als Einziger geleugnet habe. Aber wo sind seine Quellen? Wer hat Finkelsteins These ebenfalls anerkannt? Der Leser will an diesem Punkt in seinem Buch wissen, wer der gleichen Meinung ist, und nicht, wer nicht dieser Meinung ist. Es wäre nützlicher, wenn Finkelstein wenigstens einen Historiker nennen könnte, der genau dies hervorgehoben hat.
Weiterhin ergießt sich der Text in Phrasen, die mehr und mehr zum Ausdruck bringen, dass Finkelstein tatsächlich persönlich motiviert zu sein scheint, Kritik an der amerikanischen und israelischen Politik zu üben. Ein Beispiel dafür ist Finkelsteins Aussage, „um Israels Druckmittel für Verhandlungen zu stärken, steigerte die Holocaust-Industrie ihre Produktionsrate.“[8] Vermutlich hielt der Autor diese Umschreibung für besonders gelungen, da sie verdeutlichen soll, dass die Vernichtung an den europäischen Juden für politische Zwecke instrumentalisiert worden ist, und dass dazu immer mehr Holocaust-Themen ins gesellschaftliche Leben gerückt wurden. Diese Aussage erscheint pietätlos, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass Hilberg zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern schrieb, sie seien beispiellos, da „nie zuvor in der Geschichte Menschen wie »am Fließband« umgebracht worden waren.“[9] Die Verbindung zwischen der erwähnten Produktionsrate und dem industriellen Massenmord lässt sich hier nur allzu leicht schlagen. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, erwähnt Finkelstein anschließend, dass irgendwelche historischen Dokumente belegen könnten, die amerikanischen Juden hätten sich nicht mit dem Holocaust befasst, falls Israel nach dem Krieg von 1973 nicht mit den USA verbündet gewesen wären. Auch hier macht er keine Angaben zu diesen „historischen Dokumenten“ oder erwähnt sie ein weiteres Mal. Wir müssen seinen Aussagen einfach Glauben schenken.
Sein erstes Kapitel schließt Finkelstein mit der Unterstellung ab, dass die amerikanischen Juden das Gedenken an den Holocaust absichtlich wach hielten, um ihren Status der Nicht-Angreifbarkeit nicht zu verlieren, den sie sich im Laufe der Zeit einverleibt hätten, obwohl sie in den USA schon längst nicht mehr aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert worden seien.
Das zweite Kapitel, „Schwindler, Geschäftemacher und die Geschichte“, ist eine Wiederholung der bisherigen Aussagen, wenn man sie als solche bezeichnen mag. Im Grunde erklärt Finkelstein, dass der Holocaust lediglich eine Propagandamaßnahme ist. Damit diese Propaganda besonders wirksam eingesetzt werden kann, legten sich die „Erfinder“ des Holocaust das Dogma der Einzigartigkeit zurecht, um so die historische Bedeutung der Vernichtung an den europäischen Juden hervorzuheben. Auf den nächsten Seiten seines zweiten Kapitels reitet Finkelstein regelrecht darauf herum, dass es keine Einzigartigkeit gebe, dass sie nur erfunden sei, um den Holocaust – und damit auch die Politik Israels – unangreifbar zu machen. Doch damit nicht genug. Er nennt Elie Wiesel, den er bereits in seiner Einführung attackiert, und beschreibt nebenbei, dass Wiesel für seine Reden ein Standardhonorar von 25.000 Dollar bekommt (neben Limousine mit Chaffeur), bevor er mit der eigentlichen Anklage beginnt und sagt, dass Wiesel jeden verdammt, der den Holocaust mit anderen Verbrechen vergleicht.[10] Natürlich impliziert Finkelstein, dass Wiesel Vergleiche mit dem Holocaust einzig und allein deshalb verdammt, um sein gewaltiges Einkommen nicht zu gefährden – schließlich könnte er nichts mehr an seinen Reden verdienen, wenn der Holocaust nicht einzigartig wäre. Um dies noch zu präzisieren nennt er Shimon Peres, der ebenfalls von Wiesel angeklagt wurde, da er Hiroshima neben Auschwitz als Holocaust bezeichnete. Finkelstein nennt diese Episode eine Parodie. Man sollte sie vielleicht Widerspruch an sich nennen, wenn man bedenkt, dass Finkelstein, der nichts anderes zu tun hatte, als Israel, die israelische Politik und auch israelische Politiker in seinem Buch anzugreifen, nun ausgerechnet Shimon Peres nennt, der eben nicht die Einzigartigkeit des Holocaust betont, um seine Politik zu rechtfertigen, um sich an Elie Wiesel auszulassen. Man fragt sich ein weiteres Mal, wer an dieser Stelle des Buches der Sündenbock ist.
Finkelstein geht noch weiter und behauptet, dass nicht nur die Einzigartigkeit des Holocaust von Wiesel und anderen betont würde, sondern die jüdische Einzigartigkeit. Im Zusammenhang mit der jüdischen Einzigartigkeit, die er nur polemisch benutzt, will er dazu überleiten, dass profitgierige Schwindler dieses Argument dazu benutzen, um noch mehr Mitleid zu erwecken, wenn sie von einem tausendjährigen Hass gegenüber Juden sprechen. Er erweitert seine Ausführungen, indem er erklärt, dass die These vom ewigen Judenhass und jahrhundertlangen Pogromen an Juden lediglich ausgeweitet und übertrieben wurde, um eine Notwendigkeit für einen jüdischen Staat zu schaffen. Wie zuvor schreibt er in einem Satz, dass es dazu keine historischen Beweise gebe. Goldhagen und sein Buch Hitlers willige Vollstrecker fällt für ihn in genau diese Spate, wobei Finkelstein impliziert, dass Goldhagen das Buch nur aus politischem Nutzen geschrieben habe, und definiert es als komisch. Da er wieder einmal keine wissenschaftlichen Belege anführt, lässt sich allzu deutlich erkennen, dass diese Herabsetzung allein seinem eigenen Nutzen dienen soll. Auch andere Werke zum Holocaust, die nicht Finkelsteins Thesen bestätigen, nennt er wissenschaftlich wertlos[11] und maßt sich damit an, wissenschaftlich fundierte Arbeiten herabzusetzen, weil sie nicht seinen Aussagen entsprechen. Vor allem über Daniel Goldhagen lässt er sich breit und offen aus, sein Buch setzt er herab und erklärt, dass es trotz des wissenschaftlichen Apparats ein Kompendium sadistischer Gewalt sei. Nebenbei erwähnt Finkelstein, dass Goldhagen für den Holocaust-Lehrstuhl an der Harvard University nominiert wurde, was schnell den Gedanken aufkommen lässt, dass Finkelstein dies nicht kalt lässt, schließlich betont er mehr als einmal – und dies beinahe vorwurfsvoll – , dass die Holocaust-Forschung an den amerikanischen Universitäten mit zu immensem Interesse betrieben wird.
Doch noch einmal zurück zu Finkelsteins Aussage, dass das Thema des ewigen Judenhasses übertrieben wurde. Vor allem ein Satz in diesem Zusammenhang ist bemerkenswert abartig, „wenn alle Welt die Juden tot sehen will, ist es wahrhaft ein Wunder, dass sie immer noch leben – und, anders als große Teile der Menschheit, nicht gerade hungern.“[12] Was soll dazu noch gesagt werden? Vor allem der Zusatz, dass Juden nicht gerade hungern, bedient sich typischer Klischees, die ich hier gar nicht aufzählen will. Diese Aussage zeigt doch, dass Finkelstein tatsächlich motiviert sein muss, dieses Buch zu schreiben, aber nicht, weil er sich um das Gedenken seiner Familie sorgt, sondern weil er jemand anderen anklagen will.
Zum Thema Schwindel fährt er nun andere Geschütze auf, indem er sich auf die Holocaust-Literatur stürzt. Er pickt sich Wilkomirskis Bruchstücke heraus, das sich nach dem Erscheinen als ein Buch entpuppte, das tatsächlich nicht von einem Holocaust-Opfer geschrieben wurde. Damit glaubt Finkelstein beweisen zu können, dass aus der Erfindung des Holocaust ständig Kapital geschlagen wird, und dass dies nur ein Schwindel ist. Er nennt Bruchstücke den Archetyp der Holocaust-Literatur, obwohl das Buch keine wirklichen Erinnerungen eines Opfers wiedergibt, und schlägt damit auch andere Erinnerungen und Werke über den gleichen Kamm. Indem er so genannte Schwindelbücher anführt, setzt er all die Bücher herab, die von Überlebenden geschrieben wurden, die ihre wahren Erinnerungen weitergeben wollten. Es ist wirklich eine Schande, obwohl dieses Wort zu bedeutungsarm ist, dass Finkelstein die Absichten und seelischen Verletzungen von Überlebenden, die etwas über ihre Erlebnisse in Konzentrations- und Vernichtungslagern schrieben, mit den Füßen tritt und herabsetzt, weil er Schwindelbücher anführt und damit die gesamte Holocaust-Literatur verdammt, um seine Thesen zu bestätigten, dass der Holocaust zu politischen Zwecken erfunden und anschließend instrumentalisiert worden ist.
Das dritte Kapitel möchte ich hier gar nicht großartig ausführen, denn es finden sich die alten Anklagen und Herabsetzungen wieder, die bereits vorher erwähnt wurden. Finkelstein geht jedoch noch weit mehr auf Überlebende des Holocaust ein, als er es bisher getan hatte. Waren zuvor vor allem die USA, Israel und die amerikanischen Juden Zielscheibe seiner Anklagen, ändert sich dies nun. Er bezweifelt, dass es so viele Überlebende des Holocaust überhaupt gab, die Entschädigungsansprüche stellten, und behauptet, dass viele Juden sich eine Vergangenheit in nationalsozialistischen Lagern konstruierten, um Geld abzukassieren. Damit spielt er ein weiteres Mal mit einem typischen Klischee. In seinem Text finden sich wahrlich keine genauen Definitionsräume, die er dazu nutzen könnte, um zu verdeutlichen, dass er nicht den Überlebenden Habgier unterstellt, sondern diejenigen anklagt, die aus dem Leiden der Opfer Kapital schlagen. Tatsächlich scheint er alle miteinander zu meinen, ob sie nun tatsächlich Überlebende des Holocaust waren, oder sich eine Vergangenheit erdacht haben.
Es bleibt nicht nur dabei. Er nennt einen weiteren Grund, weshalb sich viele Juden eine Vergangenheit in einem Lager konstruierten, nämlich, dass Überlebende des Holocaust wie weltweite Heilige behandelt würden. Seine Aussagen geben wieder, dass es die Intention der Überlebenden war, als solche behandelt zu werden, und begeht daher eine grobe, wenn nicht grausame, Beleidigung gegenüber den tatsächlichen Opfern des Holocaust.
Er schließt seine Ausführungen zu Entschädigungsleistungen damit ab, dass er die Geschichte seiner Mutter erzählt, die als Überlebende nur 3500 Dollar bekommen hatte, während viele Schwindler und Lügner lebenslange Pensionen erhalten haben sollen. Hier klingt seine persönliche Motivation ein weiteres Mal durch, diesen Kreuzzug gegen die „Holocaust-Industrie“ zu führen.
Um zu zeigen, dass die Politik der Entschädigungsleistungen in der Holocaust-Industrie verbrecherisch ist, zieht Finkelstein den Vietnamkrieg heran und vergleicht wahllos Zahlen von Kriegsopfern und der zerstörten Agrarwirtschaft infolge des Krieges, für dessen Wiedergutmachung die USA kein Geld bereit gestellt hatten. Damit sollen die USA wie auch sonst als Sündenbock abgestempelt werden, während die Juden wieder einmal habgierig erscheinen. Finkelstein nennt ein weiteres Mal Beispiele, die völlig aus dem historischen Kontext gerissen werden, um seinen Argumenten mehr Halt zu verleihen. Bei ihm wird der Holocaust ständig pauschalisiert und als normales Kriegsgeschehen betrachtet, die Opfer des Holocaust sind nichts anderes als andere Kriegsopfer. Ein Grund mehr für ihn, während des gesamten Buches zu behaupten, dass der Holocaust kein einzigartiges Ereignis in der Geschichte darstellt. Hat Finkelstein erst einmal durchgesetzt, dass der Holocaust mit anderen Kriegsgräuel zu vergleichen ist, kann er sicherlich besser an die These herangehen, dass die gesamte Holocaust-Industrie korrupt ist und darauf abzielt, aus Massenmorden Geld zu machen und auf politischem Parkett Mitleid zu erregen oder gar Immunität gegenüber Kritik zu erwerben.
Finkelsteins Vergleiche des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust mit anderen historischen Ereignissen begleiten auch seine Schlussbemerkung, in der er fordert, dass der Holocaust bzw. der Massenmord an den europäischen Juden wieder zu einem rationalen Forschungsgegenstand werden soll, nachdem unzählige Lehrstühle an den amerikanischen Universitäten dafür hergegeben werden. Um noch einmal aufzurollen, dass es den Holocaust gar nicht gäbe, wenn korrupte und ausbeuterische Menschen den Massenmord nicht als ein unschlagbares und finanziell interessantes Produkt erkannt hätten, wiederholt er, dass der Holocaust und seine Einzigartigkeit erfunden und instrumentalisiert worden seien.
Bezeichnend für Finkelsteins Einstellung zu diesem Thema ist ein Satz aus der Einführung, „angesichts der Leiden der Afro-Amerikaner, Vietnamesen und Palästinenser lautete das Credo meiner Mutter stets: Wir sind alle Holocaust-Opfer.“[13] Damit stellt er gleich dar, dass er den Holocaust mit anderen Ereignissen vergleicht und nicht an die Einzigartigkeit der Shoa glaubt, sondern den Begriff des Holocaust-Opfers auch anderweitig einsetzt. Aber – und dieser Punkt ist vielleicht noch wichtiger – zeigt der Satz bereits zu Anfang des Buches, mit wem Finkelstein am meisten abrechnen will, wenn er Afro-Amerikaner, Vietnamesen und Palästinenser nennt. Die USA sind neben Israel und den amerikanischen Juden die Hauptangeklagten in Finkelsteins Buch zur Holocaust-Industrie. Hier will er noch einmal ausholen und knapp erwähnen, welche Schandtaten in der Geschichte den USA angelastet werden, schließlich haben sie nicht gering dazu beigetragen, aus dem Leiden der europäischen Juden Kapital zu schlagen. Obwohl sie sich sehr für die Holocaust-Opfer einsetzen – selbstverständlich nur aufgrund der eigenen Profitgier – vergessen die USA andere Opfergruppen, die Finkelstein großzügig erwähnt, ohne eine rationale Verbindung zu den wahren Holocaust-Opfern erkennen zu lassen. Wenn er dabei ist, verschiedene Opfergruppen aufzuzählen, könnte er gleich dazu noch viele, viele andere aufzählen, doch das würde dem Sinn nicht entsprechen, schließlich zählt er nur diejenigen auf, die seiner Meinung nach durch die amerikanische Politik zu leiden hatten und haben.
Vergleiche zu ziehen, ist immer ratsam, aber nur, wenn sie angebracht sind. Finkelstein dagegen zieht irgendwelche Vergleiche an, die jeglicher Vernunft entbehren, und zeigt mit dem Finger darauf, um uns weismachen zu wollen, dass er tatsächlich im Recht ist. Doch bleibt es unverständlich, was die vietnamesische Bevölkerung mit europäischen Juden zu tun haben soll, die von einem diktatorischen Regime ausgerottet werden sollten. Was will er damit eigentlich zum Ausdruck bringen? Wir wollen es lieber nicht wissen. Tatsächlich strotzt sein Buch von absurden Thesen und noch absurderen Argumenten, die beim Leser mehr als ein vereinzeltes Stirnrunzeln bewirken. Das Buch kann nur als großer Rundumschlag Finkelsteins gegen die USA, Israel und die amerikanischen Juden verstanden werden. Und da wir bisher von ihm soviel von einer Instrumentalisierung gehört haben, noch etwas dazu: „die Holocaust-Industrie“, demnach Finkelsteins Buch selbst ist eine Instrumentalisierung. Er benutzt das Buch nämlich dazu, gegenüber anderer Kritik zu üben und sie zu verdammen, indem er den Holocaust als Vorwand nimmt und Anteilnahme und persönliche Motivation heuchelt. Das sollte ihm nicht abgenommen werden.
Autorin: Carolin Bendel
Norman G. Finkelstein: Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird. Piper-Verlag, München 2002.
Anmerkungen
[1] Finkelstein, Norman G.: Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird, München 2002, S. 11.
[2] Ebd., S. 14.
[3] Ebd., S. 14.
[4] Distel, Barbara (Hrsg.): Frauen im Holocaust, Gerlingen 2001, S. 19.
[5] Vgl., Yahil, Leni: Die Shoah. Überlebenskampf und Vernichtung der europäischen Juden, München 1998, S. 35.
[6] Finkelstein, Norman: (2001) S. 19.
[7] Lasker-Wallfisch, Anita: Ihr sollt die Wahrheit erben, Hamburg 2004, S. 221.
[8] Finkelstein, Norman: (2001) S. 35.
[9] Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, 9. erw. Auflage, Frankfurt/M. 1999, S. 927.
[10] Finkelstein, Norman: (2001) S. 54ff.
[11] Ebd., S. 63.
[12] Ebd., S. 58.
[13] Ebd., S. 15.