Manuel Köppen / Erhard Schütz (Hrsg.): Kunst der Propaganda. Der Film im Dritten Reich. Bern u. a. 2007.
„Das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt, das ganze öffentliche Leben durchdringt, ohne daß das öffentliche Leben überhaupt von der Initiative der Propaganda irgendeine Kenntnis hat.“ Erstaunlich offen bekannte sich der Propagandaminister des Dritten Reiches, Joseph Goebbels auf einer Tagung der Reichsfilmkammer im Jahre 1941 zu seinem Konzept der verdeckten Propaganda. Kunst, Kultur und vor allem der Film, so machte er weiter deutlich, hatten hier eine besondere Funktion. Weniger für die aktuell politische Propaganda – dafür war die Wochenschau im Kino zuständig – als für die weltanschauliche. Der Film sollte seinen Beitrag dazu leisten, die „Volksgenossen“ im Sinne des Nationalsozialismus zu formen. „Kunst“, so Goebbels in der gleichen Rede, sei „immer Volkserziehung“ gewesen.
Doch darüber hinaus sollte der Film zugleich künstlerischen Ansprüchen genügen. Nach Vorstellung von Joseph Goebbels war der Nationalsozialismus nicht nur eine politische Bewegung, sondern eine Weltanschauung am Beginn einer neuen künstlerischen Epoche. Der Film als das modernste Massenmedium und zugleich als die modernste Kunstform erschien ihm dabei als besonders geeignet, Propaganda und künstlerischen Anspruch zu verbinden. Propaganda sollte im Idealfall zugleich Kunst sein – und Kunst zugleich propagandistische Funktionen erfüllen.
In der Praxis freilich stieß die künstlerische Freiheit immer dann schnell an ihre Grenzen, wenn propagandistische Vorgaben erfüllt werden mussten. Obendrein sollte das Kino auch ein Massenpublikum ansprechen und kommerziell erfolgreich sein. Dem komplexen und widersprüchlichen Wechselverhältnis zwischen Kunst und Propaganda gehen die Aufsätze dieses Bandes nach. Die Beiträge haben sich aus einem Seminar zum Film im Dritten Reich an der Humboldt-Universität entwickelt und decken die verschiedensten Themenbereiche ab. So beschäftigt sich Marian Kaiser in einem Beitrag mit der Film- und Medientheorie im Dritten Reich, Erhard Schütz mit „Flieger-Helden und Trümmer-Kultur“ im nationalsozialistischen Spiel- und Dokumentarfilm, Rüdiger Steinlein mit dem Regisseur Alfred Weidenmann und dem nationalsozialistischen Jugendspielfilm, um nur einige zu nennen. Herauszuheben ist vor allem der Aufsatz von Astrid Pohl über „Männer am Ende. ‚Große Freiheit Nr. 7‘ und die deutschen Filmmelodramen der letzten Kriegsjahre.“
Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist der seit 1943/44 unter der Regie von Helmut Käutner aufwändig produzierte Farbfilm Große Freiheit Nr. 7 mit dem Star Hans Albers in der Hauptrolle. Obwohl der Film Anfang 1945 fertiggestellt wurde, kam er im Reich nicht mehr ins Kino. Allerdings nicht, weil er verboten worden wäre, wie gelegentlich in der Literatur spekuliert wurde, sondern, wie Astrid Pohl nachweist, vor allem aus technischen Problemen: Aufgrund des Mangels an Rohfilm war es kaum noch möglich, die notwendigen Filmkopien für die Kinos herzustellen.
Im Mittelpunkt des Filmes steht der ehemalige Matrose Hannes Kröger – gespielt von Hans Albers – der sein Geld als Stimmungssänger im Hamburger Hippodrom auf der Hamburger „Großen Freiheit“ verdient. Kröger fühlt sich gescheitert und es zieht ihn wieder auf See. In seinem Umfeld fühlt er sich gestrandet und nicht zu Hause, obwohl er mit der Besitzerin des Hippodroms liiert ist. Astrid Pohl zeigt nun, wie sich in der Titelfigur die gegen Ende des Krieges gescheiterten Männlichkeitsideale der NS-Ideologie spiegeln. Die deutschen Männer sind längst nicht mehr die Kriegshelden, zu denen sie die NS-Propaganda zu Kriegsbeginn stilisierte, sondern sie sind geschlagen, desillusioniert und am Ende ihrer Kräfte – sofern sie überhaupt den Krieg überlebten. Von der Heimat, das lässt sich in den Quellen vielfach belegen, haben sie sich entfremdet und die Menschen in der Heimat ebenso. Der Matrose Tonio Kröger verkörpert dies, ohne dass der Film den Krieg auch nur anspricht. Albers erscheint als Schauspieler diese Veränderung und Niedergang des Männlichkeitsideals perfekt zu repräsentieren. Noch Anfang der 30er-Jahre spielte er in Filmen wie F.P.1 antwortet nicht den draufgängerischen Helden oder in der NS-Zeit in Filmen wie Wasser für Canitoga einen mutigen Ingenieur der alles im Griff hat. Jetzt ist er eben nur der gescheiterte und gestrandete Matrose …
Der NS-Film erweist sich so in der Endphase des Dritten Reiches vor allem als Widerspiegelung der Gefühle und Sorgen der Menschen, wie sich auch in anderen Filmbeispielen belegen lässt. Die Kunst propagiert jetzt nicht mehr Ideale und Zukunftsvisionen, sondern vor allem das Hinnehmen und Erdulden eines unausweichlichen Schicksals.
Freilich leidet auch dieser Band an der Problematik der meisten Sammelbände: Die Aufsätze selbst sind instruktiv und gut, aber die Zusammenstellung wirkt nicht immer konsistent. Der vielversprechende – und wissenschaftlich wichtige, weil bisher wenig bearbeitete – Ansatz, den Zusammenhang zwischen Kunst und Propaganda zu beleuchten, wird nicht in allen Aufsätzen gleichermaßen thematisiert.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans M.A.
Manuel Köppen / Erhard Schütz (Hrsg.): Kunst der Propaganda. Der Film im Dritten Reich (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, Bd. 15). Verlag Peter Lang, Bern u. a. 2007, 298 S., ISBN 978-3-03911-179-4, EUR 53,30.