Harro Segeberg (Hg.): Mediale Mobilmachung I. Das Dritte Reich und der Film., München 2004.
„Eigentlich bin ich der größte Filmschauspieler Deutschlands“, soll Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht einmal gesagt haben. Ob authentisch oder nicht, zeigt das Zitat doch deutlich, was Hitler vor allem für die Deutschen war: eine Medienfigur, vielfach in Fotos, Rundfunkreden und Wochenschaubeiträgen multipliziert. Und nicht nur Hitler selbst: Ob Reichsparteitage, politische Ereignisse oder schlichte Unterhaltung, das Dritte Reich präsentierte sich den „Volksgenossen“ vor allem auch über seine mediale Präsenz. Leitmedium dieser „Mediendiktatur“ war fraglos der Film. Mehr als eine Milliarde Kinokarten wurden pro Jahr selbst im Krieg verkauft, dazu gab es Sonderveranstaltungen, mobile Filmtrupps und Schulvorführungen. Kein anderes Medium war derart in der Lage, Gefühle zu mobilisieren und Erlebniswelten zu konstituieren wie das Kino. Die NS-Filmpolitik ist daher zu Recht ein Schwerpunkt der gegenwärtigen historischen Forschung über das Dritte Reich. Untersucht wird dabei nicht zuletzt, wie ideologische Botschaften – zum Beispiel Rassenideologie und Führerkult – nicht nur in den Propagandafilmen, sondern auch in den vordergründig unpolitischen Unterhaltungsfilmen verbreitet wurden. Der von Harro Segeberg, Professor für neue Literatur und Medien in Hamburg, herausgegebene Band verfolgt dagegen einen etwas anderen Ansatz. Nicht die „Ideologisierung des Medialen“, sondern die „Medialisierung des Ideologischen“ solle, so Segeberg vor allem thematisiert werden. Das Kino transportiert demnach nicht einfach – verdeckt oder offen – ideologische Botschaften – sondern konstituiert eine eigene Wirklichkeit, schafft eine eigene audiovisuelle, emotionale Welt. Mit dem französischen Medienphilosophen Jean Baudrillard könnte man dies als eine „Liquidierung aller Referentiale“ bezeichnet, also als eine Auslöschung des Realen als Bezugspunkt der Bilder. Hierin liegt eine bisher vernachlässigte politische Bedeutung des NS-Films. Im Schatten dieser „grell ausgeleuchtete Medienwelt“, so Segeberg, konnte das NS-Regime seine furchtbaren Verbrechen bis zum Holokaust begehen. Eine ideologiekritische Analyse einzelner Filme kann vor diesem Hintergrund nicht mehr genügen. Im Band kommt dies auch dadurch zum Ausdruck, dass die Beiträge praktisch alle im damaligen Kino gezeigten Genres behandeln. Der Herausgeber selbst befasst sich in seinem Beitrag mit der „Renaissance des Propagandafilmes um 1940“, Günter Agde untersucht den Werbe- und Trickfilm, Ursula von Keitz die „Pädagogik und Politik des Unterrichtsfilmes“. Jan Hans behandelt den „Musik- und Revuefilm“, Knut Hickethier die Filmkomödie, um nur eine Auswahl der insgesamt 14 Aufsätze zu nennen. Natürlich fehlen auch Beiträge zu Riefenstahl (von Rainer Rother) und zur Wochenschau (von Kay Hoffmann) nicht. Gerade am Beispiel der Kriegswochenschau lässt sich zeigen, was die Medialisierung des Politischen und der Verlust der Referentiale bedeuten. Der Krieg in der Wochenschau wurde nicht einfach gefilmt und propagandistisch kommentiert, sondern mit der ganzen damals zur Verfügung stehenden Technik – Schnitt, Bildausschnitte, Blickwinkel, Musik und Kommentar – inszeniert. Bis heute gibt es praktisch keine anderen Kriegsbilder, als die, die das NS-Regime selbst vorgab. Keine aktuelle Fernsehdokumentation kann auf diese Bilder verzichten, die vor allem auf die Dynamik der Handlung und die Faszination der Technik setzen. Der „wahre Krieg“, der des menschlichen Leids, des Todes und der Grausamkeit ist längst hinter diesen Bildern verschwunden und medial nicht mehr zu fassen. Selbst private Schmalfilmaufnahmen von Kriegsteilnehmern bieten, wie Kay Hoffmann zeigt, keine anderen Einblicke. Sie reproduzieren nur den von der Wochenschau vorgegebenen Blick auf das Geschehen. Hervorzuheben sind auch die beiden hochkompetenten Beiträge von Schulte-Sassen über „Frauen und Kunst im NS-Spielfilm“ und von Scheidgen über über „Weiblichkeit und Stadt im Film.“ Beide Beiträge zeigen, wie im Film für die Frauen eine künstliche Erlebniswelt geschaffen wurde, die vor allem von selbstständigen, berufstätigen Frauen geprägt wurde. Eine Filmtheorie, die den thematischen Ansatz der „Medialisierung des Ideologischen“ konsequent durchführt, kann ein solcher Sammelband dennoch nicht sein. In jedem Fall aber unterstützt er den Blick für eine neue Perspektive auf den NS-Film. Aber auch jenseits aller medientheoretischen Überlegungen bietet der Band, gerade durch die thematisch breite Auswahl seiner Beiträge, einen guten Einstieg für die Beschäftigung mit dem Film im Dritten Reich.
Autor: Bernd Kleinhans
Harro Segeberg (Hg.): Mediale Mobilmachung I. Das Dritte Reich und der Film., München 2004, Wilhelm Fink Verlag, 427 Seiten, SW-Abbildungen, Euro 44.-