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Sonja M. Schultz: Der Nationalsozialismus im Film. Von Triumph des Willens bis Inglourious Basterds (= Deep Focus 13). Bertz + Fischer, Berlin 2012, 560 Seiten, ISBN 978-3-86505-314-5, EUR 29,00. |
Das Kino – von Propagandaminister Goebbels als „modernstes Massenmedium“ der Zeit tituliert – spielte in der Medienpolitik des Dritten Reiches eine zentrale Rolle: Mehr als 1.200 abendfüllende Spielfilme wurden zwischen 1933 und 1945 produziert, Hunderte von Kultur- und Dokumentarfilmen, Tausende von Wochenschaubeiträgen und eine nicht überschaubare Anzahl von Unterrichtsfilmen. Die Filme dienten der Selbstdarstellung des NS-Systems, der politischen Propaganda und manchmal auch nur zur Befriedigung der eskapistischen Bedürfnisse der „Volksgenossen“. Der Film war aber nach 1945 auch ein Medium der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Regimes. So stehen den zwölf Jahren NS-Filmgeschichte inzwischen mehr als sechs Jahrzehnte Geschichte der filmischen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus gegenüber. Eine kaum überschaubare Menge von Dokumentationen, Fernsehserien und Spielfilmen mit unterschiedlichstem politischen und künstlerischen Anspruch wurde bis heute gedreht. Was bisher fehlte, war ein wissenschaftlich fundierter Überblick über diese filmischen Produktionen zum Nationalsozialismus.
Sonja M. Schultz unternimmt diesen – wie schon hier festgestellt werden kann, gelungenen – Versuch eines solchen Überblicks. Mehr als 400 Spielfilme, Fernsehproduktionen und Dokumentationen wurden von ihr gesichtet. Zu allen Filmen gibt es ausführliche Credits, Inhaltsangaben und eine Einordnung in den Kontext ihrer Zeit. Der Schwerpunkt liegt dabei auf deutschen, amerikanischen und westeuropäischen Produktionen, aber auch einzelne osteuropäische Filmregisseure wie Andreji Tarkowskij oder Elem Klimov werden erwähnt. Das immerhin mehr als 500 Seiten starke Buch bietet dennoch nur eine Auswahl. Vor allem süd- und osteuropäische Filme und Dokumentationen, die kaum außerhalb ihrer Landes- und Sprachgrenzen zu sehen waren, bleiben in ihrer Filmografie unberücksichtigt. Allemal ergibt sich aber ein solider Querschnitt von den in deutschen Kinos und im deutschen Fernsehen gezeigten Filmen. Etwas unterrepräsentiert sind lediglich die DEFA-Produktionen des DDR-Kinos.
Schultz ordnet die Filme chronologisch nach Jahrzehnten. Beginnend mit den 1930er- und 1940er-Jahren beschreibt sie zunächst exemplarisch die filmische Selbstdarstellung des NS-Regimes ebenso wie die ersten zeitgenössischen Antinazifilme, wie sie vor allem in den USA produziert wurden. Bis zu den letzten beiden Abschnitten, die „Filme um die Jahrtausendwende“ und die „Filme nach der Jahrtausendwende“ behandeln, ist jedem Jahrzehnt ein eigenes Kapitel gewidmet.
Auf den ersten Blick mutet eine chronologische Struktur etwas einfallslos, wenn nicht verfehlt an: Filmische Stile und Themen orientieren sich nicht an den Nummern von Jahrzehnten, sondern folgen längerfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen. So fragt man sich zunächst, ob nicht andere Einteilungen besser geeignet gewesen wären: eine Einteilung nach Produktionsländern etwa, nach Dokumentationen und fiktionalen Filmen oder nach Genres. Auf den zweiten Blick freilich erweist sich die chronologische Ordnung gerade als ein Vorzug – weil dadurch vorschnelle Bewertungen vermieden werden und Tendenzen der filmischen Auseinandersetzung mit dem NS-Thema in den letzten Jahrzehnten sichtbar werden.
So zeigt die Autorin, wie in den 1950er- und 1960er-Jahre die Filmemacher noch unmittelbar unter dem Eindruck der Verbrechen des NS-Regimes standen. Sie waren Zeitgenossen, die sich mit ihren Filmen an andere Zeitgenossen wandten. Das verpflichtete sie zu einer besonderen Glaubwürdigkeit und zugleich reflektierten sie auf Ängste und Erwartungen ihres Publikums, das die NS-Zeit selbst erlebt hatte. Und für viele Deutsche hieß das zunächst, akzeptieren zu müssen, Teil eines verbrecherischen Regimes gewesen zu sein – sei es als Täter, als Mitläufer oder Mitwisser. Anstelle einer offensiven Aufarbeitung der NS-Geschichte entwickelten sich in der Nachkriegsgesellschaft vielfach Strategien der Verdrängung oder Schuldverschiebung auf die NS-Führer, denen man sich im Rückblick machtlos ausgeliefert sah. In den Filmen der Zeit spiegeln sich diese gesellschaftlichen Tendenzen.
Bernhard Wickis Film „Die Brücke“ aus dem Jahr 1959, der zeigt, wie fanatisierte Hitlerjungen in den letzten Kriegstagen geopfert werden, ist eines der wenigen Beispiele einer entschiedenen Abrechnung mit der NS-Ideologie. Dominiert wurde die filmische Beschäftigung mit der NS-Diktatur in der Nachkriegszeit von Filmen, die eher der Schuldverdrängung dienten. So wurde in vielen Streifen die Wehrmacht geradezu als Gegensatz zum NS-Regime stilisiert. Filme wie „Canaris“, „Des Teufels General“ oder die „08/15-Reihe“ prägten den Mythos einer sauberen anständigen Wehrmacht. „Das westdeutsche Kriegskino“, so Schultz treffend, „erzählte in der Folge von den Gewissenskämpfen führender Militärs, die zu tragischen Opfern des NS-Regimes wurden.“
Je länger die Verbrechen des NS-Regimes zurücklagen, desto mehr verdrängten die Bilder der NS-Zeit die unmittelbaren Erlebnisse der Zeitgenossen. Die Filmemacher referierten mit ihren Filmen immer weniger auf die Ereignisse selbst, als auf die Bilder der Ereignisse. Die Darstellung Hitlers etwa folgte – bei freilich anderer Bewertung – den Mustern filmischer Inszenierungen der NS-Propaganda. Die Kriegswochenschauen dienten als Muster für Kriegsdarstellungen – wenn sie nicht gar in Fernsehdokumentationen als „Originalaufnahmen“ präsentiert wurden. Zynisch könnte man von einem späten Sieg der NS-Bildpropaganda sprechen. Joachim Fests psychoanalytische Filmstudie „Hitler − Eine Karriere“ aus dem Jahr 1977 etwa intendierte eine Dekuvrierung des Hitler-Mythos, indem er Hitler als Kleinbürger voller Ressentiments und als Psychopath voller Zerstörungsfantasien vorführte. Faktisch verdankte der Film seinen Kinoerfolg eher der Faszination der visuellen Präsenz Hitlers. Gerade die 1970er-Jahre brachten eine regelrechte Flut an Filmen über die NS-Zeit, die sich vielfach dieser Faszination der Gewalt bedienten. Das betraf besonders die Filme der so genannten Sadiconazista und Naziploitation: Der Nationalsozialismus und die NS-Symbolik dienten als bloße Kulisse, um gewaltpornographische Filme zu vermarkten.
Natürlich gab es immer wieder auch Versuche, sich ernsthaft mit dem NS-Thema auseinanderzusetzen und zugleich ein Massenpublikum zu erreichen. Dies gilt für die Fernsehproduktion „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ von 1978 ebenso wie für „Schindlers Liste“ aus dem Jahr 1993. Diesen Filmen gelang es, was immer im Detail an ihnen zu kritisieren ist, Diskussion in einer breiten Öffentlichkeit über die NS-Verbrechen anzustoßen. Aber, das belegt die Filmografie von Schultz auch, blieb die NS-Zeit häufig bloße Kulisse für belanglose Liebesschnulzen wie Der „Vorleser“ oder Action-Fantasy-Abenteuer wie „Hellboy“.
Schultz zieht über sechs Jahrzehnte Nationalsozialismus im Film eine entsprechend zwiespältige Bilanz: „Die größten Leistungen von Kino und Fernsehen sind mit dem Versuch verbunden, sich dem Nationalsozialismus, Krieg und Menschenvernichtung auseinanderzusetzen – aber auch die ärgerlichste Propaganda und die gewaltigste Kolportage.“
Zu Recht kritisiert sie, dass sich das Kino zu wenig mit den von ihm produzierten Bildern kritisch befasst hat. Einer der ganz wenigen Filme, die das leisten, ist nach ihrer Ansicht Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ aus dem Jahr 2009. Der Film richte sich nicht nur, wie Schultz betont, „gegen die Konventionen des Retro-Kinos und gegen die faschistischen Inszenierungen“, sondern setze mit der zentralen Attentatssequenz ein „Zerstörungsfest“ gegen die ewig fortpflanzenden filmischen Repräsentationen des NS-Regimes entgegen. Hitler und die NS-Führung fallen hier im Kino während der Betrachtung eines Propagandafilmes zum Opfer, das durch die Entzündung des Filmmaterials hinter der Leinwand beginnt und mit der völligen Vernichtung des Kinos im Feuer endet. Man mag das so sehen. Ob die Zuschauer das auch so tun, mag man dagegen bezweifeln. Man kann Tarantinos Film auch als kaum mehr als eine – professionell gemachte – Gewaltphantasie sehen, die ihre Faszination auf die Zuschauer durch die NS-Kulisse gewinnt. Und dann wären wir wieder in den 1970er-Jahren.
Alles in allem: Das Buch von Sonja M. Schultz bietet einen – längst notwendigen – Überblick über die Filmproduktion zum Nationalsozialismus. Gerade weil sie besonders vielfältiges Material zur Verfügung stellt und sich mit Interpretationen zurückhaltend verhält, ist das Buch idealer Ausgangspunkt für jede vertiefte Beschäftigung mit der filmischen Bearbeitung der NS-Zeit. Insofern können sich Medienpädagogen, Hochschuldozenten und filmhistorisch Interessierte gleichermaßen angesprochen sehen.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans M.A.