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Jürgen Trimborn: Riefenstahl. Eine deutsche Karriere. Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 2002, 600 Seiten, ISBN 3-351-02536-X, EUR 25,00. |

Jürgen Trimborn: Riefenstahl. Eine deutsche Karriere. Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 2002.
Grauschwarze Wolkenmassen türmen sich zu immer neuen Formationen auf. Minutenlang. Dann endlich – das Junkersflugzeug durchbricht die Wolkendecke, und der Blick ist frei auf die idyllische Stadt am Boden: Mittelalterliches Fachwerk, verwinkelte Gassen. Das Flugzeug sinkt tiefer, und man sieht Menschen, die zu Tausenden die Straßen säumen. Die Stadt ist Nürnberg und das Flugzeug bringt Adolf Hitler zum Reichsparteitag der NSDAP. Der Diktator als gottähnlich vom Himmel herabkommender Übermensch.
Es sind die Eingangssequenzen aus dem vielleicht berüchtigsten Film aus dem Dritten Reich: „Triumph des Willens“ – gedreht auf dem Reichsparteitag 1934 und mit großen propagandistischem Aufwand in den Kinos inszeniert – als Selbstdarstellung des Dritten Reiches und ihres Führers.
Regie führte die gerade 32 Jahre alte Leni Riefenstahl. Unter den Filmschaffenden im Dritten Reich hatte sie eine Sonderposition. Sie galt als einzige Filmschaffende, die direkt dem Führer unterstellt und nicht unter der Kontrolle des mächtigen Propagandaminister Goebbels stand.
Doch wer war diese Leni Riefenstahl, der es gelungen war, so nahe ans Machtzentrum des Dritten Reiches zu kommen – und dazu noch als Frau in der männerdominierten NS-Welt? Eine Antwort darauf versucht Jürgen Trimborn mit seiner aktuellen im Aufbau-Verlag erschienenen Biographie über die Künstlerin, die im August 2002 einhundert Jahre alt geworden ist. Er zeichnet dabei das Bild einer Frau, die, aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen, konsequent an ihrer eigenen Karriere arbeitete und dafür jede sich bietende Gelegenheit nutzte.
Nachdem sie wegen einer Knieverletzung die Laufbahn einer Tänzerin aufgeben musste, setzte sie zunächst auf eine Karriere als Schauspielerin. Bekannt wurde sie durch ihre Rollen in zahlreichen Berg- und Naturfilmen, die in den 1920er-Jahren die Menschen faszinierten. Der unumstrittene Meister dieses Genres, Arnold Fanck, gab ihr in mehreren Filmen Hauptrollen.
Ihr Regiedebüt hat Riefenstahl in dem wildromantischen Bergdrama „Das blaue Licht“ von 1932. Doch ihre große Karrierechance kommt mit dem Aufstieg der Nazibewegung. Sie sieht Hitler erstmals im Februar 1932 auf einer Wahlkampfveranstaltung im Berliner Sportpalast und ist beeindruckt: „Ich war infiziert“ gesteht sie. Schon im Mai 1932 kommt es zum ersten persönlichen Treffen zwischen den beiden.
Hitlers sicheres Gespür in Personalfragen und seiner Neigung, auf junge Kräfte zu setzen, traf sich mit dem unbändigen Karrierewillen der Leni Riefenstahl, die für ihre Chance nur zu gern bereit war, die Augen vor dem wahren Gesicht der Diktatur zu verschließen.
Bereits 1933 darf sie im Auftrag Hitlers mit „Sieg des Glaubens“ den Film über den Reichsparteitag in Nürnberg machen, der im darauffolgenden Jahr unter großem propagandistischem Aufwand in die Kinos kommt. Perfektioniert wird der filmische Einsatz dann bei Riefenstahls zweiten Parteitagsfilm: „Triumph des Willens“ von 1934. Hier ist schon durch die Kameraperspektive der Film ganz in den Dienst der Propaganda gestellt. Hitler wird meist in Unterperspektive gefilmt und dem Kinozuschauer so der Blick nach oben zum Führer regelrecht aufgezwungen. Jede Aufführung von „Triumph des Willens“ bis in die Provinzstädte wird als pompöse Inszenierung mit Hakenkreuzbeflaggung und Ansprachen der NS-Größen gefeiert.
1936 dreht sie mit noch größerem Aufwand anlässlich der Olympiade 1936 „Fest der Völker / Fest der Schönheit“. Kritiker sahen schon damals den Film als Ausdruck faschistischer Körperästhetik und Verherrlichung des Starken und Kräftigen.
Nach 1945 zog sich Riefenstahl auf die Position der unpolitischen Künstlerin zurück, die mit den Verbrechen des Regimes nichts zu tun gehabt und noch nicht einmal etwas gewußt habe. „Triumph des Willens“ sei nichts weiter als ein Dokumentarfilm gewesen, für dessen propagandistische Verwertung man sie nicht verantwortlich machen könne.
Trimborn kontrastiert in detaillierten Einzelstudien das Eigenbild der Regisseurin als der unpolitischen Künstlerin mit der Realität, wie sie sich vielen inzwischen gesicherten Dokumenten und Zeugenaussagen heute zeigt. Neu sind beispielsweise Belege für die filmische Arbeit bei Hitlers Einmarsch in Polen, wo Riefenstahl auch Zeugin von Greueltaten wurde. Riefenstahl, so zeigt Trimborn, hatte sehr viel mehr gewusst und wissen können über die Verbrechen der Hitler-Diktatur als sie später zugab.
Trimborn zeigt aber auch, dass der Umgang mit Riefenstahl in der Nachkriegszeit von viel Heuchelei geprägt war. Während sie immer wieder für ihre Filmtätigkeit im Dritten Reich angegriffen wurde, konnten andere Starregisseure des Dritten Reichs bald wieder ungehindert weiterarbeiten. So konnte Veit Harlan, der den antisemitischen Hetzstreifen „Jud Süß“ inszeniert hatte beinahe ebenso nahtlos seine Regiekarriere in der Bundesrepublik fortsetzen wie Wolfgang Liebeneiner, der mit „Ich klage an“ das Euthanasieprogramm zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ propagiert hatte.
Riefenstahls Name freilich war zu offenkundig mit dem Dritten Reich verbunden, ihre Nähe zu Hitler wie bei kaum einem anderen Filmschaffenden bildmäßig dokumentiert. Damit war sie letztlich auch dem eigenen Karrierestreben zum Opfer gefallen. Denn sie selbst hatte sich öffentlich nach 1933 immer wieder ins Zentrum gerückt und Bilder von sich und ihrem Führer verbreiten lassen.
Trimborn hat nicht nur eine detaillierte Biographie Riefenstahls vorgelegt. Er zeigt am Beispiel Riefenstahls, wie eine Diktatur funktioniert und wie es ihr gelingt, Menschen für ihren Zweck einzuspannen. Und wie gerne diese bereit sind, sich für Karriere und Prestige einzuspannen lassen. Das Buch ist dabei von der ersten bis zur letzten Seite spannend.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans M.A.