Bei dem Versuch, Leni Riefenstahl als große Künstlerin darzustellen und sogar für die Frauenbewegung zu retten, steht Alice Schwarzer an vorderster Front.
„70 Jahre Arbeit, davon drei Monate im Dienste Hitlers – und sie gilt lebenslang als Nazi-Künstlerin. Nach 1945 wurde sie zwar restlos ‚entnazifiziert‘, aber trotzdem an den Pranger gestellt.“ (Emma, Jan/ Feb 1999). Auch die linke Filmemacherin Helma Sanders-Brahms (1940–2014) arbeitete in einem Aufsatz für die Stiftung Deutsche Kinemathek an der Ehrenrettung Leni Riefenstahls nicht nur als „große Stilistin“, sondern machte sie zur Gegnerin der Nazis. Sie behauptete ernsthaft, dass in „Tiefland“ mit dem Tyrannenmord an Don Sebastian, gespielt von Bernhard Minetti, eigentlich Hitler gemeint gewesen sei. Völlig bizarr, zumal letzterer mit immer neuen Finanzspritzen der exorbitant teuren Verfilmung seiner Lieblingsoper den Weg ebnete, was Riefenstahl mit Glückwunschtelegrammen zu Geburtstagen und militärischen Siegen dankte.
Eine der wenigen Personen, die an dem gerühmten künstlerischen Talent der Leni Riefenstahl immer zweifelte, ist die Dokumentarfilmerin Nina Gladitz, die 1982 in ihrem Film „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ (WDR) den Einsatz von Roma und Sinti aus Konzentrationslagern als Komparsen für Riefenstahls Verfilmung von „Tiefland“ thematisierte. Riefenstahl verklagte Gladitz, die jedoch in drei von vier Punkten den Prozess gewann. Einzig nicht niet- und nagelfest belegbar war, dass Riefenstahl wusste, dass die Komparsen nach den Dreharbeiten nach Auschwitz deportiert worden waren. Statt für eine kleine Korrektur an dem Film zu sorgen, um ihn weiter in den Sendern der ARD zu präsentieren, ließ ihn der WDR opportunistisch in der Versenkung verschwinden.
Von Karriereknick bei Riefenstahl konnte indessen nicht die Rede sein. Die Rezeption von ihrem Werk, besonders im Ausland, war bis zu ihrem Tod ungebrochen und auch in Deutschland verkauften sich Bildbände und die märchenhaft verklärende Autobiografie wie geschnitten Brot.
Nina Gladitz hat nun mit ihrem Buch „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“ viele neue Details und Belege über Riefenstahls Arbeit für die Nazis in den eroberten Gebieten, unter anderen in einem Getto, sowie ihren Umgang mit den Roma- und Sinti-Komparsen zusammengetragen. Mit Indizien belegt sie Riefenstahls frühes Wissen von der Existenz der Mordfabrik Auschwitz.
Im Zentrum des Buches steht jedoch vor allem die Geschichte Willy Zielkes, die eine Neubewertung der angeblich talentierten Filmregisseurin ermöglicht und eine Aufrechterhaltung ihrer gestreuten Legenden erschwert. Dafür konnte Gladitz Zielkes unveröffentlichte Lebenserinnerungen auswerten, die sie von dessen Großnichte, der Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer, erhielt. Wie sich Riefenstahl als alleinige Autorin eines Werks erfand, hatte sie schon kurz nach der Machtübergabe an die Nazis bewiesen. Bis heute firmiert „Das blaue Licht“ als ihre erste Regiearbeit. Der Film gewann 1932 die Silbermedaille in Venedig und führte die Darstellerin Riefenstahl da noch unter „Mitarbeit“ bei Drehbuch und Regie auf. Nach der Machtübergabe an die Nazis in Deutschland zeichnete sie im Abspann alleine verantwortlich für Regie, denn der jüdische Co-Regisseur und -Drehbuchautor Béla Balás sowie der Produzent Harry Sokal waren von ihr getilgt worden.
Gladitz weist schlüssig nach, wie wichtig der Dokumentarfilmer und Fotograf Willy Zielke für Leni Riefenstahl und ihren zweiteiligen Olympiafilm („Fest der Völker“, „Fest der Schönheit“) und „Tiefland“ war. Sein bis heute hochgelobter expressionistischer Film „Das Stahltier“ (1934), zum 100-jährigen Jubiläum der Eisenbahn von der Reichsbahn in Auftrag gegeben, wurde jedoch wundersamerweise nicht abgenommen. Die zusammengetragenen Indizien von Gladitz lassen es sehr möglich erscheinen, dass Riefenstahl, der für die Probevorführung vor NS-Prominenz im Gegensatz zu Zielke Zugang gewährt wurde, mit ihrem Einfluss auf Hitler und Goebbels dafür gesorgt haben könnte, diesen Konkurrenten zielstrebig auszuschalten, um ihn dann wiederum als Mitarbeiter für den 2-teiligen Olympiafilm zu gewinnen. Zielke, der von den Machenschaften hinter den Kulissen nichts ahnte, kooperierte und produzierte den Prolog des Olympiafilmes mit einer komplizierten Überblendtechnik. Auch die dafür von ihm gemachten Fotos von den Athleten wurden später von ihr signiert und firmieren bis heute unter ihrer Autorenschaft. Differenzen mit Riefenstahl führten zur Beendigung der Zusammenarbeit und stürzten Zielke in eine Krise, zu der auch noch das Scheidungsersuchen seiner Frau verstärkend hinzukam. Zielke, dessen Namen Riefenstahl aus dem Abspann des Olympiafilmes tilgte, wurde in München psychiatrisiert und geriet in das Euthanasieprogramm der Nazis. Anfangs wurde er „nur“ zwangssterilisiert, wäre letztendlich aber, wie viele Tausende andere auch ermordet worden, hätte Riefenstahl den unter Vormundschaft gestellten Zielke nicht aus der Psychiatrie geholt, um ihn unter ihrem Kuratel an „Tiefland“ arbeiten zu lassen. Anhand der durch Gladitz’ Recherche nun vorliegenden chronologischen Aufstellung von Zielkes Vormund, Ambrosius Kuckelkorn, sowie eines Briefs Riefenstahls an Zielkes Stiefvater lässt sich die Diabolik Riefenstahls nachweisen. Sie erzwang Zielkes Mitarbeit, nicht um in zu retten, sondern im Eigennutz und mit deutlichen Drohungen im Falle Zielkes Ungehorsams. Übrigens endete Zielkes Martyrium nicht mit der Befreiung und er musste um die Wiederherstellung seiner vollen bürgerlichen Rechte kämpfen. Ein ärztliches Gutachten bescheinigte ihm schließlich „nie krank gewesen zu sein“.
Nina Gladitz weist Rachegefühle gegen Riefenstahl aufgrund der Prozesserfahrungen samt Auswirkungen auf ihre Karriere als Dokumentarfilmerin von sich, dennoch ist im Buch eine starke Traumatisierung erkennbar. Ein sachlicherer Ton, eine bessere Trennung von Fakten, Indizien und Mutmaßungen und der Verzicht auf die, alle NS-Hierarchien ignorierende Behauptung, dass Riefenstahl die Deportation in ein KZ „selbst angeordnet“(!) und eine Verlegung von einem KZ in ein anderes „verfügt“(!) habe (S. 298), hätten dem Buch gut getan.
Dennoch bleibt es Gladitz’ Leistung, neue Erkenntnisse präsentiert zu haben, die Leni Riefenstahls Autorenschaft, ja ihr „künstlerisches Talent“ stark in Frage stellen und eine Neubewertung ihrer, auf Netzwerk, Intrigen und skrupelloser Machtausübung basierenden Karriere notwendig machen.
Autor: Matthias Reichelt
Nina Gladitz: Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin. orell füssli, 2020, 25 €