Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz, Köln 2003.
Ein besonders wirksames Instrument der Massenbeeinflussung im Dritten Reich war der Film. Als modernstes Massenmedium der Zeit sprach das Kino vor allem die Emotionen der Menschen an. Weit mehr als Presse oder Rundfunk wurde er so zum idealen Mittel, Feindbilder zu erzeugen, Bewunderung und Verehrung für das Regime und seinen Führer Hitler zu erwecken. Auf Betreiben des Propagandaministers Joseph Goebbels begann bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Zugriff auf die Filmwirtschaft. Das betraf zunächst die Filmproduktion: Eine strenge Zensur sorgte dafür, dass nur noch vom Regime akzeptierte Filme zur Vorführung kamen. Alle Filmschaffenden mussten überdies Mitglied in der neu geschaffenen „Reichsfilmkammer“ werden. Wer politisch nicht genehm war, ob als Schauspieler, Drehbuchautor oder Kameramann, wurde ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot.
In seinem Buch zeigt der Historiker Bernd Kleinhans, dass der Machtanspruch sich nicht auf eine regimekonforme Filmproduktion beschränkte: Das gesamte System der mehr als 5000 Lichtspieltheater im Reich sollte zu einem einheitlichen und zentral gelenkten Propagandaapparat gleichgeschaltet werden. Man wusste im Propagandaministerium nur zu gut, dass die Wirksamkeit eines politischen Films nicht nur von Drehbuch und Inszenierung, sondern ebenso von der Präsentation vor Ort abhing. Nur wenn die Kinobetreiber einen Film zu einem lokalen Ereignis machten, konnte er die gewünschten Effekte entfalten. Die Kinos waren nach NS-Verständnis eben nicht bloße Abspielstätten, sondern Zentren der nationalsozialistischen Volkskultur. Das galt gerade für die Provinz. Fernab von den Metropolen sollten die Kinos etwas vom „schönen Schein“ des Dritten Reiches vermitteln, nicht zuletzt mit Filmberichten über Parteitage, Kundgebungen und natürlich mit Filmbildern des Führers. „Der Kinosaal“, so Kleinhans, „wurde zum Ort der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, wo der Führer durch seine übergroße Leinwandchimäre das Volk beherrschte.“ Dabei widerlegt Kleinhans das verbreitete Klischee vom Kino der 30er und 40er Jahre als einer rein großstädtischen Angelegenheit: Vielfach übertrafen kleine Provinzstädte in punkto Kinodichte und Besuchshäufigkeit sogar die Metropolen wie Berlin und Hamburg. So hatte Berlin beispielsweise zwar eine hohe Kinoversorgung von 46 Kinoplätzen pro 1000 Einwohner, wurde darin aber sogar von kleinen Städten wie Husum oder Kempten überboten. Selbst das flache Land ohne eigene Kinos wurde mit Filmen versorgt. Hier übernahmen mobile Filmtrupps der Parteifilmstellen diese Aufgabe. Mehr als 800 Tonfilmwagen – komplett ausgestattete rollende Kinos – sorgten dafür, dass auch in den abgelegenen Regionen Thüringens oder des bayerischen Waldes wenigstens monatlich ein Film zu sehen war. Entsprechend umfassend war der Zugriff auf die Kinobetreiber. Wie die Filmschaffenden mussten auch die Kinobetreiber in der Reichsfilmkammer Mitglied werden und ihnen drohte bei nicht parteikonformem Verhalten ebenso rasch Berufsverbot wie den Filmproduzenten. Bei den Kinobetreibern ging man sogar noch einen Schritt weiter: Die NSDAP bestellte in den Gauen eigene Filmstellenleiter, die als regionale Beauftragte der Reichsfilmkammer praktisch den Kinos vor Ort vorgesetzt waren.
Eine Flut von immer neuen Regelungen schränkte die Kinos zunehmend ein. So gab es detaillierte Vorschriften, wie hoch die Preise sein durften, an welchen Orten neue Kinos zugelassen werden konnten, wie Filme beworben und teilweise sogar, welche Filme abgenommen werden mussten. Zu Sonderveranstaltungen wie Schulfilmstunden und Filmvolkstagen waren die Kinobetreiber sogar gezwungen, ihre Theater kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wehren konnten sich die Kinobetreiber kaum: Anordnungen der Filmkammer hatten Verordnungs- teilweise sogar Gesetzescharakter. Überwacht wurde die Einhaltung der Anweisung daher nicht nur von der Kammer und der Partei, sondern auch von der örtlichen Polizei. Viele Filmvorführungen, insbesondere der sogenannten „staatspolitisch wertvollen“ Filme, wurden zu diesem Zweck als regelrechte Kultfeiern durchgeführt: Tage zuvor wurde in Zeitungsberichten die Bevölkerung auf das bevorstehende Ereignis eingestimmt. Am Tage des eigentlichen Kinoereignisses wurden die Theater meist schon an der Außenfront mit riesigen Hakenkreuzfahnen geschmückt, die Innenräume waren ebenfalls mit NS-Flaggen und Grünschmuck ausgestattet. Vor der eigentlichen Filmvorführung spielte das Orchester irgendeiner lokalen NS-Formation und dann sprach ein hoher Funktionär – meist der Kreis- oder Ortsgruppenleiter zur Einführung. Und nach der Filmvorführung wurde das Publikum erst nach Absingen gemeinsamer Lieder entlassen. Auch für solche Kultfeiern gab es eigene Richtlinien und Vorschriften der Reichsfilmkammer.
Ein besonders düsteres Kapitel der NS-Kinopolitik im Dritten Reich behandelt Kleinhans auch: Die Verfolgung und Vertreibung jüdischer Kinobetreiber: Obgleich vermutlich nicht einmal 2% aller Kinos in Deutschland von Juden betrieben wurden, waren sie nach 1933 den Repressionen der neuen Machthaber besonders ausgesetzt. Gerade in der Provinz waren die kleineren Kinobetreiber oft besonders dem Terror der lokalen Machthaber ausgesetzt, waren sie vor Ort doch die einzig greifbaren Vertreter der angeblich von Juden beherrschten Filmwirtschaft. Auch die Kinos waren bereits 1933 in die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte einbezogen. Nach und nach wurden Juden zur Aufgabe ihrer Lichtspieltheater gezwungen. Am Ende gab es sogar ein Verbot für Juden, Kinos zu besuchen. Die umfassende Studie wird vervollständigt durch die Analyse einiger Filmbeispiele. Am Beispiel Leni Riefenstahls Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ zeigt der Autor, wie das Kino auch die Funktion hatte, die Provinz an die Machtzentrale anzubinden: Durch ständige optische Präsentation des „Führers“ im ganzen Reich, konnte die Gefolgschaft des Hitlerstaates auch in den Regionen gesichert werden, in denen er persönlich nie auftrat.
Weitere Analysen beschäftigen sich mit der Wochenschau, antisemitischer Filmpropaganda. Am Beispiel der Heinz-Rühmann-Komödien zeigt Kleinhans, wie die Strategie einer verdeckten Propaganda in scheinbar unpolitischen Filmen funktionierte. Typische Probleme des NS-Staates – Machtlosigkeit des Einzelnen oder der Wunsch aus Zwang und Befehl auszubrechen – werden hier aufgegriffen und in ein unpolitisches Milieu der Ökonomie oder des Privaten übertragen. Nahezu alle Rühmann-Komödien, so Kleinhans, zeigen eine ähnliche Struktur: Ein aufbegehrendes Individuum gliedert sich am Ende wieder freiwillig in eine größere Gemeinschaft an, die in diesen Filmen immer für die Volksgemeinschaft steht. Kleinhans beleuchtet mit „Ein Volk, ein Reich, ein Kino“ nicht nur bisher wenig berücksichtigte Aspekt der Kinogeschichte im Dritten Reich. Es ist zugleich ein hervorragender Überblick über die Film- und Kinopolitik der braunen Machthaber. Ausgewiesenen Filmhistorikern wird dieser Band ebenso nützlich sein wie allen Interessierten, die sich einen Überblick über das wichtigste Propagandainstrument des NS-Staates verschaffen wollen. Trotz ausführlicher und genauer Quellenbelege ist das Buch spannend zu lesen: Sehr empfehlenswert.
Autor: Stefan Mannes
Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz, Köln 2003, 229 Seiten €14,95 (Papyrossa-Verlag).