Die ZDF-Dokumentation „Ganz normale Männer“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Christopher R. Browning aus dem Jahr 2020. Sie beschreibt den Einsatz einer Hamburger Polizeieinheit im polnischen Distrikt Lublin. Neben geschichtlichen Fakten beleuchtet der Beitrag die persönlichen Umstände der Mitglieder des „Reserve-Polizeibataillons 101“. Der Autor Manfred Oldenburg lässt Historiker, Psychologen und Soziologen wie auch Browning selbst zu Wort kommen. Anhand von Originalaufnahmen und Dokumenten rekonstruiert der Film die Ereignisse des Jahres 1942 sowie deren gerichtliche Aufarbeitung.
Vom Familienvater zum Vollstrecker – gewöhnliche Männer werden zu Tätern
Die Sendung beginnt mit Spielszenen aus dem alltäglichen Lagerleben in Polen. Dazwischen erscheinen Aufnahmen und Filmausschnitte, die Erschießungen zeigen.
Das rekrutierte Bataillon erhielt die Aufgabe, Exekutionen an der jüdischen Bevölkerung des besetzten Gebietes vorzunehmen. Die mitwirkenden Experten weisen bereits am Anfang darauf hin, dass die Männer nicht dazu gezwungen wurden.
Der Film begibt sich auf die Suche nach den „Tätern“ und ihrer Geschichte. 1942 gab es angesichts der fortdauernden Kämpfe und Verluste zunehmend Personalbedarf, um die Macht in den besetzten Zonen zu sichern. Daher beriefen die Nationalsozialisten Kräfte wie die Polizisten aus Hamburg ein, die sich für einen Fronteinsatz nicht eigneten. So wurden aus gewöhnlichen Handwerkern, Kaufleuten und Familienvätern Vollstrecker von Todesurteilen. Die Männer erfuhren erst vor Ort in Polen von ihrem leitenden Offizier, Major Trapp, worin ihr Auftrag bestand: Sie sollten Juden erschießen. Die Handlung verdeutlicht, wie sie die Möglichkeit bekamen, sich diesem Befehl zu entziehen. Davon machte nur etwa ein Dutzend von insgesamt 500 Betroffenen Gebrauch.
Die Dokumentation erläutert den allgemeinen Hintergrund der Operationen, die schon zu Kriegsausbruch begannen. Tausende Angehörige solcher Polizeieinheiten setzten mit Vertreibung oder Ermordung von Juden in den eroberten Gebieten die deutsche Vernichtungspolitik in die Tat um. Mit dem Einmarsch in die Sowjetunion nahm die systematische Ausrottung der jüdischen Bevölkerung ihren Anfang. Um dieses Ziel schnell zu erreichen, entstanden Vernichtungslager wie Auschwitz. Dennoch starben über zwei Millionen Menschen bei Erschießungen. Historiker bezeichnen diese Vorgänge als „vergessenen Holocaust“.
Der Prozess – der “vergessene Holocaust“ vor Gericht
Eine der Hauptfiguren stellt der 101-jährige Benjamin Ferencz dar. Der Jurist war Chefankläger beim Kriegsverbrecherprozess gegen Einsatzgruppen in Nürnberg. Das Interview mit ihm bildet einen zentralen Punkt der Dokumentation.
Neben dem Verfahren mit bekannten Nationalsozialisten wie Hermann Göring sollten sich in den ersten Nachkriegsjahren die „Mörder vor Ort“ ebenfalls verantworten. Das Team um den damals 27 Jahre alten Ferencz findet Beweise für die Ermordung von mehr als einer Million Juden. Er bringt 24 der Einsatzgruppenleiter vor Gericht. Als Beispiel dient Otto Ohlendorf. Dieser befehligte 600 Mann, die in einem Jahr 90.000 Menschen töteten. Seine Aussagen bilden den Hintergrund für die filmische Rekonstruktion der ersten Exekutionen des „Bataillons 101“. Die Polizisten führten ihre späteren Opfer in einen Wald. Die Szene beschreibt die psychische Ausnahmesituation für beide Seiten. Am Ende werden 1.500 Männer, Frauen und Kinder ermordet. Die Dokumentation kehrt zurück zum Prozess gegen Ohlendorf, bei dem die Überlebende eines Massakers ihre Eindrücke schildert.
Der Beitrag stellt anhand persönlicher Beispiele einzelne Mitglieder der Hamburger Einheit vor. Ein frisch verheirateter Polizist verbringt mit Ehefrau die Flitterwochen im besetzten Polen. Die Exekutionen schienen nach anfänglichen Problemen zur „Routine“ zu werden. Die Männer stumpften ab und fanden vereinzelt sogar Gefallen am Töten. Ihr Verband ist an der Ermordung von 38.000 Menschen beteiligt. Unter den 130 im Krieg eingesetzten Polizeibataillonen besitzt die Hamburger Truppe die vierthöchste Mordrate. Ihre Mitglieder sind keine Überzeugungstäter. Sie sehen in ihrer Aufgabe lediglich eine – für sie legitime – Arbeit.
Ohlendorf wird 1948 zum Tod verurteilt. Benjamin Ferencz schildert ein letztes Treffen, bei dem dieser keinerlei Reue zeigte. Ferencz sieht es als Lebenswerk an, den Opfern zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Daher wirkte er an der Gründung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag mit. Die letzte Szene widmet sich noch einmal den Darstellern des Bataillons 101, den „ganz normalen Männern“.