Das von Hannah Arendt geschriebene Buch Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen sowie die ihm vorangegangene Artikelreihe sorgten 1963 für internationales Aufsehen. Die Philosophin und politische Theoretikerin berichtete für das amerikanische Magazin The New Yorker vom Gerichtsprozess um Adolf Eichmann. Eichmann organisierte hauptverantwortlich die Deportation von Millionen Juden während des Nationalsozialismus‘ und war mitverantwortlich für den Genozid an den Juden. In Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt verfilmt Margarethe von Trotta die vier Jahre aus Arendts Leben um das Erscheinen des Reports mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle als Hannah Arendt.
Die Handlung beginnt mit der Entführung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst in Argentinien. Bei der Eröffnung des Prozesses in Jerusalem stellt Hannah Arendt fest, dass Eichmann nicht das Monster ist, das sie erwartet hat. Stattdessen erscheint ihr der Angeklagte lächerlich, wie ein „nobody“. Er sei außerdem kein Antisemit, sondern habe nur aus Gehorsam der damaligen Obrigkeit gegenüber sowie aus Karrieremotiven gehandelt. Kurt Blumenfeld (Michael Degen) und weitere Israelis versuchen ihr klar zu machen, dass sie ihm „auf den Leim“ ginge. Hannah Arendt hält dennoch an ihrem Eindruck von Eichmann fest, und löst mit ihrem Bericht international Entrüstung aus. Eingebaut in eine Vorlesungsszene, erläutert Arendt ihren Standpunkt. Der Film verlässt die denkende, rauchende Arendt mit der Einsicht, dass der Fehler, den alle begingen, derjenige sei, das Böse als radikal oder banal zu definieren, wobei es immer nur extrem sein könne.
Die Vorwürfe, die Arendt nach der Veröffentlichung ihres Berichts entgegengebracht wurden, lauteten, dass sie in der Beschreibung der Zusammenarbeit der Judenräte mit den Nazis die Opfer mit den Tätern gleichstelle, und dass ihre Verharmlosung des Täters und die Formulierung von der Banalität des Bösen einer Verharmlosung der Taten gleichkomme, sie Eichmann verteidige. Teilweise nahmen die Vorhaltungen unsachliche Dimensionen an; Arendt wurden Arroganz und Gefühllosigkeit vorgeworfen, sie erhielt Briefe mit Drohungen und Beleidigungen. Kritisiert wurde Arendt außerdem dafür, nach dem Krieg wieder Kontakt zu Martin Heidegger (Klaus Pohl) aufgenommen zu haben, obwohl dieser – zumindest zeitweise – den Nationalsozialismus befürwortet hatte. Drei Rückblenden zeigen Arendt mit Martin Heidegger. Sie spielen auch auf Arendts und Heideggers Lehrer-Schülerin- und Liebesbeziehung an. Dass Heidegger ein Nazi sei, wird im Film von Hans Jonas (Ulrich Noethen) geäußert.
Obwohl die Handlung auf wenige Jahre aus Arendts Leben begrenzt ist, gelingt es Margarethe von Trotta, einen Eindruck von Arendts gesamtem bewegten Leben zu vermitteln. Dies geschieht insbesondere durch die Rückblicke sowie durch Gespräche und Diskussionen, die in Arendts Wohnzimmer geführt werden. Von Trotta bedient sich historischer Tatsachen, passt diese jedoch der Dramaturgie an. So befanden sich Hannah Arendt und ihr Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) als sie von der Festnahme Eichmanns erfuhren, laut der Arendt-Biographin Elisabeth Young-Bruehl in einem Sommerhaus in den Catskill Mountains, im Bundesstaat New York (Young-Bruehl 2004, 328), im Film liest Arendt die Zeitung jedoch in ihrer Wohnung in New York City. Die fiktive letzte Begegnung zwischen Kurt Blumenfeld und Arendt enthält außerdem einen Dialog, der aus einem anlässlich des Prozesses veröffentlichten kontroversen Briefwechsel zwischen Arendt und Gershom Sholem stammt. Auf den Eindruck Sholems, dass bei Arendt nichts von der „Liebe zu den Juden“ (ahabath Israel) zu bemerken sei (vgl. Arendt /Scholem 2010, 429), antwortet Arendt, dass sie niemals ein Volk geliebt habe, sondern immer nur ihre Freunde (vgl. ebd., 439). Scholem und Arendt haben sich bei Arendts Aufenthalt in Israel anlässlich des Eichmann-Prozesses wohl nicht getroffen (vgl. ebd., 608). Die Dialoge zu den Rückblicken mit Martin Heidegger sind ebenfalls teilweise anhand von Texten aus authentischen Quellen geschrieben. Die Abänderungen, die von Trotta vornimmt, sind allerdings im Genre begründet, es handelt sich um einen Spielfilm und keine Dokumentation. Sie ändern nichts an der Darstellung des Themas.
Verwunderlich erscheint das Fehlen Karl Jaspers‘ und Gershom Sholems. Karl Jaspers, Arendts akademischer Lehrer und Doktorvater, war Hannah Arendt lebenslang ein wichtiger Gesprächspartner in Briefen, außerdem besuchte Hannah Arendt ihn und seine Frau Gertrud bei ihren Europaaufenthalten in Basel. Mit Gershom Sholem verband Arendt ebenfalls eine langjährige Freundschaft. Im Jahr 2010 erschien die gesamte erhaltene Korrespondenz zwischen Arendt und Scholem. Der letzte Brief stammt von Gershom Scholem, der Kontakt wurde demzufolge nicht, wie bisher vermutet von Scholems Seite aufgrund der Eichmann-Kontroverse abgebrochen. Das Nicht-Erscheinen von Karl Jaspers begründet Margarethe von Trotta damit, dass Arendt „schon von zu vielen alten Männern umgeben“ sei, was „nicht sehr attraktiv“ für „mögliche“ Zuschauer und Zuschauerinnen sei (Wiebel 2013, 116). Von Trotta und ihre Koautorin Pamela Katz ersetzten deshalb bereits geschriebene Szenen, in denen Jaspers vorkam, durch Szenen mit Heinrich Blücher oder Mary McCarthy. Deutlich wird im Film die Verärgerung von Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen, die Arendt vorher geschätzt haben, gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, wer trotz der Kontroverse zu ihr hielt.
Herausragend gelungen ist die Einbindung von Originalaufnahmen aus dem Prozess in die Handlung. Die Zuschauenden können sich ein eigenes Bild von Eichmann machen, sehen ihn, wie Hannah Arendt ihn 1961 sah. Auch von der Führung des Gerichtsprozesses und den Zeugenaussagen, die Arendt kritisierte, wird so ein Eindruck vermittelt. Bemerkenswert ist zudem die Mehrsprachigkeit des Films, die die Realität und den Alltag der jüdischen Exilantinnen und Exilanten darstellt. Zentral in der Bildsprache des Films sind Abwechslungen zwischen hell und dunkel, Busse als Transportmittel sowie die New Yorker Skyline um anzuzeigen, dass die Handlung wieder in New York stattfindet. Israel erscheint hell, Arendts Wohnung zumeist dunkel, die Originalaufnahmen aus dem Gerichtssaal von 1961 in schwarz-weiß. Durch Kulissen, das Casting der Schauspielerinnen und Schauspieler, z.B. Arendts Studierende, sowie die Originalaufnahmen aus dem Eichmann-Prozess, werden die Zuschauenden in die 1960er Jahre zurückversetzt. Die Kameraführung vermittelt dem Publikum das Gefühl, sich bei den Diskussionen in Arendts und Blüchers Wohnzimmer zu befinden.
Wichtige Rollen im Film nehmen, wie in Arendts Leben, neben ihrem Mann Heinrich Blücher ihre Freundin Mary McCarthy (Janet McTeer), ihre Freundin und Assistentin Lotte Köhler (Julia Jentsch), Hans Jonas und seine Frau Lore (Sascha Ley) sowie Kurt Blumenfeld ein. Arendts Vorliebe Gesellschaften zu geben wird ebenso deutlich, wie ein Einblick davon gewonnen wird, wer zum „tribe“ genannten Freundeskreis gehörte. Die Darstellerinnen und Darsteller wirken in ihren Rollen überzeugend. Julia Jentsch, die hervorragend spielt, wirkt leider etwas zu sehr wie aus dem 21. Jahrhundert. Dies unterstreicht jedoch, dass Lotte Köhler 14 Jahre jünger war als Hannah Arendt, und das jüngste Mitglied des „tribe“. Barbara Sukowa wirkt jünger als Hannah Arendt im Interview mit Günther Gaus, das 1963 aufgezeichnet wurde. Regisseurin und Schauspielerin wollten jedoch auch keine „Impersonation“ Arendts, damit sich die Zuschauenden auf ihre Gedanken konzentrieren könnten (vgl. Wiebel 2013, 178). Ulrich Noethen und Axel Milberg erinnern die Zuschauenden an das (Vor)-Abendfernsehprogramm, was jedoch häufig bei der Besetzung von Rollen mit bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern vorkommt.
Der Untertitel des Films Ihr Denken veränderte die Welt erscheint übertrieben. Arendts Denken hat sicherlich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beeinflusst und das Diktum von der Banalität des Bösen ist – wenn auch oft missverstanden und von manchen Zeitungen inflationär zitiert – bis heute ein wichtiger philosophischer Beitrag zur Diskussion um das (radikal) Böse. Allerdings wird im Film nicht deutlich, inwiefern Arendts Denken, trotz der gezeigten Spannweite und Wirkung, die ihr Bericht vom Eichmann-Prozess hatte, die Welt veränderte. „Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht verärgerte die Welt“ wäre ein zutreffenderer Titel gewesen, wenn auch nicht so eingängig. Zuschauerinnen und Zuschauern, die wenig über Hannah Arendts Philosophie und ihr Leben wissen, mag es schwer fallen, die Zusammenhänge zu verstehen. Hans Jonas‘ freiwillige Meldung zur jüdischen Brigade im zweiten Weltkrieg wird beispielsweise nebenbei erwähnt, als Detail in seiner Bedeutung jedoch nicht weiter erläutert. In Bezug auf die Kontroverse wird hauptsächlich Arendts Standpunkt dargestellt, was bedauernswert ist, angesichts des Diskussionspotentials, das der Begriff von der Banalität des Bösen bietet, und angesichts der Forschungserkenntnisse, die mittlerweile über Eichmann bekannt sind (vgl. hierzu z.B. den Aufsatz von Bettina Stangneth „Eichmann nach Jerusalem“ in Wiebel 2013). Vor deren Hintergrund stellt sich die Frage, ob Arendts Analyse von der Gedankenlosigkeit standhält.
Hannah Arendt wäre es vermutlich nicht recht gewesen, wenn so viel über ihr Privatleben auf der Leinwand gezeigt worden wäre, da sie auf Grundlage ihrer Totalitarismuskritik sehr skeptisch gegenüber Privatem war, das an die Öffentlichkeit gelangt. Margarethe von Trotta zeigt jedoch private Details, die dem Verständnis Arendts, ihres Denkens und der Kontroverse um den Eichmann-Prozess dienen. Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt ist ein sehenswerter Film, der das Unfassbare der Shoa aus dem Blickwinkel einer jüdischen Exilantin, deren Fragen ihre Mitmenschen schockierten, thematisiert. Für die heutige Generation der (Ur-)Enkelinnen und Enkel der Täterinnen und Täter bietet der Film somit eine ungewohnte Annäherung und liefert gleichzeitig Einblicke in das Leben der jüdischen Exilantinnen und Exilanten nach dem Exil im Amerika und Israel der 1960er Jahre.
Autorin: Julia Maria Mönig
Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt (DE/L/F/IL 2012, Margarethe von Trotta)
Literatur
Arendt, H. (1948): Sechs Essays. Heidelberg: Schneider
Arendt, H. & Blumenfeld, K.; Nordmann, I. & Pilling, I. (Hrsg.) (1995): … in keinem Besitz verwurzelt. Die Korrespondenz Berlin: Rotbuch
Arendt, H. & Heidegger, M.; Ludz, U. (Hrsg.) (2002): Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse Frankfurt am Main: Klostermann
Arendt, H. Kohn, J. (Hrsg.) (2003): Responsibility and Judgment, New York: Schocken Books
Arendt, H. (2006a): Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen München: Piper
Arendt, H. (2006b): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft München: Piper
Arendt, H. & Scholem, G.; Knott, M. L. unter Mitarbeit von Heredia, D. (Hrsg.) (2010): Der Briefwechsel Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
Gaus, G.: „Was bleibt? Es bleibt die Muttersprache“ Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt. Zur Person, ZDF, 28.10.1964. Text des Interviews abrufbar unter: http://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html
Wiebel, M. (Hrsg.) (2013): Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt München: Piper, Das Buch zum Film von Margarethe von Trotta
Young-Bruehl, E. (2004): Hannah Arendt. For Love of the World New Haven: Yale University Press