Hitlers Herr der Seestreitkräfte: Großadmiral Erich Raeder
Erich Raeder kam am 24. April 1876 in Wandsbek (bei Hamburg) als Sohn eines Studienrats zur Welt. Er machte am Realgymnasium in Grünberg (Schlesien) sein Abitur und trat im Anschluss daran 1894 als Kadett in die Kriegsmarine ein. Nach nur drei Jahren war er in den Rang eines Leutnants aufgestiegen. 1900 folgte die Beförderung zum Oberleutnant. Nach drei Jahren an der Marineakademie in Kiel, während denen er zum Kapitänleutnant befördert wurde, wurde Raeder 1907 Referent im Nachrichtenbüro des Reichsmarineamts. Bevor Raeder im Ersten Weltkrieg als Generalstabsoffizier diente, war er Navigationsoffizier auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern, weshalb er 1911 zum Korvettenkapitän befördert wurde und zeitlebens eine starke Sympathie für Kaiser Wilhelm II. (159 – 1941) hegte. Im letzten Kriegsjahr kommandierte Raeder den Kreuzer Clön.
Im November 1918 endete der Erste Weltkrieg und Raeder wurde zur Zentralabteilung des Reichsmarineamts berufen. Damit zählte er zu den wenigen deutschen Militärs, die trotz des Friedensvertrags von Versailles ihre Position behalten konnten, wenn auch als Schreibtischjob. Auch in die Reichswehr wurde er übernommen. 1920, mittlerweile Kapitän, wurde er ins Marinearchiv versetzt. Zu dieser Zeit verfasste er „Kreuzerkrieg in ausländischen Gewässern“, eine zweibändige Abhandlung für den Admiralstab. 1922 wurde Raeder zum Konteradmiral befördert und diente als Inspekteur des Bildungswesens innerhalb der Marine.
1924 wurde Raeder dann wieder jenseits von Verwaltung und Schreibtisch eingesetzt und wurde zum Befehlshaber über die leichten Seestreitkräfte in der Nordsee ernannt. Ein Jahr darauf übernahm er dann das Kommando der Marinestation der Ostsee. 1928 wurde Raeder ein weiteres Mal befördert: Als Admiral wurde er Chef der Marineleitung und ließ die Kriegsmarine unter anderem mit Panzerschiffen weiter ausbauen. Damit verstieß Raeder bereits zu Zeiten der Weimarer Republik gegen den Friedensvertrag von Versailles, der eine klare Obergrenze für die Streitkräfte zu Land, zu Wasser und in der Luft festlegte. Diese Obergrenze war nach dem Ersten Weltkrieg vor allem von den Franzosen forcierten worden. Die Briten jedoch, welche zu diesem Zeitpunkt noch die stärkste Kraft in Europa waren, ließen die Deutschen gewähren, weil sie hofften, das Deutsche Reich könne als Bollwerk gegen die UdSSR fungieren, die man damals als die eigentliche Gefahr sah. Dass das Deutsche Reich selbst zu einer neuen, viel gefährlicheren Supermacht aufsteigen könnte, befürchteten zu diesem Zeitpunkt und auch noch nach Hitlers Machtergreifung 1933 die wenigsten.
Als Hitler dann die Aufrüstung weiter vorantrieb, wurde dies von Raeder und vielen anderen Militärs begrüßt. Vor einer Auseinandersetzung mit den schlagkräftigen britischen Seestreitkräften warnte Raeder jedoch. Bei der Neuordnung der Wehrmacht benannte man Raeders Posten im Jahr 1935 in Oberbefehlshaber der Kriegsmarine um. Seine Aufgabe bestand im Ausbau und der Aufrüstung der Seestreitkräfte. Am 20. April 1936 wurde Raeder zum Generaladmiral ernannt. Im selben Jahr hatte Raeder eine seiner wenigen Meinungsverschiedenheiten mit Hitler gehabt, als dieser ins entmilitarisierte Rheinland hatte einmarschieren wollen. Raeder revidierte sich jedoch bald. Als am 30. Mai 1936 das Marine-Ehrenmal in Laboe eingeweiht wurde, war Raeder der einzige anwesende Offizier, der es Hitler gleichtat und die Anwesenden mit dem „Deutschen Gruß“ grüßte. Anlässlich der Gedenksitzung des Kabinetts zum vierten Jahrestag der Machtergreifung am 30. Januar 1937 verlieh Hitler Raeder das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP. Raeder selbst behauptete später, er habe das Abzeichen vernichtet. Dem widerspricht seine Rede beim „Heldengedenktag“ am 12. März 1939, in der er sich klar zum Nationalsozialismus bekannte: „Das deutsche Volk hat den aus dem Geiste des deutschen Frontsoldaten geborenen Nationalsozialismus zu seiner Weltanschauung gemacht und folgt den Symbolen seiner Wiedergeburt mit fanatischer Leidenschaft.“ Er erklärte weiter, sich dem Kampf gegen „Bolschewismus und internationales Judentum“ zu verpflichten. Am 1. April 1939 wurde Raeder von Hitler ein letztes Mal befördert: Als Großadmiral oblag ihm fortan der Oberbefehl über die gesamte Kriegsmarine.
Raeder drängte während des Zweiten Weltkriegs darauf, sich mit der Gesamtheit der Streitkräfte auf das Vereinigte Königreich zu konzentrieren und keinen Zweifrontenkrieg zu eröffnen. Er fürchtete eine Zersplitterung und damit einhergehende Schwächung der Streitkräfte. Doch das allein hätte nicht gereicht, ihn mit Hitler zu entzweien, mit dem er bis dahin nahezu immer übereingestimmt hatte. Raeder verlor Hitlers Wohlwollen vor allem, weil seine Panzerschiffe keine militärischen Erfolge erzielten, die U-Boot-Flotte unter dem Kommando von Admiral Karl Dönitz hingegen schon. Da Hitler die von Raeder so wenig geschätzten U-Boote favorisierte und Raeder Männer und Material zu bereitwillig opferte, entließ Hitler den Großadmiral im Januar 1943 und ernannte Dönitz an seiner statt zum neuen Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte.
Bei Kriegsende befand Raeder sich zur Behandlung in einem Krankenhaus in Potsdam-Babelsberg. Er stellte sich nach seiner Entlassung der sowjetischen Besatzungsmacht. Beim Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg wurde Raeder in den Anklagepunkten 1 (Verschwörung), 2 (Verbrechen gegen den Frieden) und 3 (Kriegsverbrechen) angeklagt und auch in allen drei Punkten für schuldig befunden. Das Urteil sah eine lebenslange Haftstrafe vor, die Raeder jedoch nicht absaß. 1955 wurde er wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustands vorzeitig aus der Haft entlassen. Die nächsten beiden Jahre verbrachte er mit dem Verfassen seiner in zwei Bänden erschienen Memoiren „Mein Leben“, in denen er keinerlei Reue zeigte, sondern Hitler glorifizierte und seine Rolle bei der Aufrüstung der Seestreitkräfte rechtfertigte. Am 6. November 1960 starb Erich Raeder in Kiel. Seine Grabrede hielt auf Wunsch des Inspekteurs der Bundesmarine, Vizeadmiral Friedrich Ruge (1894 – 1985) Karl Dönitz, obgleich Ruge sich von Raeder wie Dönitz in der Nachkriegszeit distanzierte.
Literatur
Keith W. Bird: Erich Raeder: Admiral of the Third Reich. Naval Institute Press, Annapolis 2006.
Kurt Fischer: Großadmiral Dr. phil. h. c. Erich Raeder. In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Hitlers militärische Elite. Band 1: Von den Anfängen des Regimes bis Kriegsbeginn. Primus, Darmstadt 1998.
Michael Salewski: Raeder, Erich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 104–106 (Digitalisat).
Robert Wistrich: Erich Raeder (1876–1960). In: derselbe: : Wer war wer im Dritten Reich. Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft. Harnack, München 1983, S. 212 f.