Päpstliche Enzyklika über die Situation der katholischen Kirche im Dritten Reich (1937)
Dem Vatikan war ein diplomatisches Kunststück gelungen. In der Woche vor dem Palmsonntag 1937 waren überall in Deutschland Druckmaschinen gelaufen, die hoch brisantes Material zu Papier brachten: eine viele Seiten umfassende Anklage gegen die Ideologie und Praxis der Nazis im Range einer Enzyklika von Papst Pius XI. Nichts darüber war durchgesickert. Kein Spitzel in Rom, kein Spitzel in Deutschland, keine angeworbenen Kirchenleute, keine Drucker, keine Kuriere, nichts und niemand hatte Berlin oder irgendein Gestapobüro gewarnt. Der Coup war ebenso überraschend wie durchschlagend. Erst in der Nacht vor der öffentlichen Verlesung der Enzyklika alarmierte Vize-Gestapochef R. Heydrich Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich. Eine römische Erklärung solle morgen früh in den Kirchen verlesen werden, ließ Heydrich verlauten. Mehr wusste zu diesem Zeitpunkt auch der schon beinah allmächtige Gestapochef nicht. Wenige Stunden zuvor hatten einige Gestapobüros Kenntnis über die Enzyklika erhalten. Zur genaueren Prüfung des Vorgangs war jedoch keine Zeit mehr. Es reichte aus für alle Alarmglocken. Man konnte nur hoffen, dass das Papstschreiben mäßig im Ton bliebe und keine Unruhe im Volk provozieren würde. Noch in der Nacht wurden alle Dienststellen der Geheimpolizei und des SD eilig angewiesen, am morgen flächendeckend die Gottesdienste zu überwachen und insbesondere jedes Exemplar der Verlautbarung außerhalb der Kirchenmauern sofort zu konfiszieren. Um wirkungsvoll eingreifen zu können, war es aber zu spät. Am Sonntagmorgen, den 21. März 1937, stiegen tausende von Pfarrern und alle Bischöfe im Reich auf die Kanzeln und verlasen vor einem Millionenpublikum ungehindert eine harsche päpstliche Nazischelte.
»Mit brennender Sorge«, so heißt die knapp 8000 Wörter zählende Enzyklika an die Deutschen Bischöfe und an die Bischöfe der ganzen Welt. In zwei Teilen belehrt, mahnt und ermutigt der Papst die Gläubigen in einem Lande, »dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus und den Reich Gottes gebracht hat«, den Irrlehren einer neuen Botschaft, eines neuen Christus und eines neuen Reiches zu widerstehen. Zudem geht der Papst hart mit der Nazipolitik gegenüber der Kirche ins Gericht. »Unendlich viel Herbes und Schlimmes« hätten Bischöfe bei ihrem jüngsten Besuch im Vatikan berichtet. Die Wahrheit stehe auf dem Spiel, die Kirche sei bedroht und die Gläubigen würden in arge Gewissensnot gestürzt. In seiner großen apostolischen Verantwortung könne und dürfe der Papst nicht mehr schweigen. Noch im Sommer 1933 habe er guten Willens der neuen Reichsregierung die Friedenshand ausgestreckt– »trotz manch schwerer Bedenken«. Pius erinnert hier an das Konkordat mit Hitler vom 20.7.1933. Doch dieser Friedensbaum würde keine Früchte tragen. Stattdessen hätte die Reichsregierung »die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, die Vertragsaushöhlung, schließlich die mehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handelns gemacht«.
Das sind unerhörte Töne. Soviel Vertragsuntreue auf einmal anzukreiden, grenzt an einen diplomatischen Eklat. Kriege wurden schon für weniger geführt. Bekanntlich hat der Vatikan keine Divisionen, gegen die Hitler antreten konnte. Aber Rom hat die Kirche vor Ort und ihre Millionen von Gläubigen. Tatsächlich beschuldigt Papst Pius XI. die Nazis, schon längst mit einem Krieg begonnen zu haben, ja von vornherein nichts anderes gewollt zu haben. Unverhohlen wirft der Papst Berlin »Machenschaften« vor, »die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf« gegen die Kirche und das Christentum überhaupt. Vernichtungskampf! Einen schrofferer Vorwurf und ein schärferes Urteil über die Nazi-Regierung konnte der Vatikan kaum aussprechen.
Hitler war außer sich und tobte, Göring sprach von einer Ohrfeige für die deutsche Regierung vor der ganzen Welt, Himmler war wie paralysiert über den Geheimcoup des Vatikan überall in seinem Hochsicherheitsterrain und Goebbels konnte die Unverfrorenheit einfach nicht fassen.
Nach vier Jahren Gezerre um Ausführungsbestimmungen [1] des Konkordats, nach Zwangsschließungen kirchlicher Schulen, Behinderungen des Religionsunterrichts und Theologiestudiums, nach Aufhebung kirchlicher Vereine, Störungen und Bespitzelungen von Gottesdiensten, Predigtverboten, Schutzhaft und KZ für Priester, neuheidnischer Indoktrinierung besonders der Jugend, rassenhygienischer Zwangssterilisationen, nach Sittlichkeits- und Devisenprozessen und Protesten über Protesten, Eingaben über Eingaben lagen die Nerven blank – auf beiden Seiten. Rom konnte sich nicht mehr mit diplomatischen Noten begnügen und nur die desolaten Briefe Deutscher Bischöfe sammeln. Rom wollte und musste deutlich Flagge zeigen. Auch Hitler und sein Parteiapparat hatten die Nase voll. Nach vier Jahren nationalsozialistischer Revolution auf allen Ebenen des Staates und der Gesellschaft hatte man die katholische Kirche kaum einbinden können. In den Augen der Nazis war sie widerspenstig, subversiv und von zunehmender Gefahr. Unter dem Label »Politischer Katholizismus« verbuchten sie jede Verlautbarung, jede Predigt und jedwede Aktivität gegen die Ideologie der Staatsgewalt. Der Vorwurf des politischen Katholizismus war im politisch gleichgeschalteten Reich ein Staatsvergehen, ja ein Staatsverbrechen. Dem Vatikan lag schon Mitte der dreißiger Jahre ein geheimer Gestapo-Bericht [2] vor, der mit dem angeblichen politischen Katholizismus scharf abrechnete. Auf 18 eng getippten Seiten werden der Kirche so gut wie alle niederträchtigen und geheimbündlerischen Strategien vorgeworfen, die dem Staat gefährlich werden können. Der Bericht war Bischof Galen von Münster in die Hände gefallen und war von ihm sofort nach Rom geschickt worden.
Die Karambolage zwischen dem neuen Weltanschauungsmonopol der Nazis und dem alten kirchlichen Verkündigungsauftrag war unausweichlich. Das wusste niemand besser als Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli. Seit Frühjahr 1930 war er als Regierungschef des Papstes zweiter Mann im Vatikan. Auf seinem Schreibtisch landete unsortiert alles aus Deutschland und zu Deutschland. Das hatte er zur Chefsache gemacht – übrigens auch noch als Papst Pius XII. während des zweiten Weltkrieges. Pacelli las und bearbeitete alle Akten auf Deutsch. Von 1917 bis Ende 1929 war er in Deutschland Nuntius gewesen, und er beherrschte ebenso perfekt Deutsch wie er die Probleme dieses Landes kannte. Was Pacelli alles in die Hand bekam, ist im Päpstlichen Geheimarchiv des Vatikan aufbewahrt. Dort lagern stapelweise Akten aus allen bischöflichen Ordinariaten Deutschlands und viele Schreiben aus privater Feder von allen möglichen Leuten.
Seit zwei Jahren habe ich Gelegenheit, im Geheimarchiv diese Akten und Dokumente persönlich einzusehen. Was ich bislang in Augenschein nehmen konnte – das ist der größte Teil – hinterlässt einen sehr zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite beschönigen die Bischöfe nichts und geben sich kämpferisch. Andererseits aber tun sie so, als ob die Nazi-Tyrannei an den Grenzen der Kirche aufhöre. Was sich jenseits des kirchlichen Binnenraums abspielte, schien die Bischöfe nicht sonderlich zu interessieren. Zumindest war es ihnen kaum ein Blatt Papier wert für Rom. So taucht das Wort Jude nur selten in den fleißigen Rapporten auf. Persönlich gehaltene, gar vertrauliche Briefe an Pacelli gab es nur wenige. Zu groß war die Angst vor den langen Fingern der Gestapo in die Amtspost. Ansonsten wird an keinem Detail gespart, wenn es von Übergriffen hier und Übeltaten dort, von örtlichen Schurkereien und staatlicher Willkür zu berichten gilt: endlose Behördenschriftwechsel, Denkschriften, Hirtenworte, Predigten, Protokolle, Hetzartikel aus Zeitungen, sowie Erfahrungsberichte über Erfahrungsberichte auf allen Ebenen der Kirchenhierarchie. Selbst witzige Begebenheiten im Meer der Klagen fanden den Weg nach Rom. So berichtete Bischof Machens von Hildesheim einmal genüsslich von einem Vorfall im Dorf Bettmar.[3] Zwei örtliche Gendarmen waren mit der Gestapo angerückt, um kurz vor Ankunft des Bischofs kirchliche Fahnen vom Pfarrhaus herunter zu reißen. Bei der Aktion krachte ein Gendarm durch morsche Bretter und sank unter der Schadenfreude des halben Dorfes in eine Jauchegrube. Durchweicht mit pfarramtlichen Hinterlassungen zog die staatsamtliche Horde daraufhin kleinlaut und verschämt ab. Seither darf sich das Dorf Bettmar berühmt wähnen, denn sein Name lagert für alle Zeiten im Vatikanischen Geheimarchiv und seine Chronik darf gewiss behaupten, dass selbst Papst Pius XI. über die Hilfe einer geistlichen Jauchegrube schmunzelte. Pacelli bestätigte jedenfalls die freundliche Kenntnisnahme des Schreibens durch seine Heiligkeit.
Pacelli war bestens informiert über die Lage in Deutschland. Dazu trugen auch die vielen privaten Briefe an den Vatikan bei. Sie reichen von glühender Hitlerverehrung bis abgrundtiefer Nazi-Verachtung, von allgemeinen Ratschlägen bis persönlichen Hilferufen. Eindrucksvoll liest sich z.B. ein zweiseitiges Schreiben von Hubertus Prinz zu Loewenstein.[4] Im Mai 1935 hatte ihn Pacelli in Privataudienz empfangen. Gleich darauf schrieb Prinz Hubertus einen persönlichen Brief an den Staatssekretär, in dem er seine vorgetragenen Analysen zu Nazi-Deutschland zusammen fasste und eindringlich in Erinnerung rief. Im dem Schreiben erhebt Hubertus eine erschütternde und vernichtende Anklage gegen die Reichsregierung und Klage über die Situation im Land. Er beschwört Pacelli geradezu, dass die Kirche ein deutliches Wort sprechen müsse – unbedingt. Nicht nur Katholiken, ebenso »Millionen von Protestanten und Juden warten auf das Wort Roms«, so Prinz Hubertus nachdrücklich. Auch Briefe völlig unbekannter Menschen haben den Schreibtisch von Pacelli erreicht. Da schrieb eine verzweifelte Frau, die sich als kleiner Niemand bezeichnet auf vergilbten Zetteln, dass sie zwar christlich getauft sei, aber als Halbjüdin gelte. Keiner würde sich um christliche Halbjuden kümmern, weder die Juden, noch die Kirche. Und sie fährt fort: »Wie kann eine christlich zivilisierte Welt das satanische, unmenschliche Treiben Hitlers zusehen! Denn Hitler ist nichts anderes als das Werkzeug des Teufels.« Auch dieser Brief, vielleicht am Küchentisch unter Tränen geschrieben, wurde von Pacelli sorgsam gelesen und akkurat für den Papst protokolliert.[5] Es kam auch Post zur Judenfrage mit anderen Tönen an. So schrieb etwa ein Dr. S. aus Chicago nach Rom, dass man dort nicht für die Juden eintreten sollte, denn sie seien die »Synagoge des Satans«. Nach den Worten Christi trete der für den Satan ein, der für die Juden eintrete.[6] Pacelli protokollierte gewissenhaft den Eingang des Schreibens und vermerkte in Latein als Gegenstand: »Gibt dem höchsten Pontifex den Rat, nicht die Juden zu verteidigen, denn sie seien die größten Feinde der ganzen Christenheit.«
Einer der umfänglichsten Berichterstatter und Briefschreiber war Kardinal Michael Faulhaber von München. Er lieferte auch den Grundtext für die Enzyklika Mit brennender Sorge. Da er zu den einflussreichsten Kirchenfürsten zählte, stand er im Kreuzfeuer der Nazis. An seinem Schriftverkehr mit dem alten Bekannten Pacelli lässt sich sehr gut die Größe und das Elend des Kirchenkampfes ab 1933 nachlesen. Mit aller Kraft stemmte sich Faulhaber gegen die neuheidnische Nazi-Ideologie und ihre aggressive Durchsetzung. Das Christentum selbst war in Gefahr. In den Kultbüchern der Partei »Mein Kampf« von Hitler und »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« von Alfred Rosenberg war die Waffe geschmiedet. Fanatisch und verschroben wird eine wiedererwachte deutsch-nationale Religion beschworen, die auf Blut- und Rassenhygiene gründen solle. Hitler glaubte übrigens allen Ernstes, dass es gelingen könne, die Kirchen in dieses Blendwerk einzubinden. Dagegen verteidigte Faulhaber unermüdlich das christliche Erbe, wie z.B. in seinen legendär gewordenen Adventspredigten über das Alte Testament (1933). Der Zorn der Nazis war sicher. Die Verteidigung jüdischer Schriften genügte, um Faulhaber in den Geruch der Judenfreundschaft zu bringen. Doch das lag dem Kardinal fern. Ihm ging es um die Dogmen des Glaubens. Ein findiger Zeitgenosse nutzte die Gunst der Stunde und erfand im Sommer 1934 eine Predigt Faulhabers gegen Rassenhass und Judenverfolgung. Die angebliche Predigt wurde von Der Sozialdemokrat (Prag) und von der Basler Nationalzeitung veröffentlicht. Ein Sturm der Entrüstung brach los, bei Faulhaber ebenso wie bei der Nazipresse. Von A bis Z sei die Predigt gefälscht, auch nicht ein Wörtchen stamme aus seinem Mund, so der Kardinal erregt. Überall hin schickte er Gegendarstellungen und distanzierte sich von der boshaft erlogenen Judenpredigt. Auch Pacelli in Rom bekam subito Post – begleitet von Zeitungsberichten.[7] Als ich im Geheimarchiv den Vorgang las, schüttelte ich nur den Kopf. Die unterstellte Predigt liest sich relativ harmlos. Warum war Faulhaber derartig aufgebracht? Der Münchner Kardinal scheute nie Öffentlichkeit, wenn es um die Rechte von Christenmenschen oder dem Papst selbst ging. So sah sich Faulhaber in seiner Predigt zum Papstsonntag am 9. Febr. 36 genötigt, öffentlich den guten Ruf des Heiligen Vaters zu verteidigen.[8] Der Kardinal geht auf verschiedene Angriffe ein, widerlegt dieselben und kommt dann auf »die persönlich gehässigste Unwahrheit gegen den Heiligen Vater Pius XI.« zu sprechen, nämlich: »Der Papst sei Halbjude, seine Mutter sei eine holländische Jüdin gewesen.« Schockiert fährt der Kardinal fort: »Ich sehe, meine Zuhörer fahren vor Entsetzen empor. Diese Lüge ist besonders geeignet, in Deutschland das Ansehen des Papstes dem Gespött preiszugeben.« Wenn man bedenkt, dass der erste Papst, von dem Pius und indirekt sogar Faulhaber ihre Autorität ableiten, waschechter Jude war, ist diese Bemerkung nur peinlich. Und wenn man zugleich bedenkt, dass die Gottesmutter ebenfalls Volljüdin war und Jesus ohne biologisch jüdischen Vater nach Nazi-Gesetz auch als „Halbjude“ gelten musste, ist das Wort des Kardinals eine Entgleisung ersten Ranges.
Als bei Pacelli schon der Countdown für ein Papstwort gegen die Nazis lief, traf sich Hitler mit seinem Stellvertreter Heß auf dem Obersalzberg zu einem streng vertraulichen Gespräch mit Kardinal Faulhaber (4.11.1936). Hitler wollte einen letzten Versuch machen, angesichts einer bedrohlichen Bolschewismusgefahr die katholische Kirche zumindest gewogen zu stimmen. Schon wenige Stunden nach dem Treffen schrieb Faulhaber ein ausführliches Gesprächsprotokoll und schickte es per Eilkurier nach Rom.[9] Darin wird mehr als deutlich: Hitler versteht die Kirche nicht – nichts von ihrem Wesen, nichts von ihrem Auftrag. Und der Kardinal kommt keinen Zentimeter entgegen. Dennoch gibt sich Faulhaber konziliant. Er respektiert die nationalsozialistische Staatsmacht und noch mehr den Reichskanzler. Jede staatliche Gewalt war von Gott ebenso legitimiert wie die kirchliche. So prägte Faulhaber seinen Gläubigen z.B. bei einer Allerseelenpredigt ein: »Der Katechismus sagt zum 4. Gebot: `Wir sind der weltlichen Obrigkeit Ehrfurcht und Gehorsam schuldig.´ Auch dann, wenn Untergebene meinen, sie seien ins Unrecht gesetzt worden. `Jeder sei der obrigkeitlichen Gewalt untertan´ (Röm 13,1). Auflehnung in irgendeiner Form erscheint also dem christlichen Gewissen als Unrecht. Ebenso das ewige Nörgeln und Kritisieren und Weitererzählen von Gerüchten und was sonst dem Ansehen der Obrigkeit schadet.« Das war am 6. Nov. 1938 – drei Tage später brannten die Synagogen. Die Predigt trägt im päpstlichen Geheimarchiv das Prädikat „vertraulich.“[10]
Ende 1936 drängte Staatssekretär Pacelli auf Eile. An Faulhaber hatte er nach der Lektüre des Protokolls zurück geschrieben, dass der Graben zu tief und zu breit sei für eine auch nur annähernde Verständigung mit Hitler. Auf eine unselige Bemerkung Faulhabers am Schluss seines Protokolls ging Pacelli nicht ein. Er wird es aber an einer Stelle der Enzyklika tun. Der fromme Kardinal hatte allen Ernstes auf Seite neun seines Berichts geschrieben: »Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott.« Sowohl dem Papst, als auch Pacelli und bischöflichen Mitbrüdern wie Galen (Münster), Preysing (Berlin), u.a. würde ein solcher Satz im Halse stecken bleiben.
Nach einem Bischofsrapport bei Pius XI. Mitte Jan. 1937 ging es zur Sache. Eingeladen waren die Kardinäle Faulhaber (München), Schulte (Köln), Bertram (Breslau) und die Bischöfe von Galen (Münster) sowie Preysing (Berlin). Nach Vorbesprechungen und der Privataudienz [11] beauftragte Pacelli Kardinal Faulhaber einen Entwurf für das geplante Papstwort vorzulegen. Noch in Rom nächtens ausgearbeitet, lieferte der Kardinal elf handgeschriebene Seiten ab.[12] »Mit grosser Sorge«, so beginnt der Text. Pacelli zieht die Redaktion persönlich an sich und bearbeitet die Enzyklika auf Deutsch. Die italienische Variante wird im Geheimarchiv als Übersetzung bezeichnet. Pacelli verschärfte viele Wendungen und fügte Zusatzgedanken ein. Zum Gottesglauben heißt es apodiktisch unter Punkt neun und zehn: »Gottgläubig ist nicht, wer das Wort rednerisch gebraucht, sondern nur, wer mit diesem hehren Wort den wahren und würdigen Gottesbegriff verbindet. Wer in pantheistischer Verschwommenheit Gott mit dem Weltall gleich setzt, Gott in der Welt verweltlicht und die Welt in Gott vergöttlicht, gehört nicht zu den Gottgläubigen«. Das ist auch ein deutlicher Rüffel an Faulhaber. Hitler ist kein gottesgläubiger Mensch und alle gleich denkenden Nazis sind es auch nicht – Punktum.
Insgesamt hält sich die Enzyklika an die Grenzen, die Faulhaber vorgab. Der Blick ist konzentriert auf den Binnenraum der Kirche und die unverfälschte Doktrin. Selbst als so heikle Begriffe fallen wie Rasse, Volk, Nutzen, wird abstrakt theologisch argumentiert. Man dürfe weltliche Grundwerte nicht aus der irdischen Ordnung herauslösen, sie zur höchsten Norm machen und »mit Götzenkult vergöttern.« Ähnlich verhalte es sich mit dem Grundsatz: »Recht ist, was dem Volke nützt.« Er ist naturrechtswidrig und könne durch »keine Zwangsmittel, keine äußere Machtentfaltung saniert« werden. Auf konkrete Übeltaten außerhalb des Kirchenraums wird nie verwiesen. Bei seinem Gespräch mit Hitler hatte Faulhaber noch die Zwangssterilisationen vorgebracht. Aber er räumte ein, dass der Staat das Recht habe, gewisse Notwehr-Regelungen zu treffen. Doch bei einer Naturrechtsverletzung müsse der Staat wenigstens die Missbilligung der Kirche hinnehmen. Zu der Judenproblematik fand Faulhaber weder auf dem Obersalzberg noch in seiner Vorlage irgendein Wort. Auch Pacelli meidet jede Anspielung auf die systematische Judenbedrängung und die sich aufbauende Judenverfolgung. Die Kirche war verfolgt, das zählte. Im Geheimarchiv habe ich einen Brief vom Kardinalstaatssekretär gefunden, der meines Wissens noch nie publiziert worden ist. Es handelt sich um ein geheimes Rundschreiben an alle diplomatischen Vertretungen des Hl. Stuhls zur Enzyklika Mit brennender Sorge (datiert 6. Aug. 1937).[13] Darin macht Pacelli die Gesandten »auf die sehr schwere Verfolgung« (gravissime persecuzione) der Kirche in Deutschland aufmerksam. Da sich das bis in die deutsche Diplomatie im Ausland auswirke, sollten die päpstlichen Repräsentanten besonders wachsam sein gegenüber Vorgängen diesbezüglicher Art. Der apostolische Gesandte in den USA schrieb darauf zurück, dass die Idee einer Solidaritätserklärung amerikanischen Bischöfe aufgekommen sei. Was halte der Kardinalstaatssekretär davon? Die Idee sei zwar nur vage und man wolle die Lage auch keinesfalls verschlimmern. Pacelli antwortete, dass er eine Art Solidaritätsbekundung seitens der amerikanischen Bischöfe für »sehr angemessen« halte (molto opportuno).[14] Wenn es die Kirche betraf, kreuzte Pacelli die Klingen, da kannte er kein Pardon. Allerdings dürften keine persönlichen Angriffe in der Erklärung vorkommen. Der kirchendiplomatische Krach um den Chicagoer Kardinal Mundelein, der im Mai ´37 in einer Rede vor Geistlichen sagte: »Ihr werdet vielleicht fragen, wie eine Nation von 60 Millionen Menschen, intelligenten Menschen, sich in Furcht und Knechtschaft einem Ausländer unterwerfen kann, einem österreichischen Tapezierer, und – wie mir gesagt wird – einem schlechten dazu«, war noch nicht ausgestanden. Die Sympathieerklärung des gesamten US-amerikanischen Episkopats an die Deutschen Bischöfe kam schließlich am 18. November ´37.
War die Enzyklika Mit brennender Sorge ein greller Blitz in finsterer Zeit, begleitet von einem ebenso heftigen Donnerschlag innerhalb eines menschenverachtenden und gottlosen Geschrei? Ja und nein. Der römische Donner traf die Kirchenpolitik der Reichsregierung und der theologische Blitz fuhr in das pseudoreligiöse Gehabe der nationalsozialistischen Ideologie. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen verteidigte der Vatikan die Rechte der Kirche und zentrale Glaubenswahrheiten. Millionen von Katholiken und auch Protestanten waren dafür dankbar. Doch Blitz und Donner beschränkten sich auf den Binnenraum der Kirche. Die Erschütterung endete abrupt an ihren Grenzen. Gleichwohl litten unter der Staatstyrannei alle Verfemten der Nazi-Ideologie, insbesondere das erste Volk Gottes. Weder der Alttestamentler Faulhaber, noch der Diplomat Pacelli, noch der Petrusnachfolger Pius XI. fanden es opportun, darauf Bezug zu nehmen. Selbst an unverdächtiger Stelle sucht man das Wort „Jude“ vergebens in der Enzyklika. »Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers, der allerseligsten Jungfrau und der Apostel?« – schrieb Edith Stein schon im April 1933 empört an den Papst.[15] Und prophetisch fuhr die mittlerweile zur Schutzpatronin Europas erhobene Heilige fort: »Wir alle, die wir treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält.«
Die Enzyklika Mit brennender Sorge hat durch den begrenzten Blick auf den Binnenraum der Kirche eben dieser Kirche einen Bärendienst erwiesen. Unter der Staatstyrannei litten alle Verfemten der Nazi-Ideologie. Kann die Verteidigung des Menschen und des Menschlichen an den Grenzen der Kirche aufhören? Wer auch nur ansatzweise so denkt, dem seien bei Gelegenheit diverse Worte und Gleichnisse eines gewissen Jesus von Nazareth empfohlen. Dieser Jesus macht es auch schwer zu begreifen, was die Bischöfe in Deutschland, Österreich und Berlin im gemeinsamen Wort zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 schrieben. Es bedrücke sie zwar, dass »das Eintreten für die elementaren Rechte aller Menschen« unterblieb, aber man möge freilich bedenken, dass die »Bereitschaft, über die Belange der eigenen Kirche hinaus auch für die Menschenrechte anderer einzutreten« erst in »harter Auseinadersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime gewachsen« sei. Die Bischöfe und auch die Gläubigen hätten erst »schmerzhafte Lehren ziehen müssen.« Man reibt sich die Augen: Lehren ziehen müssen aus dem Nazi-Regime und nicht aus dem Evangelium? Immerhin, die Nazis haben geschafft, was Jesus nicht gelungen ist.
Autor: Dr. theol. Klaus Kühlwein
Anmerkungen
[1] Das betraf vor allem den Vereinsartikel § 31, mit dem das Wohl und Wehe, die Existenz und Nichtexistenz aller kath. Verbände verbunden war.
[2] Archivio Segreto Vaticano (ASV), Affari Ecclesiastici Straordinari (= A.E.S.), Germania, Pos. 743, Fasc. 46, Bl. 56r-76r.
[3] ebd., Pos. 720, in Fasc. 334, Bl. 56rv-57rv.; Brief von Pacelli Bl. 58r.
[4] ebd., Scatole, Fasc. 43c, Bl. 13rv-14r.
[5] ebd., Pos. 742, Fasc. 356, Bl. 31rv-32rv.
[6] ebd., Bl. 4r.
[7] ebd., in Scatole, Fasc. 45d, Brief von Faulhaber 11.Nov. 34 mit Anlagedokumenten.
[8] ebd., Bl. 68f; Predigt: Steinwürfe gegen den Altar.
[9] ebd., Scatole, 45d, Bl. 130r-138r. Veröffentlicht auch: Akten Kardinal Faulhabers II, 1935-45, bearb. von L. Volk, Nr. 572 (S. 184ff), Mainz 1978.
[10] ebd., Pos. 720, in Fasc. 337. Dokumentiert ist die Predigt auch in: Dieter Katte, Wort und Antwort. Eine Untersuchung der Predigten, die Kardinal Faulhaber in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1933 und dem 30. April 1945 gehalten hat, 2 Bde., Salzburg 1976 (Diss. masch.), S. 652-662 / Bd.2.
[11] Das Audienzprotokoll von Pacelli in: ebd. Pos. 719, Fasc. 314, Bl. 22r-27r; siehe auch Faulhabers Bericht, in: Akten Faulhabers II, Nr. 10 (S. 279ff). Die Vorbesprechungen waren am 15. u. 16. Jan 37 (ebd. B. 5r-6r).
[12] ebd., Pos. 719, Fasc. 315, Bl. 6r-16r.
[13] ebd., Pos. 720, Fasc. 326, S. 18r-19r, Protokoll-Nr.: 3117/37.
[14] ebd. Bl. 113r, Protokoll-Nr.: 3782/37 vom 27.9.37.
[15] ebd., Pos. 643, Fasc. 158, Bl. 16r-17r.
[16] Die Last der Geschichte annehmen. Wort der Bischöfe zum Verhältnis von Christen und Juden aus Anlaß zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome 1938 (Berliner, Deutsche, Österreichische Bischofskonferenz), Bonn 20. Okt. 1988.