„…wir wollten barmherzige Samariter sein“
Eine Christin in der Zeit des Nationalsozialismus
Von der NS-Justiz sind insgesamt etwa 12.000 Menschen zum Tode verurteilt worden, darunter waren 1.100 Frauen. Elisabeth von Thadden war eine von ihnen. Sie wurde im Alter von 54 Jahren am 9. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 hatte sie nach ihren eigenen Aussagen nichts zu tun. Der Historiker Rudolf von Thadden – ein Neffe von Elisabeth von Thadden – bezeichnet ihre Haltung eher als „Widerstand wider Willen“.
Wer war diese Frau, die im Gegensatz zu den vielen unbekannten Opfern des Nationalsozialismus durch den Fortbestand ihrer im Jahre 1927 gegründeten Schule in Heidelberg-Wieblingen weiterlebt?
Geboren wurde Elisabeth von Thadden 1890 in Mohrungen/Ostpreußen. Ihre Eltern waren Adolf von Thadden-Trieglaff (1858–1932) und Ehrengard von Gerlach (1868–1909). Als ältestes von fünf Kindern wuchs sie auf dem Familiengut Trieglaff mit einer großen Verwandtschaft in christlich-protestantischem Geist auf. Nach dem Tod der Mutter übernahm sie mit 19 Jahren die Leitung des Guts und organisierte mit dem Vater die „Trieglaffer Konferenzen“ – Treffpunkt für Politiker, Wissenschaftler, Theologen und Juristen unterschiedlicher politischer Richtungen. Als der Vater 1920 zum zweiten Mal heiratete, verließ Elisabeth von Thadden Trieglaff und ging nach Berlin.
Nach einer Kurzausbildung an der Sozialschule von Alice Salomon erhielt sie eine Stelle im Kinderdorf Heuberg (Schwäbische Alb) und sammelte Erfahrungen in den Landerziehungsheimen von Hermann Lietz und Kurt Hahn. Im Jahre 1926 bot sich ihr die Gelegenheit, in der Nähe von Heidelberg ein Schloss zu pachten. Sie gründete den Verein „Evangelisches Landerziehungsheim Schloss Wieblingen e.V.“ und erhielt innerhalb kurzer Zeit die staatliche Genehmigung und die erforderlichen Gelder für die Errichtung eines solchen Instituts. Ostern 1927 wurde der Unterrichtsbetrieb mit 13 Schülerinnen aufgenommen. Elisabeth von Thadden leitete diese Schule in „klarem evangelischen Bewusstsein“ und versuchte, ihre Schülerinnen „streng und gerecht zu selbstständig denkenden emanzipierten Frauen“ heranzubilden. Gegenüber den Gefahren des beginnenden Nationalsozialismus war sie – wie viele ihrer Zeitgenossen – zunächst völlig blind. Im Juli 1933 erhielt die Schule die Staatsgenehmigung „zur Errichtung und zum Betrieb einer mit einem Internat verbundenen nichtstaatlichen Lehranstalt für Mädchen“. In der Zeit danach lassen Eintragungen in der Schulchronik vermuten, dass eine gewisse Anpassung an die Erziehungsziele der neuen Machthaber stattgefunden hatte. Doch in der „Judenfrage“ machte Elisabeth von Thadden keine Kompromisse. Sie ignorierte entsprechende Erlasse und nahm jüdische Kinder in ihrer Schule auf. Sie reduzierte auch in besonderen Fällen den Pensionspreis und hielt weiter zu ihren jüdischen Freunden. Im Oktober 1940 geriet die Schule, nachdem sie wegen der Nähe der französischen Maginot-Linie nach Tutzing (Starnberger See) evakuiert worden war, durch Denunziation einer Schülerin in das Blickfeld von Gestapo und SD. Das Bayerische Kultusministerium drohte, die Schule wegen „staatsgefährdender Umtriebe“ zu schließen, weil im Gebäude kein Hitlerbild aufgehängt war und bei Andachten biblische – also jüdische – Psalmen gelesen wurden.
Daraufhin verlegte Elisabeth von Thadden die Schule wieder zurück nach Wieblingen in der Hoffnung, hier wegen des anerkannt guten Rufs der Schule nicht behelligt zu werden. Im Mai 1941 sah aber auch das Badische Unterrichtsministerium „keine ausreichende Gewähr für eine nationalsozialistisch ausgerichtete Erziehung“ mehr. Die Schule wurde verstaatlicht und Elisabeth von Thadden ohne Bezüge von der Schulleitung suspendiert.
Sie ging wieder nach Berlin und fand Arbeit als Schwesternhelferin beim Deutschen Roten Kreuz. Sie hatte Kontakte zu NS-Gegner wie Gollwitzer, Niemöller und Elly Heuss-Knapp, sammelte Lebensmittelmarken für Untergetauchte und vermittelte Möglichkeiten zur Auswanderung bedrohter Menschen. Die Gefahr, in die sie sich dadurch brachte, unterschätzte sie völlig. Sie handelte nicht aus politischen, sondern aus rein mitmenschlichen Motiven. Rudolf von Thadden spricht von einem „prinzipiell anderen Verständnis von Leben und Lebenswertem“, das sie in eine moralisch-ethische Gegnerschaft zu den Herrschenden brachte. Bei einer ihrer „Teegesellschaften“ diskutierte Elisabeth von Thadden unter dem Eindruck der italienischen Kapitulation mit dem Gesandten Otto Kiep und Hanna Solf am 10. September 1943 über die Wichtigkeit eines gut funktionierenden Hilfswerkes nach Beendigung des Krieges. Der unter den Gästen anwesende junge Arzt Dr. Reckzeh, der als Spitzel gezielt auf diese „Mitte eines adligen Widerstandsnestes“ angesetzt worden war, gab die wegen „Zweifel am Endsieg und Beeinträchtigung der Wehrkraft“ belastenden Aussagen an die Gestapo weiter. Alle Beteiligten wurden daraufhin observiert mit dem Ziel, ihre Verbindungen zum Ausland aufzudecken. In den folgenden Monaten wurden sie verhaftet – zuletzt auch Elisabeth von Thadden am 12. Januar 1944 in ihrer Dienststelle in Meaux/Frankreich.
Es folgten Monate unter grausamen Bedingungen in verschiedenen Gefängnissen und im Strafbunker des Konzentrationslagers Ravensbrück. Am 1. Juli 1944 wurde Elisabeth von Thadden wegen „Landesverrat“ von dem Vorsitzenden des Volksgerichtshofs Roland Freisler zum Tode verurteilt. 10 Wochen später – am 8. September 1944 – wurde sie in Berlin-Plötzensee um 17 Uhr enthauptet. Elisabeth von Thadden hat diese Zeit nach Aussagen von Mitgefangenen in tiefem Glauben und mit großer innerer Freiheit ertragen. Ihr Vermächtnis diktierte sie kurz vor ihrer Hinrichtung an den Gefängnispfarrer Ohm:
„Ich wurde im Januar 1944 in Meaux in Frankreich um 8 Uhr morgens festgenommen. Im Auto wurde ich von M. nach Paris gebracht, dort verhört von morgens um 9 Uhr bis abends um 6 Uhr; nach einer Stunde Abendbrotzeit Fortsetzung des Verhörs während der ganzen Nacht. Im Laufe des nächsten Tages wurde die Verhaftung ausgesprochen. Es bestand mehrfache Fluchtmöglichkeit. Von dieser habe ich bewusst keinen Gebrauch gemacht, um meinen Bruder nicht zu gefährden. Dann wurde ich nach Berlin gebracht und erneut die ganze Nacht verhört. Die Schwere der Inquisition war ganz ungeheuerlich. Ich wurde gefragt nach der bekennenden Kirche und nach der Una Sancta. Mir ist kein Wort entschlüpft, was andere belastet hätte. Das KZ Ravensbrück war schlimm. Mit der Aktion vom 20.7. habe ich nichts zu tun gehabt, ich kenne keinen dieser Leute. Wir wollten soziale Hilfe leisten, in dem Augenblick, wo diese Hilfe not tat. Dass dieser Augenblick kommen musste, war klar. Wir wollten barmherzige Samariter sein.“
Ein Arzt der Berliner Charité sorgte dafür, dass der Leichnam von Elisabeth von Thadden der Familie zur Feuerbestattung übergeben wurde. Die Urne wurde nach dem Krieg im Park der am 7. Januar 1946 wieder eröffneten Elisabeth-von-Thadden-Schule in Heidelberg-Wieblingen beigesetzt.
Dieses Privatgymnasium in evangelischer freier Trägerschaft fühlt sich noch heute dem Andenken an ihre Gründerin verpflichtet und versucht die Ideale weiterzugeben, für die Elisabeth von Thadden gelebt hat und gestorben ist: Toleranz und Mitmenschlichkeit.
Autorin: Barbara Hohmann M.A.
Literatur
Ebermayer, Erich: Elisabeth v. Thadden, in: Martha Schad, Frauen gegen Hitler, München 2001.
Kummerow, Walter: Elisabeth v. Thadden, Annäherung an eine Auseinandersetzung, in: Festschrift zum 60. Jubiläum der Thadden-Schule, Heidelberg 1987.
Von der Lühe, Irmgard: Eine Frau im Widerstand – Elisabeth v. Thadden, Hildesheim 1989
Riemenschneider, Matthias / Jörg Thierfelder (Hrsg): Elisabeth von Thadden – Gestalten . Widerstehen . Erleiden, Karlsruhe 2002.
Von Thadden, Rudolf: Widerstand wider willen, in: Festschrift zum 50. Jahrestag der Hinrichtung von Elisabeth v. Thadden, Heidelberg 1994.
Weblinks