An einem sonnigen Herbsttag fuhr ich nach Dresden, um das einstige Armeemuseum der DDR und nunmehrige Militärhistorische Museum (MHM) der Bundeswehr für mich zu erobern.
Gut vier Stunden sollte diese „Eroberung“ schließlich dauern. Nach mehreren Jahren des Umbaus und der Neugestaltung wurde es 2011 in Anwesenheit des zuständigen Bundesministers Thomas de Maizière wieder eröffnet. Zwei Jahre danach kam nun ich. Damals dürfte der Herr Minister bei seinem Rundgang sicher eines der über 10.000 Exponate mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet haben; die Uniform seines Vaters, General Ulrich de Maizière – dem vierten Generalinspekteur der Bundeswehr.
Die Neugier auf das Innere des neugestalteten Museums wird schon mal durch sein Äußeres geweckt. Gemeint ist die aus Aluminiumlamellen bestehende hoch aufragende keilförmige Spitze am historischen Hauptgebäude.Was uns der Künstler und Architekt Daniel Libeskind damit sagen wollte? Vielleicht ist das eine denkbare Antwort: Er wollte dazu anregen, das Museum zu besuchen. Und er wollte die thematische Beschäftigung mit der Militärgeschichte zuspitzen. Denn bei Militärgeschichte geht es ja immer auch um die höchst mögliche Zuspitzung überhaupt, um Menschenleben.
Beginnend mit dem Spätmittelalter bis in die Gegenwart erhalten an diesem Ort viele wesentliche militärische Ereignisse und ihre verschiedenen Aspekte ihren musealen Ausdruck. Auf ca.13.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche erlebt man u.a. die Bauernkriege, den Dreißigjährigen Krieg, die Schlesischen Kriege, die Befreiungskriege gegen Napoleon, die Revolution von 1848, die beiden Weltkriege sowie die Nachkriegsentwicklung nach 1945. Unmöglich hier auf alles einzugehen, das schafft auch kein noch so guter Ausstellungsführer, wie der, der käuflich zu erwerben ist. Bleibt also die Konzentration auf Schwerpunkte. So begegnen dem Besucher zahlreiche Geschütze, Gewehre, Rüstungen,Uniformen, Fahrzeuge mit und ohne Ketten, Orden sowie viele andere Zeugnisse militärischer Macht und Gewalt. Eine Verewigung fanden Schlachten und ihre Schlachtenlenker auf mancherlei Gemälden und Ölbildern. Solange sie nur ordensgeschmückt in der Kulisse stehen – schön. Aber wehe, aus der Maske des gemalten Schlachtens, tritt die Fratze der wahren Kriegsgräuel hervor – hässlich. Ein eher selten beschrittener Zugang im militärgeschichtlichen Diskurs ist sicher: „Tiere im Militär“. Ihnen war nämlich bei weitem nicht nur die Rolle als einfache Lastentiere zugedacht, sondern auch als Waffen: In der Antike schickte man den feindlichen Kriegselefanten in Brand gesetzte Schweine entgegen, um die Dickhäuter zu erschrecken. Die Wehrmacht testete mit Katzen chemische Kampfstoffe und die Rote Armee setzte auf Panzersprenghunde. Ebenso lassen Prothesen verschiedener Körperteile, die einem Soldaten abgetrennt werden können, die Grausamkeit jedes Krieges sichtbar werden. Die Konzeption der Dauerausstellung des Museums ist folglich fern jeder Kriegsverherrlichung und falsch verstandener Heldenverehrung angesiedelt. Zumal man auch auf die Beisetzung sterblicher Überreste von kriegerischen Konflikten im Museumsgebäude nicht verzichtet hat. Jeder Besucher wird vorher vor den erwartbaren schrecklichen Bildern gewarnt. Und jeder kann entscheiden, ob er sich diesen Blick zutraut. Ich hab ihn mir nicht zugetraut – ich ging nachdenklich weiter. Für das gesamte Museum mag vielmehr gelten, was u.a. in der Besucherinformation geschrieben steht, das es „Denkräume öffnen“ will. Mich hat es zum Denken gebracht. Über Widersprüche, Gegensätze, Ereignisse über Menschen und ihr Leben. Man muss nur bereit sein in diese Denkräume zu gehen und sich selbst zu öffnen. Dann wird’s schon. Aber was war da zum Beispiel noch? Modelle von Flugzeugen und Schiffen, ein Gemälde mit dem jungen Friedrich II., der Mantel des Reichsluftmarschalls Hermann Göring, Vorladungen der Gestapo zu „Befragungen“, die Reliefkarte eines sowjetischen Spitzenmilitärs von Dresden, die Uniform des langjährigen DDR-Verteidigungsministers Armeegeneral Heinz Hoffmann.
Zudem finden auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr ab 1990 ihre Ausstellungsfläche.
Im besonderen Maße bemerkenswert, dass auch zivile Opfer des Afghanistan-Krieges im MHM
eine Stimme bekommen. Man erfährt etwas über ihr Schicksal. Im Bundestag fliegt man dafür schon mal aus dem Saal, wie es eine Fraktion erfahren musste. Sie wollte eigentlich nur namentlich der zivilen Opfer gedenken, die durch deutsche Befehlsgewalt bei einem Luftschlag bei Kunduz im September 2009 ihr Leben verloren.
Resümieren ließe sich mein Besuch nach den Stunden des Betrachtens und des verstehen Wollens, was begründet mit der dargestellten und veranschaulichten Materie, nicht immer gelingt folgendermaßen: Wer sich für Militärgeschichte interessiert, der sollte den Besuch des Dresdner Militärhistorischen Museums in seinen Kulturfahrplan aufnehmen. Ich war jedenfalls an diesem Tage mit meiner „Eroberung“ nicht nur zufrieden, sondern auch fertig. Mehr ging nicht mehr. Im Übrigen hatte auch die Deutsche Bahn etwas dagegen – das ich länger bleiben konnte – mit ihrem Fahrplan.
Autor: René Lindenau