Der antisemitische Propagandafilm im Stuttgarter Haus der Geschichte
Vor 270 Jahren ließ die Stuttgarter Justiz Joseph Süß Oppenheimer hängen, den der Herzog von Württemberg vier Jahre zuvor berufen hatte. Die Regierung stemmte sich dagegen: Denn Süß war Jude, verstand etwas von Finanzen und sah den Geheimräten auf die Finger.
Als sein Fürst starb, wurde seinem Berater der Prozess gemacht. Wilhelm Hauff und Lion Feuchtwanger haben diese Geschichte in Literatur verwandelt. Doch bekannter als Bücher und Dramen ist seit 1940 ein Film: Veit Harlans Bearbeitung des Stoffes gilt als prototypisches Werk des Antisemitismus im Dritten Reich. Ihr ist jetzt eine Ausstellung im Stuttgarter Haus der Geschichte gewidmet.
Doch die Ausstellung leidet an derselben Beschränkung wie Harlans Film: Sie will das historische Schicksal des Justizopfers nicht darstellen. Bei der Eröffnung sah der als Redner herbeigerufene Volker Schlöndorff die Verantwortung des Regisseurs darin, „die Arbeit ordentlich zu machen“. „Das Gute darzustellen“, sei ästhetisch. Verantwortung sei, „etwas ganz genau darzustellen“.
Alles Leerformeln. Kunst müsse „wahrhaftig sein“, Harlans Figuren seien unwahrhaftig, also ästhetisch schlecht, was zu beobachten sei an Werner Krauß, der fünf jüdische Rollen spielte. Das sei Manipulation. Das aber stimmt keineswegs: Werner Krauß zeigte im „Jud Süß“ große Mimenkunst, auch wenn die Tendenz uns nicht passt.
Was den Film angeht, bietet die Ausstellung jedoch viel Neues. Den roten Faden bilden 63 vorher nie gezeigte Standfotos. Sobald man aber sucht, was an dem NS-Film „unwahrhaftig“, also ästhetisch falsch sei, schweigt die Ausstellung. Unklar, wer warum wie Süß umbrachte.
Es ist eine Bankrotterklärung, das Todesurteil unvollständig und unleserlich auszustellen, ohne den vollen Text daneben, mit Kommentar. Der Film wird mit lokalen Nazi-Filmstreifen aus Städten des Landes konfrontiert, aber ohne Erklärungen bleibt alles Gerümpel. In den Filmen werden Juden gezeigt, die 1941 in Stuttgart auf den Transport in den Tod warteten. Ihre Namen wären auf die Wand zu schreiben, künstlerisch und groß.
Flucht vor den Quellen
Das Literatur-Fenster stellt die Bücher bloß auf, Tendenz und Inhalt bleiben verborgen. Schmerzlich berührt das Fehlen der einzigen jüdischen Stimme zu Süß‘ Tod. In der Todeszelle hatte Süß Salomon Schächter gebeten, an alle jüdischen Gemeinden zu schreiben. Vor wenigen Jahren kam dieser Brief als Totengedenkbuch heraus. Und es fehlt das einzige moderne Süß-Hörspiel, immerhin mit dem Civis-Medienpreis gewürdigt.
Harlans Film darf seit 1961 nur kommentiert und in geschlossenen Veranstaltungen gezeigt werden. Die Murnau-Stiftung baut ständig neue Hürden auf. Auch in Stuttgart werden den Film nur wenige sehen können.
Nirgends bekommt man in der Ausstellung die Verlogenheit dieses Werkes auf den wirklichen Süß projiziert. Dass Süß verzerrt ist, muss man glauben, der Beweis wird nicht angetreten.
Umso kühner Paula Lutum-Lenger, die Leiterin: Mit dieser Ausstellung entstehe ein gerechteres Bild von Süß Oppenheimer. Wie denn? Die Ausstellung hängt historisch in der Luft.
Ernst Seidl, Mitarbeiter der Ausstellung, hat diese Schwäche beheben wollen, im Katalog. Die Flut von Flugschriften gleich nach Süß‘ Tod habe den wirklichen Süß fast verschwinden lassen. Warum? „Das dürfte wohl damit zu erklären sein, dass die Person Süß Oppenheimer einerseits historisch nur schwer zu greifen ist, andererseits auch ihre politische Rolle zumindest als ambivalent zu bezeichnen ist und damit stark interpretierbar wird.“
Aus Irrtümern bastelt Seidl eine Entschuldigung, warum man Süß nicht zu erforschen brauche. Über Süß zu schreiben, war zuerst einfach verboten. Zwei Landeshistoriker wurden 1834 mit gefälschten Archivzitaten betrogen. Bis 1918 durfte niemand die Akten lesen.
Für Feuchtwanger war später der Papierberg zu hoch, Selma Stern unterlag der Menge. Über den Prozess brachte sie kümmerliche 15 Seiten zu Papier.
Vor Süß türmen sich heute zehn Meter Akten auf, die Karlsruher und Frankfurter Archivbündel sind in Stuttgart weiterhin unbekannt. Wer aber will sich das alles antun?
Für den akademischen Betrieb zu kompliziert. Seitdem stürzen sich eilige Akademiker lieber auf Süß als Mythos oder Ikone, in Stuttgart eben auf den Film. Alles Flucht vor den Quellen.
Das Haus der Geschichte will vor allem Schüler erreichen. Diese werden sich freuen an den Standfotos. Die Besucher werden von dem berüchtigten Plakat begrüßt, das Ferdinand Marian als „Jud Süß“ zeigt, mit giftgrünem Gesicht, darüber das aggressive Rot des Filmtitels.
Ein Schaukasten mit Harlans Prozess präsentiert den Regisseur des Nationalsozialismus als Sieger. Und noch einmal triumphiert er – in dieser Ausstellung: Die Proteste in Universitätsstädten gegen seine neuen Filme ab 1951 werden nicht erwähnt.
Harlan selbst stritt jegliche Mitschuld am NS-Regime ab. Erst seinem Sohn Thomas gelang es, vom Vater auf dem Sterbebett ein Schuldgeständnis zu hören. Das wäre ein passender Schluss gewesen. Die Schüler könnten lernen, wohin gesinnungsloser Karrierismus und menschenfeindlicher Ehrgeiz führen können.
Bei allen Vorbehalten ist es ohne Zweifel nützlich, die Ausstellung zu besuchen. Langweilig ist sie nirgends, in jeder Ecke läuft ein Film. Der Katalog ist materialreich. Die Literaturliste mit 350 Titeln ist indessen kaum benützbar, für Schüler untauglich. Hier galoppierte der Ehrgeiz davon.
Autor: Hellmut G. Haasis. Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung, 19. Dezember 2007.
„Jud Süss“ – Propagandafilm im NS-Staat. Haus der Geschichte Stuttgart. Bis 3. August 2008. Info: Tel. 0711/212-3989, Katalog: 12,50 Euro.
Nachgeschichte
So weit, so schlecht – empfand jedenfalls der Chef des Hauses, Thomas Schnabel. Schon im Vorfeld hatte er mit Umsicht den Verfasser der einzigen Süß-Biographie von der Mitwirkung ausgeschlossen. Das passt zu seinem Leitungsstil. Alles Mögliche ließ Schnabel im Begleitprogramm zum Nazifilm „Jud Süß“ erörtern, nur eben nicht die Biographie selbst.
Einen Germanisten bemühte er, über die relativ harmlose erste Erzählung im Süß-Themenzyklus zu reden, über die Novelle „Jud Süß“ des Stuttgarter Märchenerzählers Wilhelm Hauff (1802-1827).
Mit Hauff fängt für die heutigen Medienmythologen alles an. Und so soll es bleiben: Der wirkliche, der historische Süß muss absolut draußen gehalten werden. Wir sollen bloß eine Ikone erleben, einen Mythenstoff, Aufgüsse der späteren Generationen.
Was ist Süß Oppenheimer? Nichts als ein Medienprodukt. Jeder kann ihn heute neu erfinden. Da lässt sich noch viel verdienen. Die historische Wahrheit dagegen ist nicht marktfähig, Fragen danach müssen abgeblockt werden. Und so bleibt Süß Oppenheimer weiterhin mit dem Vorwurf belastet, bloß ein wirtschaftskrimineller Jude gewesen zu sein.
Lange vor der Ausstellungseröffnung hatte ich Schnabel angeboten, zum Ausgleich für die Einseitigkeit des Nazifilms eine literarische Süß-Performance zu bieten, mit erzählerischen und biografischen Texten aus meiner Werkstatt.
Nach meinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung schlug Schnabel zurück. Das war zu erwarten. Schnabel liebt eine steile Hierarchie. Wer nicht in sein Konzept passt, wird rausgeworfen. Wer das Falsche schreibt, fliegt. Irgendwie bekommen die Stuttgarter Geist und Verhalten des Herzogs Carl Eugen nicht los. Und der arme Schubart spukt immer noch rum.
Der Zeitungsartikel war neun Tage alt, da schrieb mir Thomas Schnabel: Er hätte gerne gewusst, wie ich die Ausstellung bereits kritisieren konnte, bevor ich sie kannte bzw. bevor sie überhaupt aufgebaut war.
Tja, auch in diesem Punkt ist die Hierarchiespitze nicht auf dem richtigen Dampfer. Ich hatte am Nachmittag vor der Ausstellungs-Eröffnung mit allen vier bei der Ausstellung beschäftigten Fachkräften die Ausstellung angesehen, Gang für Gang, Fenster für Fenster. Geschlagene drei Stunden lang, fleißig Notizen gemacht – und dann zuhause Schritt für Schritt das Konzept der Ausstellung mit der historischen Realität von Süß‘ Leben verglichen.
Im Abgang des Rauswurf-Briefes präsentiert Schnabel mir eine ältere Rechnung: meine Kritik an der verheerenden Stauffenberg-Gedenkstätte im Stuttgarter Alten Schloss (hier und hier).
Schnabel hat nie inhaltlich dazu Stellung genommen, das tut er jetzt auch nicht bei der Veit-Harlan-Ausstellung. Er fühlt sich nur fürs Generelle zuständig, da reicht das Dozieren von Glaubenssätzen.
So lautet in dem denkwürdigen Rauswurf-Brief der Absatz:
„Ich versuche eigentlich immer, unvoreingenommen an ein Thema heranzugehen. Vor allem aber halte ich nichts davon, eine gute Sache gegen eine andere gute Sache auszuspielen, sei es die Lebensgeschichte von Joseph Süß Oppenheimer gegen die Filmgeschichte „Jud Süß“, sei es Johann Georg Elser gegen Claus und Berthold von Stauffenberg. Warum kann man nicht das eine tun und das andere nicht lassen?“
Da liegt der Hund begraben: Den Nazifilm von Veit Harlan ganz allein für sich auszustellen, mit exzessiver Breite und Buntheit, also höchster Attraktivität, völlig auf Kosten des Justizopfers Joseph Süß – das hält Schnabel auch nach der eingehenden Kritik für „eine gute Sache“.
Der Rezensent, der nicht das Richtige zu schreiben versteht, ist natürlich „voreingenommen“. Man spürt die klirrend-kalte Güte des Herrn.
Am Briefende wünscht mir Schnabel „ein wenig mehr Offenheit für andere Ansätze und etwas weniger Voreingenommenheit“.
Ich werde mich bessern. Versprochen.
Aber ich bin ein Wiederholungstäter, wahrscheinlich ein bockbeiniger Charakter:
Goebbels‘ Lieblingsregisseur Veit Harlan unwidersprochen als großen Filmemacher auszustellen, dem selbst das historisch belegte Schuldbekenntnis auf dem Sterbebett erspart wird – das nehme ich nicht hin.
Für mich bleibt‘s dabei:
Die Stuttgarter Nazifilm-Ausstellung hängt historisch in der Luft, sie hat keinen Bezug zum Leben, Leiden und Justizmord des Joseph Süß Oppenheimer. Der ermordete Heidelberger Finanzberater wird ein weiteres Mal totgeschlagen. Wie bisher in Literatur, Film und Theater üblich.
Nur weiter so, dann schläft der Kritiker nicht ein und wird nicht von der branchenüblichen Altersmilde angeknabbert.
Die Tage solcher informationsresistenter Herren sind gezählt. Es tut sich was in Sachen Rehabilitierung des Justizopfers Süß. Nur malen halt in Stuttgart die Mühlen arg langsam – wie auch woanders. Der Nesenbach ist halt größtenteils untertunnelt und führt meistens für die geistigen Mühlen zu wenig kritisches Wasser.
Süß starb nicht einfach so, er wurde gestorben, von der Stuttgarter Justiz am 4. Februar 1738 – und das wird noch 270 Jahre danach von dieser Ausstellung im Dunkeln gehalten.
Hellmut G. Haasis
Reutlingen
Januar 2008