Die Lesser Ury Ausstellung Bilder der Bibel im Centrum Judaicum Berlin
„Jerusalem“ ist nicht nur ein Politikum, „Jerusalem“ ist eines der Schlüsselwerke von Lesser Ury, das in der Ausstellung Bilder der Bibel im Centrum Judaicum Berlin nicht zu sehen sein wird. Die Berliner Staatsanwaltschaft verweigert die Herausgabe des Gemäldes, weil ein laufendes Verfahren anhängig ist. Damit fehlt in der erstmals seit 1905 umfassenden Ausstellung seines religiösen Werkes eine seiner wichtigsten Arbeiten.
Berühmt wurde Lesser Ury durch seine Stadtansichten Berlins. Er spielte in den Großstadtbildern mit Licht und Schatten in unverkennbarer Virtuosität. Ury gehörte zur Berliner Sezession, die sich gegen das konventionelle Kunstverständnis Wilhelms II. stellte und 1898 gegründet wurde. Die Sezession galt als Avantgarde, die sich am französischen Impressionismus orientierte: Sie erregte Aufsehen mit Bildern aus der Alltagswelt, wegen ihrer Hinwendung zu rein visuellen Phänomenen und der Abkehr von geometrischen Idealfigurationen.
Vor diesem Hintergrund ist die Ausstellung „Bilder der Bibel“ im Centrum Judaicum Berlin zu sehen, die ausschließlich seinen Bildern mit religiösen Themen gewidmet ist. Dieser Teil seines Werkes ist weitgehend unbekannt. Dies ist ein Grund, warum die Ausstellung sehenswert ist. Die Kunstkritiker seiner Epoche hatten diesen Werkteil negativ beurteilt. Ury orientierte sich in seiner Malerei eindeutig an christlichen Darstellungen. Eine Steifheit der Personen, die auch in seinen Stadtbildern zu finden ist, tritt hier deutlicher hervor. Seine biblischen Gestalten sind menschlich gezeichnet.
Moses war für ihn eine der zentralen Gestalten. In seinem Bild „Moses zerschmettert die Gesetzestafeln“ verharrt Moses in einer Haltung, in der er die Tafeln hochhält. Hier wird der symbolische Gehalt des Gemäldes deutlich. Hochhalten der Gesetze und Innehalten in der Bewegung geben dem Bild seinen Spannungsbogen. Ury malte den Moses nicht als biblische Gestalt, sondern als Menschen. Sein „Moses, der das gelobte Land vor seinem Tod erblickt“ ist ein alter Mann. Rücken und Nacken sind gekrümmt, die Arme hängen kraftlos herunter. In „Jakob segnet Benjamin“ zeigt er einen von Kummer gezeichneten Mann.
Ganz anders sind seine Frauengestalten. Gleich ob Ruth, Rebekka oder Esther, sie sind stark idealisiert. Für den heutigen Betrachter wirken sie zumindest übertrieben. Maler unserer Epoche sehen Personen aus der Tora, insbesondere auch die Frauen, völlig anders.
Zwei Gemälde von besonderer Eindringlichkeit stehen den Stadtbildern an Qualität nicht nach. Zum einen „Jeremias“: Ein einsamer Mann, der zusammengekrümmt unter einem lichtblauen Himmelsgewölbe liegt. Gleiches gilt für „Eva und Adam nach der Geburt Kains“, ein ungewöhnliches Motiv. Urys berühmte Lichtfarben leuchten hier in unverminderter Schönheit. Eva ist eine junge Mutter, die sich ganz ihrem Kind zuwendet. Adam sitzt ein wenig abseits und betrachtet beide. Die Gemälde sind von starker Intensität und ihr biblischer Bezug ist nur durch die Titel erkennbar. Hier hat sich Ury vollkommen von einer heroisierenden Darstellungsweise gelöst. Wie durch alle Werke Urys zeigt sich auch hier der auffällige Hell-Dunkel-Kontrast in den realistisch gezeichneten Figuren und einem auf Farbe und Sinneseindruck reduzierten Himmel.
„Jerusalem“ ist erste das Bild mit biblischen Motiven, mit denen Ury an die Öffentlichkeit ging. Es gilt als Schlüsselwerk seiner religiösen Werke. Anders als den Kritiker Kerr hat mich links im Bild der hockende Mann fasziniert, ein unvergessliches Gesicht, dessen Portrait noch einmal als Lithographie in der Ausstellung zu sehen ist. „Jerusalem“ könnte man sehen, wenn die Berliner Staatsanwaltschaft es denn wollte.
Das Gemälde wurde während der Ausstellungsvorbereitungen im Februar 2002 dem Jüdischen Museum Berlin zum Kauf angeboten. Es galt seit 1945 als verschollen. Seit 1903 im Besitz des Kaiser-Friedrich-Museums in Görlitz ging später auf die Städtischen Sammlungen der Stadt Görlitz über. Es liegen bisher keine schriftlichen Hinweise für eine Veräußerung des Bildes vor. Eine Entfernung des Bildes als „entartete Kunst“ ist „völlig ausgeschlossen, da es sich um ein Werk des 19. Jhds. handelt“ erklärte Dr. Chana Schütz, Kuratorin der Ausstellung. Die Städtischen Sammlungen, die sich als legitime Eigentümerin des Bildes sehen, haben ihre Einwilligung zur Hängung des Bildes oder einer Reproduktion gegeben.
Das Schreiben mit der Bitte um Genehmigung das Bild in der Ausstellung zeigen zu dürfen, wurde mit Schreiben vom 16. April wie folgt beantwortet: „Auf Ihr Schreiben vom 9. April 2002, mit dem Sie eine Genehmigung zur Ausstellung des im hiesigen Ermittlungsverfahren beschlagnahmten Gemäldes von Lesser Ury erbitten, wird mitgeteilt, dass Ihrem Anliegen beim jetzigen Verfahrensstand nicht entsprochen werden kann.“
Alle nachfolgenden Briefe, Faxe und Telefonanrufe seitens des Leiters des Centrums, Hermann Simon und der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Chana Schütz, mit der Bitte um eine Erklärung und Begründung, blieben seit Mitte April unbeantwortet. Das Centrum solle gegen die Staatsanwaltschaft klagen, hieß es sogar in einem Telefonat, das wenige Tage vor der Eröffnung noch geführt wurde. Dank gebührt den zahlreichen privaten Sponsoren, ohne deren Hilfe die Ausstellung nicht möglich gewesen wäre.
Die Ausstellung ist im Centrum Judaicum, Berlin, Oranienburgerstraße 28-30, Berlin-Mitte, vom 9. Juni bis 31. Juli 2002 zu sehen: Öffnungszeiten: Mo + So: 10-20 Uhr, Di-Do: 10-18 Uhr, Fr. 10-17 Uhr. Parallel zeigt das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin die Ausstellung Lesser Ury – Der Malerradierer. Ein gemeinsamer Katalog zu beiden Ausstellungen kostet € 19.90.
Autor: Gudrun Wilhelmy. Jegliche Kopie dieses Artikels, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung der Autorin.