Madrid, Museo Reina Sofia
22.11.2019 – 23.3.2020
Der österreichischen Malerin Ceija Stojka (1933–2013) wurde postum eine große Ehre zuteil. Im November letzten Jahres eröffnete die renommierte Reina Sofia, Heimstatt des Publikumsmagnets „Guernica“ von Pablo Picasso, eine große Ausstellung mit den international noch eher unbekannten und figurativen Gemälden und Gouachen. Im Zentrum des autobiografischen Werkes steht die traumatische Geschichte der Künstlerin. Dass es den Porrajmos[Romanes: das Verschlingen], wie die Roma und Sinti den an ihnen im deutschen Namen von Nazis und Helfershelfern verübten Genozid nennen, gegeben hat, davon konnte Ceija Stojka, eine zu den Roma zählenden Lovara, detailliert berichten. Knapp war sie mit der Mutter und den meisten Geschwistern der Ermordung in Auschwitz-Birkenau entkommen, wohin sie Ende März 1943 aus Wien deportiert worden waren. Noch vor der Liquidierung des „Zigeunerlagers“ am 2./3.8.1944 sorgte die Mutter mit großem Glück und Geschick dafür, dass sie und die Kinder in andere Lager verfrachtet wurden. Der Vater war bereits 1943 in Hartheim ermordet worden und Ceija Stojkas kleiner Bruder Ossi überlebte Adolf Mengeles medizinische „Experimente“ nicht.
Der Ausstellungstitel Esto ha pasado [Das ist geschehen] klingt vor dem Hintergrund dieser traumatischen Geschichte wie ein Beharren auf den Tatsachen, als Strategie gegen die Leugner und Relativierer in Europa, für die die zwölf Jahre unter Hitler nichts als ein „Fliegenschiss“ in der deutschen Geschichte sind. Mit einer unbändigen Energie hat Ceija Stojka ihr Trauma von der Seele gemalt. Während die ersten Nachkriegsjahre mit Verdrängen, Familie gründen und einer neuen Existenz als Teppichhändlerin in Wien zu bewältigen waren, spielten sich die grausamen Erinnerungen dennoch immer stärker in den Vordergrund und wurden nicht nur in vielen Notizbüchern festgehalten, sondern auch mit starker visueller Sprache und eigener Metaphorik in Bildern fixiert. In einem nur vage zu schätzenden Gesamtwerk von weit über 1000 Zeichnungen, Gouachen und Acrylgemälden hat Ceija Stojka in den letzten 20 Jahre ihres Lebens ihre Biografie festgehalten. In der letzten Etappe ihres Lebens wurde Ceija Stojka zu einer wichtigen Aktivistin und goss ihre Ängste in Texte:
„Ich habe Angst, dass Europa seine Vergangenheit vergisst und dass Auschwitz nur schläft.“
Erste Publizität hatte Ceija Stojka durch die von der österreichischen Autorin und Filmemacherin Karin Berger herausgegebenen Bücher und zwei Dokumentarfilme. Ceija Stojka war also längst keine Unbekannte mehr und präsentierte auch in vielen kleinen Ausstellungen ihre Bilder, die aber eher als „Outsider-Kunst“ und naiv gelabelt wurden. 2014 wurden postum unter dem Titel „Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz“ nahezu alle verfügbaren Arbeiten der Künstlerin zum Porrajmos begleitend zu drei Ausstellungen in einem umfangreichen Buch im Verlag für moderne Kunst ediert. Zum ersten Mal fanden dafür die umfangreichen Rückseitentexte der Künstlerin Berücksichtigung und wurden als integraler Bestandteil des Werkes bewertet und abgedruckt. Mit dieser Publikation erhielt das Œuvre schlagartig eine neue Aufmerksamkeit, so auch die des Mäzen und Kunstsammlers Antoine de Galbert, der das Maison Rouge in Paris bis 2018 betrieb. Für ihn konzipierten Paula Aisemberg, Xavier Marchand und Noëlig Leroux eine große Ausstellung und publizierten einen eigenen Katalog mit Arbeiten Stojkas. Dies war ein entscheidender Schritt und Stojkas Werk erfuhr eine fulminante Rezeption. Diese Ausstellung tourte in leicht veränderter Fassung im Frühjahr 2019 nach Nijmegen, wo sie im Museum Het Valkhof gezeigt wurde und nun also in der Reina Sofia zu sehen ist. Der Ausstellungsparcour wurde entlang der Lebens- und Leidensstationen Ceija Stojkas organisiert. Er beginnt mit Acryl-Gemälden, die Lovara mit Wohnwagen und Pferden in grüner Landschaft zeigen. Allmählich schleichen sich in die romantisierten Idyllen nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland die ersten Hakenkreuze. Es folgt die Festsetzung in Wien, dann die Konzentration in der Rossauer Lände und Ende März 1943 die Deportation nach Auschwitz. Die Leidensgeschichte setzt sich mit Ravensbrück und Bergen-Belsen fort, wo britische Soldaten die letzten Überlebenden, umgeben von Leichenbergen Verhungerter, am 15. April 1945 befreien. Die Familie trifft sich nach monatelangen Fußmärschen wieder in Wien.
Die Reina Sofia verzichtet wohltuend darauf, die Künstlerin bereits im Titel als Romni vorzustellen und ebenso auf den fragwürdigen und aus einer paternalistischen Haltung heraus verwendeten Terminus der Outsider-Kunst. Leider sind in der Ausstellung aber nur wenige Blätter von dem zentralen Zyklus zu sehen, den Ceija Stojka unter dem Titel „Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz“ in 18 Jahren schuf. Seit der letztjährigen Pariser Ausstellung erfolgten zahlreiche Verkäufe über eine Pariser Galerie, mit denen die Stojka-Erben zusammenarbeiten. So positiv die Nobilitierung des Œuvres durch den Kunstmarkt ist, wichtige Teile werden nun auseinandergerissen und in alle Winde zerstreut werden. Um es zumindest virtuell komplett zu erfassen und der Öffentlichkeit auch für wissenschaftliche Zwecke zugänglich zu machen, will sich der 2018 in Paris gegründete Ceija Stojka International Fund [www.ceijastojka.org] kümmern.
Autor: Matthias Reichelt
Katalog (spanisch), 184 S., durchgängig farbig mit Beiträgen von Gerhard Baumgartner, Philippe Cyroulnik und Xavier Marchand, 25 € – https://www.museoreinasofia.es/en