Die postume Rückkehr des Künstlers ins Land seiner Hassliebe
Thomas Erben Gallery: 02.03. – 15.04.2006
Bei dem ikonographischen Instrumentarium des 1997 verstorbenen Blalla W. Hallmann war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis seine Bilder die Aufmerksamkeit des US-amerikanischen Kunstmarktes und seiner Sammler auf sich ziehen würden. Jetzt hat sich der seit längerem in Chelsea/New York City ansässige deutschstämmige Galerist Thomas Erben der Bilder Hallmanns angenommen und eine Ausstellung zusammengestellt. Erben, der u. a. auch Adrian Piper und Jutta Koether vertreten hat, ist es gewohnt, schwierige Positionen zu vertreten. Für seine erste Ausstellung mit Werken des in den USA noch unbekannten Blalla W. Hallmanns, hat sich Erben für Bilder aus einer der großen thematischen Serien entschieden. Hallmann hat in seinem 1990 entstandenen Bilderzyklus auf Fenstern eines Kölner Krankenhauses (jeweils 120×110 cm) Versatzstücke aus dem Christentum mit dem Personal aus Entenhausen verwoben. Die von Walt Disney erfundenen und von Carl Barks in Comic Strips umgesetzten Geschichten einer ganzen Sippe fanden auf der gesamten Welt Verbreitung und sind in nahezu jedem Winkel der Erde bekannt. Donald, Mickey, Daisy und Dagobert, Tick Trick und Track sowie die Panzerknacker bilden das Hauptpersonal dieser Geschichten und tauchen bei Hallmann in intensiven Acrylfarben in den biblischen Topoi wieder auf. In den großformatigen Hinterglasbildern wendet sich Hallmann der biblischen Geschichte in Gestalt der Heiligen Familie zu, die als Prototyp der Familie und gesellschaftliche Keimzelle von Unterdrückung gleich mit erledigt wird. Hallmann stellt sie frei nach Wilhelm Reich und Alice Miller als Hort der Gefügigmachung dar, wo mittels Unterdrückung und ‚schwarzer Pädagogik’ sowie sexuellem Missbrauch, Gehorsam erzwungen und die junge Persönlichkeit bereits im zarten Kindesalter für den Rest des Lebens gebrochen und deformiert wird. In Hallmanns Bildern findet ein Parforceritt durch die Geschichte statt. In der Wiege liegt nicht Jesus sondern ein reinkarnierter kleiner Adolf Hitler und reckt fleißig seinen rechten Arm, glücklich beäugt von Daisy (USA) und Vater Bär (Sowjetunion), während Kuh und Esel im Hintergrund als teilnahmslose Komparsen Europa vertreten. Nun war Hallmann bildender Künstler und kein Historiker und muss keine rationalen und belegten Ableitungen für seine Bilder liefern. Hallmann zelebriert seinen zu Bildern geronnen Geschichtspessimismus. Dass er dies an der Comicfamilie amerikanischer Provenienz tut hat sowohl mit der eigenen Prägung in einem Nachkriegs-Kalten Kriegs-Deutschland mit US-Bindung sowie mit seinen Erfahrungen bei seiner einzigen USA-Reise Ende der 60er Jahre zu tun. In Mill Valley bei San Francisco, wo Hallmann auf Einladung des befreundeten amerikanischen Künstlers Norman Stiegelmayer sich von Herbst 1967 bis März 1969 aufhielt, begegnete er nicht nur der studentischen Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, sondern auch der psychedelischen Popkultur und machte seine grundlegenden Erfahrungen mit verschiedenen halluzinogenen Drogen. Armut, Auszehrung und Drogenblues verursachten bei Hallmann eine ernste Krise, die ihn „auffällig“ werden ließen. Im Frühjahr wurde er zur Persona non grata erklärt und kurzer Hand in eine Maschine nach Deutschland gesetzt.
In seinem kürzlich bei Stroemfeld/Roter Stern erschienenen Buch „Friendly Fire“ (ISBN 3-87877-940-2) mit gesammelten Essays (dessen Cover ein sehr frühes Bild Blalla W. Hallmanns schmückt), schreibt Klaus Theweleit in dem Aufsatz „Wie ein Hitlerbild machen? Blalla W. Hallmanns halluzinative Kompressen“ mit Hinblick auf Hallmanns Hassliebe zum Disneykosmos:
„Ein unamerikanischer Amerikaner wird, wer diese Höllenparadiese lebend übersteht. Spätestens dort ist er auch ein Addict der Ducks geworden; die Hassliebe der Underground-Zeichner zu den Disney-Figuren ist eines ihrer Markenzeichen. An erster Stelle ergänzt der Underground den Disneykreaturen ihre fehlende Sexualität, in jeder Form von Übertretung selbstverständlich. Gegner Amerikas, des „anderen“, des hässlichen, des politischen Amerika, kann man vernünftigerweise nur werden auf den geweihtesten Ebenen des Pop: Antiamerikaner mit amerikanischsten Mitteln.“
Will man Hallmanns pessimistische Auffassung von der Geschichte verstehen, muss man eine andere zentrale Serie seines Spätwerks mit hinzuziehen. Anfang der 90er Jahre bis zu seinem Tod treten vor allem zwei große Serien in den Vordergrund. Zum einen ist das eben die Serie mit den Hinterglasbildern und zum anderen die aufgrund des auffälligen schwarzen Fonds genannte „Schwarze Serie“, die mit wenigen Ausnahmen im Format 150×110 cm von Hallmann vorwiegend 1991 mit Acryl auf Leinwand gemalt wurde. In dieser „Schwarzen Serie“ konzentrierte sich Hallmann auf komplexe historische und politische Zusammenhänge, die bei der Frage nach der steten Popularität Hitlers in den 30er Jahren bis in die Gegenwart deutlich werden. Zum besseren Verständnis muss man sich die Situation 1989 vergegenwärtigen. Bei den Leipziger Montagsdemonstrationen mündete der basisdemokratische Slogan „Wir sind das Volk“ schnell in „Deutschland einig Vaterland“. Der kurze Traum von der demokratischen Zweistaatlichkeit war schnell hinweggefegt. Angesichts der lauthals bekundeten Liebe zur vereinten deutschen Nation mit erneut zart brauner Färbung, sahen nicht wenige die Gefahr eines neuen deutschen Nationalismus auf Europa zukommen. Ernst Nolte, der im „Nationalsozialismus“ analog zu Hitlers Wahn und Hass gerne eine Antwort auf den „jüdischen Bolschewismus“ sah und mit seinen revisionistischen Thesen 1985/86 den Historikerstreit losgetreten hatte, erkannte ein historisches Kontinuum als er in der FAZ vom 22. Februar 1992 schrieb: „Zeigt nicht, dass sogar Hitlers Vorstellung vom ‚Lebensraum’ keine bloße Phantasie war, da doch ganz Osteuropa heute der Tätigkeit der deutschen Wirtschaft offen zu stehen scheint? Residiert nicht im ehemaligen Luftfahrtministerium Görings eine ‚Treuhandstelle’, deren Name an die‚ Treuhandstelle Ost’ erinnert?“ Die Angst vor Hitlers spätem Triumph unter dem Stichwort „Viertes Reich“ kursierten – nicht ganz unbegründet – in der deutschen Linken.
Was sich nach der Vereinigung der deutschen Staaten alles – befreit vom „Deckel“ des realexistierenden Sozialismus – in den neuen Bundesländern Bahn brach, z.B. die Existenz von „national befreiten Zonen“, konnte Hallmann noch nicht wissen, aber freilich ahnen, schließlich war auch im Westen das Liebäugeln mit den Neonazis verbreitet. Hallmann hatte aus seiner großen Skepsis gegenüber den Ismen des 20. Jahrhunderts keinen Hehl gemacht und hielt es eher mit einer Mischung aus Imperialismustheorie, Kapitalismuskritik, Atheismus und vor allem der Erziehungskritik von Alice Miller sowie einem abgrundtiefen Pessimismus gegenüber der Zivilität der Menschheit. Er war davon überzeugt, dass sich das Schlechte im Menschen immer wieder reproduziere. „Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen“ lautet eines seiner an James Ensor geschulten Bilder (von 1981; inhaltlich auf jeden Fall als Vorläufer der „Schwarzen Serie“ zu werten), in der die Menschen ihre Notdurft immer wieder auf die nachfolgende Generation einen Donnerbalken weiter unten in die emporgereckten geöffneten Mäuler ablassen. In der „Schwarzen Serie“ treibt er das Spiel mit der Popularität Hitlers auf die Spitze und präsentiert ihn als Popstar und harmlosen Tierfreund. Erinnert sei hier an eine Bemerkung David Bowies in einem Interview in den 70er Jahren, als er Hitler den ersten Popstar nannte.
Angesichts der augenblicklich immer noch auf allen Fernsehkanälen landauf, landab laufenden „Hitlerei“, die nur wieder die alte Leier repetiert und uns die Big Shots als Alleintäter präsentiert, kommt diesen Bildern eine große Aktualität zu. Man könnte in ihnen die Vorwegnahme der Guido Knopp’schen geschäftstüchtigen Perspektive auf „Adi und die Frauen“, „Adi und die Kinder“‚ „Adi und die Tiere“ sehen, freilich mit bewusst gesetzter Ironie.
Mit der Ausstellung bei Thomas Erben, der sich nach eigener Aussage weiterhin um die Verbreitung des Hallmann’schen Œuvres in den USA bemühen will, kehrt Hallmann postum in das Land seiner Hassliebe zurück.
Autor: Matthias Reichelt