Ein teuer bezahltes Prestigeprojekt: Die Flick-Collection
Seit Spätsommer vergangenen Jahres residiert die umstrittene Kunstsammlung des Multimillionärs Friedrich Christian Flick, die so genannte Flick-Collection, in den Räumen der Berliner Nationalgalerie. Die Eröffnung der Ausstellung wurde zum Triumph des Sammlers: Flankiert vom Bundeskanzler und vom Bürgermeister der Stadt, glänzte er inmitten der jubelbereiten Lokalpresse und Berliner High Society. Hunderte von Polizisten waren aufgeboten, um die früher gefürchteten Kreuzberger Autonomen vom Sturm aufs Buffet abzuhalten, indes niemand erschien, um zu stören. Dieser vorläufige Triumph über Gegner und Kritiker der Ausstellung sollte jedoch nicht davon abhalten, über die Argumente der Streitenden nachzudenken, vor allem aber darüber, was diese Ereignisse über die politische Kultur aussagen. Es erscheint im Rückblick rätselhaft, warum sich eine so überwältigende Koalition bilden mußte, um diese Ausstellung gegen die wenigen Kritiker aus dem Feuilleton und der Jüdischen Gemeinde durchzusetzen. Bundeskanzler Schröder, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Staatsministerin Christina Weiss, der Regierende Bürgermeister Wowereit, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz warfen sich für Flick in Bresche. Offenbar hofften sie, im Nachgang zur erfolgreichen MoMA-Gastausstellung das gestiegene Interesse an moderner Kunst ausnutzen zu können. Der fast brachiale Einsatz dieser peinlich anmutenden Übermacht wird jedenfalls noch lange einen üblen Nachgeschmack hinterlassen.
Die Kritik an Flicks Ausstellungsprojekt speist sich aus zwei Quellen. Die historisch-moralische Argumentationslinie nimmt Friedrich Christian Flick bei seinem mehrfach geäußerten Wort, er wolle „mit einem Kunstmuseum den Namen Flick auf eine dauerhafte, positive Ebene stellen.“ F. C. Flick verdankt sein Vermögen seinem Großvater, dem in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher Friedrich Flick. Letzterer verdiente sein Geld auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern. F. C. Flick weigerte sich, als Erbe in den Fond zur Entschädigung der Zwangsarbeiter einzuzahlen. Er wolle, so der einleuchtende Argumentationsschluß, mit Hilfe von Kunstwerken die Erinnerung an die NS-Vergangenheit seiner Familie und seines Vermögens tilgen, betreibe somit eine offiziell sanktionierte moralische Geldwäsche. Diese Argumentation war auch Grundlage der Proteste gegen F. C. Flicks Pläne, sich in Zürich ein Museum zu bauen und gegen eine ‚Probeausstellung’ im Münchner Haus der Kunst.
Eine andere, gut nachvollziehbare, Argumentationslinie betrifft das Verhältnis von Staat und Sammler, von öffentlichen und privaten Interessen. Um dies nachzuvollziehen, sei einer kleiner Exkurs gestattet: F. C. Flick ist nicht nur Erbe eines Vermögens, das z. T. in der NS-Zeit und unter NS-Bedingungen erwirtschaftet wurde, er ist auch ein prominenter Steuerflüchtling, der der Bundesrepublik seit seinem Umzug ins Schweizerische Gstaad etwa 125 Mio. € schuldet. Nach spektakulären Gewinnen in Aktiengeschäften beauftragt Flick in der 1990er Jahren Kunsthändler wie Rudolf Zwirner und Iwan Wirth mit Ankäufen für eine Sammlung. Innerhalb von fünf Jahren läßt Flick 2.500 Kunstwerke im Wert von geschätzten 250 Mio. $ kaufen, nur etwa 10% davon bekommt er zu Gesicht, der Großteil bleibt im Depot. Dahinter steckt offenbar seine Überzeugung, daß moderne Kunst langfristig renditestärker als Aktien sei. Moderne Kunst habe zwischen 1970 und 2000 etwa 15% Rendite erzielt, zitiert der Autor Kessen einen Kunstmarktexperten der Dresdner Bank. Flick sei also eigentlich mehr Kunsthändler als Sammler, während er der Presse vermittelt, er habe mit der Liebe zur Kunst seinem Leben neuen Sinn gegeben. Der eigentliche Skandal besteht nun darin, daß der Händler Flick die staatliche Nationalgalerie ausnutzen kann, um seinen Werken eine Wertsteigerung zu ermöglichen. Für die öffentliche Hand, also den steuerzahlenden Bürger, entstehen durch die Flick-Ausstellung hohe Kosten: Leihgebühren, Transportkosten, Kosten infolge der wechselnden Präsentationen und Baukosten für Anbau und Verkehrsverbindung zur neuen Halle mit den Flick-Werken. Bis zu 15 Mio. € muß die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufbringen. Diese Summe muß bei anderen Ausstellungsprojekten, bei der wissenschaftlichen Arbeit und bei Personalkosten eingespart werden: Sparen für den Multimillionär Flick. Die Nationalgalerie bezahlt, befiehlt aber nicht: Flick besitzt bei der Hängung der Werke ein Vetorecht, kann jederzeit Werke entfernen, verkaufen, neue hinzufügen. Diese Faktenlage zeigt, daß hier der Staat in jeder Hinsicht über den Tisch gezogen wurde. Es ist ein schwacher Staat und eine schwache, auf oberflächlichen Glamour versessene Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die Interessen der Bürger schlecht vertreten. Der vergleichende Blick auf Frankreich zeigt: Es wäre dort unmöglich, daß ein Sammler ein staatliches Museum in seinen privaten „Darkroom“ verwandeln dürfte, so der Kunsthistoriker Werner Spieß, langjähriger Direktor des Centre Pompidou.
Am Ende steht die Frage: War die Kunst, die Berlin jetzt zu sehen bekommt, diesen Knebelvertrag wert? Man muß sagen: Nein. In der Rieckhalle wird der Mainstream der 1990er präsentiert, wie er in jedem mittelgroßen Kunstmuseum schon vertreten ist, die Ausstellung ist im Prinzip überflüssig und langweilig. Ein teuer bezahltes und ödes Prestigeobjekt.
Autor: Christian Saehrendt
Peter Kessen: Von der Kunst des Erbens. Die Flick-Collection und die Berliner Republik. Mit einem Vorwort von Micha Brumlik, Philo-Verlag Berlin/Wien 2004.
Peter Kessen hat in seiner gut lesbaren Darstellung noch einmal nachgezeichnet, wie es zu diesem Skandal kommen konnte – Diskurshistorikern wird sein Buch als ergiebige Quelle dienen können. Seine wirtschaftshistorischen und familiengeschichtlichen Passagen über die Flicks hat er wirkungsvoll kombiniert mit biographischen Texten über die ungarische Jüdin Eva Fahidi, die 1944 für ein Flick-Unternehmen mörderische Zwangsarbeit leisten mußte. Vor diesem Hintergrund scheint die dreiste Geschichtsvergessenheit und Gernegroß-Mentalität von Flick und seinen politischen Freunden besonders grell auf.
Der Beitrag entstand in Zusammenhang mit einer Forschungsarbeit, deren Ergebnisse kürzlich publiziert wurden: Christian Saehrendt, Kunst als Botschafter einer künstlichen Nation. Studien zur Rolle der bildenden Kunst in der Auswärtigen Kulturpolitik der DDR, Stuttgart 2009.